Verwaltungsrecht

Einziehung eines öffentlichen Weges – Beiladung eines Anliegers mit Überbauungen

Aktenzeichen  8 C 19.1522

Datum:
11.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 22587
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 65 Abs. 1
BayStrWG Art. 18 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine einfache Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO liegen vor, wenn die Möglichkeit besteht, dass die Entscheidung in der Hauptsache auf rechtliche Interessen des Beizuladenden einwirken kann, wenn also das Unterliegen eines der Hauptbeteiligten in der Sache seine Rechtsposition verbessern oder verschlechtern kann (BVerwG BeckRS 1995, 31251223; BayVGH BeckRS 2019, 258 Rn. 3 mwN).    (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits die Einziehung von öffentlichen Wegeflächen, die vom Beiladungsbewerber teilweise überbaut worden sind, womit eine genehmigungsbedürftige, aber nicht genehmigungsfähige Sondernutzung (vgl. BayVGH BeckRS 2008, 28734 Rn. 14 f.) und damit ein rechtswidriger Zustand vorliegen dürfte, kann er ein rechtliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits geltend machen, weil mit Bestandskraft der Einziehung – jedenfalls aus der hier maßgeblichen straßenrechtlichen Sicht – rechtmäßige Zustände hergestellt würden.(Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 K 18.2144 2019-06-13 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 13. Juni 2019 wird der Beiladungsbewerber gemäß § 65 Abs. 1 VwGO zum Verfahren beigeladen, weil seine rechtlichen Interessen durch die Entscheidung berührt werden.

Gründe

I.
Der Beiladungsbewerber begehrt die Beiladung zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren Au 6 K 18.2144, in dem die Einziehung eines öffentlichen Feld- und Waldwegs Streitgegenstand ist. Er ist Eigentümer eines Hofgrundstücks, das an den einzuziehenden Weg angrenzt. Ein Teil der gewidmeten Straßenfläche ist durch bauliche Anlagen des Beiladungsbewerbers überbaut. Das Verwaltungsgericht hat die Beiladung unter Berufung darauf abgelehnt, dass dessen rechtliche Interessen durch die Entscheidung nicht berührt würden. Im Fall der Aufhebung der Einziehungsverfügung bliebe seine straßenrechtliche Stellung als Anlieger unverändert und im Fall der Klageabweisung werde zwar seinem Wunsch und damit auch seinen Interessen entsprochen, diese seien aber lediglich wirtschaftlicher Art. Ein Anspruch auf Einziehung bestehe dagegen nicht. Der Beiladungsbewerber wendet ein, dass er auch in rechtlichen Interessen berührt sei. Kläger und Beklagte wenden sich gegen eine Beiladung. Eine solche komme mangels rechtlichen Interesses des Beiladungsbewerbers nicht in Betracht.
II.
1. Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiladung hat in der Sache Erfolg. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Beschwerdebegründung sich nicht näher mit der Frage auseinandersetzen mag, welches rechtliche Interesse der Beiladungsbewerber geltend macht. Das Beschwerdebegehren ist hinreichend bestimmt (vgl. dazu VGH BW, B.v. 14.3.1994 – 5 S 254/94 – NVwZ-RR 1995, 126 = juris Rn. 3). Die Beschränkung der Prüfung auf die dargelegten Gründe gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO gilt nur für Beschwerden in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes und im Übrigen nicht bei offensichtlichen Unrichtigkeiten (vgl. Hess VGH, B.v. 18.1.2006 – 5 TG 1493/05 – NVwZ-RR 2006, 846 = juris Rn. 8; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 27).
1.1 Das Gericht kann einen Dritten gemäß § 65 Abs. 1 VwGO zum Verfahren beiladen, wenn dessen rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden (sog. einfache Beiladung). Dies ist der Fall, wenn dieser in einer solchen Beziehung zu wenigstens einer der Parteien oder zum Streitgegenstand steht, dass das Unterliegen eines der Hauptbeteiligten in der Sache seine Rechtsposition verbessern oder verschlechtern kann (BayVGH, B.v. 14.2.2007 – 1 C 07.23 – juris Rn. 9; B.v. 8.1.2019 – 5 C 18.2513 – juris Rn. 3 jew. m.w.N.). Ausreichend ist die Möglichkeit, dass die Entscheidung in der Hauptsache auf rechtliche Interessen des Beizuladenden einwirken kann (BVerwG, B.v. 20.6.1995 – 8 B 68.95 – juris Rn. 3; B.v. 4.3.2008 – 9 A 74.07 – juris Rn. 2). Die Einwirkung auf ideelle, soziale oder wirtschaftliche Interessen reicht dagegen nicht aus (BayVGH, B.v. 14.2.2007 – 1 C 07.23 – a.a.O., m.w.N.). Über die Beiladung entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Wird ein Beiladungsantrag abgelehnt, ist das Beschwerdegericht nicht auf die Nachprüfung der Ermessensausübung durch das erstinstanzliche Gericht beschränkt, sondern übt eigenes Ermessen aus (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2015 – 15 C 15.1263 – juris Rn. 9; B.v. 8.1.2019 – 5 C 18.2513 – juris Rn. 3 m.w.N.).
1.2 Hieran gemessen liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine einfache Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO vor (dazu unten 1.2.1). Die Beiladung ist nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs auch ermessensgerecht (dazu unten 1.2.2).
1.2.1 Gegenstand des beim Verwaltungsgericht anhängigen Rechtsstreits ist die Einziehung der streitgegenständlichen Wegeflächen, die vom Beiladungsbewerber bzw. von dessen Rechtsvorgänger teilweise überbaut worden sind (vgl. Behördenakte). Insofern dürfte eine genehmigungsbedürftige, aber nicht genehmigungsfähige Sondernutzung eines öffentlichen Straßengrundstücks vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 29.12.2008 – 8 CS 08.1371 – juris Rn. 14 f.) und damit ein rechtswidriger Zustand. Mit Bestandskraft der Einziehung würden – jedenfalls aus der hier maßgeblichen straßenrechtlichen Sicht – rechtmäßige Zustände hergestellt. Der Beiladungsbewerber kann daher ein rechtliches Interesse an der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Einziehungsverfügung geltend machen und nicht nur wirtschaftliche Interessen. Entgegen der Ausführungen des Erstgerichts beschränkt sich seine Betroffenheit aufgrund dieser Besonderheiten gerade nicht auf seine Stellung als Straßenanlieger. Die Möglichkeit, dass sich bei einer Klageabweisung seine Rechtsposition aus straßenrechtlicher Sicht verbessern würde, reicht nach den oben dargestellten Maßstäben aus.
1.2.2 Der Senat übt sein Ermessen dahingehend aus, den Beiladungsbewerber zum Verfahren beizuladen. Bereits das Erstgericht (Beschluss vom 13.6.2019, S. 3) ist davon ausgegangen, dass dessen Beteiligung am Verfahren dem Ziel einer gütlichen Einigung der Beteiligten „förderlich wäre“. Dies ist ohne weiteres nachvollziehbar, weil der Beiladungsbewerber über Möglichkeiten verfügen dürfte, die vom Kläger in der Hauptsache vorgebrachten Einwendungen auszuräumen. Denkbar erscheint etwa die Gewährung von Wegerechten oder die Bereitstellung von Tauschflächen an die Beklagte, die für die Herstellung eines Ersatzwegs in Betracht kommen. Hinzu kommt, dass die Einziehung auf die Anregung des Beizuladenden zurückgeht. Einer näheren Prüfung, ob und inwieweit die klägerischen Einwendungen berechtigt sind, bedarf es im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht.
2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil die Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiladung Erfolg hat und die Beschwerdeentscheidung nur eine unselbständige Zwischenentscheidung in dem erstinstanzlich anhängigen Rechtsstreit darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2019 – 5 C 18.2513 – juris Rn. 7; OVG NW, B.v. 4.2.2013 – 10 E 1265/12 – NVwZ-RR 2013, 295 m.w.N.).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 65 Abs. 4 Satz 3, § 152 Abs. 1 VwGO).


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