Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz gegen angedrohte Abschiebung nach Nigeria

Aktenzeichen  M 10 E 20.243

Datum:
21.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1691
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
AufenthG § 50 Abs. 1 S. 1, § 58 Abs. 2, § 60a

 

Leitsatz

Der Duldungsanspruchs aus Art. 6 Abs. 1, 2 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK setzt stets eine schutzwürdige echte familiäre Beziehung im Sinne einer Beistandsgemeinschaft voraus, bei der zu untersuchen ist, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit des Anspruchstellers zum Kind besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. (Rn. 14 – 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Aussetzung seiner Abschiebung nach Nigeria.
Der Antragsteller, ein im Jahr 1985 geborener, nigerianischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 6. Oktober 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am 9. März 2016 einen Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 9. Mai 2017, der seit 30. Oktober 2018 bestandskräftig ist, wurde der Asylantrag abgelehnt, festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Nigeria angedroht.
Der Antragsteller erklärte bei einer Vorsprache bei dem Antragsgegner am 25. Januar 2019 (Bl. 204 Ausländerakte), dass er nicht freiwillig ausreisen wolle, da die Eheschließung mit seiner Freundin (Frau … …, nach dem AZR-Auszug nigerianische Staatsangehörige, vgl. Bl. 199 Ausländerakte) bevorstehe. Nach Auskunft des zuständigen Standesamts sei das Aufgebot noch nicht bestellt worden.
Nach einem Aktenvermerk des Antragsgegners vom 19. Dezember 2019 (Bl. 237 Ausländerakte) habe der Antragsteller nach Auskunft des Jugendamts der Stadt … am gleichen Tag zur Beurkundung einer Vaterschaft vorgesprochen. Zwei Termine zur Beurkundung seiner Vaterschaft habe er bereits nicht wahrgenommen. Am 19. Dezember 2019 sei es zu einer Beurkundung der Vaterschaftsanerkennung aber nicht gekommen, da der zur Festnahme ausgeschriebene Antragsteller im Jugendamt der Stadt … von der Polizei festgenommen worden sei.
Der Antragsteller befindet sich seit 19. Dezember 2019 auf Betreiben des Antragsgegners, dessen Zuständigkeitsbereich er bis zu seiner Inhaftierung asylrechtlich zugewiesen war, in Sicherungshaft in der Justizvollzugsanstalt … in Nordrhein-Westfalen. Seine Abschiebung nach Nigeria ist für den 22. Januar 2020 geplant.
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 20. Januar 2020, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für zunächst zwei Monate ab Beschlussfassung die Abschiebung des Antragstellers nach Nigeria zu untersagen.
Zur Begründung wird vorgetragen, dass eine besondere Eilbedürftigkeit bestehe, da die Abschiebung des Antragstellers für den 22. Januar 2020 vorgesehen sei. Der Eilantrag sei auch begründet, da am 13. Januar 2020 sein Kind, das er mit seiner deutschen Verlobten bzw. Lebensgefährtin habe, geboren worden sei. Die Vaterschaft des Antragstellers sei zwischen den Beteiligten unstreitig; sie werde auch in dem Beschluss des Landgerichts Duisburg vom 15. Januar 2020 über die Anordnung der Sicherungshaft vorausgesetzt. Der Antragsteller sei demnach Vater eines deutschen Kindes und habe einen Anspruch auf Familiennachzug. Jedenfalls sei dieser Anspruch dadurch zu sichern, dass dem Antragsteller die Möglichkeit gegeben werde, sein Kind zumindest in der ersten Zeit nach der Geburt zu betreuen. Es stelle jedenfalls eine vor Art. 8 EMRK nicht zu rechtfertigende Härte dar, den Antragsteller nach Nigeria abzuschieben, obwohl er ein deutsches Kind habe, das er betreuen wolle. Es werde daher beantragt, die Abschiebung zunächst für zwei Monate zu untersagen. In diesem Zeitraum sei das weitere Verfahren im Einzelnen zu klären, insbesondere im Hinblick auf eine etwaige Vorabzustimmung bezüglich der Erteilung eines Visums für den Familiennachzug. Zum Nachweis des Sachvortrags werden Unterlagen aus dem Klinikum Leverkusen betreffend die Geburt des Kindes … … am … Januar 2020 vorgelegt; als Mutter ist darin Frau … … angegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO bleibt ohne Erfolg, da er nicht begründet ist.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden.
Im vorliegenden Fall ist der Antrag nach § 123 VwGO zwar zulässig, insbesondere ist eine besondere Dringlichkeit gegeben. Der Antragsteller soll im Rahmen einer Sammelabschiebung am 22. Januar 2020 nach Nigeria abgeschoben werden.
Der Antrag nach § 123 VwGO ist aber unbegründet, da der Antragsteller keinen nach § 123 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a AufenthG glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO).
1. Der Antragsteller ist gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG abzuschieben, da er nach bestandkräftigem Abschluss seines Asylverfahrens vollziehbar zur Ausreise verpflichtet ist (§§ 50 Abs. 1 Satz 1, 58 Abs. 2 AufenthG), die 30-tägige Ausreisefrist nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens am 30. November 2018 erfolglos verstrichen und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist.
2. Die Abschiebung ist auch durchführbar. Es liegen weder Abschiebungshindernisse noch Abschiebungsverbote vor. Der Antragsgegner ist an die Entscheidung des Bundesamts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG gebunden (§ 42 Satz 1 AsylG).
a) Auch eine tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor.
Die Abschiebung eines Ausländers ist gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
aa) Anhaltspunkte für eine tatsächliche Unmöglichkeit im Sinne von § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
bb) Die Abschiebung ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinne von § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG. Ein rechtliches Ausreisehindernis ergibt sich insbesondere nicht unter Berücksichtigung der familiären Situation des Antragstellers aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK.
(1) Der Antragsteller ist nach Aktenlage mit der Mutter seines Kindes nicht verheiratet; auch ein Verlöbnis wurde nicht glaubhaft gemacht. Zudem wurde eine gelebte familiäre Beziehung zu ihr weder glaubhaft gemacht noch ist eine solche nach Aktenlage ersichtlich.
(2) Schließlich ergibt sich auch unter Berücksichtigung des jüngst geborenen Kindes keine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung.
Art. 6 Abs. 1 und 2 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK gewähren keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Gleichwohl sind im Rahmen der Abschiebung bestehende sozial-familiäre Bindungen im Bundesgebiet zu berücksichtigen (stRspr, vgl. nur BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – NvWZ 2013, 1207, 1208). Voraussetzung eines Duldungsanspruchs ist stets eine schutzwürdige echte familiäre Beziehung im Sinne einer Beistandsgemeinschaft. Maßgeblich ist auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013, a.a.O.).
Eine derartige schutzwürdige Verbundenheit zwischen dem Antragsteller und seinem Kind sind vorliegend weder glaubhaft gemacht noch nach Aktenlage ersichtlich.
Der Antragsteller hat die von ihm behauptete Vaterschaft bereits nicht nachgewiesen. Nach Auskunft des Antragsgegners ist eine Vaterschaftsanerkennung bisher nicht beurkundet worden. Der Antragsteller hat zwei Termine zur Anerkennung der Vaterschaft verstreichen lassen; eine entsprechende Anerkennungserklärung ist erst am 20. Januar 2020 in der Haft erfolgt. Wegen Zweifeln an der Vaterschaft ist eine Beurkundung jedoch nicht erfolgt, das Vaterschaftsanerkennungsverfahren wurde ausgesetzt.
Hinzu kommt, dass der Antragsteller auch eine von persönlicher Verbundenheit getragene Beziehung zu seinem Kind nicht glaubhaft gemacht hat. Eine solche ist auch nicht erkennbar, da sich der Antragsteller seit 19. Dezember 2019 Haft befindet und sein Kind erst am 13. Januar 2020 geboren worden ist.
Überdies ist im vorliegenden Fall nicht schlüssig vorgetragen, dass die Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden kann. Eine deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes ist nicht nachgewiesen worden und auch nicht ersichtlich. Nach Aktenlage ist die Mutter des Kindes (ebenso) nigerianische Staatsangehörige.
Im Übrigen ist es dem Antragsteller insbesondere auf Grund des Umstandes, dass das Kind gerade erst geboren worden ist, zumutbar, das Visumsverfahren durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – BeckRS 2018, 14558 Rn. 5 m.w.N.). Die Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug ist auch nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerksverfahren im Heimatland durchzuführen und muss ggf. ebenso gewisse Verzögerungen bei der Einleitung und Durchführung des Visumsverfahrens hinnehmen (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2019 – 10 CE 18.1871, 10 C 18.1874 – BeckRS 2019, 982 Rn. 27 m.w.N.).
b) Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung im Ermessenswege nach § 60a Abs. 2 S. 3 AufenthG. Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Solche dringenden humanitären oder persönlichen Gründe sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nrn. 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs 2013.


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