Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines afghanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  Au 3 K 16.31296

Datum:
19.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 152152
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG § 3, § 4, § 26a

 

Leitsatz

Ist ein traumatisierendes Erlebnis nicht festgestellt, fehlt es bereits aus diesem Grund an einer tragfähigen Grundlage für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung.  (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Die Anerkennung als Asylberechtigter ist schon deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger von Bulgarien aus auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist ist (vgl. Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylG).
2. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinn von § 3 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG und für die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinn von § 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG liegen nicht vor. Der Kläger hält sich weder aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung außerhalb Afghanistans auf, noch hat er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm in Afghanistan ein ernsthafter Schaden droht. Sein diesbezügliches Vorbringen ist nicht glaubhaft. Vielmehr ist das Gericht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens überzeugt, dass die Verfolgungsgeschichte des Klägers erfunden ist.
Bereits das verfolgungsrelevante Vorbringen des Klägers beim Bundesamt ist in zeitlicher Hinsicht widersprüchlich bzw. nicht stimmig. Der Vorfall, bei dem sein älterer Bruder angeschossen worden sein soll, soll Anfang Sommer des Jahres 2015 gewesen sein. Zu dieser Zeit hat der Kläger sein Heimatland aber bereits verlassen, denn er ist nachweislich am 12. Juli 2015 nach Deutschland eingereist und war insgesamt 45 Tage hierher unterwegs (vgl. Bl. 14, 29 der Bundesamtsakte). Andererseits sind nach den Angaben des Klägers beim Bundesamt nach dem Schuss auf seinen älteren Bruder mindestens zwei Monate vergangen, bis er „auf die Reise gegangen“ ist. Entsprechendes gilt für das Vorbringen des Klägers bei Gericht. Er bestätigte sowohl, dass sein Bruder etwa zwei Monate vor seiner eigenen Ausreise angeschossen worden sei, als auch, dass er etwa 45 Tage von Afghanistan nach Deutschland unterwegs gewesen sei und am 12. Juli 2015 nach Deutschland gekommen sei. Folgerichtig behauptete er zunächst, es sei Frühling gewesen, als sein Bruder angeschossen worden sei, korrigierte sich aber auf Vorhalt dahingehend, dass der Vorfall Ende Frühling/Anfang Sommer gewesen sei. Da der Kläger aber bereits Ende Mai/Anfang Juni ausgereist ist, müsste der Vorfall Ende März/Anfang April gewesen sein, als von Sommer noch keine Rede sein konnte.
Bezeichnenderweise hat die bei Gericht vorgenommene Auswertung der vom Kläger vorgelegten Behandlungszettel und medizinischen Atteste wie bereits beim Bundesamt keinen Hinweis auf eine Schussverletzung ergeben. Soweit der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, eine Ärztin habe den zwei übergebenen Röntgenbildern entnommen, „dass die Kugeln rausgenommen wurden“, handelt es sich um eine klare Schutzbehauptung. Denn der Kläger hat im krassen Widerspruch hierzu einige Zeit später angegeben, die (einzige) Kugel sei in die rechte Hüfte eingedrungen und im oberen Bereich des rechten Beins ausgetreten. Zudem ist sehr zweifelhaft, ob die Person namens … bzw., die in den medizinischen Unterlagen als Patient genannt wird, ein Bruder des Klägers ist. Da der Kläger wie seine Eltern den Hauptnamen … trägt, müssten diesen Namen auch seine Brüder führen, so dass sich der Schluss aufdrängt, dass es sich bei dem genannten Patienten nicht um einen Bruder des Klägers handelt. Des Weiteren hat der Kläger angegeben, sein älterer Bruder sei etwa drei Jahre älter als er, während der genannte Patient mit dem Geburtsdatum … 1995 (nur) zwei Jahre älter als der Kläger ist.
Abgesehen davon täuscht der Kläger offenkundig über seine Identität. Er hat angegeben, dass er aus dem Distrikt … komme und die Hauptstadt dieses Distrikts ebenfalls … heiße. Dieser Distrikt verfügt jedoch nur über 60 Dörfer und das Distriktszentrum liegt im Dorf … Es kann deshalb ausgeschlossen werden, dass der Kläger wie angegeben aus der Provinz … stammt, zumal er die vorgelegte Tazkira bereits nach eigenen Angaben auf einem irregulären Weg ohne persönliche Vorsprache bei der zuständigen Behörde erhalten hat. Zudem ist fraglich, ob er afghanischer Staatsangehöriger ist. Insbesondere die Herkunft der vorgelegten Behandlungszettel und medizinischen Atteste, die ausnahmslos in der pakistanischen Stadt … ausgestellt wurden, lässt auf eine pakistanische Staatsangehörigkeit und Herkunft des Klägers schließen.
Zudem hat der Kläger sein Vorbringen gegenüber der Anhörung beim Bundesamt stark gesteigert. Erst nach Erhalt des ablehnenden Bundesamtsbescheids machte er gegenüber der ihn behandelnden Ärztin und einer Dipl. Psychologin von … geltend, sein Vater sei bereits vor ca. sechs Jahren von Unbekannten ermordet worden. Beim Bundesamt hatte er lediglich erwähnt, dass sein Vater bereits verstorben sei. Seine Einlassung, er habe beim Bundesamt (nur) die Fragen beantwortet, die ihm gestellt worden seien, stellt eine klare Schutzbehauptung dar. Der Kläger wurde beim Bundesamt aufgefordert, die Tatsachen vorzutragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründeten. Daraufhin hat er zwar das angebliche Verfolgungsschicksal seines älteren Bruders ausführlich geschildert, das angebliche Verfolgungsschicksal seines Vaters aber mit keinem Wort erwähnt. Dabei hat er eingeräumt, lange Zeit keine Probleme gehabt zu haben. Dies habe sich erst geändert, als in der Winterzeit des Jahres 1394 bzw. 2015 die Taliban zu ihnen gekommen seien. Diese Angaben wären nicht nachvollziehbar, wenn der Kläger bereits als etwa 13-jähriges Kind mit der Ermordung seines Vaters konfrontiert worden wäre. Zudem hat er beim Bundesamt die Krankheit seines älteren Bruders auch nicht ansatzweise mit dem Tod des Vaters in Verbindung gebracht.
Beim Bundesamt hat der Kläger lediglich davon berichtet, dass die Taliban einmal zu ihnen nach Hause gekommen seien und gefordert hätten, sie zu unterstützen. Bei Gericht behauptete er dagegen, dies sei mehrmals geschehen. Stark gesteigert ist auch das erstmalige Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, die Taliban hätten seinen älteren Bruder durch einen Kopfschuss umbringen wollen, hätten ihn jedoch (nur) an der rechten Hüfte getroffen, weil er aufgestanden sei. Insoweit ist nicht nachvollziehbar, warum die Taliban dann nicht nochmals auf seinen Bruder geschossen haben, um ihr Ziel zu erreichen. Zudem erschließt sich nicht, dass gerade der besonders gefährdete ältere Bruder noch lange Zeit im Heimatdorf bzw. Nachbardorf geblieben ist, ohne dass ihm etwas zugestoßen ist.
3. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.
a) Soweit sich der Kläger auf eine posttraumatische Belastungsstörung beruft, hat er bereits ein traumatisches Lebensereignis als Auslöser nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr ist – wie unter 2. dargelegt – das Gericht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens überzeugt, dass sein diesbezügliches Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Da eine posttraumatische Belastungsstörung nur zum Entstehen kommt, wenn ein (außergewöhnlich) belastendes Ereignis stattgefunden hat, dessen Nachweis bei der fachärztlichen Begutachtung weder zu erbringen noch zu leisten ist, muss das behauptete traumatisierende Ereignis vom Kläger gegenüber dem Tatrichter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 9 ZB 13.30236 – juris Rn. 10 m.w.N.). Da beim Kläger kein traumatisierendes Erlebnis festgestellt werden kann, fehlt bereits aus diesem Grund eine tragfähige Grundlage für die von der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. … erstellte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Der Kurzbericht nach Erstgespräch einer Dipl. Psychologin von … vom 28. Oktober 2016 und der vorläufige Arztbrief eines Assistenzarztes des Bezirkskrankenhauses … vom 31. Oktober 2016 enthalten ohnehin nur vorläufige Diagnosen, wobei in dem Kurzbericht der Dipl. Psychologin nur ein Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt wird.
b) Kann eine posttraumatische Belastungsstörung beim Kläger nicht festgestellt werden, so gilt dies auch für die von der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. … zusätzlich diagnostizierte schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome. Wie die Zeugin ausgeführt hat, handelt es sich hierbei nicht um eine eigenständige Diagnose, sondern um die Diagnose einer Folgeerkrankung, die durch die posttraumatische Belastungsstörung ursächlich bedingt ist. Dies entspricht der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass posttraumatische Belastungsstörungen häufig mit einer Depression verbunden sind (vgl. Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, ICD-10: F43.1 Info).
c) Die vom Kläger erst ca. ein halbes Jahr nach Klageerhebung vorgelegten (fach-)ärztlichen Atteste haben auch aus weiteren Gründen keinen Beweiswert. Denn sie setzen sich nicht mit der Problematik auseinander, dass der Kläger die Symptome für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung erst mehr als ein Jahr nach den angeblich ein Trauma auslösenden Erlebnissen geltend gemacht hat. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 17.07 – juris Rn. 15). Dieser Frage ist insbesondere die als Zeugin vernommene Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. … nicht nachgegangen. Dazu hätte umso mehr Anlass bestanden, als der Kläger die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung erst nach Erhalt des ablehnenden Bundesamtsbescheids geltend gemacht hat und dies, obwohl er bereits vorher wegen Magen- bzw. Oberbauchschmerzen und einer mäßiggradigen chronischen, gering aktiven Typ-B-Gastritis in ärztlicher Behandlung gewesen ist. Gerade der Vergleich zwischen den am 21. Juni 2016 von der Hausärztin Dr. med. … erstellten Diagnosen und den wenige Tage nach der Zustellung des ablehnenden Bundesamtsbescheids von der gleichen Ärztin am 1. August 2016 erstellten Diagnosen zeigt, dass der Kläger sein Vorbringen nicht nur im Hinblick auf das angebliche Verfolgungsschicksal, sondern auch im Hinblick auf seine gesundheitlichen Beschwerden massiv gesteigert hat. Fälschlicherweise wird dem Kläger in dem ärztlichen Attest der Dr. med. … vom 1. August 2016 ein frisches Magengeschwür bescheinigt, obwohl sich bei der vorausgegangenen fachärztlichen Abklärung einschließlich einer pathologischanatomischen Begutachtung ergeben hatte, dass (nur) ein 1 cm großer gutartiger Ulcus im Zwölffingerdarm vorhanden ist und die Dünndarmschleimhaut beim Kläger ohne pathologischen Befund ist. Die späteren Atteste beruhen offenkundig auf diesem hausärztlichen Gefälligkeitsattest, bei dem die Gefahr lebensbedrohlicher Blutungen eines Magenulcus behauptet wird, den es nicht gibt. Dass die angeblichen Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung beim Kläger asyltaktisch motiviert sind, zeigt sich auch daran, dass er sein diesbezügliches Vorbringen trotz einer längeren Behandlungspause nach Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung, die seiner Bevollmächtigten am 2. Oktober 2017 zugestellt wurde, nochmals erheblich gesteigert hat, indem er erstmals Selbstmordversuche und Selbstmordabsichten geltend machte. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch, dass er – wie die Zeugin berichtet hat – dennoch keine Psychotherapie macht.
d) Die Einholung eines psychologischpsychiatrischen Sachverständigengutachtens ist nicht geboten. Da die Feststellung der Wahrheit von Angaben des Asylbewerbers oder der Glaubhaftigkeit einzelner Tatsachenbehauptungen als solche nicht dem Sachverständigenbeweis unterliegt (BVerwG, B.v. 22.2.2005 -1 B 10.05 – juris), würde ein solches Gutachten mangels eines ein Trauma auslösenden Ereignisses keine weiteren entscheidungserhebliche Erkenntnisse bringen können. Abgesehen davon wurde der entsprechende schriftsätzliche Beweisantrag des Klägers erst am 4. Oktober 2017 und damit nicht innerhalb der Frist des § 74 Abs. 2 AsylG gestellt. Die Verspätung wurde nicht genügend entschuldigt. Zudem hätte die beantragte Beweisaufnahme die Erledigung des Rechtsstreits verzögert.
e) Der Kläger ist ein im Wesentlichen gesunder, erwerbsfähiger junger Mann, bei dem erwartet werden kann, dass er seinen Lebensunterhalt in den relativ sicheren Teilen Afghanistans bestreiten kann (vgl. zum Gesundheitszustand des Klägers die ärztliche Beurteilung aufgrund der pathologischanatomischen Begutachtung vom 21.6./22.6.2016 Bl. 57 der VG-Akte). Aus den vorgelegten ärztlichen Attesten ergeben sich keine Einschränkungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit. Zu berücksichtigen ist auch, dass er die Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nehmen kann, die nach dem von Bund und Ländern finanzierten GARP-Programm und dem Europäischen Reintegrationsprogramm „ERIN“ für ausreisepflichtige afghanische und pakistanische Staatsangehörige vorgesehen sind. Zudem gibt es derzeit Hilfen in Form von Sachleistungen im Wert bis zu 1.000,- EUR für Einzelpersonen, wobei die Heimkehrer u.a. Zuschüsse für Miete oder Möbel bekommen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).


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