Verwaltungsrecht

Entlassung eines Beamten auf Probe wegen Dienstantritts in alkoholisiertem Zustand

Aktenzeichen  3 ZB 16.1244

Datum:
3.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32460
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtStG § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass auch der einmalig nachgewiesene Fehltritt des Klägers zu seiner Entlassung wegen Fehlen der charakterlichen Eignung führt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der im vorliegenden Fall maßgebliche Verstoß gegen das Verbot, den Polizeidienst mit Restalkohol im Blut anzutreten, ist gravierend und führt zu einem begründeten Zweifel an der charakterlichen Eignung. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3 Es trifft nicht zu, dass der Dienstherr verpflichtet ist, gegenüber einem Probebeamten vor seiner Entlassung jedenfalls dann zunächst eine Abmahnung – im Sinne der Einräumung einer „zweiten Chance“ – auszusprechen, wenn mit der Abstellung des beanstandeten Mangels gerechnet werden kann. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 15.2872 2016-05-11 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 23. Juni 2015 weiter, mit dem er aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen wurde.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem Vorbringen in der Antragsbegründung, auf das die rechtliche Überprüfung durch den Senat beschränkt ist, ergeben sich nicht die ausschließlich geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinn dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen würden (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Die 1994 geborene Kläger, der mit Wirkung zum 1. März 2014 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeioberwachtmeister (Bes.Gr. A 5) ernannt worden war, wurde mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid des Beklagten vom 23. Juni 2015 mit Ablauf des 30. September 2015 aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen. Ein gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung gerichteter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO blieb in zwei Instanzen erfolglos (VG München, B. v. 24.9.2015 – 5 S 15.2861; BayVGH, B.v. 16.12.2015 – 3 CS 15.2220). Das Verwaltungsgericht München hat die Klage mit Urteil vom 11. Mai 2016 insbesondere unter Bezugnahme auf die beiden vorgenannten Beschlüsse abgewiesen. Die auf fehlende Bewährung (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG) mangels charakterlicher Eignung gestützte Entlassung sei nicht zu beanstanden. Der Vorfall vom 22. November 2014, als der Kläger seinen Dienst mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,55 mg/l angetreten habe, stelle einen einmaligen, jedoch erheblichen Verstoß gegen das für Polizeibeschäftigte geltende absolute Alkoholverbot dar. Zur Abrundung des Bildes könnten auch die weiteren, dem Kläger zur Last gelegten Umstände – das Vorkommnis am 19. Dezember 2013, als er im Zimmer zweier schlafender Kollegen uriniert haben soll sowie sein fehlendes Engagement in der Ausbildung – herangezogen werden. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils vom 11. Mai 2016 begründet der Kläger mit Schriftsatz vom 25. Juli 2016.
1. Die Richtigkeit des angefochtenen Urteils ist nicht deswegen ernstlich zweifelhaft, weil der Kläger zu Unrecht als charakterlich ungeeignet angesehen worden wäre. Der Kläger bestreitet die mangelnde Bewährung vor allem mit dem Vorbringen, bei dem alkoholbedingten Vorkommnis handele es sich um ein einmaliges und zudem jugendtypisches Verhalten. Er habe am fraglichen Tag seinen Dienst trotz vorhandenem Restalkohol nur deshalb angetreten, weil er die Kollegen nicht habe „hängen“ lassen wollen. Diese Motivation beweise eine grundsätzlich positive Einstellung, auch wenn er die Fehlerhaftigkeit seines Tuns eingesehen habe. Die erforderliche Prognose verlange das Vorliegen von Fakten, aufgrund derer ein bestimmtes Verhalten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden könne; hierfür reiche im vorliegenden Fall das Verhalten des Klägers nicht aus, zumal er es abgestellt habe, wie ihm auch bestätigt worden sei.
Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass im vorliegenden Fall auch der einmalig nachgewiesene Fehltritt des Klägers zu seiner Entlassung wegen Fehlen der charakterlichen Eignung führt (vgl. zu Zweifeln an der charakterlichen Eignung aus einem einmaligen Fehlverhalten: BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 2 B 17.16 – juris Rn. 10). Die Beurteilung, ob sich der Kläger bewährt hat, ist ein Akt wertender Erkenntnis und besteht in der prognostischen Einschätzung, ob er den mit der Wahrnehmung der mit seiner Laufbahn verbundenen Anforderungen voraussichtlich gerecht werden wird (BVerwG, U.v. 18.7.2001 – 2 A 5.00 – NVwZ-RR 2002, 49). Mangelnde Bewährung ist bereits dann anzunehmen, wenn ein begründeter Zweifel daran besteht, dass der Beamte diese Anforderungen erfüllen kann. Auch der Senat hat bereits entschieden, dass sich Zweifel an der charakterlichen Eignung grundsätzlich auch aus einem einzigen gravierenden Vorfall ergeben können (BayVGH, U.v. 13.1.2016 – 3 B 14.1487 – juris Rn. 33, 34).
Der im vorliegenden Fall maßgebliche Verstoß gegen das Verbot, den Polizeidienst mit Restalkohol im Blut anzutreten, ist aus den bereits in den Eilbeschlüssen ausführlich dargestellten Gründen gravierend und führt daher zu einem begründeten Zweifel im dargestellten Sinne. Der Senat sieht durch das Zulassungsvorbringen keine Fragen aufgeworfen, die zu einem von der Einschätzung im Beschluss vom 16. Dezember 2015 (a.a.O.) abweichenden Beurteilung führen können; insbesondere vermag der Senat den Vortrag, der Kläger habe seine Kollegen aus einer dienstbeflissenen Motivation heraus nicht im Stich lassen wollen, angesichts der von ihm wegen seines alkoholisierten Zustands ausgehenden Gefährdung nicht nachzuvollziehen. Ob der Kläger nach dem gezeigten Fehlverhalten nochmals die Gelegenheit erhält, sich zu bewähren und das vorgeworfene Verhalten zu beseitigen, beantwortet sich auf der Grundlage eines im Zeitpunkt der Entlassungsverfügung zu fällenden Werturteils des Dienstherrn; es ist mit einer Prognose verbunden, ob gerade von ihm in Zukunft eine Änderung seines Verhaltens erwartet werden kann (BayVGH, B.v. 8.4.2013 – 3 CS 13.289 – juris Rn. 30). Diese Erwartung hat der Dienstherr im Rahmen des ihm zustehenden, vom Gericht nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums mit nachvollziehbarer Begründung verneint.
An der danach nicht zu beanstandenden Entscheidung des Dienstherrn ändert schließlich auch der Hinweis des Klägers darauf, die alkoholbedingte Verfehlung sei als „jugendtypisches“ Verhalten anzusehen, nichts, zumal sich derartige Verfehlungen grundsätzlich in jeder Altersgruppe ereignen können. Auch die im Rahmen der Anhörung des Klägers am 23. April 2015 (Blatt 56 d. Behördenakte) zum Ausdruck gebrachte Einsicht in das Fehlverhalten („Riesenfehler, aus dem ich gelernt habe“ und „wenn ich am nächsten Tag Dienst habe, trinke ich gar nichts mehr“) und das Ausbleiben weiterer alkoholbedingter Vorfälle führen nicht zur Fehlerhaftigkeit der Prognoseentscheidung.
2. Die Richtigkeit des angefochtenen Urteils kann auch nicht mit dem Vortrag in Zweifel gezogen werden, vor der Entlassungsverfügung hätte eine Abmahnung erfolgen müssen, um dem Kläger die Möglichkeit zu geben, seine charakterliche Eignung unter Beweis zu stellen, wie er es tatsächlich auch gemacht habe. Auch das Bundesverfassungsgericht gehe in seinem Beschluss vom 15. Dezember 1976 (2 BvR 841/73, juris) von der grundsätzlichen Notwendigkeit einer Abmahnung zumindest dann aus, wenn die maßgeblichen Mängel behebbar seien.
Es trifft nicht zu, dass der Dienstherr verpflichtet ist, gegenüber einem Probebeamten vor seiner Entlassung jedenfalls dann zunächst eine Abmahnung – im Sinne der Einräumung einer „zweiten Chance“ – auszusprechen, wenn mit der Abstellung des beanstandeten Mangels gerechnet werden kann. Auch der im Zulassungsschriftsatz zitierte Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Oktober 1973 (II B 54.73 – Buchholz 232 § 31 BBG Nr. 19; juris, Leits. 4) hat für eine Konstellation, die mit der vorliegenden nicht vergleichbar ist, das Erfordernis einer Abmahnung verneint und sie a l l e n f a l l s bei Mängeln, deren Abstellung konkret erwartet werden könne, als geboten angesehen; diese Entscheidung wurde jedoch durch den vom Kläger ebenfalls genannten Beschluss vom 15. Dezember 1976 (a.a.O.) für gegenstandslos erklärt. Der Senat erachtet die Entscheidung darüber, ob ein Probebeamter vor seiner Entlassung zunächst „abgemahnt“ wird, auch vom Beurteilungsspielraum des Dienstherrn umfasst, der diese Frage nach den im jeweiligen Einzelfall vorliegenden konkreten Umständen zu beantworten hat; so wird im Falle von behebbar erscheinenden Leistungsmängeln eine Abmahnung eher sinnvoll erscheinen als im Falle eines – wie hier – auf persönlichkeitsbezogenen Mängeln beruhenden Fehlverhaltens (vgl. a. BVerfG, a.a.O., juris Rn. 45). Letztlich hängt die Beantwortung dieser Frage auch mit der (unter 1. erörterten) Frage zusammen, wie schwerwiegend ein einmaliges Fehlverhalten vor dem Hintergrund eines charakterlichen Mangels sein muss, um von einer (endgültig) fehlenden Bewährung ausgehen zu Können.
Unter Einbeziehung der gesamten Verhältnisse kann nicht beanstandet werden, dass der Beklagte davon abgesehen hat, vor der Entlassungsverfügung gegenüber dem Kläger zunächst eine Abmahnung auszusprechen.
3. Schließlich unterliegt die Richtigkeit des angefochtenen Urteils auch nicht deswegen ernstlichen Zweifeln, weil der Kläger bestreitet, für das Vorkommnis vom 19. Dezember 2013 verantwortlich zu sein, und es ihm daher nicht zur Begründung charakterlicher Mängel vorgehalten werden dürfe. Das gleiche gelte für das behauptete Desinteresse an seiner Ausbildung, zumal er sämtliche Prüfungen bestanden habe.
Dieser Vortrag betrifft schon keine entscheidungserheblichen Ausführungen im angefochtenen Urteil. Es erscheint bereits äußerst fraglich, ob das bloße Bestreiten des Klägers, für den nächtlichen Vorfall am 19. September 2013 im Zimmer der beiden Polizeimeisteranwärter W. und H. verantwortlich gewesen zu sein, angesichts deren eindeutiger und detaillierter schriftlicher Äußerungen ausreicht (vgl. 109, 110 der Behördenakte u. BayVGH, B.v. 16.12.2015, a.a.O., BA S. 15 b, aa). Denn jedenfalls hat das Verwaltungsgericht – insoweit dem Bescheid folgend – diesen Vorfall lediglich „zur Abrundung des negativen Bildes“ herangezogen und mit dieser Formulierung zum Ausdruck gebracht, dass die mangelnde charakterliche Bewährung des Klägers – unabhängig von diesem Vorfall – zur Entlassung aus dem Probebeamtenverhältnis geführt hat. Dem entspricht auch die Angabe des Klägers in der Zulassungsbegründung, das Verwaltungsgericht habe in der mündlichen Verhandlung – wenn auch ohne entsprechende Wiedergabe in der Niederschrift – ausgeführt, der Dienstantritt mit Restalkohol im Blut am 22. November 2014 sei bereits für sich gesehen ausreichend, um die Entlassungsverfügung zu rechtfertigen, so dass das Vorkommnis vom 19. Dezember 2013 nicht weiter aufgeklärt werden müsse. Entsprechendes gilt auch für den weiteren Vorwurf, der Kläger habe sich im Rahmen seiner Ausbildung nicht ausreichend engagiert gezeigt und sei unter seinen Möglichkeiten geblieben. Damit spielt im vorliegenden Zusammenhang auch keine Rolle, dass der Kläger seine Ausbildung ohne weitere Auffälligkeiten noch vor dem 30. September 2015 erfolgreich abschließen konnte (vgl. Bl. 138 d. Behördenakte).
4. Soweit der Zulassungsvortrag einer Verwertung der im Dezember 2014 durchgeführten polizeiärztlichen Haaranalyse (Bl. 26 d. Behördenakte) und der damit verbundenen Schlussfolgerungen widerspricht, vermag er damit keine Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils aufzuzeigen. Das Urteil stützt sich nämlich in seinen Gründen – ebensowenig wie die beiden vorangegangenen Beschlüsse im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – nicht auf das Ergebnis der Haaranalyse und die daraus gezogenen Folgerungen. Im Beschluss des Senats vom 16. Dezember 2015 (a.a.O., BA S. 14) wird dementsprechend festgehalten, dass es auf das Ergebnis der Haarprobenanalyse nicht ankomme, weil sie der Überprüfung der gesundheitlichen Eignung des Klägers, nicht jedoch der Feststellung seiner charakterlichen Eignung gedient habe, und daher nicht Grundlage der ausschließlich auf charakterliche Mängel bezogenen Entlassungsverfügung vom 23. Juni 2015 gewesen sei.
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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