Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage – Geheimbund – Sierra Leone

Aktenzeichen  RN 14 K 19.30021

Datum:
1.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16433
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3d

 

Leitsatz

Die Geheimbünde in Sierra Leone sind regional operierende Organisationen, die nicht außerhalb ihrer „örtlichen Zuständigkeit“ operieren und es ist bereits fraglich, wie es einem Geheimbund grundsätzlich überhaupt möglich sein soll, von ihm gesuchte Personen zu finden. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgemäß erhobene (vgl. § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG) Klage ist nicht begründet. Die Entscheidung des Bundesamts, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft sowie den subsidiären Schutzstatus nicht zuzuerkennen und das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu verneinen sowie den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung nach Sierra Leone zur Ausreise aufzufordern, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Entsprechendes gilt für die vorgenommene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Die vom Bundesamt getroffenen Entscheidungen sind im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, nicht zu beanstanden.
1. Die in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids ausgesprochene Entscheidung des Bundesamts (Ablehnung der Asylanerkennung) wurde nach Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung nicht angegriffen. Insoweit ist der angegriffene Bescheid bestandskräftig geworden (vgl. VGH BW, U.v. 26.10.2016 – A 9 S 908/13 – juris).
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet (Nr. 2), dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Buchst. a)) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Buchst. b)). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Einzelne in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG ausgesetzt ist. Erforderlich ist insoweit, dass der Ausländer gezielte Rechtsverletzungen zu befürchten hat, die ihn wegen ihrer Intensität dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, B.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris).
Eine Verfolgung kann nach § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die soeben genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (vgl. dazu § 3d AsylG), und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt unabhängig davon, ob bereits eine Vorverfolgung stattgefunden hat, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22 = BVerwGE 140, 22). Eine Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt aber durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL – RL 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden, sind danach ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass ein Asylantragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies gilt nur dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. In der Vergangenheit liegenden Umständen ist damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beizumessen (vgl. auch OVG NRW, U.v. 21.2.2017 – 14 A 2316/16.A – juris, Rn. 24).
Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet anderseits jedoch nicht, dass der Tatrichter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris, Rn. 16 = BVerwGE 71, 180 und U.v. 11.11.1986 – 9 C 316.85 – juris, Rn. 11). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung des Erlebten. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris, Rn. 16, U.v. 1.10.1985 – 9 C 19.85 – juris, Rn. 16 und B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris, Rn. 3 = NVwZ 1990, 171).
Gemessen an diesen Anforderungen hat – die Angaben des Klägers und seiner ehemaligen Partnerin beim Bundesamt zugrunde gelegt – der Kläger nicht glaubhaft gemacht, Sierra Leone aus begründeter Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen durch eine Geheimgesellschaft verlassen zu haben. Zumindest aber steht dem Kläger eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung, so dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zumindest im Hinblick auf § 3 e AsylG ausscheidet.
Die Ausführungen des Klägers beim Bundesamt zu den Geschehnissen im Heimatland waren sehr allgemein, extrem oberflächlich und enthielten kaum Details, wie sie selbstverständlich wären, wenn jemand über etwas tatsächlich Erlebtes berichtet. Zudem weist der Vortrag logische Brüche sowohl in sich als auch zu den Schilderungen seiner früheren Partnerin auf. So beschränken sich die Angaben des Klägers darauf, er habe festgestellt, dass seine Frau von Mitgliedern der Bondo-Society mitgenommen worden sei, woraufhin er ihnen in den Bondo-Busch gefolgt sei. Er habe den Bondo-Busch trotz fehlender Berechtigung, die er auch zugegeben habe, betreten, um seine Frau, notfalls mit Gewalt, zu holen. Er habe sie in einer Hütte an Händen und Füßen gefesselt gefunden und befreit. Drei Frauen hätten sich ihm in den Weg gestellt, diese habe er mit einem Messer, das er in einer Hütte gefunden habe, angegriffen und verletzt, weswegen sie dann hätten fliehen können. Seine damalige Partnerin hat den Vorgang in Anhörung und mündlicher Sitzung ähnlich aber in Details unterschiedlich geschildert. Die Partnerin gab in ihrer mündlichen Sitzung vom 21.08.2020 (RN 1 K 18.32726) an, die Großmutter habe ihr die Initiierung freigestellt, während nach Aussage des Klägers in der Anhörung seine Großmutter als Sowee besonders auf die Beschneidung gedrungen habe. Im Bondo-Busch habe es mehrere Grashütten gegeben. Es hätten sich dort mehrere Personen aufgehalten, die um ein Feuer getanzt hätten. Zudem hätte es einen Sicherheitsmann als Bewacher gegeben. Diese Umstände, die ja durchaus auf eine Befreiung Auswirkungen haben, hat der Kläger nicht erwähnt. In der mündlichen Verhandlung dazu befragt gab er an, er habe nur die drei Frauen gesehen, ein Feuer habe es nicht gegeben. Des Weiteren will der Kläger offen zugegeben haben, dass er gekommen sei, um den Busch zu betreten und seine Frau zu befreien – was bei Wahrnehmung durch die Mitglieder sofort zum Widerspruch bzw. Widerstand hätte führen müssen. Zum anderen hatte er anscheinend keine Schwierigkeiten, unter mehreren Hütten die richtige zu finden, in welcher seine Frau lag. Auch hinsichtlich des Messers und des Kampfes differieren die Aussagen. Zunächst gab der Kläger an, er habe das Messer vom Boden aufgehoben, dann, es sei in einem Korb gelegen. Die verletzten Personen seien ins Krankenhaus gekommen. Woher der Kläger das wissen will, erschließt sich nicht. Seine Partnerin gab wiederum an, er habe sie mit einem Messer losgeschnitten. Woher das Messer gekommen sei, wisse sie nicht, es sei dunkel gewesen in der Hütte. Im Kampf habe er einem Sicherheitsmann ein weiteres Messer abgenommen, womit er drei Personen geschnitten habe.
Letztendlich kann jedoch dahingestellt bleiben, ob das vom Kläger behauptete Verfolgungschicksal der Wahrheit entspricht und ihm bei einer Rückkehr eine Verfolgung durch die Bondo-Society drohte. Es sprechen stichhaltige Gründe dafür, dass ihm im Falle einer Rückkehr nach Sierra Leone keine relevante Verfolgung droht. Denn einem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft auch dann nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung zu haben braucht oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG sind bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL – RL 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 v. 20.12.2011, S. 9 ff.) zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Gemessen hieran kann der Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch deshalb nicht beanspruchen, weil ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative bzw. interner Schutz zur Verfügung steht.
Dies entspricht im Hinblick auf eine Bedrohung durch eine Geheimgesellschaft wegen erzwungener Mitgliedschaft auch der Erkenntnislage. Die Geheimbünde sind regional operierende Organisationen, die nicht außerhalb ihrer „örtlichen Zuständigkeit“ operieren. Zusätzlich erscheint es bereits fraglich, wie es einem Geheimbund grundsätzlich überhaupt möglich sein soll, von ihm gesuchte Personen zu finden. Schließlich existiert in Sierra Leone kein ausreichendes Melderegister (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt vom 17.10.2017). Das Gericht geht davon aus, dass es jedenfalls in den Großstädten Sierra Leones möglich ist, unbehelligt von den Geheimgesellschaften zu leben (so auch VG München, U.v. 14.5.2018 – M 30 K 17.40892 – juris, unter Verweis auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9.1.2017 an das VG Augsburg für die Poro-Society). Dort gebe es viele Menschen, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft sind und ohne Probleme leben könnten. Trotz der verhältnismäßig geringen Landesgröße Sierra Leones und einer zu unterstellenden gewissen Vernetzung der Bondo Society untereinander geht das Gericht davon aus, dass der Kläger – mit Ausnahme seines Heimatdorfes – unbehelligt von der Geheimgesellschaft leben kann. Denn der örtlichen Society ist schon nicht bekannt, ob sich der Kläger überhaupt oder wieder in Sierra Leone aufhält (so VG München, U. v. 20.5.2019 . M 30 K 17.46896 -juris zum Geheimbund Gbangbani). Dass der Kläger nach vier Jahren nach seiner Ausreise aus seinem Heimatland landesweit von Mitgliedern dieser Gesellschaft gesucht wird, ist nicht beachtlich wahrscheinlich, zumal er nicht vorgetragen hat, dass er und seine damalige Partnerin nach seiner Flucht tatsächlich bedroht oder gesucht worden ist.
Dem Kläger wäre es auch zumutbar, sich in einem anderen Landesteil eine neue Existenz aufzubauen. Der Kläger verfügt nach der Überzeugung des Gerichts im Fall seiner Rückkehr nach Sierra Leone über ausreichend Erwerbspotenzial. Trotz der allgemein schlechten Wirtschaftslage wird der Kläger in der Lage sein, sich ein zumutbares Existenzminimum zu erwirtschaften. Der Kläger ist jung, gesund und arbeitsfähig. Er hat 11 Jahre die Schule besucht und als Elektriker, Operator und LKW-Fahrer gearbeitet. Mit seiner Mutter, den Geschwistern und der Großfamilie hat der Kläger auch Familienangehörige in Sierra Leone, die ihm für die Anfangszeit Unterstützung bieten könnten. Aber auch ohne familiäre Unterstützung wäre der Kläger in der Lage, sich eine Existenz aufzubauen. Dass er für sich allein sorgen kann, hat der Kläger auf der Reise nach Europa hinlänglich bewiesen.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
a) Dass dem Kläger in Sierra Leone die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch staatliche Stellen droht, ist nicht ersichtlich und seitens des Klägers auch nicht geltend gemacht.
b) Darüber hinaus ist es auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass für den Kläger die Gefahr besteht, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne der §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3c Nr. 3 AsylG zu erleiden. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen unter Nr. 2. verwiesen werden. Insbesondere ist auch darauf hinzuweisen, dass gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG die obigen Ausführungen zum internen Schutz entsprechend gelten.
c) Schließlich ist auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht gegeben. Der in Sierra Leone 11 Jahre andauernde Bürgerkrieg wurde im Jahr 2002 beendet. Die Sicherheitslage im ganzen Land ist stabil. Armee und Polizei sind landesweit stationiert und haben nach dem vollständigen Abzug der UN-Friedenstruppen im Jahr 2005 die Verantwortung für die innere und äußere Sicherheit übernommen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 3.5.2017, S. 6; Informationszentrum Asyl und Migration des BAMF, Glossar Islamische Länder – Band 17, Sierra Leone, Mai 2010).
4. Zuletzt liegen auch Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1  AufenthG nicht vor.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris), wonach niemand unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verweist, ist eine unmenschliche Behandlung und damit eine Verletzung des Art. 3 EMRK allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen möglich (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C.15.12 – juris = BVerwGE 146, 12; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris = BVerwGE 147, 8 = NVwZ 2013, 1489; EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681; U.v. 13.10.2011 – Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 – NJOZ 2012, 952). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681, Rn. 278, 282 f.) verletzen humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK zum einen in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Rückführung in den Herkunftsstaat „zwingend“ seien. Solche humanitären Gründe können auch in einer völlig unzureichenden Versorgungslage begründet sein (so auch BayVGH, U.v. 19.7.2018 – 20 B 18.30800- juris, Rn. 54).
Trotz der schwierigen Lebensbedingungen in Sierra Leone kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Rückführung der Klagepartei in ihr Heimatland nicht angenommen werden. Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung. Das Land ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,5 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 700 US-Dollar im Jahr 2015 eines der ärmsten Länder der Welt und belegt nach dem Human Development Index von 2016 Rang 179 der 188 untersuchten Länder. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 77%) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Die Wirtschaft wird mit etwa 51,4% am Bruttoinlandsprodukt vom landwirtschaftlichen Sektor dominiert. Der Dienstleistungssektor trägt mit 26,6% und der Industriesektor mit 22,1% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, wobei bisher keine verlässlichen statistischen Daten erhoben wurden. Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler/in ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 3.5.2017, S. 19 ff.).
Die Lebensumstände in Sierra Leone sind damit zwar äußerst schwierig. Gleichwohl muss davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger in Sierra Leone ein Existenzminimum erarbeiten kann. Dies muss letztendlich auch dann gelten, wenn man davon ausgeht, dass der Kläger sich in eine andere Stadt begeben muss und dort für seinen Lebensunterhalt sorgen muss (vgl. dazu die Ausführungen unter Nr. 2). Darüber hinaus befindet sich seine Familie weiterhin im Heimatland, sodass der Kläger auch auf deren Unterstützung wird zurückgreifen können, um das Existenzminimum zu erreichen.
b) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Eine derartige Gefahr besteht weder aufgrund des Gesundheitszustands des Klägers noch aufgrund der humanitären Verhältnisse, die er im Falle seiner Rückkehr vorfinden würde. Die Gewährung von Abschiebeschutz nach dieser Bestimmung setzt grundsätzlich das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt.
Bestehen für bestimmte Personengruppen allgemeine Gefahren, die nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG im Rahmen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG grundsätzlich keine Berücksichtigung finden können, so kann in Einzelfällen gleichwohl Abschiebeschutz gewährt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nämlich im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG gebieten danach die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn einer extremen Lebensgefahr oder einer extremen Gefahr der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit entgegen gewirkt werden muss, was dann der Fall ist, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt sein würde (BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9.95 – juris, Rn. 14 = BVerwGE 99, 324, U.v. 19.11.1996 – 1 C 6.95 – juris, Rn. 34 = BVerwGE 102, 249 sowie U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris, Rn. 16 = BVerwGE 115, 1). Eine derartige Gefahrensituation kann sich grundsätzlich auch aus den harten Existenzbedingungen und der Versorgungslage im Herkunftsstaat ergeben.
Eine derartige Gefahr besteht jedoch für den Kläger nicht, was bereits oben unter Nr. 4 a) dargestellt wurde.
Seitens des Klägers liegt auch keine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung i. S. d. § 60 Abs. 7 Satz 1 und 2 AufenthG vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Der vom Kläger beim Bundesamt vorgelegte Entlassungsbericht vom 15.03.2017 und Behandlungsbericht vom 28.04.2017 der Kliniken … mit der diagnostizierten Gastritis lässt weder eine gegenwärtige Behandlungsnotwendigkeit erkennen, noch liegt damit eine Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Aktuelle ärztliche Atteste wurden dem Gericht nicht vorgelegt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der gegenwärtig herrschenden weltweiten Corona-Krise. Zum für die Beurteilung der maßgeblichen Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) lässt sich den allgemein verfügbaren Quellen entnehmen, dass es in Sierra Leone Stand 29.03.2021 3.970 bestätigte Corona-Fälle gab sowie 79 auf Corona zurückzuführende Todesfälle bei einer Gesamteinwohnerzahl von etwa 9 Millionen. Im Gegensatz dazu gab es zu diesem Zeitpunkt in Deutschland 2.786.345 bestätigte Fälle sowie 76.468 Todesfälle (https://www.worldometers.info/coronavirus/country/sierraleone) bei einer Einwohnerzahl von etwa 83 Millionen. Hier wird deutlich, dass die Ansteckungsgefahr in Deutschland letztendlich höher ist als im Heimatland des Klägers. Nachdem beim Kläger keine erhöhten Risikofaktoren – etwa hohes Lebensalter und/oder entsprechende Vorerkrankungen – vorhanden sind, ist eine Extremgefahr für den Kläger im oben beschriebenen Sinn aufgrund der Corona-Pandemie nicht erkennbar. Zudem hat Sierra Leone auch weiterreichende Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Corona Virus einzudämmen. So kann das Land auf die Erfahrungen aus dem Kampf gegen die bisher schwerste Ebola Epidemie seit der Entdeckung des Virus aufbauen (so Amnesty, Regionalverbund Westafrika, Sierra Leone, Stand: Juni 2020).
5. Die in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Sie beruht auf den §§ 34 Abs. 1 AsylG, 59 AufenthG. Die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen beruht auf § 38 Abs. 1 AsylG.
6. Die in Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist gleichfalls rechtmäßig. Einwendungen hinsichtlich der Dauer der erfolgten Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes wurden nicht erhoben. Gründe für die Rechtswidrigkeit sind auch nicht ersichtlich Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.


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