Aktenzeichen L 4 AS 40/22 B ER
§ 67 Abs 3 S 1 SGB 2
§ 22 Abs 1 S 1 SGB 2
§ 22 Abs 1 S 2 SGB 2
§ 86b Abs 2 S 2 SGG
… mehr
Leitsatz
§ 67 Abs 3 SGB II findet auch bei nicht pandemiebedingten Umzügen Anwendung, sodass für die ersten sechs Monate die tatsächlichen Unterkunftskosten zu übernehmen sind. Der Wortlaut der Vorschrift und die Gesetzgebungsgeschichte rechtfertigen keine restriktive Begrenzung des Anwendungsbereichs auf bereits bewohnten Wohnraum. (Rn.31)
Verfahrensgang
vorgehend SG Dessau-Roßlau, 21. Januar 2022, S 30 AS 648/21 ER, Beschluss
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. Januar 2022 wird abgeändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 14. Dezember 2021 bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30. April 2022 vorläufig (höhere) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Rechtszüge.
Gründe
I.
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (im Weiteren: Antragsteller) begehren im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit vom 14. Dezember 2021 bis zum 30. April 2022 unter Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Unterkunftskosten.
Die am … 1984 geborene Antragstellerin zu 1 und ihr am … 2020 geborenes Kind, der Antragsteller zu 3, zogen im Oktober 2021 nach Dessau-Roßlau. Der am … 2009 geborene Antragsteller zu 2 ist ebenfalls das Kind der Antragstellerin zu 1 und lebt überwiegend bei seinem Vater in Berlin. Zur Wahrnehmung des Umgangsrechts hält er sich tageweise (jedes zweite Wochenende und wochenweise in den Ferien) bei der Antragstellerin zu 1 auf. Hierzu wird auf die vorgelegte „Erklärung temporäre BG“ (Blatt 11 der Gerichtsakte) verwiesen.
Am 19. Oktober 2021 beantragten die Antragsteller beim Antragsgegner und Beschwerdegegner (im Weiteren: Antragsgegner) Leistungen nach dem SGB II. Zu dieser Zeit lebten die Antragsteller zu 1 und 3 noch bei Freunden und beabsichtigten, zum 1. November 2021 eine Wohnung zu beziehen. Hierfür reichte die Antragstellerin zu 1 ein Wohnungsangebot für die 83 m² große Wohnung in der P-Straße in Dessau-Roßlau ein. Die monatlichen Kosten sollten insgesamt 688 € betragen, wovon 480 € auf die Grundmiete, 88 € auf die Vorauszahlung für Betriebskosten und 120 € auf die Vorauszahlung für Heizkosten entfielen.
Mit Bescheid vom 21. Oktober 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. November 2021 lehnte der Antragsgegner die Zustimmung zum Umzug ab, da die Aufwendungen für die begehrte Unterkunft unangemessen seien. Für einen Dreipersonenhaushalt ergebe sich ein Höchstbetrag für Grundmiete und Betriebskosten von 491,54 €. Unter Berücksichtigung angemessener Heizkosten (86,25 €) ergebe sich eine Gesamtangemessenheitsgrenze von maximal 577,79 €.
Mit Bescheid vom 11. November 2021 sicherte der bisherige Leistungsträger, das Jobcenter Landkreis Potsdam-Mittelmark, die Übernahme der Umzugskosten in die Wohnung in der P-Straße in Dessau-Roßlau zu.
Am 15. November 2021 zogen die Antragsteller zu 1 und 3 in diese Wohnung ein (Mietvertrag vom 16. November 2021).
Die Antragstellerin zu 1 hat kein Einkommen. Der Antragsteller zu 3 erhält Kindesunterhalt von monatlich 350 € sowie Kindergeld von 219 €. Bis zum 30. November 2021 erhielten die Antragsteller zu 1 und 3 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom bisherigen Leistungsträger.
Mit Bescheid vom 3. Dezember 2021 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern zu 1 und 2 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 1. Dezember 2021 bis zum 30. April 2022 und berücksichtigte dabei Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) in Höhe von 458,88 €. Für den Antragsteller zu 2 erfolge die Leistungsbewilligung nur anteilig entsprechend der Anwesenheitstage. Der Antragsteller zu 3 decke seinen eigenen Bedarf durch die Unterhaltszahlungen seines Vaters sowie Kindergeld.
Mit Bescheid vom gleichen Tag gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin zu 1 ein Darlehen für die für die Wohnung fällige Mietkaution in Höhe von 960 €.
Die Antragsteller erhoben unter dem 14. Dezember 2021 Widerspruch gegen den Leistungsbescheid vom 3. Dezember 2021, über den bislang noch nicht entschieden wurde.
Zugleich haben die Antragsteller am 14. Dezember 2021 beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und die Berücksichtigung der tatsächlichen KdUH von monatlich 688 € geltend gemacht. Durch die erhebliche Differenz zwischen bewilligten und tatsächlichen Unterkunftskosten sei ihre Existenzsicherung gefährdet. Zudem sei bei dem Antragsteller zu 2 im März 2022 ein weiterer Aufenthaltstag zu berücksichtigen.
Das SG hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 21. Januar 2022 verpflichtet, vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Dezember 2021 bis April 2022 – jedoch längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache – unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft auf der Basis der von der Stadt Dessau-Roßlau beschlossenen Angemessenheitswerte bei einer anzunehmenden Wohnungsgröße von 67,5 m² zu bewilligen. Zwar werde der vorliegende Sachverhalt vom Wortlaut her von § 67 SGB II erfasst, nicht jedoch vom Sinn und Zweck der Regelung. Weder sei der Umzug pandemiebedingt erfolgt noch sei pandemiebedingt keine angemessene Wohnung zu finden gewesen. Sinn und Zweck der Regelung sei es, Personen, die pandemiebedingt Leistungsempfänger würden, sich neben den Existenzsorgen nicht noch aufgrund von Kostensenkungsaufforderungen um angemessenen Wohnraum kümmern müssten. Dass sich diese Auslegung nicht deutlich im Wortlaut der Regelung wiederfinde, sei dem Gesetzeserlass in äußerster Eile geschuldet. Zur Gewährleistung des Umgangsrechts der Antragstellerin zu 1 mit dem Antragsteller zu 2 sei die Berücksichtigung eines anteiligen Raummehrbedarfs von 50 % des Bedarfs einer weiteren Person angemessen.
Gegen den ihnen am 24. Januar 2022 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 27. Januar 2022 Beschwerde beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt. § 67 Abs. 3 SGB II sei nach den Entscheidungen des LSG Niedersachsen-Bremen vom 29. September 2020 (L 11 AS 508/20 B ER) und des Bayerischen LSG vom 28. Juli 2021 (L 16 AS 311/21 B ER) hier anwendbar. Die Antragsteller hätten daher mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die Berücksichtigung der tatsächlichen KdUH. Selbst bei Ungewissheit über die Anwendbarkeit der Norm seien diese im Wege der Folgenabwägung zu berücksichtigen. Hilfsweise seien die angemessenen KdUH für einen Dreipersonenhaushalt zu berücksichtigen, da der Antragsteller zu 2 aufgrund seines Alters während seiner Anwesenheitstage ein eigenes Zimmer benötige.
Die Antragsteller beantragen nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. Januar 2022
abzuändern und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für die Zeit ab dem 14. Dezember 2021 bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30. April 2022, den Antragstellern zu 1 und 2 vorläufig höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und dem Antragsteller zu 3 vorläufig dem Grunde nach Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag und ergänzt, § 67 Abs. 3 SGB II diene der Sicherung einer vorhandenen Unterkunft. Er verweist auf die Entscheidungsgründe des Beschlusses des LSG Niedersachsen-Bremen vom 26. Februar 2021 (L 9 AS 662/20 B ER).
Mit Änderungsbescheid vom 1. Februar 2022 hat der Antragsgegner den Antragstellern zu 1 und 2 in Umsetzung des Beschlusses des SG vorläufig höhere Leistungen gewährt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen waren Gegenstand der Beratung des Senats.
II.
1.
Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Der Wert von 750 € gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist überschritten. Die Antragssteller begehren nach der von ihnen vorgelegte Berechnung weitere Leistungen in Höhe von 926,18 €.
Das Hauptsacheverfahren zum Bescheid des Antragsgegners vom 3. Dezember 2021 ist noch nicht abgeschlossen. Der Änderungsbescheid vom 1. Februar 2022 steht einer Entscheidung des Senats nicht entgegen, da dieser lediglich vorläufig in Umsetzung des Beschlusses des SG ergangen ist.
2.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds (die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer des Klageverfahrens getroffen werden, die das Gericht der Hauptsache nicht bindet.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 27, 41). Soweit mit einer einstweiligen Anordnung zugleich eine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache verbunden ist, sind erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrunds zu stellen, weil der einstweilige Rechtsschutz trotz des berechtigten Interesses des Rechtsuchenden an unaufschiebbaren gerichtlichen Entscheidungen nicht zu einer Verlagerung in das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes führen darf. Erforderlich ist das Vorliegen einer gegenwärtigen und dringenden Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht. Soweit es um die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz geht, müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen, bzw., wenn dies nicht möglich ist, auf der Basis einer Folgenabwägung auf Grundlage der bei summarischer Prüfung bekannten Sachlage entscheiden (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, juris).
a)
Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Nach dem derzeitigen Stand des Verfahren erfüllen die Antragsteller die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach dem SGB II dem Grunde nach. Die 37-jährige Antragstellerin zu 1 ist Berechtigte im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB II, da sie im entsprechenden Alter und erwerbsfähig ist und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Der mit ihr in einem Haushalt lebende im streitigen Zeitraum ein- bzw. zweijährige Antragsteller zu 3 gehört als minderjähriges und unverheiratetes Kind gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin zu 1 an. Gleiches gilt für die Tage seiner Anwesenheit für ihren weiteren Sohn, den 12- bzw. 13-jährigen Antragsteller zu 2. Die Antragsteller sind hilfebedürftig, weil sie (bei Berücksichtigung der tatsächlichen KdUH) weder über bedarfsdeckendes Einkommen noch über ein die Hilfebedürftigkeit ausschließendes anrechenbares Vermögen verfügen.
Nach § 22 Abs. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.
Die Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 SGB II ist durch das im Zuge der Pandemie am 27. März 2020 in Kraft getretene sog. Sozialschutzpaket vorübergehend ausgesetzt worden: Nach § 67 Abs. 3 Satz 1 SGB II in der Fassung vom 22. November 2021 ist § 22 Abs. 1 SGB II für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 1. März 2020 bis 31. März 2022 beginnen, mit der Maßgabe anzuwenden, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen gelten.
Entgegen der Auffassung des SG und des Antragsgegners findet die genannte Vorschrift Anwendung, obwohl weder die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller noch ihr Umzug direkt auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sind. Weder dem Wortlaut des § 67 Abs. 3 SGB II noch den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass diese Sonderregelung nur für bereits seit längerem bewohnte Wohnungen gelten soll oder im Falle eines Umzugs nicht anwendbar ist. Eine Ursächlichkeit zwischen dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit und der epidemischen Lage ist nach Auffassung des Senats nicht erforderlich (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. September 2020, L 11 AS 508/20 B ER, juris Rn. 28 f.).
Gesetzeszweck des § 67 Abs. 3 SGB II ist, dass sich SGB II-Leistungsbezieher in der Zeit der Pandemie „nicht auch noch um ihren Wohnraum sorgen müssen“ (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 10/18107, S. 25). Kommt es jedoch nach einem tatsächlich erfolgten Umzug aufgrund der Deckelung der KdUH-Leistungen auf die Angemessenheitsgrenze zu einer Deckungslücke zwischen den tatsächlichen KdUH einerseits und den vom Jobcenter gewährten KdUH-Leistungen andererseits, ist die aktuell bewohnte Wohnung bedroht. Diese Bedrohung soll nach § 67 Abs. 3 SGB II zumindest vorübergehend, nämlich für die ersten sechs Monate, vermieden werden. Der Senat verkennt nicht, dass die Antragsteller – worauf der Antragsgegner zutreffend hingewiesen hat – über die in Dessau-Roßlau geltenden Angemessenheitsrichtwerte informiert waren und dennoch die neue Wohnung angemietet haben. Er sieht jedoch auch mit Blick auf den Sinn und Zweck der Regelung keine Anhaltspunkte für die Zulässigkeit einer vom Wortlaut und von der Gesetzgebungsgeschichte des § 67 SGB II nicht gedeckten restriktiven Auslegung (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. September 2020, L 11 AS 508/20 B ER, juris Rn. 29; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. März 2021, L 9 AS 233/21 ER-B, juris Rn. 10; Bayerisches LSG, Beschluss vom 28. Juli 2021, L 16 AS 311/21 B ER, juris Rn. 36; Lange in Eicher/Luik/Harich, SGB II-Kommentar, 5. Auflage 2021, § 67 Rn. 14; Burkiczak in NJW 2020, S. 1180 f.; andere Ansicht LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Februar 2021, L 9 AS 662/20 B ER, juris Rn. 32).
Soweit der Antragsgegner unter Verweis auf die Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen vom 26. Februar 2021 einwendet, § 67 Abs. 3 SGB II gelte nicht für Neuanmietungen, überzeugt dies den Senat nicht. Die Geltungsdauer des § 67 SGB II wurde bereits mehrfach verlängert, zuletzt mit dem Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. November 2021 (BGBl. I, S. 4906) bis Ende März 2022. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 20/15 vom 8. November 2021, S. 36) werde den Betroffenen durch die Verlängerung die Sorge vor einem Wegfall der oft noch immer nötigen Unterstützung genommen. Das schaffe Rechts- und Planungssicherheit für die Betroffenen. Die Jobcenter würden weiterhin entlastet. Trotz Kenntnis der Problematik des möglichen Missbrauchs der im Zusammenhang mit dem vereinfachten Zugang erlangbaren Leistungen und den bislang hierzu ergangenen Gerichtsentscheidungen ist der Gesetzeswortlaut nicht modifiziert worden (so auch zur vorherigen Fassung LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. März 2021, L 9 AS 233/21 ER-B, juris Rn. 12).
Die gesetzliche Fiktionswirkung des § 67 Abs. 3 Satz 1 SGB II gilt dem Wortlaut nach für § 22 Abs. 1 SGB II, ohne dass hinsichtlich der einzelnen Sätze des Abs. 1 unterschieden wird. Insoweit dürfte auch der – vorliegend nicht einschlägige – Satz 2, der die KdUH bei nicht erforderlichen Umzügen innerhalb des örtlichen Vergleichsraums auf die bisherigen Aufwendungen begrenzt, nicht anwendbar sein. Nichts Anderes kann dann bei Umzügen in andere Orte gelten, in denen ein anderer Angemessenheitsmaßstab gilt (ebenso LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. März 2021, L 9 AS 233/21 ER-B, juris Rn. 11).
Somit steht den Antragstellern für die Zeit ab Antragstellung bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraums ein Anordnungsanspruch hinsichtlich der in ihrer Wohnung anfallenden tatsächlichen Gesamtmiete von monatlich 688 € zu. Auf die Frage des Raummehrbedarfs für den Antragsteller zu 2 und der Schlüssigkeit des vom Antragsgegners zur Bestimmung der Angemessenheit verwendeten Konzepts kommt es nach alledem im vorliegenden Eilverfahren nicht an.
b)
Ein Anordnungsgrund ist gegeben. Die Antragsteller haben ihre Mittellosigkeit durch Vorlage von Kontoauszügen glaubhaft gemacht. Allein mit der Gewährung des Regelbedarfs und gekürzter Unterkunftskosten durch den Antragsgegner wird die finanzielle Notlage nicht beseitigt. Im Hinblick auf die notwendige Bestreitung des von der Regelleistung im Sinne des § 20 Abs. 1 SGB II erfassten Bedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts ist es den Antragstellern mithin unmöglich, hieraus noch die Differenz zu den tatsächlich fälligen monatlichen Mietzahlungen zu leisten.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).