Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines ukrainischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  B 5 K 16.31001

Datum:
8.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10014
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3c Nr. 3, § 3d Abs. 2, § 4
GG Art. 16a Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Es kann nach der Auskunftslage nicht angenommen werden, dass staatliche Stellen in der Ukraine nicht willens oder in der Lage wären, einen ausreichenden Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei einer strafrechtlichen Verfolgung in der Ukraine ist grundsätzlich ein faires Verfahren zu erwarten.  (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässigen Klagen haben in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des … vom 15. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Sie haben im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), noch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, noch auf die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
a) Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Hieran gemessen sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht gegeben. Die Angaben der Kläger gegenüber dem … und in der mündlichen Verhandlung zugrunde gelegt, ergibt sich keine Anknüpfung an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale. Vielmehr wurden die Kläger Opfer von kriminellem Unrecht.
b) Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die Gefahr eines ernsthaften Schadens kann nicht nur vom Staat drohen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes aus, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keiner Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist, weil er dort Zugang zu Schutz vor einem solchen ernsthaften Schaden i.S.d. § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG).
Auf die zutreffende Begründung im streitgegenständlichen Bescheid zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes wird Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG. Ergänzend ist auszuführen: In Betracht käme hier allenfalls die Gefahr eines ernsthaften Schadens in Gestalt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG), die den Klägern durch nichtstaatliche Akteure drohen könnte (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG). Auch staatliche Amtsträger, die nicht gesetzmäßig arbeiten, sind als nichtstaatliche Akteure anzusehen (VG Regensburg, U.v. 14.4.2011 – RO 9 K 11.30075 – juris).
Die Angaben der Kläger zu ihrem Verfolgungsschicksal – deren Wahrheitsgehalt auch von Beklagtenseite nicht in Zweifel gezogen wurde – erscheinen für das Gericht glaubhaft, sie wurden insbesondere durch zahlreiche Unterlagen untermauert. Es ist danach aber schon nicht ersichtlich, dass den Klägern ein ernsthafter Schaden im oben dargestellten Sinne drohen würde. Vielmehr hat der Kläger zu 1 gegenüber dem … und auch in der mündlichen Verhandlung erklärt, er wäre bereit gewesen, seinen Betrieb aufzugeben, um die Angelegenheit beenden zu können. Die Kläger sind zum einen also nicht existentiell auf den Fortbestand ihres Unternehmens angewiesen. Zum anderen ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Verfolger der Kläger, denen es nach den klägerischen Angaben vor allem darum ging, den gewinnbringenden Betrieb in ihre Hand zu bekommen, die Kläger weiter verfolgen sollten, wenn sie dieses Ziel mit der vollständigen Übernahme des Unternehmens erreicht hätten. Die Annahme des Klägers zu 1, er werde in der Ukraine dennoch umgebracht oder eingesperrt, ist eine bloße Spekulation. Extralegale Tötungen sind nach den Ereignissen auf dem Euro-Maidan zwischen November 2013 und Februar 2014 außerhalb der Konfliktgebiete im Osten der Ukraine nicht mehr bekannt geworden. Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis orientieren sich an westeuropäischen Standards, Untersuchungshaft wird nach umfassender Reform des Strafverfahrensrechts erkennbar seltener angeordnet als früher. Sippenhaft wird nicht praktiziert (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, Stand: Januar 2017, VS-NfD, S. 9 und 13).
Jedenfalls aber ist auch ohne eine Überlassung ihres Unternehmens an ihre Verfolger im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen heutigen Zeitpunkt eine andauernde Bedrohungssituation für die Kläger in der Ukraine nach dem dortigen Machtwechsel im Jahr 2014 nicht mehr glaubhaft. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung liegt damit nicht vor, denn nach § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG ist eine – hier allein in Betracht kommende – Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure hinsichtlich der Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nur dann relevant, wenn der Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, hinreichenden Schutz i.S.d. § 3d AsylG vor Verfolgung zu bieten. Nach § 3d Abs. 2 AsylG muss ein entsprechender Schutz vor Verfolgung wirksam und nicht nur vorübergehender Art sein; ein solcher Schutz ist danach gewährleistet, wenn der Staat oder Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Es kann allerdings nach der Auskunftslage nicht angenommen werden, dass – jedenfalls im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen heutigen Zeitpunkt – staatliche Stellen in der Ukraine nicht willens oder in der Lage wären, einen ausreichenden Schutz zu bieten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird eine von nichtstaatlicher Seite, also insbesondere von Privatpersonen oder nichtstaatlichen Organisationen, ausgehende Verfolgung dem Staat zugerechnet, wenn dieser die Verfolgung billigt oder fördert, ferner, wenn er nicht willens oder – trotz vorhandener Gebietsgewalt – nicht in der Lage ist, die Betroffenen gegen Übergriffe Privater zu schützen. Dabei besteht die Zurechenbarkeit begründende Schutzunfähigkeit oder Schutzunwilligkeit nicht bereits dann, wenn in dem zu beurteilenden Einzelfall effektiver staatlicher Schutz nicht geleistet worden ist. Kein Staat vermag einen schlechthin perfekten, lückenlosen Schutz zu gewähren und sicherzustellen, dass Fehlverhalten, Fehlentscheidungen oder „Pannen“ sonstiger Art bei der Erfüllung der ihm zukommenden Aufgabe der Wahrung des inneren Friedens nicht vorkommen. Deshalb schließt weder Lückenhaftigkeit des Systems staatlicher Schutzgewährung überhaupt noch die im Einzelfall von dem Betroffenen erfahrene Schutzversagung als solche schon staatliche Schutzbereitschaft oder Schutzfähigkeit aus. Vielmehr sind Übergriffe Privater dem Staat als mittelbar staatliche Verfolgung nur dann zuzurechnen, wenn er gegen Verfolgungsmaßnahmen Privater grundsätzlich keinen effektiven Schutz gewährt. Umgekehrt ist eine grundsätzliche Schutzbereitschaft des Staates zu bejahen, wenn die zum Schutz der Bevölkerung bestellten (Polizei-)Behörden bei Übergriffen Privater zur Schutzgewährung ohne Ansehen der Person verpflichtet und dazu von der Regierung auch landesweit angehalten sind, vorkommende Fälle von Schutzverweigerung mithin ein von der Regierung nicht gewolltes Fehlverhalten der Handelnden in Einzelfällen sind (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.1994 – 9 C 1/94 BayVBl 1995, 186 m.w.N.).
Der nach der „Revolution der Würde“ auf dem … Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von W. Ja. mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 7. Juni 2014 direkt zum Präsidenten gewählte Pe. P. verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine unterstützt. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassungs- und Justizreform. Kernstück der im Rahmen dieser Reformen neu geschaffenen Institutionen ist ein transparenter Auswahlprozess unter Mitwirkung der Zivilgesellschaft, der deren Unabhängigkeit von politischer und finanzieller Einflussnahme sicherstellen soll (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, Stand: Januar 2017, VS-NfD, S. 7). Das Lustrationsgesetz von 2014 zur Entfernung von politisch belasteten Mitarbeitern aus dem ukrainischen Staatsdienst ist gemäß Justizministerium zu 99% umgesetzt. Etwa 70.000 Beamte und Amtsträger waren auf der Lustrationsliste. Die Überprüfungen führten zur Entlassung von etwa 1.000 Beamten. Laut parlamentarischem Antikorruptionskomitee wurden 80% der Amtsträger der Ära Ja. von ihren Posten entfernt (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Ukraine, Stand: 26.7.2017, VS, S. 27).
Die Reform der Justiz war eine der Kernforderungen der Demonstranten am sogenannten Euro-Maidan. Das größte Problem der ukrainischen Justiz war immer die mangelnde Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Auch die Qualität der Gesetze gab stets Anlass zur Sorge. Noch problematischer war jedoch deren Umsetzung in der Praxis. Auch Korruption wird als großes Problem im Justizbereich wahrgenommen. Unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsident P. machte sich die Regierung daher umgehend an umfassende Justizreformen. Mehrere größere Gesetzesänderungen hierzu wurden seither verabschiedet. Besonders hervorzuheben sind das Gesetz Nr. 3524 betreffend Änderungen der Verfassung und das Gesetz Nr. 4734 betreffend das Rechtssystem und den Status der Richter, die Ende September 2016 in Kraft traten. Mit diesen Gesetzen wurden die Struktur des Justizsystems reformiert und die professionellen Standards für Richter erhöht und ihre Verantwortlichkeit neu geregelt. Außerdem wurde der Richterschaft ein neuer Selbstverwaltungskörper gegeben, der sogenannte Obersten Justizrat. Dieser ersetzt die bisherige Institution, besteht hauptsächlich aus Richtern und hat ein Vorschlagsrecht für Richter, welche dann vom Präsidenten zu ernennen sind. Ebenso soll der Oberste Justizrat Richter suspendieren können. Die besonders kritisierte fünfjährige Probezeit der Richter wurde gestrichen und ihr Einkommen massiv erhöht. Auf der anderen Seite wurden die Ernennungskriterien für Richter erhöht, bereits ernannte Richter müssen sich einer Überprüfung unterziehen. Die Antikorruptionsregelungen wurden verschärft und die richterliche Immunität auf eine rein professionelle Immunität beschränkt. Richter, die die Herkunft ihres Vermögens (bzw. das enger Angehöriger) nicht belegen können, sind zu entlassen. Besonders augenfällig ist auch die Umstellung des Gerichtssystems von einem viergliedrigen zu einem dreigliedrigen System. Unter dem ebenfalls reformierten Obersten Gerichtshof als höchster Instanz, gibt es nun nur noch die Appellationsgerichte und unter diesen die lokalen Gerichte. Die zuvor existierenden verschiedensten Gerichtshöfe (zwischen Appellationsgerichten und Oberstem Gerichtshof) wurden abgeschafft. Außerdem wurde ein spezialisierter Antikorruptionsgerichtshof geschaffen, wenn auch dessen genaue Zuständigkeit noch durch Umsetzungsdekrete festzulegen ist. Die Kompetenz Gerichte zu schaffen oder umzuorganisieren etc., ging vom Präsidenten auf das Parlament über. Ebenso fand eine Reform des Büros des Generalstaatsanwalts statt, der bislang mit weitreichenden, aus der Sowjetzeit herrührenden Kompetenzen ausgestattet war. Im April 2015 trat ein Gesetz zur Einschränkung dieser Kompetenzen bei gleichzeitiger Stärkung der Unabhängigkeit in Kraft, wurde in der Praxis aber nicht vollständig umgesetzt. Eine neu geschaffene Generalinspektion soll die Legalität der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft überwachen. Die praktische Umsetzung all dieser Vorgaben erfordert allerdings die Verabschiedung einer Reihe begleitender Gesetze, die es abzuwarten gilt. Etwa 3.400 Posten in der Staatsanwaltschaft, die neu besetzt wurden, gingen überwiegend an Kandidaten, die bereits vorher in der Staatsanwaltschaft gewesen waren. Alle Kandidaten absolvierten eingehende und transparente Tests, aber am Ende waren unter den Ernannten nur 22 neue Gesichter, was in der Öffentlichkeit zu Kritik führte. Für die Generalinspektion ist aber neues Personal vorgesehen. Die schlechte Bezahlung der Staatsanwälte ist ein Einfallstor für Korruption. Der Antikorruptions-Staatsanwalt bekommt als einziger Staatsanwalt höhere Bezüge, obwohl gemäß Gesetz alle Staatsanwälte besser bezahlt werden müssten. Der unter der Präsidentschaft Ja.s zu beobachtende Missbrauch der Justiz als Hilfsmittel gegen politische Mitbewerber und kritische Mitglieder der Zivilgesellschaft ist im politischen Prozess der Ukraine heute nicht mehr zu finden. Es bestehen aber weiterhin strukturelle Defizite in der ukrainischen Justiz. Eine umfassende, an westeuropäischen Standards ausgerichtete Justizreform ist im September 2016 in Kraft getreten, deren vollständige Umsetzung wird jedoch noch einige Jahre in Anspruch nehmen (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Ukraine, Stand: 26.7.2017, VS, S. 17 ff. m.w.N.). Trotz der noch bestehenden Defizite orientieren sich Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis grundsätzlich an westeuropäischen Standards. Untersuchungshaft wird nach umfassender Reform des Strafverfahrensrechts (mit Unterstützung der Internationalen Stiftung für Rechtliche Zusammenarbeit und ausgerichtet an deutschen Vorbildern) erkennbar seltener angeordnet als früher. Sippenhaft wird nicht praktiziert (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, Stand: Januar 2017, VS-NfD, S. 9).
Auch bei der Korruptionsbekämpfung hat die Ukraine zumindest leichte Fortschritte gemacht. Vor dem Hintergrund der am 26. Oktober 2014 abgehaltenen vorzeitigen Parlamentswahlen wurde am 14. Oktober 2014 ein neues umfassendes Reformpaket zur Bekämpfung der Korruption vorgelegt, durch das neue Institutionen geschaffen bzw. neue Verfahren zur Korruptionsverhütung und -bekämpfung eingeführt wurden. So wurde die Schaffung des Nationalen Anti-Korruptions-Büros (NABU) beschlossen und am 16. April 2015 eröffnet. Hauptziel des NABU ist es, v.a. Korruption auf höchster (politischer) Ebene zu bekämpfen. Besetzt wurde das Büro infolge eines strikten und offenen Auswahlverfahrens. Die Ausstattung des Büros mit vollwertigen Ermittlungsbefugnissen ist jedoch weiterhin ausständig und innenpolitisch sehr umstritten. Ende 2015 wurde ebenfalls eine gesonderte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft geschaffen, die alle Korruptions-Fälle von der Generalstaatsanwaltschaft übernehmen soll. Als drittes neues Element wurde auch die Nationale Behörde für die Korruptionsprävention (NAPC) ins Leben gerufen. Politisch oft heikle Korruptionsfälle sollen dadurch auf neue, unabhängige Strukturen ausgelagert werden. Vom Leiter des NABU, Artem Sytnyk, sowie zahlreichen im Bereich der Korruptionsbekämpfung tätigen NGOs, als auch von der EU und anderen internationalen Partnern, wird ebenfalls die Schaffung eigener Anti-Korruptionsgerichte gefordert, womit von Ermittlung über Anklage bis hin zum Urteil die Kette bei der Korruptionsbekämpfung durch neue, in der Theorie unabhängigere Institutionen geschlossen wäre. Die Schaffung eines solchen Antikorruptionsgerichtes ist grundsätzlich in der in Kraft getretenen Justizreform vorgesehen, die Vorstellung von Gesetzesentwürfen hierzu verläuft jedoch nur schleppend. Seitens des Präsidenten wird teils öffentlich an der Notwendigkeit zusätzlicher „Parallelstrukturen“ gezweifelt. Es kommt auch immer wieder, zuletzt im Herbst 2016 sehr öffentlich, zu Auseinandersetzung zwischen den traditionellen und den neu geschaffenen Institutionen im Bereich Korruptionsbekämpfung, vor allem auch deshalb, da trotz der Gründung der neuen Institutionen die alten weiterhin viele ihrer Kompetenzen behalten haben. Ein großer Erfolg war nach mehrfacher Verschiebung und mit anfänglichen technischen Schwierigkeiten die Einführung eines umfassenden, der gesamten Öffentlichkeit zugänglichen elektronischen Vermögenserklärungssystems. Trotz Anstrengungen der Regierung zu ihrer Bekämpfung, sind Korruption und die Straflosigkeit in diesem Zusammenhang weiterhin ein Problem auf allen Ebenen der Exekutive, Legislative und Judikative und in der Gesellschaft. Entsprechende Gesetze werden nicht effektiv umgesetzt. 2016 traten einige hohe Amtsträger zurück, die mit dem Auftrag eingesetzt worden waren, die Korruption zu bekämpfen. Das NABU ist die Hauptermittlungsbehörde in Korruptionsfällen betreffend hohe Amtsträger (u.a. Präsident, Minister, Abgeordnete, Gouverneure, etc.). Es ist nur zuständig für Delikte, die nach seiner Gründung 2015 begangen wurden. 25.000 offene Altfälle liegen noch bei der Generalstaatsanwaltschaft. Unterstützt von der ebenfalls neu gegründeten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft, wurden jedenfalls bis 1. Oktober 2016 243 Korruptionsverfahren eröffnet. 31 Fälle betreffend 70 Personen, darunter Richter, Staatsanwälte und Beamte, kamen zur Anklage. Viele der Vergehen waren aber eher geringfügig. Zwischen Juli 2015 und Juli 2016 wurden in der Ukraine 952 Personen wegen Korruption verurteilt. Davon wurden 312 mit Bußgeldern belegt (70% der Bußgelder blieben unter 20.000 UAH), 336 Personen erhielten Bewährungsstrafen und 137 Verurteilungen wurden wieder aufgehoben. 128 Personen wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, wogegen in 95 Fällen noch Rechtsmittel anhängig sind. Nur drei dieser 952 Personen waren Beamte in nennenswerter Position (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Ukraine, Stand: 26.7.2017, VS, S. 25 ff. m.w.N.).
Insgesamt geht das Gericht vor diesem Hintergrund davon aus, dass den Klägern in der Ukraine kein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG droht, da davon auszugehen ist, dass sie selbst bei einer weiteren strafrechtlichen Verfolgung grundsätzlich ein faires Verfahren zu erwarten haben. Die Bedingungen des ukrainischen Justizsystems mögen in einzelnen Bereichen durchaus noch defizitär erscheinen, sind aber durch die bereits umgesetzten Reformen soweit verbessert worden, dass heute von einer grundsätzlich akzeptablen und rechtsstaatlich arbeitenden Justiz ausgegangen werden kann. Ob die gegen die Kläger erhobenen Vorwürfe, die insbesondere mit den Eigentumsverhältnissen an der von ihnen vor ihrer Ausreise betriebenen Reinigungsanlage zusammenhängen, nach ukrainischem Recht zu Recht oder zu Unrecht erhoben wurden, ist keine Frage, die im hiesigen Verfahren, dessen Streitgegenstand sich auf den Anspruch der Kläger auf internationalen Schutz bzw. die Feststellung von Abschiebungsverboten beschränkt, geklärt werden kann.
c) Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gemäß Art. 16a Abs. 1 GG und der Zuerkennung des internationalen Schutzes gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unterscheiden sich lediglich dadurch, dass der Schutzbereich des internationalen Schutzes weiter gefasst ist. Die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigte liegen somit nach Ablehnung des internationalen Schutzes ebenfalls nicht vor.
d) Die Kläger können sich schließlich auch nicht auf das Bestehen von Abschiebungsverboten i.S.d. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG berufen. Auch insoweit schließt sich das Gericht den zutreffenden Ausführungen in den Gründen des streitgegenständlichen Bescheids insbesondere auch zu den humanitären Bedingungen in der Ukraine im Hinblick auf Art. 3 EMRK an, auf die Bezug genommen wird, § 77 Abs. 2 AsylG.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 der Zivilprozessordnung (ZPO). Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO bedurfte es angesichts der -wenn überhaupt anfallenden – dann allenfalls geringen vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen der Beklagten nicht, zumal diese auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eventuell eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.


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