Verwaltungsrecht

Erfolglose Beschwerde. Vorläufiger Rechtsschutz gegen sofortige Vollziehbarkeit einer Baueinstellungsverfügung.

Aktenzeichen  15 CS 20.184

Datum:
22.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9509
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 37
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4
BGB § 133, § 157

 

Leitsatz

Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist im Zweifel durch Auslegung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts und der speziellen Sachkunde des adressierten Fachkreises in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (vgl. BVerwG BeckRS 2017, 143458). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 2 S 19.1994 2020-01-02 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit einer Baueinstellung. Sie ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung S…, Stadt R… und Anfang 2018 im Wege eines Bauherrenwechsels in die dem Beigeladenen am 2. November 2015 erteilte Baugenehmigung zum Umbau des auf dem Grundstück vorhandenen Wohngebäudes in ein Hotel eingetreten. Mit Bescheid vom 6. August 2019 erteilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine Änderung zur Baugenehmigung vom 20. August 2015. Mit Schreiben vom 4. Februar 2019 zeigte die Antragstellerin, vertreten durch ihren Geschäftsführer Herrn S…, den Baubeginn zum 11. Februar 2019 an. Am 18. Juli 2019 beantragte die Antragstellerin, vertreten durch Herrn S…, noch eine Abweichung von verschiedenen Vorschriften. Der beigefügte Eingabeplan ist von Herrn S… sowohl als Vertreter des Bauherrn als auch als Entwurfsverfasser unterschrieben.
Am 14. Oktober 2019 sprach die Antragsgegnerin fernmündlich eine Einstellung der Bauarbeiten auf dem Grundstück gegenüber Herrn S… aus. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2019, adressiert an die Antragstellerin, bestätigte die Antragsgegnerin unter Androhung eines Zwangsgelds die fernmündlich angeordnete Einstellung der Bauarbeiten gegenüber dem Bauherrn, Herrn S…, und ordnete diesbezüglich die sofortige Vollziehung an. In der Begründung des Bescheids wird ausgeführt, dass die am 14. Oktober 2019 gegenüber dem Bauherrn, Herrn S…, mündlich ausgesprochene Baueinstellung hiermit wiederholt bzw. schriftlich bestätigt werde. Die Kostenrechnung für den Bescheid wurde ebenfalls an die Antragstellerin adressiert.
Über die Klage gegen den Bescheid vom 15. Oktober 2019 hat das Verwaltungsgericht Regensburg noch nicht entschieden (RO 2 K 19.1995). Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 2. Januar 2020 abgelehnt. Der Bescheid vom 15. Oktober 2019 sei voraussichtlich bestimmt genug. Zwar werde wiederholt Herr S… als Bauherr bezeichnet, obwohl dieser lediglich der Architekt der Antragstellerin sei. Nach summarischer Überprüfung könne jedoch davon ausgegangen werden, dass sich durch eine Auslegung des Bescheids noch ausreichend klar ermitteln lasse, das die Antragstellerin als Bauherrin mit der Baueinstellung verpflichtet werden sollte. Die Antragstellerin habe sich auch selbst als Inhaltsadressatin angesehen, da sie nur inhaltliche Einwendungen gegen die Baueinstellung vorgebracht habe. Auch materiell sei der Bescheid nicht zu beanstanden.
Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt. Die Antragstellerin macht ausschließlich geltend, der Bescheid sei nicht hinreichend bestimmt. Er wiederhole die fernmündlich gegenüber dem Bauherrn, Herrn S…, angeordnete Einstellung der Bauarbeiten. Herr S… sei aber nur der Architekt und nicht der Bauherr.
Der Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre.
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der streitgegenständliche Bescheid sei hinreichend bestimmt i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, konnte die Antragstellerin mit ihrer Beschwerdebegründung nicht in Zweifel ziehen. Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Für den Adressaten muss daher der Inhalt der getroffenen Regelung eindeutig erkennbar sein, sodass er sein Verhalten danach ausrichten kann (Pautsch in Pautsch/Hoffmann, Verwaltungsverfahrensgesetz, 1. Auflage 2016, § 37 Rn. 2; Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 37 Rn. 5; BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 8 C 14.16 – juris Rn. 12 m.w.N.). Auch der Adressat selbst muss entweder namentlich benannt werden oder in sonstiger Weise erkennbar sein (Pautsch a.a.O. Rn. 3; Stelkens a.a.O. Rn. 10 ff.). Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist im Zweifel durch Auslegung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts und der speziellen Sachkunde des adressierten Fachkreises in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (stRspr, vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 13; U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – BVerwGE 147, 81 = juris Rn. 27). Hinreichende Bestimmtheit liegt dann vor, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des Bescheides, insbesondere seiner Begründung, sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen unzweifelhaft erkennen lässt (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.2003 – 6 C 20.02 – BVerwGE 119, 282 = juris Rn. 17). Erst wenn auch unter Anwendung der anerkannten Auslegungsgrundsätze keine Klarheit über den Behördenwillen geschaffen werden kann bzw. Widersprüchlichkeiten nicht beseitigt werden können, ist Unbestimmtheit anzunehmen (vgl. Stelkens a.a.O. Rn. 7).
Unter Anwendung dieser Maßstäbe ergibt die Auslegung des Bescheids vom 15. Oktober 2019 in der Zusammenschau mit den beigegebenen Gründen und den sonstigen bekannten Umständen, dass er an die Antragstellerin gerichtet ist. Zum einen ist er an die Antragstellerin adressiert. Zum anderen bezieht er sich auf ein Grundstück, dessen Eigentümerin die Antragstellerin ist und nimmt Bezug auf die Baugenehmigung vom 2. November 2015, in die die Antragstellerin im Rahmen des Bauherrenwechsels eingetreten ist (Art. 50 Abs. 1 Satz 5 BayBO). Die Antragstellerin hat eine Änderungsgenehmigung beantragt, die ihr am 6. August 2019 erteilt worden ist, hat den Baubeginn angezeigt (Art. 68 Abs. 7 i.V.m. Art. 50 Abs. 1 Satz 2 BayBO) und unter dem 18. Juli 2019 Abweichungen beantragt.
Dass sowohl in Nummer eins des Tenors des Bescheids vom 15. Oktober 2019 als auch in den Gründen ausgeführt wird, die fernmündlich angeordnete Einstellung der Bauarbeiten gegenüber dem Bauherrn, Herrn S…, werde hiermit bestätigt, führt entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht zur Unbestimmtheit des Bescheids. Unstreitig hat die Antragsgegnerin die Baueinstellung telefonisch gegenüber Herrn S… ausgesprochen. Ob sie ihn dabei als Architekt der Antragstellerin oder als deren gesetzlichen Vertreter nach Art. 12 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG i.V.m. §§ 6, 35 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 GmbHG angesprochen hat, kann den Vorgängen nicht entnommen werden. Aus den Behördenakten ist jedoch ersichtlich, dass für die Antragstellerin als Beteiligte am Verwaltungsverfahren stets Herr S… aufgetreten ist, da es sich bei ihm um deren Geschäftsführer handelt. Gemessen an dessen Empfängerhorizont, den die Antragstellerin sich zurechnen lassen muss, da sie als juristische Person nur durch ihre Geschäftsführer handeln kann, war daher unzweifelhaft, dass die Baueinstellung nicht gegenüber ihm persönlich ergangen ist, sondern gegenüber der von ihm vertretenen Antragstellerin. Dies ergibt sich auch daraus, dass weder in der umfangreichen Korrespondenz, die Herrn S… nach Erlass des Bescheids mit der Antragsgegnerin geführt hat noch mit der Klage- und Antragsbegründung, durch die Antragstellerin vorgetragen worden ist, dass der Bescheid nicht korrekt an sie gerichtet worden sei.
Die Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, Anh. § 164 Rn. 14).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben