Verwaltungsrecht

Entzugs des akademischen Grades “Dr. med. dent.” – Plagiat

Aktenzeichen  7 ZB 15.1073

Datum:
5.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 42605
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5
BayHSchG BayHSchG Art. 28 Abs. 5
BayVwVfG BayVwVfG Art. 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Die Einsichtnahme in die Akten durch den Promotionsausschuss ist hinreichend, wenn alle relevanten Unterlagen einschließlich der Stellungnahme des Klägervertreters und das externe Gutachten vorgelegen haben. (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Eröffnung des Entziehungsverfahrens gilt nicht die Jahresfrist, wenn der Betroffene die Doktorarbeit entgegen seiner Erklärung nicht selbstständig angefertigt und deshalb den Doktorgrad aufgrund arglistiger Täuschung erlangt hat (Art. 48 Abs. 4 S. 2 iVm Abs. 2 S. 3 Nr. 1 BayVwVfG). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 K 14.228 2015-03-25 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin, die am 21. Dezember 2001 an der Universität Würzburg zum Doktor der Zahnmedizin promoviert wurde, wendet sich gegen den Entzug des ihr verliehenen akademischen Grades „Dr. med. dent.“. Mit Bescheid vom 15. November 2012, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2013, hatte die Beklagte der Klägerin ihren Titel sinngemäß mit der Begründung aberkannt, ihre Doktorarbeit sei in weiten Teilen ein Plagiat.
Ihre dagegen gerichtete Klage hat das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg abgewiesen: Das Entziehungsverfahren leide nicht an den geltend gemachten Mängeln und die – durch ein entsprechendes Gutachten bestätigte – Auffassung der Beklagten, dass die eingereichte Arbeit keine selbstständige wissenschaftliche Leistung darstelle, sei zutreffend.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzziel weiter.
II.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des streitgegenständlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Insoweit nimmt der Senat zunächst Bezug auf die zutreffenden Gründe des verwaltungsgerichtlichen Urteils und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf das Antragsvorbringen zu bemerken:
a) Der Entzug der Promotion ist keine – gemessen an Art. 28 Abs. 5 BayHSchG – fehlerhafte Eilentscheidung des Dekans, denn eine „Entscheidung in einer unaufschiebbaren Angelegenheit“ im Sinne dieser Vorschrift hat es nicht gegeben. Gemäß Art. 28 Abs. 5 BayHSchG kann der Dekan oder die Dekanin im Benehmen mit der Hochschulleitung in unaufschiebbaren Angelegenheiten Entscheidungen und Maßnahmen an Stelle des Fakultätsrats, der unverzüglich zu unterrichten ist, treffen. Die Klägerin selbst räumt ein, dass eine derartige Entscheidung des Dekans in den Akten nicht dokumentiert ist. Lediglich in dem Protokollauszug der Sitzung des Fakultätsrats vom 24. Oktober 2011 (Bl. 158, 159 VA) ist die Rede von „Eilentscheiden“ bzw. einem „Eilentscheid“ des Dekans. Dieser in der Niederschrift ersichtlich untechnisch verwendete Ausdruck (der sich im Gesetz nicht findet) meint indes, wie das Verwaltungsgericht bereits ausführlich dargelegt hat und wie sich aus dem Gesamtkontext der Verwaltungsakten ergibt, allein das Vorgehen des Dekans nach Eingang des anonymen Schreibens mit den u. a. gegen die Klägerin erhobenen Plagiatsvorwürfen im März 2011. Der Dekan (und der Präsident) hatten zur Klärung des Sachverhalts und der erhobenen Anschuldigungen zunächst ein externes Gutachten einholen lassen, sodann die Klägerin angehört (Schreiben vom 13. Oktober 2011) und die Promotionskommission mit der Angelegenheit befasst. Mit diesem Vorgehen zeigten sich die Mitglieder der – für den Entzug einer Promotion zuständigen – Promotionskommission am 24. Oktober 2011 nicht nur einverstanden („Bestätigung der Eilentscheide“), sondern sprachen sich überdies für die Durchführung eines Entziehungsverfahrens („Entzug des Doktorgrades“) aus.
Dagegen ist aus rechtlicher Sicht nichts einzuwenden.
b) Das Entziehungsverfahren begegnet auch keinen rechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Möglichkeit der Akteneinsichtnahme durch die Mitglieder des Promotionsausschusses. Ausweislich des Protokolls der Sitzung des Promotionsausschusses der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg vom 5. November 2012 lagen die relevanten Unterlagen nicht nur zur Einsichtnahme im Dekanat aus und standen im Rahmen der Sitzung zur Verfügung, sondern es wurden überdies im Rahmen der Sitzung die Stellungnahme des Bevollmächtigten der Klägerin und das externe Gutachten verlesen. Die Mitglieder des Promotionsausschusses waren damit ausreichend informiert. Soweit die Klägerin hier im Übrigen den – zusätzlichen – Verweis des Verwaltungsgerichts auf den Rechtsgedanken des Art. 69 BayVwVfG (Grundsatz der eingeschränkten Unmittelbarkeit) für rechtsfehlerhaft hält, weil er nicht für Entscheidungen von Kollegialorganen gelte, übersieht sie, dass es sich bei der Sitzung des Promotionsausschusses nicht um eine mündliche Verhandlung im Sinne von Art. 67 BayVwVfG in einem förmlichen Verfahren gehandelt hat (vgl. zum Ganzen: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 69, 5; § 71, 5).
c) Die Eröffnung des Entziehungsverfahrens erfolgte auch fristgerecht, da die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG gemäß Art. 48 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BayVwVfG hier nicht gilt. Mit dem Verwaltungsgericht ist auch der erkennende Senat der Auffassung, dass die Klägerin ihre Promotionsschrift, anders als sie am 26. Juli 2001 ehrenwörtlich und schriftlich erklärt hat, nicht selbstständig angefertigt und deshalb den Doktorgrad aufgrund arglistiger Täuschung erlangt hat. Ihr Vertrauen auf die Verleihung des Doktorgrades ist deshalb gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BayVwVfG nicht schutzwürdig. Die Behauptung der Klägerin, es habe zumindest die Möglichkeit bestanden, dass nicht sie bei einem früheren Promovenden ihres Doktorvaters abgeschrieben habe, sondern dieser bei ihr, ist nicht nur unsubstantiiert, sondern angesichts des Umstands, dass dieser Promovend bereits im Jahr 1999 promoviert wurde, sie selbst jedoch erst im Dezember 2001, auch unglaubwürdig.
d) Im Übrigen ist die „angebliche Unrechtshandlung“ der Klägerin auch nicht, wie sie meint, „in Anlehnung an straf- oder zivilrechtliche Vorschriften“ verjährt. Art. 48 BayVwVfG stellt insoweit eine – rechtsstaatlich unbedenkliche (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 48, 5) – spezielle Regelung für die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts dar.
2. Auch der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt nicht vor. Dem Verwaltungsgericht ist kein Verfahrensfehler unterlaufen. Wer die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht erhebt, obwohl er – wie die Klägerin – anwaltlich vertreten war und in der Vorinstanz keinen förmlichen Beweisantrag gestellt hat, muss insbesondere darlegen, warum sich dem Tatsachengericht aus seiner für den Umfang der verfahrensrechtlichen Sachaufklärung maßgeblichen materiell-rechtlichen Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in der aufgezeigten Richtung hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 5.3.2010 – 5 B 7.10 – juris Rn. 9 m. w. N.). Die Rüge unzureichender Sachaufklärung stellt kein Mittel dar, um insbesondere das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen in einer mündlichen Verhandlung zu kompensieren. Sind – wie hier – keine förmlichen Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung gestellt worden, so bestimmt das Gericht den Umfang seiner Aufklärung nach seinem pflichtgemäßen Ermessen. Die Grenzen dieses Ermessens überschreitet das Gericht nur, wenn es eine Ermittlung unterlässt, die sich nach den Umständen des Falles von seinem Rechtsstandpunkt aus aufdrängen musste, d. h. wenn die bisherigen Tatsachenfeststellungen seine Entscheidung noch nicht sicher tragen (BayVGH, B.v. 14.10.2015 – 5 ZB 15.804 – juris m. w. N.). Nach diesen Maßstäben musste es sich dem Verwaltungsgericht nicht aufdrängen, weitere Beweise zu erheben. Denn für das Gericht reichten die festgestellten tatsächlichen Anhaltspunkte (Zitate der Klägerin in ihrer Promotionsschrift, aus den Akten ersichtlicher zeitlicher Ablauf der Promotionsverfahren) zur Rechtfertigung der Annahme aus, die Klägerin habe bei dem früheren Promovenden ihres Doktorvaters abgeschrieben und nicht umgekehrt. Damit setzt sich der Zulassungsantrag in keiner Weise auseinander.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 3 und § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 18.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt bei Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014).
Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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