Verwaltungsrecht

Entlassung einer Widerrufsbeamtin, Vorbereitungsdienst, sachlicher Grund in Form von schwerwiegenden Leistungsmängeln, ungenügende Leistungen im fachtheoretischen Ausbildungsabschnitt I und II, negative Prognose, Geltendmachung persönlicher Erschwernisse

Aktenzeichen  3 CS 22.281

Datum:
30.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6558
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtStG § 23 Abs. 4

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 5 S 21.1214 2022-01-13 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 13. Januar 2022 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.929,79 Euro festgesetzt.

Gründe

Die 1981 geborene Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die mit Wirkung zum 31. Dezember 2021 ausgesprochene Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf im Vorbereitungsdienst, in dem sie seit 1. September 2020 als Steuersekretäranwärterin tätig ist.
1. Mit Bescheid des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 9. November 2021 hat sie der Antragsgegner gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf entlassen, weil aufgrund des bisherigen Verlaufs ihrer Ausbildung ausgeschlossen erscheine, dass sie die Qualifikationsprüfung bestehe und die Ziele des Vorbereitungsdienstes erreiche. Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat mit Beschluss vom 13. Januar 2022 den nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Bescheid erhobenen Klage (Az. B 5 K 21.1215) abgelehnt, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung der Entlassungsverfügung keine durchgreifenden Bedenken gegen deren Rechtmäßigkeit bestünden. Die vom Antragsgegner getroffene Prognose, der Antragstellerin werde der Erwerb der Befähigung für die angestrebte Beamtenlaufbahn im Hinblick auf ihre fehlende fachliche Eignung nicht gelingen, beruhe auf einer sachlichen Erkenntnisgrundlage, insbesondere der durchweg ungenügenden Leistungen im fachtheoretischen Ausbildungsabschnitt II Teil 1 (FTA II/1).
2. Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig (§ 146 Abs. 1, 4 VwGO), aber unbegründet.
2.1 Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entlassungsverfügung vom 9. November 2021 wiederherzustellen. Die Gründe, die die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde fristgerecht dargelegt hat und auf deren Prüfung das Gericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. Satz 1, 3 VwGO), führen unter keinem Gesichtspunkt zu einer anderen Beurteilung. Die Entlassung der Antragstellerin aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf durch den angefochtenen Bescheid ist – bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung – rechtmäßig, so dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird.
2.2 Die Antragstellerin macht geltend, sie habe bereits eine schutzwürdige, vom Verwaltungsgericht nicht ausreichend berücksichtigte Position dadurch erreicht, dass sie ihre 24 Monate dauernde Ausbildung im Entlassungszeitpunkt bereits zu 2/3 absolviert habe. Sie habe ihre gut bezahlte Tätigkeit als Leiterin einer Physiotherapieeinrichtung – auch im Hinblick auf die zunehmende körperliche Belastung – aufgegeben, um Beamtin in der Finanzverwaltung zu werden. Das Verwaltungsgericht habe die besondere Corona-Situation nicht ausreichend in seine Entscheidung mit einbezogen. Als alleinerziehende Mutter eines schulpflichtigen Kindes sei sie durch den ständigen schulischen Wechselunterricht in ihrem eigenen Ausbildungsstreben erheblich beeinträchtigt worden. Zudem seien die Notwendigkeit von Selbststudium und Digitalunterricht für die aus einem völlig anderen Berufsbereich stammende Antragstellerin besonders erschwerend gewesen. Anders als der Großteil der direkt von der Schule kommenden Auszubildenden sei die digitale Lernsituation für die inzwischen 40-jährige Antragstellerin ungewohnt. Der nicht bestandene Prüfungsabschnitt (FTA II/1) hätte unter irregulären Ausbildungsbedingungen gestanden. Damit liege im Ergebnis eine Ballung von Besonderheiten vor, die zu einer von der normalen Situation abweichenden Beeinträchtigung der Ausbildung geführt hätten, ohne dass diese vom Verwaltungsgericht hinreichend berücksichtigt worden sei.
3. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die streitgegenständliche Entlassung auf § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG gestützt und der Antragstellerin abweichend von der Regel des § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG keine Gelegenheit zur Beendigung des Vorbereitungsdienstes mehr eingeräumt. Die Einwände der Beschwerde führen zu keiner anderen gerichtlichen Bewertung im Eilverfahren; sie begründen weder einzeln noch in der Gesamtschau beachtliche Zweifel an der Sachverhaltsermittlung des Antragsgegners und seiner darauf beruhenden Prognoseentscheidung.
3.1 Rechtsgrundlage für die Entlassung ist § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG. Danach können Beamte auf Widerruf jederzeit entlassen werden. Der gesetzliche Begriff „jederzeit“ besitzt nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine sachliche Komponente. Zur Rechtfertigung der Entlassung genügt jeder sachliche, das heißt nicht willkürliche Grund (BayVGH, B.v. 12.12.2011 – 3 CS 11.2397 – juris Rn. 34; B.v. 2.5.2019 – 6 CS 19.481 – juris Rn. 12). Das dem Dienstherrn bei einem Beamtenverhältnis auf Widerruf eingeräumte weite Entlassungsermessen ist dahingehend eingeschränkt, dass Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst Gelegenheit gegeben werden soll, den Vorbereitungsdienst abzuleisten und die Prüfung abzulegen (§ 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG). Die Sollvorschrift des § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG erlaubt allerdings Ausnahmen im Einzelfall. Voraussetzung hierfür ist, dass die Entlassungsgründe mit dem Sinn und Zweck des Vorbereitungsdienstes im Einklang stehen (zu gesundheitlichen Gründen BVerwG, B.v. 26.1.2010 – 2 B 47.09 – juris Rn. 6; Zängl in Weiß/Niedermeier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Bd. I, Stand: Nov. 2021, BeamtStG § 23 Rn. 194 f.).
Die Entlassung ist mit dem Sinn und Zweck des Vorbereitungsdienstes vereinbar, wenn der Beamte aufgrund mangelnder Eignung, Befähigung oder fachlicher Leistung den Anforderungen der angestrebten Laufbahn nicht gerecht wird. Bestehen ernstliche Zweifel daran, dass das Ziel des Vorbereitungsdienstes – der Erwerb der angestrebten Laufbahnbefähigung – erreicht wird, kann der Widerrufsbeamte entlassen werden (Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, a.a.O. BeamtStG § 23 Rn. 192). Insoweit genügen bereits berechtigte Zweifel der Entlassungsbehörde, ob die Beamtin die persönliche oder fachliche Eignung (i.S.v. § 9 BeamtStG) für ein Amt in der angestrebten Laufbahn besitzt (BVerwG, U.v. 9.6.1981 – 2 C 48.78 – juris Rn. 20, 21; BayVGH, B.v. 13.11.2014 – 3 CS 14.1864 – juris Rn. 22; OVG Bremen, B.v. 13.7.2018 – 2 B 174/18 – juris Rn. 9; OVG NW, B.v. 18.2.2019 – 6 B 1551/18 – juris Rn. 20). Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle ist darauf beschränkt, ob der Dienstherr seine Annahme, es lägen Eignungszweifel vor, auf einen zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt gestützt, er den Rechtsbegriff der Eignung nicht verkannt und bei der von ihm zu treffenden Prognoseentscheidung allgemeingültige Wertmaßstäbe beachtet und auch sonst keine sachwidrigen Erwägungen angestellt hat (OVG NW, B.v. 27.9.2017 – 6 B 977/17 – juris Rn. 4, 5).
3.2 Vor dem Hintergrund dieser Maßstäbe ist die Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung – auch unter Zugrundelegung des Zulassungsvorbringens – nicht in Frage gestellt. Der Antragsgegner weist zu Recht auf die ernstlichen und auf einer hinreichend sachlichen Erkenntnisgrundlage gestützten Zweifel hin, dass die Antragstellerin die Befähigung für die angestrebte Beamtenlaufbahn werde erreichen können. Maßgeblich für diese prognostische Annahme sind ihre unzureichenden fachlichen Leistungen. So zeigte sie schon im fachtheoretischen Ausbildungsabschnitt I (Juli 2021) wegen lückenhafter Grundkenntnisse unzureichende Leistungen, die mit 2,66 Punkten in den Prüfungsfächern bewertet wurden und zu einer ersten förmlichen Ermahnung führten (vgl. im Einzelnen: BA S. 13-15). Obwohl ihr ein Konzept zur Leistungssteigerung an die Hand gegeben wurde, gelang es ihr nicht, die festgestellten Wissenslücken zu schließen. Vielmehr kam es nach Absolvierung der Kurzklausuren zu einer zweiten förmlichen Ermahnung (vom 2.8.2021) wegen ihrer in den Prüfungsfächern nach wie vor ungenügenden Leistungen. Die bereits deutlich erkennbare negative Leistungstendenz bestätigte sich, als sie im fachtheoretischen Ausbildungsabschnitt II/1 erneut eine ungenügende (durchschnittliche) Punktzahl (0,33; vgl. im Einzelnen: Anhörung zur Entlassung v. 24.9.2021, S. 3 f.) erzielte und damit „annähernd auf dem Nulllevel“ (Bescheid v. 9.11.2021, S. 6) angekommen war. Das über den gesamten Zeitraum der Ausbildung zu betrachtende Leistungsbild erlaubt keine Prognose, wonach die feststehenden Mängel in absehbarer Zeit behoben werden können und die Antragstellerin die Laufbahnbefähigung erwerben werde, sondern legt das Gegenteil nahe. Eindringliche Mahnungen des Antragsgegners und Hinweise auf die Notwendigkeit des häuslichen Selbststudiums blieben ohne Erfolg. Die Antragstellerin wurde im Übrigen schon bei ihrer Einstellung als Widerrufsbeamtin darauf hingewiesen, dass erhebliche Leistungsmängel als sachlicher Grund für eine Entlassung in Betracht kommen (allg. hierzu Baßlsberger in Beamtenrecht in Bayern, Stand: Nov. 2021, § 23 BeamtStG Rn. 217-219).
Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Beschluss zu Recht darauf hingewiesen, dass es auf die Ursache der bestehenden Leistungsmängel der Widerrufsbeamtin nicht ankommt (s. bereits BayVGH, B.v. 3.3.1994 – 3 CS 93.3817 – juris Rn. 24: „Leistungsmängel aufgrund starker psychischer Belastungen im familiären Bereich“). Die in der Beschwerdebegründung genannten Umstände, die für die unzureichenden fachlichen Leistungen verantwortlich gemacht werden, sind zum einen der Sphäre der Antragstellerin (Aufgabe des bisherigen Berufs als Physiotherapeutin; alleinerziehende Mutter; Lebensalter) zuzurechnen und betreffen zum anderem (allgemeine Coronabeschränkungen; kein Präsenzunterricht) alle im gleichen Jahrgang befindlichen Widerrufsbeamten in gleicher Weise. Jedenfalls sind die geltend gemachten Erschwernisse nicht geeignet, als Begründung für die seit Beginn der Ausbildung am 1. September 2020 gezeigten unzureichenden fachlichen, sich tendenziell sogar verschlechternden Leistungen zu dienen. Dabei verkennt der Senat keineswegs, dass die genannten Umstände die Prüfungsvorbereitungen der Antragstellerin tatsächlich erschwert haben können; dennoch sind sie weder im Einzelnen betrachtet noch in ihrer Gesamtheit („Ballung von Besonderheiten“) geeignet, eine Abweichung von dem Grundsatz zuzulassen, dass es im Hinblick auf die anzustellende Prognose auf die Ursachen der bestehenden Leistungsmängel grundsätzlich nicht ankommt.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Regelfalls im Sinn von § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG verneint und der Antragstellerin die Weiterführung ihres Vorbereitungsdienstes verwehrt. Die Entlassung ist hier ausnahmsweise aus einem Grund zulässig, der mit dem Sinn und Zweck des Vorbereitungsdienstes im Einklang steht, nämlich dem prognostisch begründeten Fehlen der Erwartung, die Antragstellerin werde die Befähigung für die angestrebte Laufbahn erreichen. Hieran vermag im Übrigen auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Antragstellerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung der Entlassungsverfügung bereits mehr als die Hälfte der Ausbildungszeit – jedenfalls nicht die behaupteten 2/3 – absolviert hatte. Denn allein aus dem zeitlichen Verhältnis lässt sich das von der Antragstellerin geltend gemachte schützenswerte Interesse an der Absolvierung ihrer restlichen Ausbildung schon im Hinblick auf das negative Leistungsbild nicht ableiten.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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