Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines ägyptischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  W 8 K 18.30541

Datum:
8.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28892
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a Abs. 1
AsylG § 3, § 3e, § 4, § 25, § 28 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Koptischen Christen droht in Ägypten keine Gruppenverfolgung. (Rn. 18 – 26)  (redaktioneller Leitsatz)
2 Tätowierungen (hier: kleines koptisches Kreuz auf der Unterseite des Handgelenks) und das offene Tragen von religiösen Schmuck ist unter Christen in Ägypten weit verbreitet und wirkt nicht gefahrerhöhend. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die – mit Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) – entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht ist insbesondere auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Ägypten politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Ein Ausländer darf gemäß §§ 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.
Dem Kläger als koptischen Christen droht in Ägypten keine Gruppenverfolgung. Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt voraus, dass entweder sichere Anhaltspunkte für ein an asylerhebliche Merkmale anknüpfendes staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen oder eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegt, welche die Regelvermutung einer Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr um vereinzelte bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (VG Saarland, U.v. 24.4.2018 – 3 K 1226/17 – juris m.w.N.).
Daran mangelt es. Koptische Christen machen etwa 10% der ägyptischen Gesellschaft aus (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten vom 14.4.2018, Stand: März 2018, S. 7 f.). Koptische Christen unterliegen zwar einer gewissen Diskriminierung in Ägypten. Es fehlt aber jedenfalls für die Annahme einer Gruppenverfolgung an der erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte. Das Gericht geht aufgrund der vorliegenden ins Verfahren eingeführten Erkenntnisse davon aus, dass die Verfolgung christlicher Kopten in Ägypten jedenfalls nicht die von der Rechtsprechung verlangte Verfolgungsdichte aufweist, die zu einer Gruppenverfolgung und damit der Verfolgung eines jeden Mitglieds führt (vgl. zum Ganzen VG Saarland, U.v. 24.4.2018 – 3 K 1226/17 – juris m.w.N.).
Das Gericht geht anhand der Erkenntnisquellen von folgender Lage in Ägypten aus:
Kopten, die etwa 10% der ägyptischen Gesellschaft ausmachen und in ihrer eigenen Wahrnehmung keine Minderheit darstellen, sind Opfer vielfacher Diskriminierungen, die oft auch in Gewalt münden. Insbesondere während der Welle der Gewalt im August 2013, die seit Mai 2016 wieder aufflammte, wurden koptische Kirchen attackiert und Christen ermordet. Die Sicherheitskräfte griffen kaum ein. Auch in einem Kirchenbaugesetz besteht Raum für Diskriminierung. Außerdem sind Kopten oftmals im Staatsdienst nicht gleichberechtigt aufgenommen. Dem Staatspräsident wird zuerkannt, dass er sich für den Schutz der christlichen Minderheiten einsetzt. 2015 wurden einzelne christliche Kirchen angegriffen und das Eigentum von Kopten zerstört. Besonders in Oberägypten kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, deren Ursache häufig in Streitigkeiten auf lokale Ebenen liegen und bei denen oft kein genügender Schutz durch Sicherheitskräfte gewährleistet ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asylabschiebungsrelevante Lage in Ägypten vom 14.4.2018, Stand: März 2018, Seite 7 f., 11).
Die Lage der Christen hat sich in den letzten Jahren jedoch gebessert, ein Umstand, der auch vom koptischen Papst bestätigt wird. In den vergangenen 12 Monaten gab es keinen größeren Anschlag auf christliche Einrichtungen. Der Staat bemüht sich erkennbar, Kirchen und christliche Institutionen durch die Sicherheitskräfte zu schützen. Jedoch kommt es besonders in Oberägypten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, deren Ursache häufig in Streitigkeiten auf lokale Ebene liegen. Dabei kommt es regelmäßig zur strukturellen Benachteiligung und Diskriminierung der Christen. Die Regierung bemüht sich erkennbar, Christen vor Gewalt und Diskriminierung zu schützen. Diskriminierung und Verfolgung geschieht überwiegend durch Dritte und auf lokaler Ebene. Christen sind überproportional von der Anwendung des Straftatbestandes der Blasphemie betroffen. Dieser wird jedoch nicht flächendeckend angewandt. Insgesamt unterstützt eine deutliche Mehrheit der Kopten, nicht nur die wirtschaftliche Erfolgreichen, die derzeitige Regierung Al-Sisi. Dem Staatspräsident wird zuerkannt, dass er sich für den Schutz der christlichen Minderheiten einsetzt. Christen in Oberägypten sind stärker von Übergriffen betroffen als Bewohner großer Städte. Christen sind vermehrt Diskriminierungen durch Dritte ausgesetzt. Im Einzelfall können die Übergriffe gewalttätig sein. Die Regierung bemüht sich seit 2014 öffentlichkeitswirksam um den Schutz der Christen. Die Gefahr, Opfer von Übergriffen zu werden, variiert je nach Region. In großen Städten können Christen, besonders in der Mittel- und Oberschicht, ohne größere Einschränkungen leben. Ländliche Regionen, besonders Oberägypten, sind stärker von verbalen und gewalttätigen Übergriffen betroffen, deren Ursache häufig in Streitigkeiten auf lokaler Ebene liegt. Tätowierungen und das – auch offene – Tragen von religiösem Schmuck sind grundsätzlich weit verbreitete Praxis unter Christen in Ägypten (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Würzburg vom 29.8.2018).
In der Vergangenheit wurden wiederholt christlich-koptische Kirchen Ziel von terroristischen Anschlägen. Besonders in Oberägypten kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Christen und Angehörige anderer religiöser Minderheiten sind vor allem in ländlichen Gebieten immer wieder Gewaltakten und Einschüchterungen aus den Reihen der muslimischen Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt, wobei ein genügender Schutz durch die Sicherheitsbehörden nicht gewährleistet ist. 90% aller Ägypter sind Muslime. Ca. 9% gehören der orthodoxisch-ägyptischen koptischen Kirche an und ca. 1% gehören anderen christlichen Konfessionen an (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Ägypten vom 16.4.2018, S. 9 und 21 ff.; vgl. näher zu Diskriminierungen von und Übergriffe gegen Christen: Amnesty International, Report 2018, Länderbericht „Ägypten“; Accord, Anfrage-Beantwortung zu Ägypten: Information zur Lage von KoptInnen; staatlicher Schutz vom 6.7.2017; Human Rights Watch vom 31.5.2017 m.w.N.; siehe auch noch bestätigend – ohne ausdrückliche vorherige Einführung ins Verfahren – Accord, Anfrage-Beantwortung zu Ägypten: Lage der koptischen ChristInnen; Anerkennung von Ehen von KoptInnen und MuslimInnen vom 20.8.2018).
Ausgehend von der Auskunftslage bleibt weiter festzuhalten, dass koptische Christen ihren Wohnort innerhalb des Landes wechseln können. So kann insbesondere ein Umzug in Landesteile oder Ballungsräume, in denen der christliche Glauben weitgehend unbehelligt ausgeübt werden kann, die andernorts, insbesondere in Oberägypten, bestehende höhere Gefahr verringern (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Würzburg vom 29.8.2018; Auskunft an das VG Köln vom 29.5.2017; Auskunft an das VG Düsseldorf vom 20.1.2017; Human Rights Watch vom 31.5.2017).
Dies gilt auch für den nicht ortsgebundenen Kläger. Selbst bei Annahme einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung in Gestalt des vom Kläger berichteten Schläge und Diskriminierungen in der Schulzeit und die Vertreibung seiner Eltern aus dem Heimatort in der Vergangenheit besteht zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine verfolgungsrelevante Rückkehrergefährdung. Die Situation in Ägypten hat sich in Bezug auf die Sicherheit koptischer Christen seit der Absetzung des ehemaligen Präsidenten im Juli 2013 grundlegend verändert. Der jetzige Präsident ist bemüht die gesellschaftliche Diskriminierung der koptischen Christen zu bekämpfen und setzt sich dafür ein, dass sie ungestört ihre Religion ausüben können. Die Muslimbruderschaft ist mittlerweile als Terrororganisation klassifiziert. Der ägyptische Staat hat auch auf die Anschläge auf koptische Christen reagiert und deren Schutz erhöht. Insofern ist die ägyptische Regierung durchaus gewillt, Christen zu schützen, wenn auch ein lückenloser Schutz insbesondere vor Terroristen nicht zu erreichen ist. Gerade die eigens in diesem Verfahren eingeholte, aktuellste Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. August 2018 an das VG Würzburg betont, dass sich die Lage der Christen gebessert hat und dass es in den letzten zwölf Monaten keinen größeren Anschlag gegeben hat. Darüber hinaus wird ausgeführt, dass Streitigkeiten insbesondere auf lokaler Ebene liegen. Des Weiteren wird betont, dass Bewohner von Oberägypten stärker von Übergriffen betroffen sind als Bewohner großer Städte. Auch wenn es vermehrt zu Diskriminierungen kommt, sind gewalttätige Übergriffe nur Einzelfälle. Die Gefahr, Opfer von Übergriffen oder auch Anschlägen zu werden, variiert nach Regionen. In großen Städten können Christen, besonders in der Mittel- und Oberschicht, ohne größere Einschränkungen leben. Auch das offene Tragen von religiösen Symbolen ist in Ägypten weit verbreitete Praxis. Insbesondere in Ballungsräumen leben zahlreiche Kopten und andere Christen weitgehend normal und unbehelligt (vgl. schon Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Köln vom 29.5.2017). Konfessionsbezogene Übergriffe ereignen sich häufiger in Ober- und Mittelägypten. Im Stadtgebiet ist die Wahrscheinlichkeit, dass Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen ausbrechen, niedriger und Christen sind im Allgemeinen frei in der Ausübung ihres Glaubens. Die Lage der koptischen Christen und auch der Rückkehrer variiert von ihrem Aufenthalt und ihrer individuellen Situation. In Kairo und Alexandria haben koptische Christen die Freiheit, ihren Glauben in allgemeiner Sicherheit zu praktizieren (Human Rights Watch vom 31.5.2017).
Vor diesem Hintergrund folgt das Gericht der ganz überwiegenden Ansicht, dass eine Gruppenverfolgung koptischer Christen in Ägypten nicht gegeben ist. Denn bei einer Anzahl von ca. 10% christlicher Bevölkerung, also 9,2 Millionen Kopten, in Ägypten kann nicht festgestellt werden, dass die Übergriffe auf koptische Christen so zahlreich sind, dass für jeden Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft eine begründete Furcht besteht, in eigener Person Opfer von Übergriffen zu werden (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2018 – 15 ZB 18.32419 – juris; VG Saarland, U.v. 24.4.2018 – 3 K 1226/17 – juris; VG Augsburg, U.v. 20.3.2018 – AU 6 K 17.34310 – juris; VG Minden, U.v. 13.3.2018 – 10 K 955/16.A – juris; VG Berlin, U.v. 20.2.2018 – 32 K 79.17 A – juris; U.v. 15.2.2018 – 32 K 266.17 A; VG Münster, U.v. 15.1.2018 – 9 K 2580/16.A – juris; BayVGH, B.v. 6.11.2017 – 15 ZB 17.31023 – juris; VG Düsseldorf, U.v. 23.10.2017 – 12 K 12697/17.A – asylnet; U.v. 3.7.2017 – 12 K 463/16.A – juris).
Das Gericht ist des Weiteren auch nicht davon überzeugt, dass dem Kläger aufgrund seiner individuellen Situation nunmehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche Verfolgung erneut droht, selbst wenn man sein Vorbringen als wahr unterstellt. Seit den Schlägen und der Diskriminierung in der Schulzeit hat ein Regierungswechsel stattgefunden. Weitere ihn persönlich betreffende Vorfälle nach der Schulzeit wusste der Kläger nicht zu berichten. Der Kläger hat auch nicht berichtet, dass nach seiner Ausreise im Hinblick auf seine Person Druck auf seine Eltern ausgeübt worden wäre.
Des Weiteren sieht das Gericht auch das an seinem linken Nacken tätowierte ca. 10 cm große koptische Kreuz nicht als grundlegend gefahrerhöhend an. Denn in der eigens auch dazu eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. August 2018 ist ausdrücklich vermerkt, dass Tätowierungen und das – offene – Tragen von religiösen Schmuck grundsätzlich weitverbreitete Praxis unter Christen in Ägypten ist. So ist insbesondere die Tätowierung eines kleinen koptischen Kreuzes auf der Unterseite des Handgelenks unter koptischen Christen sehr weit verbreitet (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 29.8.2018 an das VG Würzburg). Vor diesem Hintergrund sieht es das Gericht grundsätzlich als nicht wesentlich gefahrerhöhend an, dass der Kläger auch äußerlich als Christ erkennbar ist. Sollte der Kläger – was das Gericht ihm aber nicht unterstellen will – eine reale Verfolgungsgefahr ohne Not provoziert haben, stünde § 28 Abs. 2 AsylG ohnehin einer Flüchtlingsanerkennung im Wege. Jedenfalls hat der Kläger – wie nachfolgend näher ausgeführt wird – die Möglichkeit, eventuelle Gefahren zu minimieren.
Dem Kläger ist so schon entgegenzuhalten, dass er sich erforderlichenfalls auf staatlichen Schutz (§ 3d AsylG) verweisen lassen muss. Dass der Staat dazu nicht willens oder nicht in der Lage ist, kann derzeit nicht angenommen werden. Die Situation hat sich laut der oben zitierten Auskunftslage seit der Absetzung des ehemaligen Präsidenten Mursi grundlegend verändert. Die ägyptische Regierung reagiert auch auf Übergriffe und terroristische Anschläge reagiert und zeigt so, dass sie Christen grundsätzlich schützen will und im Grunde nach auch schutzfähig ist, wobei lückenloser Schutz nicht verlangt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2018 – 15 ZB 18.32419 – juris).
Abgesehen davon besteht für den Kläger jedenfalls eine inländische Fluchtalternative. Wie die oben zitierten Erkenntnisquellen (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Würzburg vom 29.8.2018; Auskunft an das VG Köln vom 29.5.2017; Auskunft an das VG Düsseldorf vom 20.1.2017; Human Rights Watch vom 31.5.2017) belegen, gibt es in Ägypten Landesteile bzw. Gebiete, insbesondere auch in den Großstädten, in denen Übergriffe auf Christen deutlich geringer sind als etwa in Oberägypten. Etwa in Kairo und Alexandria steht dem Kläger eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, die er sich entgegenhalten muss (vgl. § 3e Abs. 1 AsylG). Das Gericht ist der Überzeugung, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Ägypten, jedenfalls in den Großstädten wie Kairo oder Alexandria usw., keiner Verfolgung ausgesetzt wäre. Der Kläger kann ohne Schwierigkeiten an diese sichereren Orte gelangen und dort auch – jedenfalls mit Hilfe seiner Verwandten – seine Existenzminimum sichern, zumal er sich durch seine Bildung bzw. seine Ausbildung in Deutschland zusätzlich qualifiziert hat. In Stadtgebieten bzw. in überwiegend christlichen Stadtteilen ist die Wahrscheinlichkeit, dass Auseinandersetzungen zwischen Konfessionen ausbrechen, niedriger. Christen sind im Allgemeinen frei, in der Ausübung ihres Glaubens, auch wenn in vielen Gemeinden die Gottesdienste in inoffiziellen Kirchen stattfinden mögen. Gerade in Kairo und Alexandria haben koptische Rückkehrer die Freiheit, ihren Glauben in allgemeiner Sicherheit zu praktizieren, so dass der Kläger seinen Glauben auch unbehelligt ausüben kann. Schließlich haben die terroristischen Anschläge in den größeren Städten Ägyptens auch nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, eine inländische Fluchtalternative bzw. ein interner Schutz stünde dort nicht mehr zur Verfügung. Die Angriffe sind dort allenfalls punktuell und rückläufig (vgl. ebenso BayVGH, B.v. 5.10.2018 – 15 ZB 18.32419 – juris; VG Saarland, U.v. 24.4.2018 – 3 K 1226/17 – juris; VG Augsburg, U.v. 20.3.2018 – Au 6 K 17.34310 – juris; VG Berlin, U.v. 20.2.2018 – 32 K 79.17 A – juris; U.v. 15.2.2018 – 32 K 266.17 A – juris; VG Münster, U.v. 15.1.2018 – 9 K 2580/16.A – juris. Andere Ansicht in Einzelfällen, insbesondere bei Familien mit Kindern, VG Minden, U.v. 13.3.2018 – 10 K 955/16.A – juris; VG Düsseldorf, U.v. 23.10.2017 – 12 K 12692/17.A – asylnet; U.v. 3.7.2017 – 12 K 463/16.A – juris).
Eine politische Verfolgung droht dem Kläger auch nicht sonst bei einer Rückkehr, etwa wegen seines Auslandsaufenthalts oder seiner Asylantragstellung in Deutschland. Nach Ägypten zurückkehrende Asylbewerber sind nach der Auskunftslage in der Regel keiner spezifischen Gefährdung aufgrund ihres Asylantrages im Ausland ausgesetzt. Staatliche Maßnahmen als Reaktion auf Asylanträge im Ausland sind nicht bekannt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten vom 14.4.2018, Stand: März 2018, S. 15 und 19; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Ägypten vom 16.4.2018, S. 34). Eine betreffende Strafverfolgung verfolgt überdies jedenfalls keine asylerhebliche Zielsetzung, selbst wenn eine illegale Ausreise, also ein Verlassen des Landes ohne gültige Papiere, mit einer Strafe geahndet werden könnte. Selbst eine drohende Bestrafung wäre weder flüchtlings- noch sonst schutzrelevant (vgl. im Ergebnis ebenso VG Augsburg, U.v. 20.3.2018 – Au 6 K 17.34310 – juris; VG Berlin, U.v. 20.2.2018 – 32 K 79.17 A – juris; U.v. 15.2.2018 – 32 K 266.17 A – juris).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung drohen könnte, und die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung einer Abschiebung nicht entgegenstehen (§ 60 Abs. 6 AufenthG).
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären.
Das laufende Anstellungsverhältnis bzw. die Bäckerlehre stellen kein hier zu beachtendes zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis dar.
Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen – in dem schon ausführlich dargelegt ist, dass das Existenzminimum des Klägers bei einer Rückkehr gesichert ist und Grundversorgung sowie die medizinische Versorgung in Ägypten gewährleistet sind (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten vom 14.4.2018, Stand: März 2018, S. 18 f.; Auskunft vom 20.1.2017 an das VG Düsseldorf; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Ägypten vom 16.4.2018, S. 30 ff.) – und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Kläger ist noch jung und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten, zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu erwirtschaften und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Ägypten noch lebenden Großfamilie sowie auf weitere Hilfemöglichkeiten zurückzugreifen. Zudem hat der Kläger einen Schulabschluss erreicht, der ebenso wie seine Bäckerlehre und seine Berufserfahrung in Deutschland sowie seine erworbenen Deutschkenntnisse bei einer Rückkehr nach Ägypten hilfreich sein können (vgl. ebenso BayVGH, B.v. 5.10.2018 – 15 ZB 18.32419 – juris; B.v. 8.8.2018 – 15 ZB 18.31939 – juris; VG Augsburg, U.v. 20.3.2018 – Au 6 K 17.34310 – juris; VG Berlin, U.v. 20.2.2018 – 32 K 79.17 A – juris; U.v. 15.2.2018 – 32 K 266.17 A – juris; VG Münster, U.v. 15.1.2018 – 9 K 2580/16.A – juris).
Schließlich sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtlich nicht zu beanstanden, insoweit kann auf den streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid Bezug genommen werden.
Zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ist noch anzumerken, dass das vorgebrachte Anstellungsverhältnis als Bäcker und die betreffende Ausbildung ohne Belang sind. Denn bei der Entscheidung über die Fristlänge sind zwar persönliche Belange des Ausländers zu berücksichtigen. Dabei spielen aber nur Interessen eine Rolle, die im Hinblick auf den Zeitpunkt einer Wiedereinreise nach der Aufenthaltsbeendigung von Bedeutung sind, also den Auslandsaufenthalt überdauern. Umgekehrt sind also Nachteile oder Härten nicht in Betracht zu ziehen, wenn sie mit Beendigung des Aufenthalts in einem Zusammenhang stehen und nach einer Ausreise einen abgeschlossenen Sachverhalt darstellen werden (vgl. nur Maor, Beck Online-Kommentar, Ausländerrecht, herausgegeben von Kluth/Heusch, 19. Edition, Stand: 1.8.2018, § 11 AufenthG Rn. 24). Ein Beispiel für eine unerhebliche Härte stellt dementsprechend der Abbruch einer begonnenen Ausbildung oder eines Arbeitsverhältnisses dar. Denn das Aufenthaltsverbot greift erst dann, wenn eine Abschiebung erfolgt ist und damit das Arbeitsverhältnis beendet ist und nicht mehr aufgenommen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 6.4.2017 – 11 ZB 17.30317 – juris). Dem Arbeitsvertrag ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger eine Garantie hat, seine Arbeit für mehrere Monate bzw. sogar Jahre zu unterbrechen, um sie dann erneut aufzunehmen. Abgesehen davon könnte bei einer künftigen Arbeitsplatzgarantie bzw. einer verbindlichen Zusage einer künftigen Arbeitsaufnahme – bei Vorliegen auch aller weiteren Voraussetzungen – die Frist im Nachhinein verkürzt werden. In der vorgelegten Erlaubnis zur Berufsausbildung ist weiter ausdrücklich vermerkt, dass die Genehmigung erlischt, wenn die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über den Asylantrag unanfechtbar geworden ist.
Auch das Vorbringen zum Verhältnis mit einer deutschen Staatsangehörigen macht die Befristung nicht ermessensfehlerhaft. So ist schon festzuhalten, dass die angebliche Verlobung mit einer deutschen Staatsangehörigen nur im Anwaltsschriftsatz vom 10. Juli 2018 erwähnt ist. Der Kläger selbst hat sich in der mündlichen Verhandlung dazu nicht geäußert. Des Weiteren ist im Anwaltsschriftsatz ausdrücklich angeführt, dass der Kläger mit einer Deutschen zwar seit über zwei Jahren liiert sei. Das Paar habe aber erst noch vor, in nächster Zeit die Verbindung offiziell zu machen und zu heiraten. Weder vom Kläger selbst persönlich noch von seiner angeblichen Verlobten liegen dazu konkrete Äußerungen vor, sodass dieser Aspekt nicht erheblich ins Gewicht fällt.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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