Verwaltungsrecht

Erfolglose Anhörungsrüge gegen den einen Antrag auf Zulassung der Berufung zurückweisenden Beschluss; Anforderungen an eine Divergenzberufung

Aktenzeichen  11 ZB 16.1617

Datum:
30.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 103 Abs. 1
BV BV Art. 91 Abs. 1
VwGO VwGO § 86 Abs. 3, § 124 Abs. 2 Nr. 4, § 152a

 

Leitsatz

Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, seine Entscheidung nur auf Tatsachen oder Beweisergebnisse zu stützen‚ zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, sowie deren rechtzeitige und möglicherweise erhebliche Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie aus verfahrens- oder materiellrechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben müssen oder können (Anschluss an BayVerfGH BeckRS 2015, 52903; vgl. auch BVerfG BeckRS 9998, 151906). (redaktioneller Leitsatz)
Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ergibt sich keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts, insbesondere muss ein Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (Anschluss an BVerwG 2016, 50334 Rn. 3 mwN; stRspr). (redaktioneller Leitsatz)
Eine Divergenzberufung iSv § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO setzt, soweit sie auf die Abweichung von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts gestützt werden kann, eine Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung des dem Verwaltungsgericht übergeordneten Oberverwaltungsgerichts voraus; Abweichungen von Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte erfüllen den Zulassungsgrund nicht (ebenso OVG Magdeburg, Beschl. v. 17.07.2012 – 2 L 117/10; OVG Münster BeckRS 2007, 21841; VGH Mannheim BeckRS 9998, 30341). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 ZB 16.299 2016-07-18 Bes VGHMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Anhörungsrüge der Klägerin wird zurückgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Senats vom 18. Juli 2016 (11 ZB 16.299), mit dem der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 1. Dezember 2015 (M 23 K 15.666) abgelehnt wurde, ist unbegründet. Aus den Darlegungen der Klägerin in dem Schriftsatz vom 16. August 2016 ergibt sich nicht, dass der Senat bei der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hätte (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 6 VwGO).
Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, seine Entscheidung nur auf Tatsachen oder Beweisergebnisse zu stützen‚ zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO), sowie deren rechtzeitige und möglicherweise erhebliche Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie aus verfahrens- oder materiellrechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben müssen oder können (vgl. BayVerfGH, E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 44 m. w. N.). Ein Gehörsverstoß kann auch in der Verletzung von Verfahrensvorschriften liegen, die der Wahrung des rechtlichen Gehörs dienen (BVerfG, B.v. 29.11.1991 – 1 BvR 729/91 – juris; BayVGH, B.v. 30.6.2009 – 1 ZB 07.3431 – juris Rn. 17).
Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 91 Abs. 1 BV sind allerdings nur dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seinen Pflichten nicht nachgekommen ist. Im Berufungszulassungsverfahren ist dabei zu berücksichtigen, dass der Antrag nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen ist und der Verwaltungsgerichtshof nur die fristgerecht dargelegten Gründe prüft. Die Antragsbegründung kann nach Ablauf der Begründungsfrist zwar noch ergänzt werden, der Vortrag neuer oder bisher nicht ausreichend dargelegter Zulassungsgründe ist nach Ablauf der Frist aber nicht mehr möglich und wird nicht mehr gehört (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 53).
Gemessen daran, muss die Anhörungsrüge erfolglos bleiben. Die Klägerin rügt, der Senat habe nicht rechtzeitig darauf hingewiesen, dass die beabsichtigte Umstellung der Klage im Berufungsverfahren von einer Anfechtungsklage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage innerhalb der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung angekündigt und das Bestehen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresse ebenfalls innerhalb dieser Frist dargelegt werden muss.
Damit zeigt die Klägerin keinen Gehörsverstoß auf, denn aus dem Prozessgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG folgt keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts (vgl. BVerwG, B.v. 15.7.2016 – BVerwG 5 P 4.16 – www.bverwg.de Rn. 3 m. w. N.; B.v. 16.8.2011 – 6 B 18/11 – juris Rn. 9) und eine prozesstaktische Hilfestellung zugunsten eines Verfahrensbeteiligten verbietet sich ohnehin (vgl. Stuhlfauth in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth u. a., Verwaltungsgerichtsordnung, 6. Aufl. 2014, § 86 Rn. 47; Breunig in BeckOK VwGO, § 86 Rn. 94). Insbesondere muss ein Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (BVerwG a. a. O. Rn. 3 m. w. N.). Ein Hinweis unmittelbar nach Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung vor Eingang der Antragsbegründung an die von einem rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertretene Klägerin wäre aus Gründen der Neutralität des Gerichts unzulässig gewesen. Ein Hinweis nach Eingang der Antragsbegründung innerhalb noch offener Begründungsfrist war zum einen nicht möglich, denn die Antragsbegründung ist erst am letzten Tag der Frist um 19.26 Uhr per Telefax beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangen. Zum anderen besteht aber auch keine Verpflichtung des Gerichts, unmittelbar nach Eingang der Zulassungsbegründung und noch vor Eingang der Antragserwiderung des Beklagten bei einem anwaltlich vertretenen Prozessbeteiligten auf offensichtliche Umstände, nämlich die Erledigung der Fahrtenbuchauflage durch Zeitablauf, oder auf die Rechtsauffassung des Gerichts, dass die Umstellung in eine Fortsetzungsfeststellungsklage innerhalb der Frist zur Begründung des Berufungszulassungsantrags anzukündigen ist, hinzuweisen.
Darüber hinaus macht die Klägerin geltend, der mit Schreiben vom 30. Mai 2016 erfolgte Hinweis des Gerichts, mit dem sie gebeten wurde, angesichts der Erledigung der Fahrtenbuchauflage durch Zeitablauf die notwendigen prozessualen Konsequenzen zu ziehen, sei nicht nachvollziehbar, wenn die Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungklage dann als verspätet angesehen würde. Dabei übersieht sie, dass ihr der Senat mit dem Hinweis nicht angeraten hat, ihre Klage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umzustellen und dass sie den Berufungszulassungsantrag auch hätte zurücknehmen oder hinsichtlich der Fahrtenbuchauflage für erledigt erklären können. Der Senat hat mit seinem Schreiben vom 30. Mai 2016 ausdrücklich auf seine Entscheidung vom 3. September 2015 (11 ZB 15.1104 – juris) hingewiesen, aus der ersichtlich ist, dass nach seiner Rechtsauffassung die Umstellung in eine Fortsetzungsfeststellungklage innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfolgen muss. Im Übrigen hat der Senat unter 3. des Beschlusses auch hilfsweise Ausführungen zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse gemacht und festgestellt, dass dieses ohnehin nicht hinreichend dargelegt wurde.
Soweit die Klägerin meint, der gerichtliche Hinweis vom 30. Mai 2016 sei auch nur teilweise rechtskonform gewesen, da bezüglich der Kostenentscheidung im Bescheid gerade keine Erledigung eingetreten sei und auch damit sei die Hinweispflicht des § 86 Abs. 3 VwGO und ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, kann dem nicht gefolgt werden. Der Hinweis bezog sich ausdrücklich nur auf die Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs und hat die Kostenentscheidung des Bescheids nicht in Bezug genommen.
Auch die Auffassung der Klägerin, der Senat habe übersehen, dass hinsichtlich der Kostenentscheidung im Bescheid ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehe, kann ihrer Anhörungsrüge nicht zum Erfolg verhelfen. Sie übersieht dabei, dass sich, so wie sie bei ihrer vorherigen Rüge zutreffend ausgeführt hat (s.o.), nur die Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs, nicht aber die Kostenentscheidung im Bescheid durch Zeitablauf erledigt hat. Damit bestand kein Bedürfnis, den Zulassungsantrag hinsichtlich der Kostenentscheidung in einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umzustellen und der Senat hat den Schriftsatz vom 8. Juli 2016 auch nicht dahingehend ausgelegt.
Soweit die Klägerin unter Nummer 4 des Schriftsatzes vom 16. August 2016 noch hilfsweise darauf hinweist, die Kostenentscheidung im Bescheid habe sich nicht erledigt und deshalb sei die Berufung diesbezüglich zuzulassen, der Senat habe aber nicht zwischen den verschiedenen Nummern des Bescheids differenziert, wendet sie sich damit gegen die materielle Entscheidung. Unabhängig davon, dass der Senat zwischen den Nummern 1 und 3 des Bescheids getrennt hat und unter 4. des Beschlusses umfangreiche Ausführungen hinsichtlich der Zulassung der Berufung alleine gegen die Kostenentscheidung des Bescheids gemacht hat, ist damit eine Gehörsverletzung nicht hinreichend dargetan.
Der Senat hat auch hinsichtlich des Zulassungsgrundes der Abweichung von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO kein entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin unberücksichtigt gelassen. Sämtliche von ihr genannten Entscheidungen sind nicht von einem der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte erlassen worden, denn davon sind nur Entscheidungen des dem Verwaltungsgericht übergeordneten Oberverwaltungsgerichts erfasst (Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 45). Abweichungen von Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte rechtfertigen die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht (Happ a. a. O. Rn. 45). Ein näheres Eingehen auf die von der Klägerin genannten Entscheidungen war daher nicht veranlasst.
Die Kosten der erfolglosen Anhörungsrüge sind gemäß § 154 Abs. 1 VwGO der Klägerin aufzuerlegen. Die Höhe der Gerichtsgebühr ergibt sich unmittelbar aus Nr. 5400 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes; einer Streitwertfestsetzung bedarf es daher nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben