Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines Palästinensers

Aktenzeichen  RN 11 K 17.33963

Datum:
15.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 3, § 10 Abs. 5, § 74 Abs. 1
GFK Art. 1 D

 

Leitsatz

1 Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Palästinenser nach der Ausschlussklausel des § 3 Abs. 3 S. 1 AsylG nicht zuzuerkennen, wenn er dem Mandat von UNRWA untersteht. Das Mandat erstreckt sich auch auf den Gazastreifen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der einzelne Flüchtling muss im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung von der UNRWA keine tatsächliche Hilfsleistungen erhalten. Maßgebend für den Schutz oder Beistand der UNRWA ist, ob der Betroffene (noch) der Personengruppe angehört, deren Betreuung die UNRWA entsprechend ihrem Mandat übernommen hat. Solange die Betreuung dieser Personengruppe durch die UNRWA andauert und der Betroffene dieser Personengruppe angehört, besteht der Schutz oder Beistand der UNRWA grundsätzlich fort. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht kann mit Einverständnis der Prozessparteien ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO. Die Beklagte hat mit der „Generalerklärung“ vom 27. Juni 2017 (Az. 234 – 7604/1.17) ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Der Kläger hat ebenfalls auf mündliche Verhandlung verzichtet.
1. Die Klage ist unzulässig, soweit sie sich auf die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten, die Gewährung subsidiären Schutzes, die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote und gegen die Befristung gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG richtet. Es kann dahin gestellt bleiben, ob die am 9. August 2017 bei Gericht eingegangene Klageänderung sachdienlich im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO ist. Die Klage gegen Nr. 2 bis 6 des streitgegenständlichen Bescheids ist nämlich verfristet. Der streitgegenständliche Bescheid ist insoweit bestandskräftig geworden.
Gemäß § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG muss die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben werden. Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung:versehene Bescheid wurde ausweislich der sich im Behördenakt befindlichen Zustellungsurkunde, weil die Ersatzzustellung in der Gemeinschaftseinrichtung nicht möglich war, am 27. Juni 2017 bei der hierfür bestimmten Stelle niedergelegt. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG gelten für die Ausführung der Zustellung die §§ 177 bis 182 der Zivilprozessordnung entsprechend. Die Ersatzzustellung ist gemäß § 10 Abs. 5 AsylG i.V.m. § 3 Abs. 2 VwZG, § 181 ZPO zulässig. In einem solchen Fall kann das zuzustellende Schriftstück nach § 181 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen Bezirk der Ort der Zustellung liegt, niedergelegt werden bzw. bei einer von der Post dafür bestimmten Stelle, § 181 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Letzteres ist hier erfolgt.
Die Zustellung galt damit am 27. Juni 2017 als bewirkt, ohne dass es darauf ankommt, wann der Kläger davon Kenntnis genommen hat. Die Klagefrist begann am 28. Juni 2017 zu laufen und endete am 11. Juli 2017, vgl. § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB. Bei Eingang des geänderten Klageantrags bei Gericht am 9. August 2017 war die Klagefrist daher bereits abgelaufen. Angesichts des eindeutigen Wortlauts des Klageantrags in dem Schriftsatz vom 4. Juli 2017 scheidet eine Auslegung dahin gehend aus, dass dieser eine umfassende Anfechtung des streitgegenständlichen Bescheids und Verpflichtungen der Beklagten im Sinne des geänderten Klageantrags enthalten sollte. Die Klagebegründung ging am 25. Juli 2017 und damit ebenfalls nach Ablauf der Klagefrist bei Gericht ein, sodass auch diese nicht zu einer entsprechenden Auslegung des Klageantrags vom 4. Juli 2017 herangezogen werden kann. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind weder vorgetragen noch erkennbar.
Hinsichtlich Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids ist die Klage auch mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Deren Aufhebung beträfe lediglich die getroffene Befristungsentscheidung, so dass ein Erfolg der Klage zur Folge hätte, dass das – unmittelbar kraft Gesetz geltende – Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. Die Rechtsstellung des Klägers wäre somit nicht verbessert. Das Ziel einer kürzeren Befristung der gesetzlichen Sperrwirkung nach § 11 Abs. 2 AufenthG müsste im Wege der Verpflichtungsklage erstritten werden (vgl. VG München vom 15.9.2016 Az. M 17 K 16.31246 m.w.N.).
2. Die Klage auf die Anerkennung als Asylberechtigter wäre im Übrigen auch unbegründet, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben auf dem Landweg eingereist sind. Ein auf dem Landweg in Deutschland einreisender Ausländer ist von der Berufung auf Art. 16a Abs. 1 GG ausgeschlossen. Der Kläger wird gemäß § 26a Abs. 1 Satz 2 AsylG nicht als Asylberechtigter anerkannt. Die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet auch deshalb aus, weil er keine politische Verfolgung im Gazastreifen glaubhaft gemacht hat (s.u.).
3. Auch eine auf die Verkürzung der Sperrwirkung gerichtete Verpflichtungsklage wäre im Übrigen unbegründet. Das Bundesamt ist gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG bei Abschiebungsandrohungen nach den §§ 34, 35 AsylG für die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 AufenthG zuständig. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist gemäß § 11 Abs. Abs. 2 Satz 1 AufenthG von Amts wegen zu befristen. Über die Länge der Frist wird nach Ermessen entschieden, § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Sie darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Die tatbestandlichen Voraussetzungen liegen hier vor. Die Zeitdauer der Befristung hält sich im gesetzlich vorgegebenen Rahmen und lässt bei dem erwachsenen und gesunden Kläger keine Ermessensfehler erkennen.
4. Soweit die Klage auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtet ist, ist sie zulässig aber unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid insoweit rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Er hat im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht folgt zunächst den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diesen Bezug, § 77 Abs. 2 AsylG. Im Übrigen ist noch auf folgendes hinzuweisen:
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG. Diese kann ihm nicht zuerkannt werden, da er sich nach der Überzeugung des Gerichts nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe außerhalb des palästinensischen Autonomiegebiets Gaza befinden, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Er hat den Gazastreifen offensichtlich weder wegen politischer Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen noch droht ihm bei einer Rückkehr eine solche. Der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft steht außerdem § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG entgegen.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die in der Klagebegründung behauptete Vergleichbarkeit mit der Situation in Syrien weder belegt wurde noch für das Gericht nachvollziehbar ist.
Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus dem Gazastreifen ausgereist. Ein individuelles Verfolgungsschicksal hat er weder beim Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine politische Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form von sich aus vorzutragen, vgl. § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und von der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG vom 21.7.1989 Az. 9 B 239/89).
Ein solcher substantiierter Vortrag ist hier nicht erkennbar. Das Vorbringen des Klägers in seiner Anhörung beim Bundesamt und im gerichtlichen Verfahren war oberflächlich und ungenau. Genaue Angaben zu dem angeblichen Problemen mit der Hamas machte er nicht. Weder nannte er genaue Daten der Vorfälle noch der Orte seiner – angeblichen – Inhaftierungen und der beteiligten Personen. Dass er von der Hamas als politischer Gegner betrachtet wurde, lässt sich nicht damit in Einklang bringen, dass ihm in dem „Certificate of Good Conduct“ des Innenministeriums der Autonomiebehörde in Gaza vom 26. August 2015 folgendes bestätigt wurde: „Is not reported to any vice or misconduct or to any crime and his manner is good“. Eine solche Bestätigung für die Vorlage in der Türkei lässt sich mit einer oppositionellen Haltung des Klägers zur Hamas und den behaupteten zeitlich angeblich zuvor geschehenen Verfolgungshandlungen nicht vereinbaren.
Außerdem steht einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG entgegen. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Art. 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt. Von diesem Ausschlussgrund sind z.B. palästinensische Flüchtlinge betroffen, die dem Mandat der UNRWA unterstehen. Dieses Mandat erstreckt sich u.a. auf den Gazastreifen. Maßgebend für den Schutz oder den Beistand durch die UNRWA ist, dass der Flüchtling der Personengruppe angehört, deren Betreuung die UNRWA entsprechend ihrem Mandat übernommen hat. Der Kläger hat im Verwaltungsverfahren eine Bestätigung der UNRWA vorgelegt, wonach er unter der Registrierungsnummer 1- … registriert ist. Damit unterliegt er dem Schutz der UNRWA.
Es ist auch weder vorgebracht noch erkennbar, dass die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG vorliegen. Nach dieser Vorschrift sind § 3 Abs. 1 und 2 AsylG anwendbar, wenn ein Schutz oder Beistand nach Satz 1 nicht länger gewährt wird, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist. Schutz und Beistand im Sinne dieser Vorschrift setzen nicht voraus, dass der einzelne Flüchtling im Zeitpunkt der Entscheidung von der UNRWA tatsächlich Hilfsleistungen erhält. Maßgebend für den Schutz oder Beistand der UNRWA ist vielmehr, ob der Betroffene (noch) der Personengruppe angehört, deren Betreuung die UNRWA entsprechend ihrem Mandat übernommen hat. Solange daher die Betreuung dieser Personengruppe durch die UNRWA andauert und der Einzelne dieser Personengruppe angehört, besteht der Schutz oder Beistand der UNRWA grundsätzlich fort. Dieser erstreckt sich auf alle Personen, die bei der UNRWA als Palästina-Flüchtlinge registriert sind, was hier der Fall ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO.
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 RVG.


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