Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines tunesischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  W 8 K 18.30650

Datum:
20.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 20831
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a Abs. 1
AsylG § 3, § 4, § 25 Abs. 1, Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a
VwGO § 87, § 87b

 

Leitsatz

1 Verfolgungshandlungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, dh die für eine Verfolgung sprechenden Umstände müssen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht, die den Betroffenen nicht wegen eines asylerheblichen Merkmals treffen soll, stellt keine flüchtlingsrelevante Verfolgung dar, wenn die Sanktion an eine alle Staatsbürger gleichermaßen treffende Pflicht anknüpft. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. April 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG sowie auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben auf dem Landweg über die Balkanroute, zuletzt über Österreich, und damit aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG).
Das Gericht ist im Übrigen insbesondere auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Tunesien politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.
Der Kläger hat im Verlauf des Behördenverfahrens sowie des gerichtlichen Verfahrens, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, ungereimte und widersprüchliche sowie teils gesteigerte Angaben gemacht. Demgegenüber ließ er eine zweifelsfreie, in sich stimmige Geschichte vermissen. Weiter stützt er seine Verfolgungsfurcht im Wesentlichen auf Vermutungen und Spekulationen. So bleiben aufgrund des persönlichen Eindrucks des Klägers in der mündlichen Verhandlung letztlich durchgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens und einer darauf beruhenden tatsächlich drohenden ernsthaften Gefahr.
Auffällig ist schon, dass der Kläger trotz ausdrücklicher gerichtlicher Aufforderung gemäß § 87 Abs. 3 VwGO zum einen erst in der mündlichen Verhandlung einen aktuellen fachärztlichen Befundbericht vom 23. Juli 2018 vorlegte, weitere zwischenzeitlich ergangene Befundberichte vom 9. Februar 2018 sowie 8. Juni 2018 hat der Kläger dem Gericht bis heute vorenthalten. Zum anderen brachte der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vor, dass sein Bruder als Geschäftsführer an der Hühnerfarm beteiligt gewesen und wegen der Schulden inhaftiert worden sei, wenn auch ein Endurteil noch nicht ergangen sei. Außerdem brachte er nun vor, dass auch gegen ihn, den Kläger, sowohl ein Haftbefehl als auch ein Urteil ergangen sei.
Das erstmals in der mündlichen Verhandlung getätigte Vorbringen zu seinem Bruder spricht für die Unglaubhaftigkeit der Angaben. Der Kläger konnte nicht erklären, wieso er diese unmittelbar mit seinem Verfolgungsschicksal zusammenhängenden Angaben nicht schon längst getätigt hat, insbesondere schon auch gegenüber dem Bundesamt. Seine Anhörung dort erfolgte am 16. November 2016, also vor ca. 1 3/4 Jahren. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger selbst an, dass sein Bruder schon seit über zwei Jahren inhaftiert sei. Außerdem sei er, der Kläger, der Gesellschafter der Firma gewesen und sein Bruder der Geschäftsführer. Gegen beide sei ca. 20 Tage lang verhandelt worden. Mittlerweile sei gegen den Bruder ein Urteil ergangen. Dagegen habe dieser aber Berufung eingelegt. Die Anwälte seines Bruders versuchten nun, ihm, den Kläger, die Schuld in die Schuhe zu schieben. Mit diesen Ausführungen erweckt der Kläger den Eindruck, durch Steigerung seines Vorbringens in der mündlichen Verhandlung diesem mehr Nachdruck verleihen zu wollen. Zudem war zuvor weder in der Klagebegründung noch im weiteren gerichtlichen Verfahren trotz Aufforderung nach § 87b Abs. 3 VwGO ein dahingehendes Vorbringen erfolgt.
Für die Unglaubhaftigkeit des Vorbringens spricht weiter, dass der Kläger auf wiederholte Nachfrage des Gerichts keine näheren Angaben zur Verurteilung seines Bruders und erst recht nicht zu dem gegen ihn ergangenen Haftbefehle bzw. Urteil machen konnte. Der Kläger behauptete ebenfalls erstmals und damit auch gesteigert in der mündlichen Verhandlung, dass gegen ihn Urteil und Haftbefehl ergangen seien. Nähere Einzelheiten zu deren Inhalt wusste er nicht zu berichten, geschweige denn die betreffenden Dokumente vorzulegen. Insofern blieben die Angaben des Klägers blass und unsubstanziiert. Zu konkreten Verfolgungsmaßnahmen, insbesondere zu irgendwelchen schriftlichen Unterlagen bzw. dem Haftbefehl oder dem Urteil oder auch nur Nachfragen staatlicher Organe bei seiner Familie hat der Kläger trotz wiederholter Nachfrage des Gerichts keine näheren substanziierten Angaben gemacht, obwohl er nach eigenem Bekunden in Kontakt mit seiner Familie steht. Der Kläger hat nicht von sich aus von weiteren, insbesondere auch aktuellen Verfolgungsmaßnahmen berichtet, geschweige denn konkrete dem Gericht Dokumente vorgelegt. Es erscheint lebensfremd und nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nicht aus eigenem Antrieb gegebenenfalls weitere konkrete Erkundigungen eingezogen hat, die auf eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgungsgefahr hindeuten. Gerade, wenn jemand verfolgt wird – und damit sein Asylbegehren in Deutschland begründet –, wäre es lebensnah, sich weitere konkrete Informationen über ein Fortbestehen der Verfolgungsgefahr zu besorgen und entsprechende Belege von sich aus unaufgefordert den deutschen Behörden bzw. dem Gericht vorzulegen. In dieser Richtung hat der Kläger nicht Substanzielles vorgetragen. Der Kläger hat lediglich pauschal von ergangenem Haftbefehl und dem Urteil gegen ihn gesprochen sowie ferner, dass ein Führerschein deswegen nicht verlängert worden sei. Aber er hat sich offensichtlich nicht weiter darum gekümmert, den konkreten Inhalt dieser staatlichen Akte in Erfahrung zu bringen, geschweige denn die Dokumente in Deutschland vorzulegen, was bei der heutigen Kommunikationstechnik zumindest in Kopie ein Leichtes gewesen wäre.
Danach drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass gegen den Kläger überhaupt keine relevanten Verfolgungsmaßnahmen seitens der staatlichen Behörden in Tunesien erfolgt sind und bei einer Rückkehr nicht drohen. Diese Einschätzung wird durch den persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung bestärkt, wonach der Kläger lediglich unkonkrete und teils ausweichende Antworten auf die Fragen des Gerichts gab. So erklärte der Kläger etwa auf Frage des Gerichts, wie lange der Bruder ins Gefängnis gekommen sei, dieser sei in Berufung gegangen. Das Endurteil sei noch nicht da. Der Bruder sitze seit zwei Jahren im Gefängnis. Er wisse es nicht genau, etwa 30 bis 40 Jahre sei die Haftstrafe. Den Bruder habe er bisher nicht erwähnt, weil er nicht danach gefragt worden sei. Er wisse nicht, ob seine Eltern ihm Urteil oder Haftbefehl zukommen lassen könnten. Er wisse nicht, wie hoch die Strafe, die er nach seinem Urteil erhalten habe, sei. Auf Frage des Gerichts, warum der Kläger das Urteil gegen sich nicht vorgelegt habe, erklärte dieser: Eine Verhandlung dauere lange. Es dauere lange, bis das Urteil ausgefertigt sei. Die Verhandlung gegen seinen Bruder habe 20 bis 30 Gerichtstage gedauert. Es gebe weder gegen ihn noch gegen seinen Bruder ein Endurteil.
Auffällig ist des Weiteren die Aussage, man komme in Untersuchungshaft und bleibe dann so lange in Haft, bis das Endurteil da sei. Gleichwohl ist es dem Kläger gelungen, legal mit seinen eigenen Papieren aus Tunesien auszureisen, obwohl nach eigenem Bekunden zu dem Zeitpunkt schon die Verhandlung gegen ihn und seinen Bruder zwei Monate gedauert habe. Das Vorbringen wirkt nicht in sich stimmig. Auch die Angaben des Klägers zur möglichen Haftdauer sind in sich widersprüchlich. Einmal ist die Rede davon, dass ihm zehn Jahre Haftstrafe drohten (Bl. 33 der Behördenakte), einmal ist von ungefähr 30 Jahren, vielleicht 20 Jahren die Rede (Bl. 61 der Behördenakte), im Rechtsanwaltsschreiben vom 13. Juni 2017 ist von einer langen Haftstrafe die Rede. In der mündlichen Verhandlung nannte der Kläger betreffend seinen Bruder die Zahl von 30 bis 40 Jahren.
Des Weiteren spricht der Kläger davon, dass er seine Verbindlichkeiten nicht bezahlen konnte. Er habe Probleme mit Gläubigern bzw. mit den Banken gehabt (vgl. die Anhörung beim Bundesamt, Bl. 61 der Bundesamtsakte), in der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger wiederum ausdrücklich, dass er nur Probleme mit einer einzigen Firma gehabt habe. Die Angaben zur Höhe der Schulden variieren von 100.000 EUR in der mündlichen Verhandlung bis 150.000 EUR bei der Bundesamtsanhörung (vgl. Bl. 61 der Bundesamtsakte). Schließlich passt ins Bild, dass sich der Kläger im Asylverfahren ursprünglich als syrischer Flüchtling ausgegeben hat, um Vorteile im Asylverfahren zu erzielen.
Nach alledem fehlt es an einem glaubhaften, in sich stimmigen und widerspruchsfreien Vorbringen des Klägers, das Basis für die Annahme einer bestehenden Verfolgungsgefahr, insbesondere der Gefahr einer Inhaftierung sein könnte.
Abgesehen davon ist nicht ersichtlich, dass in der Person des Klägers bei einer theoretischen Inhaftierung Anhaltspunkte für einen Malus infolge der Zugehörigkeit einer sozialen Gruppe oder dergleichen vorlägen. Der Kläger würde im Prinzip nicht anders belangt als andere tunesische Täter in vergleichbarer Lage, die hohe Schulden gemacht hätten und nicht zurückzahlen könnten. Dem Kläger droht insoweit keine flüchtlingsrelevante politische Verfolgung, weil es sich bei der von ihm vorgebrachten drohenden Inhaftierung wegen hoher privater Schulden jedenfalls um keinen Anknüpfungspunkt für eine politisch motivierte Verfolgung handelt. Insoweit fehlen Anhaltspunkte dafür, dass der tunesische Staat mit seinen Vorschriften allgemein in flüchtlingsrelevanter Weise auf eine politische Gesinnung oder Betätigung abzielt (sogenannter Politmalus). Die betreffenden tunesischen Vorschriften knüpfen nicht an die eine Person schicksalhaft prägende asylrelevante Eigenschaften an.
Die Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht, die dem Betroffenen nicht wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonst asylerheblichen Merkmals treffen soll, stellt keine flüchtlingsrelevante Verfolgung dar, wenn die Sanktion an eine alle Staatsbürger gleichermaßen treffende Pflicht anknüpft (vgl. etwa – bezogen auf Wehrpflicht und die Wehrdienstentziehung – BVerwG, B.v. 24.4.2017 – 1 B 22/17 – NVwZ 2017, 1204 m.w.N.). Für die Annahme eines Umschlagens eventueller Verfolgungsmaßnahmen in eine politische Verfolgung ist im Fall des Klägers nichts ersichtlich. Daraus kann daher auch kein Abschiebungshindernis resultieren.
Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung drohen könnte, und die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung einer Abschiebung nicht entgegenstehen (§ 60 Abs. 6 AufenthG).
Auch die möglichen Haftbedingungen in Tunesien rechtfertigen keine andere Beurteilung. Für das Drohen von Todesstrafe oder Folter fehlen im konkreten Fall jegliche Anhaltspunkte. Das Gericht ist des Weiteren nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen würde. Der Kläger selbst hat auf ausdrückliche Nachfrage der Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung nur allgemein erklärt, die Haftbedingungen seien in Tunesien sehr schlecht. Er, der Kläger, schlafe die ganze Nacht nicht, wenn er an seinen Bruder denke. Sein Bruder sei in einer schwierigen Situation. Aber er, der Kläger selbst, sei nicht in der Situation, darum könne er zu den Haftbedingungen auch nichts Näheres sagen. Im Übrigen ist noch die Aussage des Klägers bemerkenswert, gegen ihn laufe kein Verfahren vor dem Strafgericht, sondern vor dem Zivilgericht.
Ein Abschiebungsverbot ergibt sich auch nicht aus der Erkenntnislage. Zwar sind danach die Justizvollzugsanstalten in Tunesien generell überbelegt und die hygienischen Verhältnisse entsprechen zumeist nicht internationalen Standards. Die tunesische Regierung ist jedoch bestrebt, dieser Lage durch Neu- und Umbauten von Gefängnissen zu begegnen. Auch wenn die Gefängniskost sich ebenfalls qualitativ verbessert hat, bleibt sie oftmals unzureichend, die Häftlinge müssen dann zusätzlich von ihren Familien versorgt werden, um eine ordentliche Ernährung zu erhalten. Einkaufsmöglichkeiten in Gefängnissen bestehen. Der tunesische Staat ist um Besserung bemüht, etwa durch im Hinblick auf die Auferlegung von Geld- oder Bewährungsstrafen oder die Haftentlassung auf Bewährung. Eine Inhaftierung ist darüber hinaus nur noch auf schriftliche Anordnung des Staatsanwalts möglich. Die Personen sind umfassend über ihre Rechte zu belehren, insbesondere über die Beratung durch einen Rechtsbeistand, die Information der Angehörigen sowie die Möglichkeit einer medizinischen Untersuchung. In Tunesien ist gesetzlich eine unabhängige Justiz vorgesehen, ebenso ein faires Verfahren. Außerdem gilt die Unschuldsvermutung (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien vom 23. April 2018, Stand: Dezember 2017, S. 4 und 17 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Tunesien vom 21.7.2017, S. 8 und 14 f.).
Eine politische Verfolgung droht dem Kläger auch nicht sonst bei einer Rückkehr, etwa wegen seiner Ausreise, seines Auslandsaufenthalts oder seiner Asylantragstellung in Deutschland. Eine betreffende Strafverfolgung verfolgt jedenfalls keine asylerhebliche Zielsetzung, selbst wenn eine illegale Ausreise, also ein Verlassen des Landes ohne gültige Papiere, mit einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe geahndet werden kann. Im letzten Jahr wurden ausschließlich Geldstrafen verhängt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tunesien vom 23.4.2018, Stand: Dezember 2017, S. 20; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Tunesien vom 21.7.2017, S. 23). Der Kläger hat Tunesien zudem nach eigenem Vernehmen nicht illegal verlassen. Aber selbst eine drohende Bestrafung wäre weder flüchtlings- noch sonst schutzrelevant.
Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen – in dem schon ausführliche dargelegt ist, dass das Existenzminimum des Klägers bei einer Rückkehr gesichert ist und Grundversorgung sowie die medizinische Versorgung in Tunesien gewährleistet sind (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tunesien vom 23.4.2018, Stand: Dezember 2017, S. 19 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Tunesien vom 21.7.2017, S. 20 ff.) – und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Kläger ist noch jung und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt für sich durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Tunesien noch lebenden Großfamilie zurückzugreifen. Insofern ist die Lage nicht anders als bei zahlreichen Landsleuten in vergleichbarer Lage (ebenso VG Berlin, B.v. 27.4.2018 – 34 L 1592.17 A – juris; VG Dresden, U.v. 30.10.2017 – 12 K 2107/16.A – Milo; VG Greifswald, U.v. 10.10.2017 – 4 A 1893/17 As HGW – juris; VG München, U.v. 28.8.2017 – M 26 K 16.30745 – juris; VG Chemnitz, U.v. 3.8.2017 – 4 K 1393/15 A – juris).
Auch im Hinblick speziell auf die gesundheitliche Situation des Klägers sind nach Überzeugung des Gerichts die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nicht gegeben. Die Klägerbevollmächtigte hat zwar in der mündlichen Verhandlung am 20. August 2018 einen fachärztlichen Befundbericht der Gemeinschaftspraxis für Psychiatrie und Psychotherapie Haßfurt vom 23. Juli 2018 betreffend dem Kläger vorgelegt, wonach die Diagnose einer schweren depressiven Episode (ängstlich, somatisierend) gestellt ist. Dort ist unter anderem ausgeführt, dass davon auszugehen sei, dass sich bei einer Repatriierung der psychische Zustand des Patienten akut verschlechtern werde. Die der ängstlichen Symptomatik zugrundeliegende reaktive Beteiligung der Angst vor drohendem Gefängnis bei Repatriierung sei medikamentös natürlich nicht ausreichend und dauerhaft zugänglich.
Dazu ist jedoch anzumerken, dass der Kläger diesen fachärztlichen Befundbericht entgegen der Aufforderung nach § 87 Abs. 3 VwGO erst in der mündlichen Verhandlung und damit verspätet vorgelegt hat. Weitere offensichtlich erstattete Befundberichte vom 9. Februar 2018 sowie vom 8. Juni 2018, die in dem Befundbericht vom 23. Juli 2018 erwähnt sind, hat der Kläger dem Gericht überhaupt nicht vorgelegt, sodass der Kläger schon insoweit seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist. In § 60a Abs. 2d Satz 1 und 2 AufenthG ist zudem geregelt, dass der Ausländer verpflichtet ist, der zuständigen Behörde die ärztlichen Bescheinigungen nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Andernfalls darf die zuständige Behörde das Vorbringens des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen.
Darüber hinaus erfüllt dieser fachärztliche Befundbericht sowie auch die älteren ärztlichen Unterlagen nicht die Voraussetzung einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c AufenthG, sodass vermutet wird, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Denn die ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schwergrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Darüber hinaus ist den vorliegenden ärztlichen Unterlagen, konkret dem letzten fachärztlichen Befundbericht nicht zu entnehmen, dass bei einer Rückkehr in die Heimat eine erheblich konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen besteht, dass eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). In dem Attest ist nur vermerkt, dass sich der psychische Zustand des Klägers bei einer Repatriierung akut verschlechtern würde. Dass die Gefahr einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung besteht, die nicht auch in Tunesien behandelt oder weiterbehandelt werden könnte, ist dem nicht zu entnehmen.
Darüber hinaus ist festzuhalten, dass nicht erforderlich ist, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 und 4 AufenthG).
Indes ist hier festzuhalten, dass die medizinische Versorgung in Tunesien nach der Auskunftslage das für ein Schwellenland übliche Niveau hat, d.h. es kann in einzelnen Fällen zu Versorgungsproblemen kommen. Eine weitreichende Versorgung in den Ballungsräumen ist gewährleistet. Auch die Behandlung psychischer Erkrankungen ist möglich. In der Hauptstadt Tunis herrscht kein Mangel an praktischen Ärzten und Fachärzten mit guter Ausbildung. Die Ärzteschaft erreicht fast immer europäischen Standard. In den größeren Städten sind an die Krankenhäuser Kliniken aller Fachrichtungen angeschlossen. In Gewahrsam genommene Personen müssen über die Möglichkeit der medizinischen Untersuchung informiert werden, wenn auch die medizinische Versorgungen in Justizvollzugsanstalten teilweise mangelhaft sind bzw. landesweit nicht einheitlich (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien vom 23. April 2018, Stand: Dezember 2017, S. 17 und 19 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Tunesien vom 21.7.2017, S. 14 und 22 f.). Ergänzend wird auf die betreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid vom 12. April 2017, S. 6 f., Bezug genommen.
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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