Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage (Jordanien, keine abgeleiteter Schutzstatus)

Aktenzeichen  B 3 K 19.30253

Datum:
16.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16409
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 26 Abs. 1 Nr. 2, § 26 Abs. 3; § 26 Abs. 5

 

Leitsatz

1. § 26 Abs. 1 Abs. 1 S. 1 Nr.2 AsylG verlangt, dass die Ehe in dem Staat, von dem die Verfolgung des Stammberechtigten ausgeht bereits vor der Ausreise aus diesem Staat schon bestanden hat und die Ehepartner dort auch in ehelicher Lebensgemeinschaft gelebt haben; eine bloß rechtswirksame Eheschließung genügt nicht. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Familienasyl kann immer nur von einem selbst Asylberechtigten bzw. international Schutzberechtigten ableitet werden. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Mit Zustimmung der Beteiligten kann das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO über die Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
I.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 06.02.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte noch auf Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG) oder des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG. Weiterhin liegen keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG und die Anerkennung als Asylberechtigte liegen nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt folgendes:
Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U. v. 16.04.1985, Az.: 9 C 109.84). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U. v. 16.04.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 20.02.2013, Az.: 10 C 23/12; VG Augsburg, U. v. 11.07.2016, Az.: Au 5 K 16.30604).
Nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U. v. 27.08.2013, Az.: A 12 S 2023/11; Hess. VGH, U. v. 04.09.2014, Az.: 8 A 2434/11.A).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht verweist zunächst auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Klägerin droht bei einer Rückkehr nach Jordanien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare oder kollektive Verfolgung im Sinne des § 3a AsylG. Ausweislich ihrer eigenen Ausführungen hatte die Klägerin vor ihrer Ausreise keine Schwierigkeiten mit jordanischen Behörden. Vielmehr erklärte sie selbst, dass sie Jordanien verlassen und in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei, um mit ihrem Ehemann zusammenleben zu können. Mithin bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung.
Die Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte scheidet bereits deswegen aus, weil der Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft weitgehend deckungsgleich mit dem des Asylgrundrechts ist, für dessen Auslegung sich das Bundesverfassungsgericht schon bisher an der Genfer Flüchtlingskonvention orientiert hat (VG Augsburg, U.v. 20.07.2017 – Au 5 K 17.30799 – juris Rn. 21 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Liegen daher die Voraussetzungen der §§ 3 ff. AsylG nicht vor, scheitert auch die Anerkennung als Asylberechtigte i.S.v. Art. 16a GG.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als solcher gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten dabei die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt.
Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Jordanien die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) oder Folter bzw. eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) droht, bestehen nicht. Ebenso wenig ist die Klägerin einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG).
Laut der zur Verfügung stehenden und in das gerichtliche Verfahren eingeführten Erkenntnismittel kommt es zwar an der syrisch-jordanischen und der irakisch-jordanischen Grenze, die militärisches Sperrgebiet sind, zu Zwischenfällen bzw. vereinzelten Auseinandersetzungen und besteht im Land die Gefahr von Terroranschlägen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Jordanien, Stand 16.4.2020, S. 9 f.). Allerdings lässt sich aus dieser Erkenntnislage nicht auf einen aktuell stattfindenden internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG schließen. Im Übrigen bestünde, selbst wenn man von einem bewaffneten Konflikt ausginge, für die Klägerin jedenfalls in der Hauptstadt Amman, wo sie mehrere Monate gemeinsam mit ihrem Ehemann lebte, mangels dementsprechender Erkenntnisse keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit.
Darüber hinaus besteht auch auf der Grundlage des § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 AsylG kein Anspruch der Klägerin auf Gewährung des subsidiären Schutzstatus. Zwar wurde dem Ehemann der Klägerin unstreitig der subsidiäre Schutzstatus bestandskräftig zuerkannt. Allerdings verlangt § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG, dass die Ehe in dem Staat, von dem die Verfolgung des Stammberechtigten ausgeht, schon bestanden hat. Dies erfordert zum einen in zeitlicher Hinsicht, dass die Ehe dort und somit vor der Ausreise aus diesem Staat schon bestanden hat. Darüber hinaus müssen die Ehepartner dort auch in ehelicher Lebensgemeinschaft gelebt haben. Eine bloß rechtswirksame Eheschließung genügt nicht. Nur so wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Vorschrift dem Grundgedanken gerecht, dass Familienasyl auch mit Blick auf die Nähe zum Verfolgungsgeschehen gewährt wird (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1992 – 9 C 61/91 – NVwZ 1993, 792; Günther in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 28. Edition, Stand: 01.01.2021, § 26 AsylG, Rn. 9 m.w.N.; Blechinger in: BeckOK, Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 7. Edition, Stand: 01.10.2019, § 26 AsylG, Rn. 31). Diese Anforderungen sind vorliegend nicht erfüllt. Ausweislich der eigenen Ausführungen der Klägerin und ihres Ehemanns wurde die Ehe in Jordanien geschlossen. Auch haben die Ehegatten sodann einige Monate in Jordanien zusammengelebt. Dem Ehemann der Klägerin wurde aber Hinblick auf das Bestehen eines innerstaatlichen Konflikts in Syrien gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt. Ein eheliches Zusammenleben der Klägerin und ihres Ehemanns in Syrien hat aber bereits nach dem Vorbringen der Klägerseite nicht stattgefunden.
Auch besteht über § 26 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 AsylG kein Anspruch der Klägerin auf Gewährung des subsidiären Schutzes. Zwar liegt bezüglich des Sohnes der Klägerin mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamtes vom 14.01.2020 eine unanfechtbare Schutzgewährung vor. Diese beruht allerdings ihrerseits auf § 26 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 AsylG und leitet sich vom Vater, d.h. dem Ehemann der Klägerin, ab. Die Vorschrift des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG begünstigt aber nur die Elternteile eines Minderjähriger, der seinerseits originär als Schutzberechtigter anerkannt ist (vgl. Blechinger in: BeckOK, Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 7. Edition, Stand: 01.10.2019, § 26 AsylG, Rn. 51). Familienasyl kann somit immer nur von einem selbst Asylberechtigten bzw. – wie hier – subsidiär Schutzberechtigten ableitet werden. Die bloße Familienasylberechtigung des Sohnes der Klägerin kann folglich kein weiteres Familienasyl vermitteln (vgl. BayVGH, U.v. 26.4.2018 – 20 B 18.30332).
3. Auch besteht kein nationales Abschiebungsverbot zugunsten der Klägerin.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung ist nach der EMRK insbesondere dann unzulässig, wenn dem Kläger in der Zielregion eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielland rechtfertigen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nur ausnahmsweise ein Abschiebungsverbot. Denn Art. 3 EMRK kann, so der EGMR, nicht dahin ausgelegt werden, dass er die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen eine Unterkunft oder finanzielle Unterstützung zu gewähren, damit sie einen gewissen Lebensstandard haben (EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 249; s.a. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – NVwZ 2019, 61 Rn. 10). Gleichwohl ist eine Verantwortlichkeit nach Art. 3 EMRK nicht ausgeschlossen, wenn eine vollständig von staatlicher Unterstützung abhängige Person, die behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 253). Zudem muss die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist relativ und hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, etwa der Dauer der erniedrigenden Behandlung, ihren physischen und psychischen Wirkungen, sowie von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Ausländers (EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 219; s.a. EGMR, U.v. 13.12.2015 – Paposhvili/Belgien, 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 Rn. 174). Dieser Maßstab kann auch für Abschiebungen in Staaten, die wie Jordanien nicht zu den Unterzeichnern der EMRK gehören, angewendet werden (instruktiv VG München, U.v. 9.4.2020 – M 6 K 17.32718 – ZAR 2020, 381 m.Anm. Achatz).
In örtlicher Hinsicht ist für die Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG die Hauptstadt Jordaniens, Amman, als Rückkehrregion der Klägerin zugrunde zu legen; sie ist ihre Herkunftsregion. Hinsichtlich der Rückkehrperspektive ist auf eine gemeinsame Rückkehr der Kernfamilie abzustellen, also der Klägerin, ihres Ehemanns und ihres Sohnes (zum Ganzen BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – NVwZ 2020, 158 Ls. 2, 3, Rn. 15 ff.).
Unter Berücksichtigung der Rückkehrperspektive als Kernfamilie sind die oben dargelegten strengen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK für die Klägerin nicht erfüllt. Zunächst sind sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann gesund und arbeitsfähig; die Klägerin ist darüber hinaus überdurchschnittlich gebildet. Angesichts dessen und der Tatsache, dass zudem die Familie des Ehemanns der Klägerin in Jordanien lebt, spricht nichts dafür, dass der Klägerin und ihrer mit zurückkehrenden Kernfamilie im Sinne des Art. 3 EMRK eine so ernsthafte Armut und Bedürftigkeit droht, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist, auch wenn man berücksichtigt, dass eine erwachsene Person für die Betreuung des minderjährigen Kindes sorgt.
Dabei verkennt die Einzelrichterin nicht, dass die jordanische Wirtschaft schwach ist und das Land nur über wenige Ressourcen und begrenzte landwirtschaftliche Nutzflächen verfügt, was es abhängig von Importen und externen Geldzuflüssen macht. Das Wirtschaftswachstum lag in den vergangenen Jahren bei durchschnittlich zwei Prozent und war zu gering, um die hohe Staatsschuld abzubauen. Dazu tritt die finanzielle Last durch die Flüchtlingsintegration der Syrer im Land und die ausbleibenden Gaslieferungen aus Ägypten. Die Arbeitslosenquote liegt bei 20%. Viele Jordanier verdienen nicht mehr als den staatlichen Mindestlohn von etwa 270,00 EUR pro Monat, wobei das Existenzminimum für eine Familie pro Monat bei 625,00 EUR liegt (zur wirtschaftlichen Lage siehe BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Jordanien, Stand 16.4.2020, S. 33 f.). Jedoch ergibt sich im Rahmen einer Zusammenschau mit den persönlichen Umständen der Klägerin und ihrer Kernfamilie bei einer Rückkehr nach Jordanien prognostisch keine Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK, insbesondere aufgrund des überdurchschnittlichen Bildungsgrades der Klägerin sowie der vorhandenen familiären Unterstützung durch Verwandte des Ehemanns.
Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sowohl dem Ehemann wie auch dem Sohn der Klägerin in der Bundesrepublik bestandskräftig der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wurde. Die inlandsbezogene Frage, ob die mit einer Durchführung der Abschiebung einhergehende Trennung der Familie im Lichte von Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK zulässig ist, ist nicht vom Bundesamt im Rahmen von § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, sondern ausschließlich von der Ausländerbehörde im Rahmen der Prüfung etwaiger Vollstreckungshindernisse nach § 60a Abs. 2 AufenthG zu entscheiden (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 26; BVerwG, B.v. 10.10.2012 – 10 B 39.12 – InfAuslR 2013, 42 = juris Rn. 29).
4. Der Bescheid des Bundesamtes gibt schließlich auch hinsichtlich der Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides keinen Anlass zu Bedenken. Diese entspricht den gesetzlichen Anforderungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und § 38 Abs. 1 AsylG.
5. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten nach § 11 Abs. 1 AufenthG ausgesprochenen Einreise- und Aufenthaltsverbotes, sowie gegen die von Amts wegen getroffene Entscheidung bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG sprechen, wurden nicht vorgebracht und sind auch nach dem Vorbringen der Klägerseite nicht ersichtlich.
II.
Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.


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