Verwaltungsrecht

Erfogloser Berufungszulassungsantrag eines Staatsangehörigen aus Somalia wegen fehlender substantiierter Darlegung eines Berufungszulassungsgrundes

Aktenzeichen  20 ZB 17.30683

Datum:
7.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 132495
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1, § 78 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5 S. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Bei einer sog. kumulativen Mehrfachbegründung muss ein Berufungszulassungsgrund hinsichtlich jedes Begründungsstranges dargelegt werden und vorliegen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Erfüllung der Darlegungsanforderungen bzgl. der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob dem Kläger wegen eines bewaffneten innerstaatlichen Konfliktes in seiner Herkunftsregion allein aufgrund seiner Anwesenheit dort ein so hoher Grad an willkürlicher Gewalt droht, um einen ernsthaften Schaden wegen erheblicher individueller Gefahren für Leib oder Leben anzunehmen, muss das Bestehen eines bewaffneten innerstaatlichen Konfliktes und auch die sog. konkreten Gefahrendichte dargetan werden. (Rn. 4 – 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 16.32818 2017-05-04 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. Mai 2017 (Az. Au 2 K 16.32818) bleibt ohne Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung hinsichtlich keiner der vom Kläger formulierten Fragen vorliegt bzw. schon nicht entsprechend den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Nr. 4 AsylG dargelegt wurde.
1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache, wenn eine vom Rechtsmittelführer aufgezeigte konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und damit in einem Berufungsverfahren klärungsfähig sowie klärungsbedürftig ist. Ferner muss der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukommen. Die nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG für die Zulässigkeit des Zulassungsantrags gebotene Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). „Darlegen“ bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis. Etwas „darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90/91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
a) Der Kläger hält für grundsätzlich bedeutsam die Frage,
ob im Hinblick auf die in Somalia und insbesondere die Herkunftsregion des Klägers Afgooye (Lower Shabelle) entstehenden, nur sehr schwach ausgeprägten bzw. fehlenden staatlichen Strukturen wegen der hohen Zahl der Attentate durch die al Shabaab-Miliz an die Zivilbevölkerung und staatliche Funktionsträger ausgehende Gewalt davon auszugehen ist, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Somalia bzw. seiner vorgenannte[n] Heimatregion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG im Sinne subsidiären Schutzes droht.
Der Kläger hat jedoch nicht dargelegt, weshalb diese Frage über die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Gefahrendichte hinaus (weiteren) Klärungsbedarf aufwirft. Das Verwaltungsgericht hat zur Sicherheitslage in der Heimatregion des Klägers, Afgooye/Lower Shabelle in Somalia, unter Bezugnahme auf verschiedene Erkenntnismittel ausgeführt (Urteilsabdruck S. 13), dass dort zwar von immer wieder vorkommenden bewaffneten Auseinandersetzungen mit Al Shabaab berichtet werde, jedoch die weit überwiegende Anzahl der Opfer unter den Angehörigen der Sicherheitskräfte zu beklagen sei. Vorwiegendes Ziel der Attacken seien nach übereinstimmenden Berichten Militäreinrichtungen und Polizeistationen. In Auswertung dieser Erkenntnislage und in Relation zur Gesamtbevölkerung in Afgooye von knapp 80.000 Einwohnern bzw. 135.000 Einwohnern im Bezirk Afgooye sei nicht festzustellen, dass praktisch jede Zivilperson bei Rückkehr allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz Unter-Shabelle einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei.
Demgegenüber verweist der Kläger auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts München, in der unter Verweis auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Somalia vom 1. Dezember 2015 ausgeführt werde, dass „allenfalls“ in Süd- und Zentralsomalia nach wie vor von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auszugehen sei. Dort herrsche in vielen Gebieten Bürgerkrieg und die somalischen Sicherheitskräfte kämpften mit Unterstützung der Militärmission der afrikanischen Union gegen die radikal islamistischen, al-Qaida affiliierten al-Shabaab Milizen. Dies genügt jedoch nicht zur Darlegung eines über die Feststellungen des Erstgerichts im vorliegenden Falle hinausgehenden Klärungsbedarfs. Denn zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob in der Herkunftsregion des Klägers infolge eines dort stattfindenden bewaffneten innerstaatlichen Konfliktes ein so hoher Grad an willkürlicher Gewalt herrscht, dass diesem allein aufgrund seiner Anwesenheit dort ein ernsthafter Schaden aufgrund erheblicher individueller Gefahren für Leib oder Leben droht, ist neben der Darlegung des Bestehens eines bewaffneten innerstaatlichen Konfliktes auch erforderlich darzulegen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für jede Einzelperson ist, Opfer eines solchen Vorfalls zu werden (sog. Gefahrendichte). Unabhängig davon, ob die individuelle Bedrohungssituation auf persönliche Umstände oder ausnahmsweise auf die allgemeine Lage im Herkunftsland zurückgeht, sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem jeweiligen Gebiet zu treffen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. In beiden Konstellationen ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die dort von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen verübt werden, notwendig (sog. Bodycount, vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33). Es bedarf zudem einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung unter Berücksichtigung der medizinischen Versorgungslage (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33; U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24). Dieser Rechtsprechung hat sich der Senat in mittlerweile ständiger Rechtsprechung angeschlossen (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 28.3.2017 – 20 B 15.30204 – juris Rn. 23; U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn 26). Dem gegenüber lässt die von dem Kläger zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichts München einen derartigen quantitativen Vergleich vermissen und geht pauschal aufgrund des angenommenen Konfliktes mit einer gewissen Intensität vom Vorliegen der erforderlichen Gefahrendichte aus. Sie eignet sich daher nicht zur Darlegung eines weiteren Klärungsbedarfs der aufgeworfenen Frage.
Des Weiteren fehlt es auch an einer Darlegung, weshalb der Annahme des Erstgerichts, dass dem Kläger eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mogadishu offen stehe, grundsätzliche Bedeutung zukommt. Bei einer sogenannten kumulativen Mehrfachbegründung muss jedoch hinsichtlich jedes Begründungsstranges ein Zulassungsgrund dargelegt sein und vorliegen, um dem Antrag auf Zulassung der Berufung zum Erfolg zu verhelfen (Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 580 ff.).
b) Des Weiteren wirft der Kläger als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,
ob dem Kläger nach mehrjähriger Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Somalia bzw. in seine Heimatregion Afgooye (Lower Shabelle) ein deutlich höheres Risiko, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden [zu ergänzen: droht], als eine[r] mit den örtlichen Verhältnissen vertraute[n] Person und der Kläger deshalb einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt wäre.
Auch hinsichtlich dieser Frage ist die Entscheidungserheblichkeit und damit die Klärungsfähigkeit nicht dargelegt, weil das Verwaltungsgericht kumulativ auf die Erwägung abgestellt hat, dass dem Kläger in Mogadishu eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe.
c) Schließlich hält der Kläger noch die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
ob der Kläger wegen seiner endgültigen Zugehörigkeit zum Stamm der Tumal, die in Somalia ein wenig angesehener Stamm an der unteren sozialen Grenze ist [richtig wohl: sind], für den Fall einer Rückführung nach Somalia außerhalb seines Stammes in der Region Afgooye einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Gefahr der Nichtsicherung seiner existenziellen Grundbedürfnisse wie Wohnung, Nahrung, staatliche Unterstützung, medizinische Versorgung und somit einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt ist.
Diese Frage ist jedoch nicht entscheidungserheblich. Denn das Verwaltungsgericht hat bei seiner Rückkehrprognose im Rahmen der Prüfung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG maßgeblich darauf abgestellt, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Somalia nicht auf sich alleine gestellt wäre. Denn nach seinen Angaben lebt in Afgooye noch ein Onkel mütterlicherseits und in Mogadishu der Schwager des Klägers. Damit kam es für das Verwaltungsgericht auf die vom Kläger aufgeworfene Frage nicht entscheidungserheblich an. Die Einschätzung der individuellen Verhältnisse des Klägers und der darauf aufbauenden Gefahrenprognose im Falle der Rückkehr in das Herkunftsland ist dem gegenüber Gegenstand der richterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Erstgerichts nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und als solche einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Sachverhaltswürdigung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind hingegen kein Zulassungsgrund im Asylprozess (vgl. § 78 Abs. 3 AsylG).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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