Verwaltungsrecht

Erfolglose, auf Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage eines durch ein nationales Abschiebungsverbot vor Rückkehr geschützten Afghanen

Aktenzeichen  M 26 K 17.36145

Datum:
15.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10670
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Die Volksgruppe der Hazara unterliegt in Afghanistan zwar einer gewissen Diskriminierung, ist aber derzeit und in überschaubarer Zukunft weder einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung noch einer erheblichen Gefahrendichte im Sinne subsidiären Schutzes ausgesetzt. (Rn. 2 – 3) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird es eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 2/3, die Beklagte 1/3.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Soweit die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, war das Verfahren einzustellen.
Die Klage im verbliebenen Umfang ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 23. März 2017 ist im verbliebenen Umfang rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten; der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG) oder subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG), § 113 Abs. 5, Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht diesbezüglich von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Es ergänzt lediglich wie folgt:
„1. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden in Gestalt von Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht. Die vom Kläger in der Anhörung vor dem Bundesamt vorgetragenen Geschehnisse beziehen sich allein auf den Iran, und es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger auch in Afghanistan einer Bedrohung seitens des Iraners, der die Tochter des Klägers heiraten möchte, ausgesetzt wäre. In seiner Anhörung hat der Kläger von seinem Leben in Afghanistan nichts Konkretes berichten können, da er bereits als Kind aus Afghanistan geflohen ist. Er hat lediglich vage Erinnerungen an den damals herrschenden Krieg in Afghanistan, in dem die Konfliktparteien die Zivilbevölkerung tyrannisiert hätten.
2. Aus der Tatsache, dass der Kläger Hazara und Schiit ist, folgt nicht, dass ihm allein deshalb die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass die Volksgruppe der Hazara in Afghanistan zwar noch einer gewissen Diskriminierung unterliegt, derzeit und in überschaubarer Zukunft aber weder einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung noch einer erheblichen Gefahrendichte im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) ausgesetzt ist (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris Rn. 17 m.w.N.). Aus den jüngsten Erkenntnismitteln ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass diese Einschätzung inzwischen überholt sein könnte (vgl. EASO, Afghanistan: Security Situation, Dezember 2017; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan; UNAMA: Afghanistan, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report 2017).
3. Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan kann nicht zur Zuerkennung subsidiären Schutzes führen. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof für keine der Regionen Afghanistans angenommen und die Lage dort nicht derart eingeschätzt, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 3.11.2017 – 13a ZB 17.30625 – juris Rn. 4). Diese Einschätzung ist im Falle des Klägers auch mit Blick auf die jüngsten Erkenntnismittel, namentlich der Vereinten Nationen (vgl. UNAMA: Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report 2017), noch aktuell. Insbesondere ergibt sich für die Provinz Kabul, die als Zielort einer Abschiebung in Betracht kommt (vgl. zum örtlichen Bezugspunkt der Gefahrenprognose BVerwG, B.v. 14.11.2012 – 10 B 22/12 – juris), bei einer Bevölkerung von 4,5 Millionen Einwohnern (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan i.d.F.v. 30.1.2018, S. 56) und einer Zahl von 1.831 im Jahr 2017 getöteten und verletzten Zivilpersonen ein Risiko von 1 zu 2.470 bzw. eine Gefahrendichte von 0,04%, die erheblich unter der Schwelle beachtlicher Wahrscheinlichkeit liegt (vgl. dazu BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 7). Vergleichbares gilt für die Provinz Balkh mit der Provinzhauptstadt Mazar-e-Sharif. Dort ergibt sich bei einer Einwohnerzahl von 1,38 Millionen (vgl. EASO, Afghanistan: Security Situation, Dezember 2017, S. 88) und 129 zivilen Opfern im Jahr 2017 (vgl. UNAMA) ein Risiko von 1 zu 10.697 und eine Gefahrendichte von 0,009%. Schließlich stellt sich die Bewertung auch für die Provinz Herat nicht anders dar; dort liegt das Risiko bei einer Zahl von 495 zivilen Opfern im Jahr 2017 (vgl. UNAMA) und einer Einwohnerzahl von 1,92 Millionen (EASO, a.a.O. S. 137) bei 1 zu 3.894 und die Gefahrendichte bei 0,025%. Damit ist auch bei einer wertenden Gesamtbetrachtung (vgl. dazu BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 23) nicht von einer erheblichen individuellen Gefahr im genannten Sinne auszugehen, zumal die medizinische Versorgungslage in den Nord- und Zentralprovinzen besser ist (vgl. AA, Lagebericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan vom 19. Oktober 2016 – Stand September 2016 – S. 23).“
Dass der 53-jährige Kläger sich in einem für einen Afghanen fortgeschrittenen Alter befinde und sich bei einer Rückkehr keine neue berufliche Existenz aufbauen könne, über kein berufliches Netzwerk verfüge und nicht auf die Unterstützung von Verwandten zählen könne, auch nicht auf die der inzwischen in Deutschland lebenden Verwandten, wurde im Rahmen der Feststellung von nationalen Abschiebeverboten durch das Bundesamt (S. 4 des Bescheids vom 9. Oktober 2017) gewürdigt. Das Zutreffen dieser Einschätzungen und Bewertungen unterstellt, rechtfertigt dies aber nicht die Zuerkennung von subsidiärem Schutz. Individuell gefahrerhöhende Umstände, die im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG von Bedeutung wären, sind diesen Feststellungen nicht zu entnehmen. Davon abgesehen hat der Kläger, der im Baugeschäft tätig ist, in der mündlichen Verhandlung angegeben, sich hier in Deutschland eventuell beruflich selbständig machen zu wollen. Damit ist entgegen der Bewertung im Bescheid des Bundesamts vom 9. Oktober 2017 davon auszugehen, dass er, so wie hier, auch in Afghanistan sein Existenzminimum durch Arbeit in der Baubranche sichern könnte.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 2, 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.


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