Aktenzeichen 8 CS 19.817
VwZVG Art. 21a S. 1, § 23 Abs. 1 Nr. 2, § 31 Abs. 3 S. 2, S. 3, § 36
Leitsatz
1. Erfüllt der Betroffene rechtzeitig die von ihm verlangte Verpflichtung, so kann die Bedingung, von der die Fälligkeit eines insoweit angedrohten Zwangsgelds abhängt, nicht mehr eintreten. Damit entfällt für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in Bezug auf die Zwangsgeldandrohung das Rechtschutzbedürfnis. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 4 S 19.107 2019-04-03 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 3. April 2019 werden der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren nach der Abtrennung des Verfahrens W 4 S 19.333 sowie der Streitwert für das Beschwerdeverfahren auf jeweils 125 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehung einer straßenrechtlichen Anordnung zur Beseitigung von seinem Grundstück überhängender Pflanzen.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. 125 der Gemarkung S* … Das Grundstück grenzt an das Grundstück FlNr. 122 der Antragsgegnerin, das als Wirtschaftsweg genutzt wird. Seitdem der Weg wegen überwachsender Pflanzen vom Grundstück FlNr. 125 dort nicht mehr benutzbar war, wichen die Nutzer auf die angrenzende Ackerfläche FlNr. 121 aus und schädigten diese.
Mit Bescheid vom 31. Januar 2019 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, die von seinem Grundstück FlNr. 125 in den öffentlichen Grund FlNr. 122 ragenden bzw. das erforderliche Lichtraumprofil beeinträchtigenden Überhänge bis spätestens 28. Februar 2019 zurückzuschneiden (Nr. 1). Die sofortige Vollziehung dieser Verpflichtung wurde angeordnet (Nr. 2). Für den Fall der nicht fristgerechten Ausführung werde ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro fällig (Nr. 3).
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller am 6. Februar 2019 Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg. Gleichzeitig beantragte er, die aufschiebende Wirkung seiner Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen.
Bis zum 25. Februar 2019 ließ der Antragsteller den Überhang entfernen.
Mit Schriftsatz vom 19. März 2019 erklärte der Antragsteller seinen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO „im Hinblick auf Ziffer 1 des Bescheides“ für erledigt. Gleichzeitig teilte er dem Verwaltungsgericht mit, dass sich sein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO im Hinblick auf Nr. 3 des Bescheids nicht erledigt habe, weil nicht auszuschließen sei, dass die Antragsgegnerin die Vollstreckung diesbezüglich rechtswidrig fortsetze.
Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffend Nr. 1 des Bescheids mit Beschluss vom 3. April 2019 abgetrennt, unter Az. W 4 S 19.333 fortgeführt und aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen eingestellt.
Mit Beschluss vom selben Tag hat es den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffend die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids abgelehnt. Dem Antrag fehle das Rechtschutzbedürfnis; das Zwangsgeld könne nicht mehr fällig werden, weil die zwangsgeldbewehrte Anordnung rechtzeitig erfüllt worden sei.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Antragsteller die Aufhebung dieses Beschlusses.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller auch einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gegen die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids erhoben hat und dass diesem Antrag das Rechtschutzbedürfnis fehlt.
1. Das Verwaltungsgericht hat das Antragsbegehren zu Recht so ausgelegt, dass auch ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids vom 31. Januar 2019 gestellt wurde (§ 88 VwGO).
Gemäß § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Es hat vielmehr das tatsächliche Rechtsschutzbegehren zu ermitteln. Dabei sind die für die Auslegung von Willensäußerungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Bei der Auslegung sind neben dem Antrag insbesondere die Antragsbegründung sowie das gesamte übrige Vorbringen des Antragstellers zu berücksichtigen, ferner seine Interessenlage, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen für das Gericht und die übrigen Beteiligten als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt (vgl. BVerwG, U.v. 26.04.2018 – 3 C 11.16 – DVBl 2018, 1621 = juris Rn. 14; U.v. 1.9.2016 – 4 C 4.15 – BVerwGE 156, 94 = juris Rn. 9; BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238 = juris Rn. 37). In Eilverfahren, in denen eine mündliche Verhandlung, in der auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken ist (§ 86 Abs. 3 VwGO), nicht stattfindet, ist wegen des verfassungsrechtlichen Gebotes der Effektivität des Rechtsschutzes eine Auslegung zu Gunsten des Antragstellers vorzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2002 – 10 CE 02.1467 – juris Rn. 7; vgl. auch Ortloff/Riese in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand September 2018, § 88 Rn. 16). Ist der Rechtschutzsuchende anwaltlich vertreten, kommt der Antragsformulierung zwar eine gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu. Selbst dann darf die Auslegung jedoch vom Antragswortlaut abweichen, wenn die Begründung oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Rechtsschutzziel von der Antragsfassung abweicht (vgl. BVerwG, B.v. 12.3.2012 – 9 B 7.12 – DÖD 2012, 190 = juris Rn. 6; OVG NRW 1.2.2018 – 6 B 1355/17 – ZBR 2018, 390 = juris Rn. 12 f.; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 88 Rn. 9).
Vorliegend lässt sich aus der Klage- und Antragsschrift vom 4. Februar 2019 nicht eindeutig entnehmen, dass der Antragsteller seinen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Anordnung in Nr. 1 des Bescheids beschränken wollte. Der Eilantrag (Ziffer II.) folgt auf den Klageantrag (Ziffer I.), mit dem der Antragsteller die Aufhebung des Bescheids vom 31. Januar 2019 (alle Nummern) erreichen möchte. Dass die Aufhebung der Nr. 3 des Bescheids – obwohl schon vom Klageantrag in Ziffer I. umfasst – in Ziffer III. nochmals eigenständig beantragt wurde, zwingt nicht zu der Auslegung, dass sich der Eilantrag in Ziffer II. nicht auf die Zwangsgeldandrohung erstrecken sollte. Auch aus der Verwendung des Begriffs „wiederherstellen“ lässt sich eine solche Antragsbeschränkung nicht herleiten. Zwar wäre die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Zwangsgeldandrohung „anzuordnen“ und nicht „wiederherzustellen (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 VwZVG). Allein aus dieser Terminologie kann aber nicht auf eine Beschränkung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO auf die Nr. 1 des Bescheids geschlossen werden, auch wenn der Antragsteller Rechtsanwalt ist.
Vielmehr ist das Verwaltungsgericht im Hinblick auf das eindeutige Vorbringen des Antragstellers in den Schriftsätzen vom 19. März und 2. April 2019 zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage auf Aufhebung der Nr. 3 des angegriffenen Bescheids vom 31. Januar 2019 gerichtet war. Denn der Antragsteller hat darin geltend gemacht, dass sich der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO „im Hinblick auf den Verwaltungsbescheid vom 31. Januar 2019 in Betreff Ziffer 3 nicht erledigt“ hat (vgl. Schriftsatz vom 19.3.2019 S. 2). Mit Schriftsatz vom 2. April 2019 hat der Antragsteller hierzu weiter ausgeführt; der Betreff des Schriftsatzes lautete „Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen Anordnung des Zwangsgelds“. Darin geht der Antragsteller zudem – ohne nachvollziehbaren Grund – davon aus, dass die Vollstreckung des angedrohten Zwangsgeldes bereits begonnen habe (gemäß Art. 23 VwZVG) und dass er daher weiterhin beschwert sei, obwohl die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 27. März 2019 die Rechtslage erläutert und die rechtzeitige Erfüllung bestätigt hatte. Unter Zugrundelegung der Äußerungen des Antragstellers musste das Verwaltungsgericht somit annehmen, dass auch die Zwangsgeldandrohung Gegenstand des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO sein sollte.
2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist entgegen der Auffassung des Antragstellers auch die richtige Antragsart betreffend die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der kraft Gesetzes (Art. 21a Satz 1 VwZVG) sofort vollziehbaren Zwangsgeldandrohung (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Soweit sich der Antragsteller auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 30. März 2015 (Az. M 8 S 15.261) beruft, verkennt er, dass Gegenstand dieses Verfahrens eine Fälligkeitsmitteilung war (vgl. Art. 31 Abs. 3 Satz 2 VwZVG). Liegt aber – wie hier – ein noch nicht bestandskräftiger Verwaltungsakt vor, der kraft Gesetzes oder behördlicher Vollzugsanordnung sofort vollziehbar ist, ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und nicht nach § 123 VwGO statthaft (vgl. auch VG München, B.v. 30.3.2015 – M 8 S 15.261 – juris Rn. 17).
3. Das Verwaltungsgericht durfte das Verfahren hinsichtlich des Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Anordnung in Nr. 1 des Bescheids auch ohne vorherige Anhörung der Beteiligten abtrennen.
3.1 Die Entscheidung nach § 93 VwGO über die Verbindung und Trennung von Verfahren steht im Ermessen des Gerichts. Insbesondere kann das Gericht gemäß § 93 Satz 2 VwGO anordnen, dass mehrere in einem Verfahren erhobene Ansprüche in getrennten Verfahren verhandelt und entschieden werden. Diese Ermessensentscheidung des Gerichts ist nicht selbständig anfechtbar (§ 146 Abs. 2 VwGO) und auch in einem Rechtsmittelverfahren nur begrenzt überprüfbar. Die Beschwerde kann nur Mängel rügen, die als Folge der beanstandeten Trennung dem angefochtenen Urteil selbst anhaften (vgl. BVerwG; B.v. 6.12.2007 – 9 B 53.07 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO Nr. 43 = juris Rn. 3 f.; BayVGH, B.v. 20.10.2003 – 8 C 03.1701 – NVwZ-RR 2004, 458 = juris Rn. 19; vgl. auch Rennert in Eyermann, VwGO, § 93 Rn. 8). Einen solchen Mangel legt der Antragsteller nicht dar.
3.2 Das Beschwerdevorbringen, das Verwaltungsgericht habe das rechtliche Gehör verletzt, indem es die Abtrennung ohne Anhörung beschlossen habe, geht fehl. Vor Erlass eines Verbindungs- oder Trennungsbeschlusses im Sinne des § 93 VwGO ist eine Anhörung nicht notwendig (vgl. BVerwG, B.v. 5.12.1995 – 3 B 13.95 – Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 100 = juris Rn. 4; NdsOVG, B.v. 8.5.2001 – 11 LA 1623/01 – juris Rn. 3; vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 93 Rn. 6).
4. Auch das Rechtschutzbedürfnis des Antragstellers für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des angegriffenen Bescheids hat das Verwaltungsgericht zu Recht verneint.
Die Androhung des Zwangsgeldes (Art. 36 VwZVG) ist ein aufschiebend bedingter Leistungsbescheid im Sinne des Art. 23 Abs. 1 VwZVG. Wird die Pflicht, die mit dem Zwangsgeld vollstreckt werden soll, bis zum Ablauf der festgesetzten Frist nicht erfüllt, so wird die Zwangsgeldforderung fällig (vgl. Art. 31 Abs. 3 Satz 2, 3 i.V.m. Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG). Erfüllt der Betroffene – wie hier – rechtzeitig die von ihm verlangte Verpflichtung, so kann die Bedingung, von der die Fälligkeit des Zwangsgelds abhängt, nicht mehr eintreten. Damit entfällt für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, der sich gegen die Zwangsgeldandrohung richtet, das Rechtschutzbedürfnis (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2006 – 11 CS 05.1584 – juris Rn. 3). Vorliegend bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte für die Befürchtung des Antragstellers, die Antragsgegnerin könnte eine Vollstreckung des Zwangsgelds betreiben, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (vgl. zur ähnlichen Thematik einer „faktischen Vollziehung“ BayVGH, B.v. 27.6.2018 – 8 CS 18.1129 – juris Rn. 8). Vielmehr hat die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 27. März 2019 anerkannt, dass es aufgrund der rechtzeitigen Erfüllung keiner Anwendung des Zwangsmittels bedarf.
Soweit der Antragsteller einwendet, das Verwaltungsgericht habe sein Fortsetzungsfeststellungsbegehren nicht beachtet, übersieht er, dass dieses Begehren nur das Hauptsacheverfahren und nicht das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO betrifft.
5. Das Erstgericht hat den Anspruch des Antragstellers auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch nicht dadurch verletzt, dass es seiner Bitte um einen rechtlichen Hinweis zur Frage der Möglichkeit einer Vollstreckung des Zwangsgeldes durch die Antragsgegnerin (vgl. Schriftsatz vom 19. März 2019 S. 2) offenbar nicht beantwortet hat. Der Antragsteller konnte dem gerichtlichen Schreiben vom 13. März 2019 ohne Weiteres entnehmen, dass es infolge der Erfüllung des Beseitigungsverlangens davon ausging, dass eine Vollstreckung des Zwangsgelds nicht mehr droht.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG unter entsprechender Orientierung an Nr. 1.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Danach entspricht der Streitwert in selbständigen Vollstreckungsverfahren betreffend die Androhung eines Zwangsgelds der Hälfte des Zwangsgelds, hier also 250 Euro. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist dieser Streitwert auf 125 Euro zu halbieren (vgl. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs). Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts war insoweit abzuändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).