Verwaltungsrecht

Erfolglose Beschwerde gegen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Erteilung einer Duldung

Aktenzeichen  10 CE 20.326

Datum:
16.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6745
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 8
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 2, § 10 Abs. 3 S. 1, § 25 Abs. 5, § 28 Abs. 1 Nr. 3, § 39 S. 1 Nr. 5
AufenthV § 39 S. 1 Nr. 5
VwGO § 123, § 146 Abs. 4 S. 6

 

Leitsatz

1. Der für die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 3 S. 3 Hs. 1 AufenthG erforderliche strikte Rechtsanspruch verlangt, dass der Ausländer alle allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG erfüllt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die in § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG vorgesehene Möglichkeit, im Ermessenswege vom Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen abzusehen, genügt nicht, um einen Anspruch iSv § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG zu begründen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Grundsätzlich kann vorläufiger Rechtsschutz zur Sicherung eines Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels bei einer Einreise ohne das erforderliche Visum nur dann gewährt werden, wenn keine Zweifel am Anspruch auf die Titelerteilung oder der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens bestehen und keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich sind, die eine Ablehnung rechtfertigen können. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 E 20.104 2020-02-05 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Erteilung einer Duldung weiter.
Der am … 1995 in Pakistan geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger. Er betrieb in der Bundesrepublik Deutschland erfolglos ein Asylverfahren. Seit 16. Juli 2018 ist er vollziehbar ausreisepflichtig.
Am … 2018 kam die Tochter des Antragstellers zur Welt, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Der Antragsteller hat die Vaterschaft anerkannt und übt zusammen mit der Mutter die elterliche Sorge aus.
Mit Schriftsatz vom 3. April 2019 beantragte er,
ihm eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seiner Tochter sowie eine Duldung zu erteilen. Seit dem 2. Juli 2019 war der Antragsteller im Besitz einer Duldung mit einer Gültigkeit bis zum 28. Februar 2020. Ebenso besitzt er einen Nationalpass, der am 7. März 2019 vom afghanischen Generalkonsulat in Bonn ausgestellt wurde.
Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2020 stellte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Augsburg den Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine Duldung nach § 60a AufenthG zu erteilen und von Abschiebemaßnahmen abzusehen, bis über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechtskräftig entschieden ist.
Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Februar 2020 ab. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG stehe die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Die Titelerteilungssperre greife zwar nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nicht, wenn ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe. Hierbei müsse es sich aber um einen strikten Rechtsanspruch handeln, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe. Einem solchen Anspruch stehe entgegen, dass der Antragsteller ohne das erforderliche Visum eingereist sei. Die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV lägen nicht vor. Im Zeitpunkt der Geburt seines Kindes am 4. September 2018 habe er keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erwerben können, da er zu diesem Zeitpunkt keinen Nationalpass besessen habe. Von der Visumpflicht könne zwar gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden, wenn es im Einzelfall nicht zumutbar sei, das Visumverfahren nachzuholen. Hierbei handle es sich aber um eine Ermessensvorschrift, deren Anwendung die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegenstehe. Im Übrigen sei die Nachholung des Visumverfahrens im vorliegenden Fall auch nicht unzumutbar. Es liege im Verantwortungsbereich des Antragstellers, die Ausreisemodalitäten möglichst familienverträglich zu gestalten. Eine vorübergehende Trennung von Vater und Tochter sei unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts des Kindeswohls zumutbar. Bei entsprechender Kooperation des Antragstellers sei eine einvernehmliche Regelung zwischen den Beteiligten zu erwarten, sodass der Antragsteller die Wartezeit bis zur Beantragung des Visums in Deutschland verbringen könne und eine Ausreise erst dann erfolgen müsse, wenn der Termin bei der deutschen Botschaft unmittelbar bevorstehe.
Im Beschwerdeverfahren beantragt der Antragsteller,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 5. Februar 2020 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG zu erteilen, bis über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG rechtskräftig entschieden ist.
Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung aufgrund rechtlicher Abschiebehindernisse und einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, da die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar sei. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass im Zeitpunkt der Geburt der Tochter alle Erteilungsvoraussetzungen hätten vorliegen müssen, um gemäß § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthG die Berechtigung zu erwerben, den Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen zu dürfen, treffe nicht zu. Dies sei erst dann der Fall, wenn sich der Betreffende im Rahmen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG auf den Verzicht des Visumverfahrens berufe. Ebenso unzutreffend sei die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht zur Anwendung kommen könne, da die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Anwendung einer Ermessensvorschrift entgegenstehe. § 10 Abs. 3 AufenthG müsse dahingehend ausgelegt werden, dass die Ausreise und das Visumverfahren dann nicht erforderlich seien, wenn ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung vorliege. Zudem sei die Nachholung des Visumverfahrens dem Antragsteller nicht zumutbar. Das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit dem Visumverfahren befasst, sodass es keine Kenntnisse von den Schwierigkeiten bei der Durchführung eines Visumverfahrens habe. Der Antragsteller habe bereits im März 2019 einen Termin bei der Botschaft zur Antragstellung beantragt und bis heute noch keinen Termin erhalten. Wann der Termin stattfinden könne, sei also unbekannt. Ab Antragstellung dauere momentan das Visumverfahren ca. 1,5 Jahre. Da die Zentrale Ausländerbehörde beim Visumverfahren nicht beteiligt sei, habe sie auch keine Möglichkeit, das Verfahren zu beschleunigen. Es sei daher völlig ausgeschlossen, von einer nur vorübergehenden kurzen Trennung von Vater und Tochter auszugehen. Das Verwaltungsgericht habe sich auch nicht mit der Rechtsposition der deutschen Tochter auseinandergesetzt. Die einmalige Erwähnung des Kindeswohls sei keine rechtliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Nachholung des Visumverfahrens für die Tochter zumutbar sei. Die Nichtbeachtung des Kindeswohls stellte einen Verstoß gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts dar. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung ergebe sich eindeutig ein Vorrang der Interessen der Tochter am Fortbestand der Lebens- und Beistandsgemeinschaft und einwanderungspolitische Gründe müssten zurücktreten.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verweist darauf, dass § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, gleichgültig ob hierbei auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes, die Stellung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder auf die Entscheidung des Beschwerdegerichts abgestellt werde. Auch für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG müssten die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthaltG gegeben sein und zwar unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden könne. Auch insoweit gelte, dass der Antragsteller nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist sei. Die in der Beschwerdeschrift vertretene Auslegung des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG, wonach ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne dieser Norm nicht voraussetze, dass auch die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vorliege, stehe nicht im Einklang mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Nachholung des Visumverfahrens sei dem Antragsteller auch zumutbar bzw. es bestehe kein Duldungsanspruch aufgrund der Vater-Kind-Beziehung. Es sei für die Durchführung des Visumverfahrens allenfalls von einer vorübergehenden Trennung von zwei Monaten auszugehen. Bei der deutschen Außenvertretung in Pakistan sei bereits am 29. März 2019 eine Registrierung für die Vergabe eines Termins zur Visumbeantragung mit einer angegebenen Wartezeit von 11 Monaten erfolgt. Der Termin zur Visumbeantragung werde in einem Zeitraum von sechs bis acht Wochen ab dem Zeitpunkt der Terminmitteilung stattfinden, wie die deutsche Botschaft mit E-Mail vom 14. Januar 2020 bestätigt habe. Bei Vorliegen einer Vorabzustimmung, die von der Ausländerbehörde der Stadt Kempten bereits in Aussicht gestellt worden sei, sei mit einer Bearbeitungszeit ab Antragstellung für das Visum bis zur möglichen Wiedereinreise im Rahmen des Familiennachzugs von wenigen Werktagen auszugehen. Die Bekanntgabe des Termins zur Visumbeantragung bei der deutschen Botschaft finde spätestens in der zweiten Märzhälfte 2020 statt, sodass die Visumbeantragung und die Wiedereinreise des Antragstellers im Rahmen des Familiennachzugs wenige Werktage danach, mithin Ende Mai 2020 erfolgen könne. Dem Antragsteller obliege es, sich um die Flugbuchungen und die Einholung der verbindlichen Vorabzustimmung bei der örtlichen Ausländerbehörde zu kümmern und die Voraussetzungen zu schaffen, um eine zeitnahe Rückkehr zu bewerkstelligen. Zudem habe der Antragsgegner dem Antragsteller die Möglichkeit eingeräumt, die Bekanntgabe des Termins im Bundesgebiet abzuwarten.
Der Antragsteller erwiderte mit Schriftsatz vom 16. März 2020 und verwies nochmals auf die Unzumutbarkeit der Einholung eines Visums zum Familiennachzug und auf Art. 20 AEUV.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. Februar 2020 hat keinen Erfolg, weil der Sachvortrag im Beschwerdeverfahren weder eine Abänderung noch eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses rechtfertigt, wobei sich die Prüfung auf die dargelegten Gründe zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch auf Aussetzung der Abschiebung bzw. auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG nicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht hat.
1. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, der durch eine Verfahrensduldung im Wege einer einstweiligen Anordnung zu sichern wäre. Ein durch eine einstweilige Aussetzung der Abschiebung zu sichernder Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bzw. § 25 Abs. 5 AufenthG besteht nicht. Es spricht nichts dafür, dass es im vorliegenden Fall aus Rechtsschutzgründen (Art. 19 Abs. 4 GG) ausnahmsweise geboten wäre, dem Antragsgegner die Abschiebung des Antragstellers vorläufig zu untersagen.
1.1 Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 bzw. im Falle eines Anspruchs erteilt werden. Ein „Anspruch“ auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG setzt einen strikten Rechtsanspruch voraus, der nur vorliegt, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels vorliegen, weil nur dann der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 27). Der für die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG erforderliche strikte Rechtsanspruch verlangt deshalb auch, dass der Ausländer alle allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG erfüllt (zur Nachholung des Visumverfahrens vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2019 – 10 ZB 18.2188 – juris Rn. 11 m.w.N.; B.v. 23.09.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 10).
1.2 Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG als – bei Vorliegen aller besonderen und allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen – gebundener Anspruch („ist“ zu erteilen) ist ausgeschlossen, weil der Antragsteller nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und er den Aufenthaltstitel nicht im Inland beantragen kann (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV). Der Senat lässt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes offen, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV vorliegen, maßgeblich ist (vgl. zum Meinungsstand Engels in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.1.2020, AufenthV, § 39 Rn. 17 m.w.N.; BayVGH, B.v. 27.2.2014 – 10 ZB 11.2662 – juris Rn. 13 m.w.N.; OVG LSA, B.v. 12.11.2018 – 2 M 96/18 – juris Rn. 29). Weder zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes noch zum Zeitpunkt der Antragstellung oder der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren lagen die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthG vor. Die Duldung des Antragstellers ist am 28. Februar 2020 abgelaufen, bei der Geburt seiner Tochter erfüllte er die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht, bei der Antragstellung war er nicht in Besitz einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG.
Die in § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vorgesehene Möglichkeit, im Ermessenswege vom Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen abzusehen, genügt nicht, um einen Anspruch im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG zu begründen (NdsOVG, B.v. 5.9.2017 – 13 LA 129/17 – juris Rn. 16 f.; zum Visumverfahren vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 22.10.2014 – OVG 11 S 59.14 – juris Rn. 4). Ein Anspruch auf Grund einer Ermessensvorschrift ist auch dann nicht ausreichend, wenn das Ermessen im Einzelfall „auf Null“ reduziert ist (BVerwG, B.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 27 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.8.2018 – 10 C 18.1497 – juris Rn. 16 f.; B.v. 21.7.2015 – 10 CS 15.859 – juris Rn. 44 m.w.N.).
1.2 Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise kommt nicht in Betracht. Unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 20.6.2017 – 10 C 17.744 – juris Rn. 3; B.v. 30.10.2018 – 10 C 18.1782 – juris Rn. 7; NdsOVG, U.v. 8.2.2018 – 13 LB 43/17 – ZAR 2018, 176; OVG Bremen, U.v. 16.3.2017 -1 B 21/17 – BeckRS 2017, 105559; VGH BW, U.v. 13.12.2010 – 11 S 2359/10 – InfAuslR 2011, 250), setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG vorliegen. Dies ist bezüglich des Visumerfordernisses nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AufenthG beim Antragsteller nicht der Fall. Von dieser Voraussetzung kann zwar nach § 5 Abs. 2 Satz 2 bzw. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Der Antragsteller hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass insoweit eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Denn grundsätzlich kann vorläufiger Rechtsschutz zur Sicherung eines Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels bei einer Einreise ohne das erforderliche Visum nur dann gewährt werden, wenn keine Zweifel am Anspruch auf die Titelerteilung oder der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens bestehen und keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich sind, die eine Ablehnung rechtfertigen können (vgl. VGH BW, B.v. 20.9.2018 – 11 S 1973/18 – juris Rn. 21). Insbesondere fehlt es vorliegend an einer Auseinandersetzung mit den vom Antragsgegner aufgezeigten Möglichkeiten, die freiwillige Ausreise des Antragstellers familienfreundlich zu gestalten (Einholung einer Vorabzustimmung, Abwarten im Bundesgebiet bis der Termin für die Visumbeantragung unmittelbar bevorsteht).
2. Der Antragsteller hat auch keinen sonstigen Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht, da seine Abschiebung nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist.
Die Abschiebung ist nicht rechtlich unmöglich. Von einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung ist insbesondere auszugehen, wenn Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK der Entfernung des Ausländers aus der Bundesrepublik Deutschland entgegenstehen (BayVGH, B.v. 22.7.2008 – 19 CE 08.781 – juris Rn. 24). Art. 6 GG gewährt keinen grundrechtlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren, die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Der Betroffene braucht es nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner oder Kind ständigen Aufenthalt zu nehmen. Eingriffe in seine diesbezügliche Freiheit sind nur dann und insoweit zulässig, als sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind (BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn. 13 m.w.N.). Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, B.v. 17.5.2011 a.a.O. Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die vorherige Durchführung eines Visumverfahrens wichtigen öffentlichen Interessen dient. Die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug ist auch nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 11). Der Ausländer hat es zudem durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er z.B. eine Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde nach § 31 Abs. 3 AufenthV einholt (BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5). Auch ein kleines Kind, selbst wenn es wie die Tochter des Antragstellers die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist regelmäßig nicht als besonderer Umstand des Einzelfalls zu werten, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar macht, da es im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (BayVGH, B.v. 3.9.2019 – 10 C 19.1700 – juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5). Allerdings muss die Dauer des Visumverfahrens absehbar sein. Dies setzt u.a. voraus, dass geklärt ist, welche Ausländerbehörde für die Zustimmung nach § 31 AufenthV zuständig ist und ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht (BayVGH, B.v. 30.08.2018 – 10 C 18.1497 – juris Rn. 26 f.; B.v. 22.1.2019 – 10 CE 19.149 – juris Rn. 15; vgl. auch BayVGH, B.v. 20.06.2017 – 10 C 17.733 – juris Rn. 10; OVG Saarl, B.v. 14.2.2018 – 2 B 734/17 – juris Rn. 14).
Gemessen daran ist dem Antragsteller auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls seiner Tochter die Nachholung des Visumverfahrens zumutbar. Eine unverhältnismäßig lange zeitliche Ausdehnung einer etwaigen Trennung des Antragstellers von seiner kleinen Tochter ist unter Berücksichtigung der nach Auskunft der Deutschen Botschaft in Islamabad zu erwartenden Bearbeitungsdauer für das Visum nicht zu befürchten. Dem Antragsteller wird in Kürze der Termin, an dem er in Islamabad sein Visum beantragen kann, mitgeteilt werden, da er sich bereits Ende März 2019 bei der Botschaft zur Terminvergabe hat registrieren lassen. Zwischen der Mitteilung, wann der Termin stattfinden wird, und dem eigentlichen Termin liegen sechs bis acht Wochen. Die Visumerteilung nimmt bei Vorliegen einer Vorabzustimmung nur wenige Werktage in Kauf. Die Stadt Kempten hat sich bereit erklärt, eine Vorabzustimmung für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zu erteilen. Da der Antragsgegner dem Antragsteller eine Ausreisefrist von 30 Tagen gewährt hat, und dieser somit erst Ende März 2020 ausreisen muss, wird seine Abwesenheit aus dem Bundesgebiet und die Trennung von seiner kleinen Tochter lediglich sechs bis acht Wochen betragen. Dieser Zeitraum führt auch bei einem noch sehr kleinen Kind zu keiner unzumutbaren Beeinträchtigung des Kindeswohls. Sollte entgegen der Auskunft der Deutschen Botschaft der Termin zur Beantragung des Visums nicht im Laufe des Monats März 2020 bekannt gegeben werden, wäre der Antragsgegner ggf. gehalten, die Ausreisefrist bis zur Bekanntgabe des Termins zur Visumbeantragung zu verlängern.
Auch mit dem Vorbringen im Schriftsatz vom 16. März 2020, der nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangen ist, legt der Antragsteller nicht hinreichend dar, dass er einen Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung oder einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG hat. Er hat es selbst in der Hand, sich bereits von Deutschland aus um ein Einreisevisum für Pakistan zur Beantragung des Visums zur Familienzusammenführung bei der deutschen Botschaft in Islamabad zu bemühen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb sich der Antragsteller hierzu zunächst nach Afghanistan begeben müsste. Sollte es ihm trotz entsprechender Mitwirkungshandlungen nicht möglich sein, innerhalb angemessener Frist ein Visum bei der deutschen Botschaft zu erhalten, müsste der Antragsgegner das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG erneut prüfen. Art. 20 AEUV ist mit Blick auf die Tochter, die deutsche Staatsangehörige ist, nicht einschlägig, weil diese nicht gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen. Derzeit sorgt die Mutter des Kindes für den Lebensunterhalt.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach § 154 Abs. 2 VwGO zu tragen.
Die Höhe des Streitwerts folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben