Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Ausschluss vom Unterricht

Aktenzeichen  Au 3 S 18.380

Datum:
16.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 5332
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayEUG Art. 58 Abs. 1, Abs. 6, Art. 86 Abs. 2 Nr. 6, Art. 88 Abs. 1, Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 5
BaySchO § 4, § 7 Abs. 6

 

Leitsatz

Es entspricht nicht den Vorgaben des BayEUG, wenn das Einverständnis der Mitglieder des Disziplinarausschusses lediglich per E-Mail in einer Art Umlaufverfahren eingeholt wird. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 25. Januar 2018 gegen den Bescheid des …-Gymnasiums … vom 23. Januar 2015 in der Fassung vom 8. März 2018 wird insoweit angeordnet, als sich der verfügte Ausschluss noch nicht durch Zeitablauf erledigt hat. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Ausschluss vom Unterricht für zehn Tage im Zeitraum vom 12. März 2018 bis 23. März 2018 am … -Gymnasium ….
1. Der Antragsteller besucht im Schuljahr 2017/2018 die Klasse 10B des … -Gymnasiums …. In der Vergangenheit wurden gegenüber dem Antragsteller die folgenden Ordnungsmaßnahmen ausgesprochen:
05.11.2014
Verweis wegen Unterrichtsstörung
04.02.2015
Verweis wegen Missachtung von Anweisungen
12.02.2015
Verweis wegen unentschuldigtem Fernbleiben vom Unterricht
21.05.2015
Verweis wegen Unterrichtsstörung
07.03.2016
Verweis wegen Werfens eines Mäppchens im Unterricht (Unterrichtsstörung)
13.04.2016
Androhung der Entlassung wegen körperlicher Gewalt gegen Mitschüler
30.03.2017
Verweis wegen unentschuldigtem Fernbleiben vom Unterricht
März 2017
Elterngespräch wegen Manipulation des Absentenhefts (durch die Manipulationen blieb das unentschuldigte Fehlen von Mitschülern unentdeckt)
16.10.2017
Verschärfter Verweis und Ausschluss von der …fahrt wegen Missachtung von Anweisungen während des …austauschs (Anweisungen die missachtet wurden: Alkoholverbot; Verbot, die Zimmer anderer Schüler, insbesondere von Schülerinnen, zu besuchen)
21.12.2017
Verweis wegen unerlaubtem Verlassen des Schulgeländes
Anfang Januar 2018 wurde wegen den Vorkommnissen ein Disziplinarausschuss für den 23. Januar 2018 einberufen. Mit Schreiben vom 9. Januar 2018 wurden die Eltern des Antragstellers über die bevorstehende Sitzung des Disziplinarausschusses informiert. Als Grund für die Einberufung des Disziplinarausschusses wurden „wiederholte Disziplinarverstöße“ genannt. Die Eltern hätten die Möglichkeit in der Sitzung des Disziplinarausschusses gehört zu werden. Der Antragsteller könne eine Lehrkraft seines Vertrauens suchen und einschalten und die Mitwirkung des Elternbeirats beantragen.
Am 12. Januar 2018 benutzte der Antragsteller sein Handy unerlaubt im Unterricht. Eine Ordnungsmaßnahme wurde im Hinblick auf die Sitzung des Disziplinarausschusses vom 23. Januar 2018 zunächst nicht verhängt.
In der Sitzung des Disziplinarausschusses vom 23. Januar 2018, auf dessen Protokoll Bezug genommen wird, wurde der Antragsteller persönlich gehört. Erörtert wurde mit ihm sein Verhalten während der … -Schulfahrt, das unerlaubte Verlassen des Schulgeländes und der Verstoß gegen das Handyverbot. Zur Sprache kam auch seine Haltung gegenüber Lehrerinnen und die Manipulation des Absentenhefts. In der Aussprache des Disziplinarausschusses wurden ein Klassenwechsel und der Ausschluss vom Unterricht für zwei Wochen näher in Betracht gezogen, wobei die organisatorische Umsetzung eines Klassenwechsels jedoch kaum möglich erachtet wurde. Daran anschließend beschloss der Disziplinarausschuss einstimmig, den Antragsteller gemäß Art. 86 Abs. 2 Nr. 6 BayEUG für zwei Wochen vom Unterricht auszuschließen und zwar von Freitag 26. Januar 2018 bis einschließlich Donnerstag 8. Februar 2018.
2. Dementsprechend wurde mit Bescheid vom 23. Januar 2018 ein Unterrichtsausschluss für den Zeitraum vom 26. Januar 2018 bis 8. Februar 2018 festgesetzt. Zur Begründung wurde auf eine Häufung von disziplinären Verstößen unterschiedlicher Art in den letzten Monaten und Schuljahren sowie einen Vertrauensverlust der Lehrkräfte und der Schulleitung gegenüber dem Antragsteller wegen der Vorkommnisse in Spanien und an der Schule sowie die Möglichkeit des Antragstellers zum Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Einhaltung schulischer Regeln verwiesen.
3. Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers unter dem Datum des 25. Januar 2018 Widerspruch ein und kündigte die Beantragung gerichtlichen Eilrechtsschutzes an. Im Hinblick auf diese Ankündigung verzichtete die Schule auf den Vollzug des Unterrichtsausschlusses im Zeitraum vom 26. Januar 2018 bis 8. Februar 2018. Der Prozessbevollmächtigte stellte allerdings – nach seinen Angaben aufgrund Krankheit – zunächst keinen gerichtlichen Antrag. Über den Widerspruch ist noch nicht entschieden.
4. Vor dem 8. März 2018 holte die stellvertretende Schulleiterin per E-Mail im Umlaufverfahren die Zustimmung der Mitglieder des Disziplinarausschusses dazu ein, den mit Bescheid vom 23. Januar 2018 festgesetzten Unterrichtsausschluss nun in der Zeitspanne vom 12. März 2018 bis 23. März 2018 zu vollziehen. Daraufhin wurde den Eltern des Antragstellers mit Schreiben vom 8. März 2018 mitgeteilt, dass die Aussetzung des Vollzugs des Unterrichtsausschlusses nun beendet sei und der Vollzug der beschlossenen Ordnungsmaßnahme im Zeitraum vom 12. März 2018 bis 23. März 2018 festgesetzt werde.
5. Daraufhin beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Telefax vom 12. März 2018:
Der Bescheid des Antragsgegners vom 23. Januar 2018 in der Fassung der Festsetzung vom 8. März 2018 wird aufgehoben.
Es überwiege das Interesse des Antragstellers vom Sofortvollzug verschont zu bleiben, da die Maßnahmen an erheblichen rechtlichen Mängeln litten. Der Bescheid vom 23. Januar 2018 sei zu unbestimmt und lasse nicht erkennen, auf welche Verstöße die Sanktion im Einzelnen gestützt werde. Die erwähnten Vorkommnisse in … würden einer sachlichen Überprüfung auch nicht standhalten. Der Antragsteller habe den ihm zur Last gelegten Vorwürfen, mit einer Flasche Wein und einem tragbaren Lautsprecher auf dem Gang des Hotels angetroffen worden zu sein, stets widersprochen, da er mit seinem Mitschüler … verwechselt worden sei.
Die gewählte Ordnungsmaßname sei auch unverhältnismäßig. Zum einen sei im Hinblick auf den Vorfall in … ein unzutreffender Sachverhalt zugrunde gelegt worden. Zum anderen rechtfertigten die Vorwürfe, wie das kurzfristige Verlassen des Schulgeländes, nicht eine solch massive Sanktion wie einen zweiwöchigen Unterrichtsausschluss.
6. Der Beklagte beantragt der Sache nach die Ablehnung des Antrags. Das Verhalten des Schülers habe immer wieder zu Beanstandungen Anlass gegeben, weshalb im Januar 2018 zeitnah zum letzten Vorfall wegen der Häufung der Vorkommnisse der Disziplinarausschuss einberufen worden sei. Zum geänderten Zeitraum des Unterrichtsausschlusses sei das Einverständnis des Disziplinarausschusses schriftlich eingeholt worden. Die nach sorgfältiger Abwägung und intensiver Diskussion vom Disziplinarausschuss ausgesprochene Ordnungsmaßnahme des Ausschlusses vom Unterricht sei verhältnismäßig und angemessen.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag ist zulässig. Bei verständiger Würdigung ist der Antrag des Antragstellers darauf gerichtet, die aufschiebende Wirkung gegen den Bescheid vom 23. Januar 2018 in der Fassung vom 8. März 2018 anzuordnen. Insbesondere ist er statthaft. Zwar haben nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO entfällt jedoch die aufschiebende Wirkung, soweit dies gesetzlich besonders angeordnet ist. Dies ist vorliegend der Fall. Für Ordnungsmaßnahmen nach Art. 86 Abs. 2 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) – vorliegend den Ausschluss vom Unterricht für 10 Schultage (zwei Wochen) nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 6 BayEUG – ordnet Art. 88 Abs. 8 BayEUG an, dass der Widerspruch hiergegen keine aufschiebende Wirkung entfaltet.
2. Der Antrag ist auch begründet.
a) Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz oder teilweise anordnen. Im Rahmen der vom Gericht dabei zu treffenden eigenen Ermessensentscheidung kommt es auf eine Abwägung der vom Gesetzgeber bei der Regelung des Art. 88 Abs. 8 BayEUG zugrunde gelegten öffentlichen Interessen an der sofortigen Vollziehung mit dem Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Bescheids vorläufig verschont zu bleiben, an. Maßgeblich sind hierbei in erster Linie die Erfolgsaussichten des Widerspruchs gegen den streitgegenständlichen Bescheid, da am sofortigen Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ebenso wenig ein öffentliches Interesse bestehen kann, wie an der aufschiebenden Wirkung eines unbegründeten Widerspruchs. Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt zumindest dann nicht gegenüber dem Interesse des Antragstellers, wenn nach summarischer Prüfung ernsthafte Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist (vgl. BayVGH B.v. 28.1.2008 – 7 CS 07.3380 – juris).
b) Von diesen Grundsätzen ausgehend überwiegen nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage hier die privaten Interessen des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheids.
Der Widerspruch gegen den Bescheid des … -Gymnasiums … vom 23. Januar 2018 in der Fassung des Bescheids vom 8. März 2018 wird voraussichtlich erfolgreich sein, da schon in Bezug auf die formelle Rechtmäßigkeit des verfügten Unterrichtsausschlusses des Antragstellers nicht unerhebliche Bedenken bestehen.
Da die gesetzlichen Voraussetzungen der Anordnung von Ordnungsmaßnahmen relativ weit gefasst sind, das heißt den jeweils zuständigen Organen der Schule ein verhältnismäßig weiter Wertungsspielraum zugestanden wird, der durch pädagogische Erwägungen bestimmt wird und sich einer umfassenden Prüfung nach rein rechtlichen Kriterien entzieht, kommt den Regelungen über Zuständigkeit und Verfahren besondere rechtssichernde Bedeutung zu (vgl. BVerfG B.v. 27.1.1976 – 1 BvR 2325/73 – BVerfGE 41, 251). Eine Verletzung solcher zwingender Verfahrensbestimmungen führt deshalb regelmäßig zur (formellen) Rechtswidrigkeit der verhängten Ordnungsmaßnahme (vgl. VG Augsburg, B.v. 7.12.2007 – 3 S 07.1633 – juris).
aa) Bei summarischer Prüfung ist aufgrund der Nichtbeachtung wesentlicher Verfahrensvorschriften schon von der formellen Rechtswidrigkeit des Bescheids in der Fassung vom 8. März 2018, mit dem ein geänderter Ausschlusszeitraum festgesetzt wurde, auszugehen.
Dabei kann dahinstehen, ob man davon ausgeht, dass der Bescheid vom 23. Januar insgesamt durch Zeitablauf erledigt ist, weil der ursprünglich festgesetzte Ausschlusszeitraum erfolglos verstrichen ist, und daher am 8. März 2018 insgesamt eine neue Ordnungsmaßnahme festgesetzt wurde. Denn auch wenn man den Bescheid vom 8. März 2018 lediglich als Änderung des ursprünglichen Bescheides im Hinblick auf die Festlegung des Ausschlusszeitraums erachtet, handelt es sich um eine derart wesentliche Änderung, dass auch hierfür die Verfahrensvorgaben des Art. 88 BayEUG zu beachten sind. Angesichts des Wesens des Unterrichtsausschlusses als pädagogische Maßnahme wird seine Bedeutung wesentlich auch dadurch bestimmt, zu welcher Zeit und in welchem zeitlichem Zusammenhang mit dem zu Grunde liegenden Fehlverhalten des Schülers der Ausschluss festgesetzt wird.
Die Verfahrensvorgaben, die bei der Festsetzung von Ordnungsmaßnahmen nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 6 BayEUG zu beachten sind, ergeben sich aus Art. 88 BayEUG. So entscheidet nach Art. 88 Abs. 1 Nr. 3 BayEUG i.V.m. Art. 58 Abs. 1 S. 3 BayEUG über die Festsetzung eines Unterrichtsausschlusses nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 6 BayEUG der Disziplinarausschuss und nach Art. 88 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und 2 BayEUG sind vor der Entscheidung der betroffene Schüler und dessen Erziehungsberechtigte anzuhören, wobei sie gem. Art. 86 Abs. 3 S. 4 BayEUG auf ihre Rechte zur Beiziehung von Beratungslehrkräften, Schulpsychologen, Vertrauenslehrern und des Elternbeirats (Art. 86 Abs. 3 S. 2 Nr. 1-3 BayEUG) sowie zum persönlichen Vortrag vor der Lehrerkonferenz bzw. dem Disziplinarausschuss (Art. 86 Abs. 3 S. 3 BayEUG) hinzuweisen sind. Diesen Verfahrensvorgaben wurde im Hinblick auf die geänderte Festsetzung des Ausschlusszeitraums nicht Genüge getan.
Das Einverständnis der Mitglieder des Disziplinarausschusses wurde lediglich per Email in einer Art Umlaufverfahren eingeholt. Dies entspricht nicht den Vorgaben des BayEUG und der Schulordnung für schulartübergreifende Regelungen an Schulen in Bayern (BaySchO) für den Geschäftsgang. Denn dort wird davon ausgegangen, dass die Lehrerkonferenz in Sitzungen nach ordnungsgemäßer Ladung beschließt (vgl. Art. 58 Abs. 6 BayEUG i.V.m. § 4 ff. BaySchO). Diese Vorgaben gelten nach § 7 Abs. 6 BaySchO auch für den Disziplinarausschuss. Die bloße Einholung des Einverständnisses per Email kann demgegenüber nicht genügen, weil in diesem Verfahren nicht die für die Beratung des Disziplinarausschusses in einer Sitzung typische Abwägung und Gewichtung der maßgeblichen Gesichtspunkte erfolgen kann.
Ferner ist die erforderliche Anhörung des Antragsstellers und seiner Eltern und der erforderliche Hinweis auf ihre Rechte unterblieben.
bb) Darüber hinaus leidet der Bescheid an weiteren Verfahrensmängeln, die bei summarischer Prüfung zu seiner formellen Rechtswidrigkeit führen.
Zunächst hat die Kammer schon ernstliche Zweifel, ob der lapidare Verweis auf „wiederholte Disziplinarverstöße“ im Schreiben vom 9. Januar 2018, mit dem die Eltern des Antragstellers über die bevorstehende Sitzung des Disziplinarausschusses informiert wurden, den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung genügt, oder ob nicht die verschiedenen Sachverhalte, die Gegenstand der Sitzung des Disziplinarausschusses sein sollten, zu benennen gewesen wären. Denn nur wenn die Sachverhalte, die vor dem Disziplinarausschuss besprochen werden sollen, bekannt sind, können der betroffene Schüler und seine Erziehungsberechtigten informiert entscheiden, ob sie von ihrem Recht zum persönlichen Vortrag gem. Art. 86 Abs. 3 S. 3 BayEUG Gebrauch machen wollen und ob bzw. welche Personen aus dem Kreis der in Art. 86 Abs. 2 BayEUG genannten sie zur Verhandlung welcher Sachverhalte beziehen wollen.
Ungeachtet dessen ergibt sich die Verfahrensfehlerhaftigkeit vorliegend schon daraus, dass auch der Vorfall vom 12. Januar 2018 zum Gegenstand der Beratungen des Disziplinarausschusses gemacht wurde, ohne dass in den Akten belegt wäre, dass der Antragsteller bzw. seine Erziehungsberechtigten hierauf hingewiesen worden wären. Aufgrund des Schreibens vom 9. Januar 2018 mussten sie lediglich damit rechnen, dass am 23. Januar 2018 Disziplinarverstöße aus der Zeit vor dem 9. Januar 2018 behandelt würden. Ihnen fehlte damit die Möglichkeit im Hinblick auf den Vorfall vom 12. Januar 2018 informiert zu entscheiden, ob sie von ihrem Recht zum persönlichen Vortrag gem. Art. 86 Abs. 3 S. 3 BayEUG Gebrauch machen wollten und ob bzw. welche Personen aus dem Kreis der in Art. 86 Abs. 2 BayEUG genannten sie zur Verhandlung dieses Sachverhalts beziehen wollten.
Schließlich wurden die Erziehungsberechtigten des Antragstellers entgegen Art. 88 Abs. 3 S. 4 BayEUG nicht auf die Möglichkeit hingewiesen, gemäß Art. 88 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BayEUG Beratungslehrkräfte und Schulpsychologen anhören zu lassen.
cc) Die summarische Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der verhängten Ordnungsmaßnahme kann demnach zwar dahinstehen. Lediglich ergänzend ist daher anzumerken, dass die angegriffene Ordnungsmaßnahme eine pädagogische Ermessensentscheidung darstellt, bei der darauf zu achten ist, dass sie zur Schwere des zu ahndenden und zu unterbindenden Verhaltens eines Schülers nicht außer Verhältnis steht (vgl. BayVGH B.v. 28.1.2008 – 7 CS 07.3380 – juris). In diesen Bereich spezifisch pädagogischer Wertungen und Überlegungen haben die Verwaltungsgerichte nicht korrigierend einzugreifen; sie können nicht anstelle der hierfür zuständigen Schulorgane – im Falle einer Maßnahme nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 6 BayEUG der Lehrerkonferenz bzw. des Disziplinarausschusses – eigene pädagogische Erwägungen anstellen, zu denen sie sachgerecht auch in der Regel nicht in der Lage wären. Trotz dieser Grenzen der gerichtlichen Kontrolle haben die Gerichte aber den gegen die Ordnungsmaßnahme erhobenen Einwendungen nachzugehen und die pädagogische Bewertung der Schule auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Die Gerichte haben insbesondere zu kontrollieren, ob der Unterrichtsausschluss gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstößt. Der gerichtlichen Überprüfung unterliegt es ferner, ob die Schule frei von sachfremden Erwägungen entschieden hat und ob sie ihre Entscheidungen auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung Stand halten (vgl. BayVGH, B.v. 28.1.2008 – 7 CS 07.3380 – juris).
Insofern hat die Kammer gewisse Zweifel, ob das bei der Festsetzung von Ordnungsmaßnahmen nach § 86 Abs. 1 S. 5 BayEUG bestehende Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt wurde. In der Literatur wird hierzu z.T. vertreten, dass ein Ausschluss nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 6 BayEUG nur dann verhältnismäßig sei, wenn sich zuvor der kürzere Ausschluss nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 5 BayEUG als fruchtlos erwiesen habe (so Lindner/Stahl, Das Schulrecht in Bayern Bd. 1, Erl. 11.86 zu Art. 86 BayEUG Ziff. 11.2). Auch wenn man dem nicht folgen will, weil die frühere Verfahrensregelung des § 128 Abs. 3 S. 2 der Schulordnung für die Gymnasien in Bayern (GSO) a.F., die vor einem Ausschluss für zwei bis vier Wochen zwingend einen kürzeren Ausschluss vorsah, gerade nicht in Art. 86 und 88 BayEUG übernommen, sondern ersatzlos gestrichen wurde, fehlt es im angegriffenen Bescheid doch an einer Begründung, weshalb im vorliegenden Fall nicht eine mildere Maßnahme wie der Ausschluss von einzelnen Schulveranstaltungen nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 3 BayEUG oder ein Ausschluss für bis zu sechs Unterrichtstage nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 5 BayEUG ausreichend wäre. Soweit der Disziplinarausschuss die Versetzung in eine Parallelklasse nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 3 BayEUG aus organisatorischen Gründen abgelehnt hat, ist aus den vorgelegten Akten nicht nachvollziehbar, worin diese Gründe konkret bestehen sollen.
dd) Nach alledem war die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Ein Ausschluss vom Unterricht lässt sich nicht rückgängig machen. Die summarische Prüfung der Angelegenheit im Eilverfahren führt daher zu dem Ergebnis, dass das Interesse des Antragstellers daran, dass aufgrund einer aus Verfahrensgründen rechtlich zweifelhaften Maßnahme keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, hier das Interesse der Schule an der sofortigen Durchführung der Ordnungsmaßnahme überwiegt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 1 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG).


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