Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines nigerianischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  M 28 K 17.46465

Datum:
20.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 153547
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
GG Art. 16a

 

Leitsatz

1 In Nigeria fehlt ein flächendeckendes Meldewesen, sodass Verfolger den Asylbewerber nicht ohne Weiteres in anderen Landesteilen auffinden können. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die allgemein schwierige Versorgungslage in Nigeria führt nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Über die Klage konnte trotz Ausbleibens von Vertretern der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden (§ 102 Abs. 2 VwGO). Eine ordnungsgemäße Ladung der Beteiligten zum Termin hat stattgefunden.
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, ihm die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen oder zu seinen Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung (Ziffer 5. des Bescheids) sowie der Befristungsentscheidung (Ziffer 6. des Bescheids) bestehen keine Zweifel.
1.) Zur Begründung wird auf den angegriffenen Bescheid verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist noch auszuführen:
2.) Der Kläger ist kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG:
a) Nach § 3 AsylG ist. ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
b) Bei der vom Kläger behaupteten Verfolgung durch die Familie der Freundin handelt es sich nicht um eine Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG).
c) In Bezug auf die vom Kläger vorgetragene Furcht vor einer Bestrafung durch die nigerianischen (Polizei-)Behörden ist folgendes anzumerken:
Eine Schutzgewährung kommt bei einer befürchteten Bestrafung nur bei einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung in Betracht (§ 3 a Abs. 2 Nr. 3 AsylG).
Die strafrechtliche Verfolgung allgemein geltender Gesetze stellt in der Regel noch keine Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsrechts dar. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei staatlichen Maßnahmen, die allein dem grundsätzlich legitimen staatlichen Rechtsgüterschutz dienen oder die nicht über das hinausgehen, was auch bei der Ahndung sonstiger krimineller Taten ohne politischen Bezug regelmäßig angewandt wird, nicht von (politischer) Verfolgung auszugehen. Eine danach nicht asylerhebliche Strafverfolgung kann aber in politische Verfolgung umschlagen, wenn objektive Umstände darauf schließen ließen, dass der Betroffene eine härtere als die sonst übliche Behandlung erleidet (sog. Politmalus) (vgl. BVerfG, B.v. 4. Dezember 2012 – 2 BvR 2954/09 -, juris, Rn. 24; B.v. 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 -, juris, Rn. 18; B.v. 12. Februar 2008 – 2 BvR 2141/06 -, juris, Rn. 22, VG Düsseldorf, U.v. 23.6.2016 – 6 K 6684/15.A – juris Rn. 60).
Für einen Politmalus oder eine härtere Bestrafung als die sonst übliche (in Anknüpfung an die in § 3 AsylG genannten Gründe) ist vorliegend jedoch nichts ersichtlich.
Gegen einen „Politmalus“ bei einer möglichen Bestrafung des Klägers spricht vielmehr, dass er mit seiner Tat ja die derzeit den Präsidenten und die Mehrheit im nigerianischen Parlament stellende „APC“ unterstützen sollte. Auch bei der vom Kläger angegeben Wahl am 22. Oktober 2013 in E** hat ausweislich Presseberichten die „APC“ gewonnen.
c) Zum Vortrag des Klägers in Bezug auf seine Angaben zum Verfolgungsschicksal und seiner Flucht aus seinem Heimatland ist zudem noch anzufügen:
Es ist einzuräumen, dass entgegen der Ausführungen des Bundesamtes im streitgegenständlichen Bescheid sowie im Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 2. November 2017 am 22. Oktober 2013 Wahlen in E** stattgefunden haben. Dies ergibt sich aus einem Artikel der nigerianischen Zeitung Vanguard News https://www.vanguardngr.com/2013/10/apc-wins-esan-n-east-lg-election-edo/.
Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, warum sich der Kläger nach dem behaupteten Vorfall mit der Wahlurne noch sechs Monate in Nigeria aufgehalten hat, ohne von der Polizei festgenommen oder sonst wie belangt zu werden. Der behauptete Diebstahl der Urne war am 22.10.2013, die Ausreise aus Nigeria erfolgte erst am 27. April 2014, obwohl er – so ergibt es sich zumindest aus seinem Vortrag beim Bundesamtdas Geld für die Ausreise bereits relativ kurze Zeit nach dem Vorfall gestohlen haben will.
Weiter wird, wie auch das Bundesamt zu Recht darlegt, nicht klar, warum der Diebstahl der Wahlurne der Partei „APC“ zu mehr Stimmen habe verhelfen sollen. Der Kläger hat auch nicht die Gelegenheit ergriffen, seinen Vortrag in der mündlichen Verhandlung insoweit zu konkretisieren und zu substantiieren, sondern ist der mündlichen Verhandlung fern geblieben.
Nach alledem ergibt sich keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG (zum Prognosemaßstab vgl. VG Aachen, U.v. 12.5.2017 – 2 K 1387/16.A- juris Rn.31).
3. Eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter scheitert schon an der Einreise des Klägers über einen Mitgliedstaat der Europäischen Union (hier Italien), Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz.
4. Der Kläger ist auch nicht subsidiär schutzberechtigt im Sinne des § 4 AsylG.
Ein Ausländer ist subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Der Kläger hat keine stichhaltigen Gründe im obigen Sinne vorgebracht, dass er in seinem Herkunftsland eine der § 4 genannten Gefahren ausgesetzt ist.
a) In Bezug auf die angegebene Verfolgung durch die Polizei wegen des Diebstahls der Wahlurne ist auszuführen:
Laut Lagebericht des Auswärtigen Amtes gehören Folter, willkürliche Verhaftungen und sogar extralegale Tötungen nach wie vor zum Handlungsrepertoire der staatlichen Sicherheitsorgane in Nigeria, unter denen insbesondere die ärmeren Bevölkerungsschichten zu leiden haben (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, Stand September 2016 S. 8).
Vorliegend bestehen jedoch schon Zweifel an dem vom Kläger vorgetragenen Verfolgungsschicksal (s.o. unter 2.c), z.B. hinsichtlich des Zeitpunkts seiner Flucht. Der Kläger hat auch nicht die Möglichkeit ergriffen, in der mündlichen Verhandlung die bestehenden Zweifel auszuräumen. Zu berücksichtigen ist auch, dass der vom Kläger angegebene Vorfall mittlerweile über vier Jahre zurückliegt, ob die nigerianischen Behörden bei einer Rückkehr des Klägers überhaupt noch ein Interesse an ihm haben sollten, ist fraglich. All dies spricht gegen ein besonderes Interesse der nigerianischen Polizeibehörden am Kläger bei seiner Rückkehr in sein Heimatland, mithin gegen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass dem Kläger bei der Rückkehr in sein Heimatland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG droht (zum Prognosemaßstab vgl. VG Aachen, U.v. 12.5.2017 – 2 K 1387/16.A- juris Rn.31).
b) In Bezug auf die behauptete Verfolgung durch die Familie der Freundin steht dem Kläger eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3 e Abs. 1 AsylG). Angesichts der in Nigeria bestehenden infrastrukturellen Mängel sowie des Fehlens eines flächendeckenden Meldewesens ist nicht erkennbar, wie etwaige Verfolger, soweit diese noch ein Interesse am Kläger haben sollten, ihn ohne weiteres auffinden können sollte (vgl. dazu AA Lagebericht vom 21. November 2016 S. 25; VG Minden Urteil vom 14.03.2017 – 10 K 2413/16.A).
Wie das Bundesamt zu Recht ausgeführt hat, ist auch davon auszugehen, dass der Kläger sich am Ort des internen Schutzes eine ausreichende Lebensgrundlage sichern kann. Zudem ist in die Erwägung einzustellen, dass der Kläger ausweislich seiner Angaben beim Bundesamt mehrere Tanten und Onkel hat, die nicht in U* … leben, aber in Nigeria, ihm mithin an einem anderen Ort innerhalb Nigerias unterstützen können.
5. Es bestehen auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 5 und Absatz 7 Satz 1 AufenthG) für den Kläger.
a) Dies gilt auch unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung:
Die allgemeine schwierige Versorgungslage in Nigeria führt nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1 denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Mangels einer derartigen Abschiebestopp-Anordnung ist die nach den eingeführten Erkenntnisquellen bestehende unzureichende Versorgungslage in Nigeria eine allgemeine Gefahr, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen kann. Diese Sperrwirkung kann nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht.
Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Ausländer im Zielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Eine extreme Gefahrenlage besteht beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden wurde (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 23.6.2016 – 6 K 6684/15.A – juris Rn. 122).
Hierfür bestehen vorliegend keinerlei Anhaltspunkte, insoweit wird auf die Ausführungen unter Ziffer 3 c) sowie im Bescheid des Bundesamtes verwiesen.
Daher kann von einer Verletzung von Art. 3 EMRK damit dem Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG insoweit ebenfalls nicht ausgegangen werden.
b) In Bezug auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK unter dem Gesichtspunkt der befürchteten Verhaftung durch die Polizei wird auf § 60 Abs. 6 AufenthG sowie die Ausführungen unter Ziffer 2. c) sowie unter 4. b) verwiesen.
6. Auch hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung (Ziffer 5. des Bescheids) sowie der Befristung des Wiedereinreiseund Aufenthaltsverbots (Ziffer 6. des Bescheids) bestehen keine Zweifel. Der Kläger hat zwar im Verfahren vor dem Bundesamt angegeben, dass er bald Vater eines Kindes werde, ein entsprechendes Vaterschaftsanerkenntnis wurde jedoch nicht vorgelegt.
Nach alldem war die gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.


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