Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Anordnung der Herstellung eines Rettungsweges

Aktenzeichen  AN 3 S 20.02378

Datum:
3.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 35341
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Nr. 4, Abs. 5
BayBO Art. 31, Art. 54 Abs. 4
BayVwZVG Art. 36 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine Anhörung muss nicht schriftlich erfolgen, sondern kann auch (fern-)mündlich vorgenommen werden. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es kommt nach dem Wortlaut des Art. 31 Abs. 3 Satz 1 BayBO nicht darauf an, weshalb erforderliche Rettungsgeräte nicht vorgehalten werden. Entscheidend ist allein, dass eine Rettung der im Gebäude befindlichen Bewohner nicht möglich ist. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine erhebliche Gefahr i.S.v. Art. 54 Abs. 4 BayBO liegt regelmäßig vor, wenn der zweite Rettungsweg im Brand- und Katastrophenfall gänzlich fehlt oder ein vorhandener zweiter Rettungsweg nicht gesichert ist. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 6. November 2020 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. Oktober 2020 wird bezüglich der Ziffer 3 angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner 1/11 sowie die Antragstellerin 10/11.
3. Der Streitwert wird auf 28.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt mit ihrem Antrag im einstweiligen Rechtsschutz die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die für sofort vollziehbar erklärte sowie mit einer Zwangsgeldandrohung verbundene Verfügung des Antragsgegners vom 6. Oktober 2020, mit welcher sie zur Herstellung eines – zumindest provisorischen – Rettungsweges in dem Anwesen … und … (FlNr. … der Gemarkung …*) verpflichtet wird.
Mit Bescheid des Landratsamtes … vom 21. März 1969 wurde der damaligen Grundstückseigentümerin der Bau von drei Mehrfamilienhäusern genehmigt. Anfang der 1970er wurden sodann zwei der drei Mehrfamilienhäuser errichtet. Bei drei der insgesamt 14 Wohneinheiten liegt die Oberkante der Brüstung der zum Anleitern bestimmten Fenster mehr als 8 m über der Geländeoberfläche.
Nachdem dem Antragsgegner angezeigt wurde, dass in dem Anwesen der Antragstellerin möglicherweise die gesetzlich vorgeschriebenen Rettungswege nicht ausreichend seien, wurde am 22. Juli 2020 eine Baukontrolle durchgeführt, bei welcher sich Bedenken hinsichtlich des zweiten Rettungsweges im vierten Obergeschoss ergeben hätten. Daraufhin wurde die Hausverwaltung der Antragstellerin, die … Immobilien GmbH, mit Schreiben des Antragsgegners vom 12. August 2020 zunächst um Zusendung der erteilten Baugenehmigung(en) sowie um eine Nachweisführung bezüglich des zweiten Rettungsweges gebeten und darauf hingewiesen, dass eine Anhängeleiter als geeignetes Rettungsgerät in Neuhaus nicht vorhanden sei.
Nachdem die angeforderten Unterlagen nicht übermittelt wurden, fand am 5. Oktober 2020 eine Besichtigung der Außenanlagen sowie der beiden Treppenhäuser des Anwesens statt. An dem Ortstermin nahmen neben Vertretern des Landratsamtes, der Marktgemeinde … und der Feuerwehr … auch der Kreisbrandrat sowie Vertreter der Hausverwaltung teil. Dabei sind – insbesondere in den beiden Treppenhäusern, die den ersten Rettungsweg darstellen – verschiedene Brandschutzmängel festgestellt worden. Im Hinblick auf den mangelhaften ersten Rettungsweg sowie das Fehlen geeigneter Rettungsgeräte bei der Feuerwehr … für die beiden obersten Wohnungen der … sowie die oberste Wohnung der … … ist dem Vertreter der Hausverwaltung, Herrn …, seitens des Antragsgegners vor Ort mündlich mitgeteilt worden, dass sofort geeignete Maßnahmen zur (provisorischen) Herstellung eines zweiten Rettungsweges zu schaffen seien. Herr … hat zugesagt, dies in die Wege zu leiten.
Mit Schreiben vom 6. Oktober 2020 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin zur Vorlage eines schriftlichen Brandschutzkonzeptes unter Setzung einer Frist bis zum 17. November 2020 auf. Des Weiteren verpflichtete der Antragsgegner die Antragstellerin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 6. Oktober 2020, laut Postzustellungsurkunde zugestellt am 7. Oktober 2020, unter Ziffer 1 zur Herstellung eines zweiten Rettungsweges durch geeignete – zumindest provisorische – Maßnahmen (z.B. außen liegende Treppen) für die beiden obersten Wohnungen der … (im beiliegenden Lageplan mit Whg. 1 und Whg. 2 bezeichnet) sowie die oberste Wohnung der … (im beiliegenden Lageplan mit Whg. 3 bezeichnet). In Ziffer 2 wurde die sofortige Vollziehung angeordnet sowie unter Ziffer 3 für den Fall, dass die Verpflichtung unter Ziffer 1 nicht bis zum 21. Oktober 2020 erfüllt wird, ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 EUR angedroht.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass aufgrund der bei dem Ortstermin festgestellten Brandschutzmängel der erste Rettungsweg in beiden Treppenhäusern mangelhaft sei. Für die obersten beiden Wohnungen der Hausnummer … sowie die oberste Wohnung der Hausnummer … existiere indes kein zweiter Rettungsweg, da die Oberkante der Brüstung der zum Anleitern bestimmten Fenster bzw. Balkone mehr als 8 m über der Geländeoberfläche liegt. Entsprechende Rettungsgeräte der Feuerwehr stünden nicht zur Verfügung.
Eine Anhörung sei wegen Gefahr in Verzug entbehrlich, nachdem im Hinblick auf die festgestellten Brandschutzmängel eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben bestehe. Im Übrigen habe im Rahmen des Ortstermins am 5. Oktober 2020, bei welchem der Vertreter der Hausverwaltung über die Erforderlichkeit der Herstellung des zweiten Rettungsweges und entsprechende Möglichkeiten informiert worden sei, ausreichend Gelegenheit bestanden, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern.
Die angeordnete Maßnahme sei zur Abwehr erheblicher Gefahren für Leben und Gesundheit gemäß Art. 54 Abs. 4 BayBO notwendig. Im Hinblick auf den mangelhaften ersten sowie den fehlenden zweiten Rettungsweg sei von einer erheblichen Gefahrenlage auszugehen, nachdem die Personenrettung im Brandfall in Bezug auf die drei Wohnungen nicht sichergestellt wäre. Erfahrungsgemäß müsse jederzeit mit der Entstehung eines Brandes gerechnet werden. Bei einem Gebäudebrand würde regelmäßig eine Gefahr für Leib und Leben vorliegen.
Des Weiteren könnte die Anordnung auch auf Art. 54 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BayBO gestützt werden, nachdem die dem Antragsgegner bekannte Baugenehmigung aus dem Jahre 1969 nicht in der genehmigten Form ausgeführt worden und somit fraglich sei, ob und inwieweit Bestandsschutz vorliegt.
Die Anordnung sei verhältnismäßig und in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erfolgt. Das Entschließungsermessen sei – wie auch hier – regelmäßig auf Null reduziert, soweit Anordnungen zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit erforderlich sind. Auch das Auswahlermessen sei pflichtgemäß ausgeübt worden. Insbesondere würde eine Nutzungsuntersagung einen schwerwiegenderen Eingriff darstellen. Rein finanzielle Interessen müssten gegenüber dem Interesse an der Vermeidung von Schäden an Leib und Leben und einer Minimierung der Brandschutzrisiken grundsätzlich zurückstehen.
Die sofortige Vollziehung sei notwendig, da ein Abwarten bis zur Unanfechtbarkeit der Verfügung ein nicht hinnehmbares Fortbestehen der Gefährdungslage zur Folge hätte und in der Zwischenzeit bei einem Brand Personen in dem Gebäude zu Schaden kommen könnten. Überdies bedürfte es gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 VwGO keiner weiteren Begründung des öffentlichen Interesses, da die Anordnung selbst bereits im öffentlichen Interesse (Leib und Leben) erlassen worden sei. Als Eigentümerin sei die Antragstellerin für den ordnungsgemäßen Zustand verantwortlich und daher zu Recht Adressatin der Verfügung. Das angedrohte Zwangsgeld stütze sich auf Art. 29 ff VwVZG. Die Höhe entspreche dem ermessensgerecht geschätzten wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin. Unter Berücksichtigung des erforderlichen Aufwandes könne der Antragstellerin die Erfüllung der Verpflichtung innerhalb der festgesetzten Frist, die erfahrungsgemäß für einen zumindest provisorischen Rettungsweg ausreichend sei, billigerweise zugemutet werden. Ein zeitnahes Handeln sei aufgrund der erheblichen Gefahren zwingend erforderlich.
Mit Schreiben vom 14. Oktober 2020 beantragte das von der Antragstellerin beauftragte Ingenieurbüro … gegenüber dem Antragsgegner eine Verlängerung der Frist bis zum 16. November 2020. Trotz sofortig eingeleiteter Maßnahmen habe bislang keine Fachfirma gefunden werden können, die für die inmitten stehenden Wohnungen einen provisorischen Fluchttreppenturm stellen könne. Die Maßnahme sei in Bearbeitung, bedürfe jedoch noch etwas Bearbeitungszeit. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass das im Jahre 1969 genehmigte Vorhaben offensichtlich nicht mit dem Katasterauszug übereinstimme.
Mit E-Mail vom 19. Oktober 2020 teilte der Antragsgegner mit, dass die Fristverlängerung nicht gewährt werden könne und bis zum 20. Oktober 2020 konkrete Nachweise über ausreichende Bemühungen seitens der Antragstellerin vorgelegt werden müssten, damit gegebenenfalls eine Fristverlängerung bis zum 28. Oktober 2020 erfolgen könne.
Mit E-Mail vom 20. Oktober 2020 übersandte das Ingenieurbüro … dem Antragsgegner ein Angebot der Firma … Bau vom 20. Oktober 2020 über eine Aufschotterung auf dem Grundstück der Antragstellerin, um eine Anleiterhöhe unter 8 m zu schaffen. Hiernach sei die Ausführung in der KW 45/46 möglich. Das Ingenieurbüro teilte ferner mit, dass eine Anfrage bei der Gerüstbaufirma … ergeben habe, dass bezüglich einer Gerüststellung eine Wartezeit von drei bis sechs Monaten bestehe. Sofort tätige Firmen seien nicht zu finden. Es wurde zudem auf eine E-Mail der Gerüstbau … GmbH verwiesen, wonach das Stellen von Fluchttreppentürmen eine Vorlaufzeit von mindestens 15 bis 25 Arbeitstagen benötige. Diese könnten indes nur auf Bestellung geliefert werden und seien nach dortiger Kenntnis auch bei Konkurrenzunternehmen nicht auf Lager. Weiterhin wurde ein Angebot des Ingenieurbüros … vom 20. Oktober 2020 für die Erstellung des geforderten Brandschutznachweises übermittelt, welches von der Hausverwaltung der Antragstellerin ausweislich der vorgelegten E-Mail vom 21. Oktober 2020 angenommen wurde.
Mit E-Mail vom 21. Oktober 2020 teilte der Antragsgegner mit, dass die dargelegten Bemühungen nicht ausreichend seien, um die begehrte Fristverlängerung zu gewähren. Es hätten deutlich mehr Firmen angefragt werden müssen und entsprechende Nachweise vorgelegt werden müssen. Dem Angebot zur Geländenivellierung sei eine konkrete Ausführung nicht zu entnehmen und insbesondere keine Ausführungsskizze beigefügt worden. Es werde daher in den nächsten Tagen ein Baukontrolleur vor Ort prüfen, ob der zweite Rettungsweg hergestellt wurde. Sofern dies nicht der Fall sein sollte, werde das angedrohte Zwangsgeld für fällig erklärt und eine weitere Zwangsgeldandrohung erlassen.
Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 23. Oktober 2020 wurde der Antragsgegner unter Verweis auf die gesetzlichen Regelungen zum Wohnungseigentum und die Anforderungen an einen für die inmitten stehenden Maßnahmen erforderlichen Beschluss der Eigentümerversammlung sowie die damit verbundenen Probleme im Hinblick auf die Corona-Pandemie erneut um Gewährung einer Fristverlängerung zunächst bis zum 13. November 2020 gebeten sowie die Aussetzung der sofortigen Vollziehung beantragt.
Unter Verweis auf die erhebliche Gefahrenlage wurde dies mit E-Mail des Antragsgegners vom 26. Oktober 2020 abgelehnt und darauf hingewiesen, dass die gewünschte Frist bei einem weiteren Bescheid aufgegriffen werden könne.
Mit Schreiben des Antragsgegners vom 27. Oktober 2020 wurde das in dem Bescheid vom 6. Oktober 2020 unter Ziffer 3 angedrohte Zwangsgeld über 5.000,00 EUR fällig gestellt und zur Zahlung bis 26. November 2020 aufgefordert. Des Weiteren wurde mit Bescheid vom 27. Oktober 2020 ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 6.000,00 EUR angedroht für den Fall, dass der Anordnung in Ziffer 1 des Bescheides vom 6. Oktober 2020 nicht bis zum 13. November 2020 nachgekommen wird.
Am 6. November 2020 ließ die Antragstellerin gegen die Bescheide vom 6. Oktober 2020 sowie vom 27. Oktober 2020 Klage erheben und hinsichtlich der Klage gegen den Bescheid vom 6. Oktober 2020 sogleich die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass der Bescheid vom 6. Oktober 2020 bereits formell rechtswidrig sei, nachdem keine ordnungsgemäße Anhörung erfolgt sei. Der Antragsgegner habe bereits seit Ende Juni den inmitten stehenden Brandschutz geprüft. Mit Schreiben des Antragsgegners vom 12. August 2020 habe die Antragstellerin hingegen erstmals Kenntnis über etwaige Unregelmäßigkeiten hinsichtlich des zweiten Rettungsweges erlangt. Konkrete Beanstandungen seien sodann erst im Rahmen des Ortstermins geäußert worden, so dass die Antragstellerin keine Möglichkeit gehabt habe, sich mit den Vorwürfen zu befassen und einen eigenen Sachverständigen zu beauftragen sowie das weitere Vorgehen unter den Miteigentümern abzustimmen. Die Antragstellerin hätte nach dem Ortstermin zunächst schriftlich angehört werden müssen.
An dem bestandsgeschützten Anwesen der Antragstellerin bestünden indes keinerlei erhebliche Brandschutzmängel. In der Baugenehmigung aus dem Jahre 1969 seien keine Regelungen hinsichtlich eines zweiten Rettungsweges oder eines ersten Rettungsweges über die Treppenhäuser enthalten. Ausweislich der zur Genehmigung gestellten Pläne sei der Antragsgegner von einer Gebäudehöhe von Oberkante Geländeoberfläche bis Oberkante Gebäude von 10,13 m sowie 8,86 m ausgegangen, so dass letztlich eine Gebäudehöhe über 8 m genehmigt worden sei. Des Weiteren habe zum Zeitpunkt des Genehmigungserlasses im damals noch zuständigen Landkreis … ein alternatives Rettungsgerät der Feuerwehr zur Verfügung gestanden, weshalb ein zweiter Rettungsweg bereits aus diesen Gründen bislang nicht erforderlich gewesen sei. Dass die nunmehr zuständige Feuerwehr … über kein derartiges Rettungsgerät verfügen soll, sei der Klägerin bis zum 5. Oktober 2020 nicht bekannt gewesen und werde bestritten.
Für den hier anzunehmenden Bestandsschutz komme es entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners nicht darauf an, dass lediglich nur zwei der genehmigten drei Mehrfamilienhäuser errichtet wurden. Entscheidend sei im Zusammenhang mit der inmitten stehenden Anordnung allein die Gebäudehöhe, welche im genehmigten Umfang ausgeführt worden und damit bestandsgeschützt sei. Vielmehr habe sich durch die reduzierte Ausführung der Baugenehmigung die Gesamtbrandlast erheblich reduziert. Eine konkrete Gefahr im Sinne des Art. 54 Abs. 4 BayBO liege nicht vor. Eine solche entstehe nicht bereits dadurch, dass sich gesetzliche Vorschriften im Laufe der Zeit ändern. Außerdem stehe ein erster Rettungsweg zur Verfügung.
Die angeordnete Frist zur Herstellung eines zumindest provisorischen zweiten Rettungsweges stelle überdies eine unbillige Härte dar und sei unverhältnismäßig. Die eingeholten Auskünfte würden aufzeigen, dass die Erfüllung der Verpflichtung bereits objektiv unmöglich gewesen sei. Weiterhin sei für die kostenauslösenden Maßnahmen im Umfang von – laut Aussage des Ingenieurbüros … – einmalig 20.000,00 EUR für das Aufstellen des Gerüstes zuzüglich einer monatlichen Miete von 2.000,00 EUR ein den gesetzlichen Anforderungen entsprechender Beschluss der Eigentümerversammlung gemäß § 23 WEG erforderlich. Hierzu seien Fristen einzuhalten und im Hinblick auf die Corona-Pandemie ausreichend große Räumlichkeiten zu organisieren. Des Weiteren würden einige Miteigentümer zur Risikogruppe zählen.
Auch sei die Anordnung nicht ermessensgerecht. Es hätte ein milderes Mittel dargestellt, zunächst Anordnungen im Hinblick auf den ersten Rettungsweg zu erlassen und die Vorlage des angeforderten Brandschutznachweises abzuwarten. Erst danach könne abschließend beurteilt werden, welche konkreten Maßnahmen erforderlich seien. Dass der Antragsgegner die Bemühungen der Antragstellerin nicht anerkannt habe, sei ebenfalls ermessensfehlerhaft.
Des Weiteren sei auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtswidrig. Das private Interesse der Antragstellerin überwiege das öffentliche Interesse bereits deswegen, weil der angefochtene Grundverwaltungsakt rechtswidrig sei. Über Jahre hinweg habe der Antragsgegner keinerlei Probleme im Hinblick auf den Brandschutz gesehen, so dass nicht nachvollziehbar sei, dass plötzlich, insbesondere nachdem sich auch der Antragsgegner selbst vier Monate Zeit gelassen habe, nun eine derartige Eile geboten sein solle.
Die Androhung des Zwangsgeldes sei bereits mangels rechtmäßiger Grundverfügung sowie im Hinblick auf die zu kurz gewährte Frist rechtswidrig. Weiterhin sei das Zwangsmittel unverhältnismäßig gewählt, insbesondere auch im Hinblick auf die Höhe. Es sei vollkommen unklar, woraus der Antragsgegner den Betrag in Höhe von 5.000,00 EUR ableitet. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin zwischenzeitlich die Firma … Bau mit der Geländenivellierung beauftragt hat, um eine Anleiterhöhe unter 8 m zu erhalten.
Mit Schriftsatz vom 26. November 2020 wurde der Antrag dahingehend ergänzt, den Antragsgegner zu verpflichten, die Betreibung des angedrohten Zwangsgeldes einzustellen. Vorgelegt wurde des Weiteren der bereits an den Antragsgegner übermittelte Brandschutznachweis vom 16. November 2020, wonach die inmitten stehenden Gebäude exakt nach den im Jahre 1969 – als die Feuerwehr … überdies noch über eine Anhängerleiter für Höhen bis knapp 16 m verfügt haben soll – genehmigten Plänen errichtet worden seien und auf welchen im Übrigen Bezug genommen wird. Vor Ort sei ferner an den ungünstigsten Stellen eine Brüstungshöhe der Fenster in Höhe von 9,70 m ermittelt worden.
Es wird sinngemäß beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich Ziffer 1 des Bescheides des Antragsgegners vom 6. Oktober 2020 wiederherzustellen sowie bezüglich der Ziffer 3 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt
Antragsablehnung.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass bei der Ortsbegehung am 5. Oktober 2020 eine formlose Anhörung erfolgt sei. Entgegen den Ausführungen der Antragstellerin sei vorliegend eine erhebliche Gefahr im Sinne des Art. 54 Abs. 4 BayBO anzunehmen. Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Fristsetzung wird auf die Begründung in dem streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen sowie auf die Regelungen des WEG zu dringenden Angelegenheiten hingewiesen. Die Höhe des Zwangsgeldes sei angesichts des von der Antragstellerin vorgelegten Kostenvoranschlages für einen Rettungsturm ebenfalls verhältnismäßig.
Eine weitere Baukontrolle am 16. November 2020 habe ergeben, dass der zweite Rettungsweg nach wie vor nicht hergestellt worden sei. Bei dem vorgelegten Dokument vom 16. November 2020 handele es sich indes nicht um einen Brandschutznachweis gemäß § 11 BauVorlV, sondern um eine Dokumentation zum Gebäudebestand. Nach Rücksprache mit der Feuerwehr … am 18. November 2020 sei eine Anhängeleiter nicht mehr vorhanden und eine Rettung nur über eine zweiteilige Steckleiter möglich. Die nächste Drehleiter befinde sich in der Stadt … Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Streitgegenstand des vorliegenden Eilverfahrens ist die angeordnete sofortige Vollziehbarkeit der in Ziffer 1 des Bescheides des Antragsgegners vom 6. Oktober 2020 ausgesprochenen Anordnung sowie das in Ziffer 3 insoweit angedrohte Zwangsgeld i.H.v. 5.000,00 EUR.
Der Antrag der Antragstellerin ist gemäß § 88 VwGO als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer eingelegten Klage, soweit die Anordnung unter Ziffer 1 betroffen ist, sowie auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, soweit das angedrohte Zwangsgeld inmitten steht, auszulegen. Insbesondere ist im Rahmen des inmitten stehenden Eilverfahrens der Antragsergänzung vom 26. November 2020 kein darüber hinausgehendes Rechtsschutzbedürfnis zu entnehmen.
Der zulässige Antrag ist teilweise begründet.
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat eine Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese entfällt kraft Gesetzes bei den in § 80 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO aufgeführten Maßnahmen und des Weiteren nach Nr. 4 der Bestimmung, wenn die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde besonders angeord-net wird. Das besondere Vollzugsinteresse, welches grundsätzlich über jenes hinausgehen muss, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt, und mit den Interessen des Betroffenen abzuwägen ist, ist schriftlich zu begründen (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
Im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, oder diejenigen, die für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist nämlich nicht die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Vollzugsanordnung am Maßstab des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, sondern die eigenständig und losgelöst von der vorangegangenen behördlichen Vollzugsentscheidung zu beurteilende Frage, ob die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen ist. Diese eigenständige Abwägung hat sich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 19 Abs. 4 GG und am Zweck des Aussetzungsverfahrens auszurichten. Die aufschiebende Wirkung des § 80 Abs. 1 VwGO soll gemäß der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verhindern, dass durch die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes Tatsachen geschaffen werden, die, wenn sich der Verwaltungsakt bei gerichtlicher Überprüfung als rechtswidrig erweist, nur schwer und mit unverhältnismäßigem Aufwand rückgängig gemacht werden können. Sie ist andererseits kein Selbstzweck und soll einen im öffentlichen Interesse liegenden Vollzug nicht hindern (BVerwG, B.v. 26.6.1990 – 4 B 61/90 – juris). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, aber nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Eilantrags. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 18.9.2017 – 15 CS 17.1675 – juris; B.v. 19.3.2003 – 14 CS 03.85 – juris).
Vorliegend ergibt sich nach der im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ausreichenden summarischen Prüfung, dass die Klage der Antragstellerin hinsichtlich der Anordnung in Ziffer 1 keinen Erfolg haben wird. Auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer 2 des Bescheides vom 6. Oktober 2020 ist nicht zu beanstanden. Demgegenüber ist die Klage gegen die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides voraussichtlich erfolgreich. Aus diesem Grund waren die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich Ziffer 3 des Bescheides anzuordnen und der Antrag im Übrigen abzulehnen.
1. Die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides getroffene Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der von dem Antragsgegner verfügten sicherungsrechtlichen Anordnung begegnet keinen formalen Bedenken. Der Antragsgegner hat das von ihm angenommene überwiegende öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung hinreichend einzelfallbezogen begründet im Sinne des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, in dem er nicht bloß formelhaft, sondern substantiiert ausgeführt hat, weshalb die Errichtung eines zumindest provisorischen zweiten Rettungsweges aus brandschutzrechtlicher Sicht erforderlich und im Hinblick auf die Gefahren im Falle eines Brandes ein zeitnahes Handeln geboten ist. Auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 2 VwGO kommt es damit nicht an.
2. Die Anordnung in Ziffer 1 des Bescheides erweist sich aller Voraussicht nach als rechtmäßig, so dass die Antragstellerin nicht in subjektiven Rechten verletzt wird, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Sie ist nach dem Ergebnis überschlägiger Prüfung formell rechtmäßig, hinreichend bestimmt und aufgrund des Fehlens eines zweiten Rettungswegs zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für Leben und Gesundheit notwendig. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
a) Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Oktober 2020 leidet nicht unter einem Anhörungsmangel.
Nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem die Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
Nach summarischer Prüfung ist eine diesen Anforderungen genügende mündliche Anhörung im Rahmen der Ortsbegehung am 5. Oktober 2020 durchgeführt worden, so dass es vorliegend auf die Frage, ob eine Anhörung gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG entbehrlich gewesen wäre, nicht ankommt.
Der Zweck der Anhörung, dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung zum Sachverhalt zu geben, ist trotz des kurzen zeitlichen Abstands zwischen der Anhörung und dem Erlass des streitgegenständlichen Bescheides im Hinblick auf die mit dem gänzlichen Fehlen eines zweiten Rettungsweges sowie den nicht bestrittenen Mängeln am ersten Rettungsweg einhergehenden Gefahren für Leib und Leben gewahrt. Eine Anhörung muss indes nicht schriftlich erfolgen, sondern kann auch (fern-)mündlich vorgenommen werden (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 1.6.2017 – 20 B 16.2241 – juris).
b) Die Anordnung ist des Weiteren hinreichend bestimmt gemäß Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.
Für die Frage der Bestimmtheit kommt es darauf an, ob die Anordnung von einem mit dem Sachverhalt vertrauten Adressaten verstanden werden kann.
Ausdrücklich gilt die inmitten stehende Anordnung zur Herstellung eines zweiten Rettungswegs nur für die obersten drei Wohneinheiten des Anwesens, welche in dem dem Bescheid beigefügtem Lageplan gekennzeichnet wurden. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner sich darauf beschränkt, die Herstellung eines zweiten Rettungswegs anzuordnen, ohne die hierzu erforderlichen Maßnahmen konkret vorzuschreiben. Es ist angesichts der zu den Anforderungen an Rettungswege vorhandenen Vorschriften in Art. 31 BayBO für den Adressaten jedenfalls mit fachkundiger Unterstützung ohne Weiteres erkennbar, welche Kriterien erfüllt werden müssten. Auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit konnte der Antragsgegner die Art und Weise der Herstellung des Rettungswegs somit dem Antragsteller überlassen (vgl. hierzu etwa VG München, B.v. 9.9.2014 – M 9 S 14.2270 – juris).
c) Der Antragsgegner konnte gemäß Art. 54 Abs. 4 BayBO eine bauaufsichtliche Anordnung treffen, da im streitgegenständlichen Anwesen die Anforderungen des Art. 31 BayBO an Rettungswege aller Voraussicht nach nicht erfüllt sind.
aa) Die Herstellung eines zweiten Rettungswegs ist bauordnungsrechtlich erforderlich.
Gemäß Art. 31 Abs. 1 BayBO müssen für Nutzungseinheiten mit mindestens einem Aufenthaltsraum wie Wohnungen mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege ins Freie vorhanden sein. Nach Art. 31 Abs. 2 Satz 2 BayBO kann der zweite Rettungsweg auch eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle der Nutzungseinheit sein, wobei gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 1 BayBO Gebäude, deren zweiter Rettungsweg über Rettungsgeräte der Feuerwehr führt und bei denen die Oberkante der Brüstung von zum Anleitern bestimmten Fenstern oder Stellen – wie aller Voraussicht nach ausweislich des Vorbringens der Beteiligten im vorliegenden Fall – mehr als 8 m über der Geländeoberfläche liegt, nur errichtet werden dürfen, wenn die Feuerwehr über die erforderlichen Rettungsgeräte wie Hubrettungsfahrzeuge verfügt.
Gemäß den nicht in substantiierter Weise entgegengetretenen Ausführungen des Antragsgegners verfügt die hier zuständige Feuerwehr nicht über die erforderlichen Rettungsgeräte wie ein Hubrettungsfahrzeug, das die zum Anleitern bestimmten Fenster der drei obersten Wohneinheiten des Anwesens erreichen kann. Dabei kommt es nach dem Wortlaut des Art. 31 Abs. 3 Satz 1 BayBO nicht darauf an, weshalb ein derartiges Rettungsfahrzeug nicht vorgehalten wird. Entscheidend ist allein, dass eine Rettung der im Gebäude befindlichen Bewohner auf diesem Wege nicht möglich ist. In Fällen, in denen Gebäude nur beschränkt mit Rettungsfahrzeugen der Feuerwehr erreichbar sind, ist der Bauherr verantwortlich, auf dem eigenen Grundstück die notwendigen Maßnahmen für eine Rettung von Personen im Brandfall zu schaffen. Dies ergibt sich auch aus der Regelung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 BayBO, für deren Einhaltung allein der Bauherr die Verantwortung trägt (VG München, B.v. 9.9.2014 a.a.O.; B.v. 18.06.2012 – M 11 S 12.2247 – juris).
bb) Die Anordnung genügt nach dem Ergebnis überschlägiger Prüfung den Anforderungen des Art. 54 Abs. 4 BayBO.
aaa) Vorliegend kann dahinstehen, ob eine bestandsgeschützte bauliche Anlage vorliegt oder nicht und die Anordnung entsprechend auf Grundlage des Art. 54 Abs. 2 oder Art. 54 Abs. 4 BayBO zu stützen ist.
Die detaillierte Ermittlung und Beurteilung der bestehenden Baugenehmigungslage ist in dem hier zu entscheidenden Fall und insbesondere im Rahmen der hier anzustellenden summarischen Prüfung nicht erforderlich. Denn eine Prüfung, inwiefern die streitgegenständliche Anordnung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides auch auf Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO hätte gestützt werden können, etwa weil der bestehende bauliche Zustand gegebenenfalls (teilweise) nicht mit der Baugenehmigung vom 21. März 1969 übereinstimmt, ist vorliegend entbehrlich, da eine Anordnung, die nach Art. 54 Abs. 4 BayBO gegen eine in ihrem Bestand geschützte Anlage gerichtet werden kann, erst recht gegen eine nicht in ihrem Bestand geschützte Anlage ergehen darf. Bei alternativer Heranziehung des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO wären die behördlichen Ermessenserwägungen weitgehend identisch (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 3.4.2020 –
15 ZB 19.1024 – juris unter Verweis auf B.v. 11.10.2017 – 15 CS 17.1055 – juris; B.v. 14.3.2011 – 2 CS 11.229 – juris; B.v. 5.3.2018 – 8 ZB 16.993 – juris).
bbb) Die Bauaufsichtsbehörden können gem. Art. 54 Abs. 4 BayBO bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen Anforderungen stellen, wenn dies zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist.
Eine erhebliche Gefahr in diesem Sinne liegt regelmäßig vor, wenn der zweite Rettungsweg im Brand- und Katastrophenfall gänzlich fehlt oder ein vorhandener zweiter Rettungsweg nicht gesichert ist (BayVGH, B.v. 27.1.2003 – 2 CS 02.2438 – juris).
Eine erhebliche Gefahr kann auch darin begründet sein, dass diese erst nachträglich auftritt oder erst nachträglich erkannt bzw. ihre Schwere nunmehr anders beurteilt wird (BayVGH, B.v. 3.4.2020 – 15 ZB 19.1024 – juris unter Verweis auf B.v. 11.10.2017 – 15 CS 17.1055 – juris). Hierzu führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 11. Oktober 2017 a.a.O bzw. vom 3. April 2020 a.a.O. unter anderem Folgendes aus:
„Bei der nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilenden Frage, ob die Eingriffsschwelle des Art. 54 Abs. 4 BayBO (erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit) erreicht ist, ist eine konkrete Gefahr in dem Sinne zu fordern, dass bei einer Betrachtungsweise ex ante bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden droht (vgl. BayVGH, U.v. 1.2.1980 – 53 II 77; B.v. 21.6.2011 – 14 CS 11.790 – juris Rn. 23; B.v. 29.8.2012 – 2 CS 12.1256; Decker, BayVBl. 2011, 517/524; Hirschfelder, BauR 2015, 921/924 f.; vgl. auch zum Landesrecht außerhalb Bayerns VGH BW, B.v. 29.3.2011 – 8 S 2910/10 – BauR 2012, 473 = juris Rn. 24; HessVGH, B.v. 18.10.1999 – 4 TG 3007/97 – NVwZ-RR 2000, 581 = juris Rn. 18; OVG Rh-Pf, U.v. 12.12.2012 – 8 A 10875/12 – NVwZ-RR 2013, 496 = juris Rn. 30; HambOVG, B.v. 4.1.1996 – Bs II 61/95 – NVwZ-RR 1997, 466 = juris Rn. 13; NdsOVG, B.v. 17.1.1986 – 6 B 1/86 – BauR 1986, 684/686; OVG NRW, U.v. 28.8.2002 – 10 A 3051/99 – BauR 2002, 763 = juris Rn. 19, 20; nach a.A. soll das Vorliegen einer abstrakten Gefahr genügen, vgl. Gröpl, BayVBl. 1995, 292/296; Dirnberger in Simon/ Busse, BayBO, Art. 54 Rn. 169). Dabei ist der allgemeine sicherheitsrechtliche Grundsatz anzuwenden, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BayVGH, U.v. 16.1.1997 – 22 B 96.3491 – BayVBl. 1997, 280 = juris Rn. 20; B.v. 21.6.2011 – 14 CS 11.790 – juris Rn. 23). Angesichts des hohen Stellenwerts der Rechtsgüter Leben und Gesundheit sind daher im Anwendungsbereich des Art. 54 Abs. 4 BayBO an die Feststellungen der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sowie an den Maßstab der Erheblichkeit der Gefahr keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen (BVerwG, U.v. 26.6.1970 – IV C 99.67 – NJW 1970, 1890 = juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 27.1.2003 – 2 CS 02.2438 – juris Rn. 9; B.v. 21.6.2011 – 14 CS 11.790 – juris Rn. 24; B.v. 29.8.2012 – 2 CS 12.1256; Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue BayBO, Art. 54 Rn. 220). Es genügt grundsätzlich, wenn ein Schadenseintritt zu Lasten der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unter dem besonderen Schutz der Rechtsordnung stehenden Schutzgüter aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht ganz unwahrscheinlich ist (Molodovsky in Molodovsky/ Famers, Bayerische Bauordnung, Stand: Mai 2017, Art. 54 Rn. 141, 141a; Schwarzer/ König Bayerische Bauordnung, 4. Aufl. 2012, Art. 54 Rn. 48; vgl. auch VGH BW, B.v. 29.3.2011 – 8 S 2910/10 – BauR 2012, 473 = juris Rn. 24; HessVGH, B.v. 18.10.1999 – 4 TG 3007/97 – NVwZ-RR 2000, 581 = juris Rn. 18; OVG Rh-Pf, U.v. 12.12.2012 – 8 A 10875/12 – NVwZ-RR 2013, 496 = juris Rn. 30; OVG NRW, U.v. 28.8.2001 – 10 A 3051/99 – BauR 2002, 763 = juris Rn. 24). […] Eine erhebliche – konkrete – Gefahr i.S. von Art. 54 Abs. 4 BayBO entsteht zwar nicht bereits allein dadurch, dass sich gesetzliche Vorschriften im Laufe der Zeit ändern und eine bestehende Anlage in der Folge nicht mehr in allen Details mit neueren (etwa bauordnungs-) rechtlichen Vorgaben übereinstimmt (VGH BW, B.v. 29.3.2011 – 8 S 2910/10 – BauR 2012, 473 = juris Rn. 24; HessVGH, B.v. 18.10.1999 – 4 TG 3007/97 – NVwZ-RR 2000, 581 = juris Rn. 18; Nr. 1.2 des IMS vom 25. Juli 2011 „Vollzug der Bayerischen Bauordnung; Brandschutz in bestehenden Gebäuden“ – Az. II B 7-4112.420-013/11; Bell, KommP BY 2011, 334; Hirschfelder, BauR 2015, 921/925). Besonderheiten gelten jedoch bei der Gefahr- und Wahrscheinlichkeitsbeurteilung im Zusammenhang mit brandschutzrechtlichen Anforderungen, weil mit der Entstehung eines Brandes praktisch jederzeit gerechnet werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 27.1.2003 – 2 CS 02.2438 – juris Rn. 10; B.v. 29.8.2012 – 2 CS 12.1256; VGH BW, B.v. 29.3.2011 – 8 S 2910/10 – BauR 2012, 473 = juris Rn. 24; OVG NRW, U.v. 28.8.2001 – 10 A 3051/99 – BauR 2002, 763 = juris Rn. 19 ff.; B.v. 20.2.2013 – 2 A 239/12 – BauR 2013, 1261 = juris Rn. 34; Hirschfelder, BauR 2015, 921/925) und ein Gebäudebrand regelmäßig mit erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit von Personen einhergeht. Personen, die sich in dem Gebäude aufhalten, müssen sich darauf verlassen können, dass die vorgesehenen Rettungswege im Brandfall hinreichend gefahrfrei und sicher benutzbar sind. Mängel innerhalb der Rettungswege indizieren daher eine erhebliche Gefahr i.S. von Art. 54 Abs. 4 BayBO (Kühnel/Gollwitzer in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Art. 33 Rn. 8; zur Möglichkeit nachträglicher Anordnungen auch gegenüber bestandsgeschützten Gebäuden im Falle ungesicherter Rettungswege vgl. auch Bauer in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue BayBO, Art. 12 Rn. 10; Molodovsky in Molodovsky/Famers, BayBO, Art. 54 Rn. 141a; BayVGH, U.v. 17.2.1997 – 14 B 93.1180 – juris Rn. 17 ff.: ungesicherter erster Rettungsweg wegen fehlender feuerbeständiger Ausgestaltung eines Treppenraums; VGH BW, U.v. 28.6.1989 – 5 S 1542/88 – juris Rn. 13 ff.: Anordnung zum Einbau von rauchdichten und selbstschließenden Türen; für den Fall der mangelnden Sicherung des zweiten Rettungswegs vgl. auch BayVGH, U.v. 10.1.1992 – 2 B 89.740; B.v. 29.8.2012 – 2 CS 12.1256; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 54 Rn. 176, 177; vgl. auch OVG NRW, U.v. 28.8.2001 – 10 A 3051/99 – BauR 2002, 763 = juris Rn. 19 ff.; B.v. 22.7.2002 – 7 B 508/01 – BauR 2002, 1841 = juris Rn. 19 ff.). Ganz in diesem Sinne ist nach dem Rundschreiben des Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 25. Juli 2011 „Vollzug der Bayerischen Bauordnung; Brandschutz in bestehenden Gebäuden“ (Az. II B 7-4112.420-013/11, dort unter Nr. 1.2) für die Anwendung des Art. 54 Abs. 4 BayBO „beispielhaft (…) von einer erheblichen Gefahr in Bezug auf den Brandschutz unter anderem dann auszugehen, wenn die nach Art. 31 Abs. 1 BayBO für Nutzungseinheiten mit Aufenthaltsräumen regelmäßig geforderten zwei unabhängigen Rettungswege überhaupt nicht vorhanden sind oder wenn nur ein Rettungsweg vorhanden und mit Mängeln behaftet ist, die im Brandfall mit hinreichend großer Wahrscheinlichkeit zur vorzeitigen Unbenutzbarkeit führen“ (zustimmend Bell, KommP BY 2011, 334; Famers in Molodovsky/Famers, BayBO, Art. 31 Rn. 58; in Anwendung von Art. 60 Abs. 5 BayBO 1998 vgl. bereits BayVGH, B.v. 27.1.2003 – 2 CS 02.2438 – juris Rn. 7 ff.).“
Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe ist die inmitten stehende Anordnung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides aller Voraussicht nach nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat hier das Vorliegen einer erheblichen Gefahr für Leben und Gesundheit gemäß Art. 54 Abs. 4 BayBO zu Recht damit begründet, dass für die drei obersten Wohneinheiten des Anwesens ein zweiter Rettungsweg überhaupt nicht und überdies – ohne dass es hierauf letztlich noch ankommt – nur ein mit Mängeln behafteter erster Rettungsweg vorhanden ist.
ccc) Die Anordnung hält sich nach summarischer Prüfung im Rahmen des Notwendigen und Verhältnismäßigen. Ermessensfehler gemäß § 114 Satz 1 VwGO sind nicht ersichtlich.
Soweit wie in dem hier zu entscheidenden Fall eine Anordnung gemäß Art. 54 Abs. 4 BayBO zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit notwendig ist, ist das Handlungs- / Entschließungsermessen hinsichtlich des „Ob“ regelmäßig auf Null reduziert, so dass die Behörde in der Regel tätig werden muss (BayVGH, B.v. 11.10.2017 – 15 CS 17.1055 – juris).
Hinsichtlich des Auswahlermessens sind nach dem Ergebnis überschlägiger Prüfung keine Ermessensfehler erkennbar. Insbesondere hält sich die Anordnung im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Alternative, weniger einschneidende Maßnahmen sind nach Aktenlage nicht ersichtlich. Entgegen den Einwendungen der Antragstellerin wird mit der streitgegenständlichen Regelung auch unter Berücksichtigung des Bestandsschutzes nicht über die Grenze des nach Art. 54 Abs. 4 BayBO Erforderlichen hinausgegangen. Insbesondere wird auch ein provisorischer zweiter Rettungsweg als ausreichend erachtet. Eine Untersagung der Nutzung der inmitten stehenden drei Wohneinheiten würde indes einen schwerwiegenderen Eingriff darstellen.
Des Weiteren wird die Antragstellerin als Eigentümerin des streitgegenständlichen Anwesens zu Recht als Adressatin dieser sicherheitsrechtlichen Anordnungen in Anspruch genommen (vgl. Art. 9 LStVG).
Nach alledem wird die Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen die sicherheitsrechtliche Anordnung im dem streitgegenständlichen Bescheid aller Voraussicht nach erfolglos bleiben.
3. Jedoch wird die Anfechtungsklage im Hinblick auf die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides vom 6. Oktober 2020, welcher ausweislich der vorliegenden Postzustellungsurkunde am 7. Oktober 2020 zugestellt wurde, voraussichtlich erfolgreich sein, weshalb insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen war.
Nach summarischer Prüfung ist die in der Zwangsgeldandrohung bestimmte Erfüllungsfrist bis zum 21. Oktober 2020 nicht ausreichend gemäß Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG.
Nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG ist im Rahmen der Zwangsmittelandrohung für die Erfüllung der Verpflichtung eine Frist zu bestimmen, innerhalb welcher dem Pflichtigen der Vollzug billigerweise zugemutet werden kann. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG enthält eine zwingende rechtliche Vorgabe, deren Beachtung auch deshalb erhebliche Bedeutung zukommt, weil das bayerische Verwaltungsvollstreckungsrecht – anders als dies z.B. nach § 14 Satz 1 VwVG der Fall ist – keine gesonderte Festsetzung von Zwangsmitteln kennt (BayVGH, B.v. 24.4.2013 – 22 CS 13.590 – juris). Dabei ist eine Frist angemessen und zumutbar, wenn sie einerseits das behördliche Interesse an der Dringlichkeit der Ausführung berücksichtigt und andererseits dem Pflichtigen – unter Berücksichtigung der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Mittel – die nach der allgemeinen Lebenserfahrung erforderliche Zeit gibt, seiner Pflicht nachzukommen. (BayVGH, B.v. 1.4.2016 – 15 CS 15.2451 – juris; U.v. 26.1.1981 – 103 XV 78 – BayVBl 1981, 272). Bei der Fristbestimmung nicht zu berücksichtigten ist hingegen der Zeitraum seit der (vorliegend ohnehin kurz zuvor erfolgten) Anhörung oder ab Erhalt des ersten Schreibens des Antragsgegners vom 12. August 2020 (vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v. 19.5.2010 – 10 CS 09.2672 – juris).
Gemessen daran kann der Antragstellerin vorliegend trotz der bestehenden Gefahr im Sinne des Art. 54 Abs. 4 BayBO billigerweise nicht zugemutet werden, bis zum 21. Oktober 2020 einen – wenn auch nur provisorischen – zweiten Rettungsweg herzustellen. Die Antragstellerin ist angesichts der hierfür erforderlichen Arbeiten auf die Unterstützung durch Dritte angewiesen. Dass zwei Wochen für die Herstellung eines – auch nur provisorischen – Rettungsweges im Hinblick auf die hierfür erforderlichen Handwerkerarbeiten sowie Materialien und Maschinen keinesfalls ausreichend sind, liegt für die Kammer auf der Hand.
Die in Ziffer 3 des Bescheides ausgesprochene Zwangsgeldandrohung ist daher aller Voraussicht nach rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin entsprechend in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Da die Zwangsgeldandrohung kraft Gesetzes (Art. 21a Satz 1 VwZVG) sofort vollziehbar ist, ist insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin anzuordnen.
Im Hinblick auf die zu kurze Fristsetzung ist es im vorliegenden Fall überdies unschädlich, dass der inmitten stehende Eilantrag von der Antragstellerin erst nach Ablauf der Frist gestellt wurde. Nachdem die Vollstreckungsvoraussetzungen nicht erfüllt waren, fehlt dem gegen die Zwangsgeldandrohung gerichteten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht das Rechtsschutzinteresse (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 1.4.2016 – 15 CS 15.2451 – juris).
Nach alledem ist der angegriffene Bescheid vom 6. Oktober 2020 teilweise zu beanstanden, so dass die anhängige Anfechtungsklage zum hier maßgeblichen Zeitpunkt aller Voraussicht nach teilweise Erfolg haben wird und entsprechend dem Antrag im Umfange des Beschlusstenors stattzugeben war; im Übrigen war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 i.V.m. Ziffern 9.4, 1.7.2 Satz 1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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