Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage eines syrischen Asylbewerbers auf Flüchtlingsschutz

Aktenzeichen  M 7 K 16.33893

Datum:
5.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 43217
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a, § 3b, § 28 Abs. 1a

 

Leitsatz

1 Allein der Umstand der Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und dem Aufenthalt in der Bundesrepublik rechtfertigt nicht die begründete Furcht eines syrischen Asylbewerbers, dass staatliche syrische Stellen ihn bei einer Rückkehr nach Syrien als Oppositionellen betrachten und deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen (BayVGH BeckRS 2016, 115159). (Rn. 14) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Eine besondere Gefährdung eines syrischen Asylbewerbers bei der Einreise nach Syrien im Sinne eines signifikant gefahrerhöhenden Merkmals ergibt sich nicht daraus, dass der Betroffene im wehrdienstfähigen Alter ausgereist ist, wenn er sich zuvor von seiner Wehrdienstpflicht “freigekauft”  und sich dadurch dem Militärdienst entzogen hat (BayVGH BeckRS 2017, 105498). (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Jeder über eine offizielle Grenzübergangsstelle – insbesondere den Flughafen Damaskus – zurückkehrende Syrer wird den obligatorischen Einreisekontrollen der syrischen Sicherheitskräfte unterzogen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Sicherheitskräfte anhand von Datenbanken bzw. Kontrolllisten darüber informiert sind, ob die betreffende Person Wehrpflichtiger oder Reservist ist. (Rn. 17) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Das sog. “Freikaufen” beim Rekrutierungsbüro der syrischen Armee führt regelmäßig dazu, dass der Betroffene weder auf der Liste der sog. “Wehrdienstentzieher” noch als Reservist in einer Datenbank registriert ist (BayVGH BeckRS 2018, 16829). (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte trotz des Ausbleibens des Klägers oder seines Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden, da eine ordnungs- und fristgemäße Ladung vorlag und der Kläger auf die Rechtsfolge eines Ausbleibens hingewiesen wurde (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten. In dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts steht dem Kläger kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zu.
Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung – weder allgemein aufgrund der bloßen Ausreise, Asylantragstellung und dem längerfristigen Auslandsaufenthalt (dazu 1.1), noch speziell aufgrund der Ausreise im wehrdienstfähigen Alter (dazu 1.2).
1.1 Allein der Umstand, dass der Kläger aus Syrien ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat, rechtfertigt nicht die begründete Furcht, dass staatliche syrische Stellen ihn bei einer Rückkehr nach Syrien als Oppositionellen betrachten und deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen (vgl. ausführlich hierzu: BayVGH, U.v. 12.12.2016 – 21 B 16 30338, 21 B 16.30364 und 21 B 16.30371 – jeweils juris; bestätigt zuletzt etwa durch BayVGH, B.v. 2.7.2018 – 21 ZB 18.31255 – noch nicht veröffentlicht; OVG Saarl, U.v. 2.2.2017 – 2 A 515/16 – juris; OVG RhPf, U.v. 16.12.2016 – 1 A 10920/16.OVG – juris; OVG SH, U.v. 23.11.2016 – 3 LB 17/16 – juris). Bei zusammenfassender Bewertung aller Umstände haben die gegen eine Verfolgungsgefahr sprechenden Gründe größeres Gewicht als die dafür sprechenden. Zwar ist davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Wiedereinreise nach Syrien im Rahmen der Einreisekontrollen durch den syrischen Geheimdienst befragt wird. Es ist jedoch aufgrund der aktuellen Erkenntnislage nicht zu erwarten, dass im Rahmen dieser Befragungen für jeden Rückkehrer in gleiche Weise ein reales Risiko für Misshandlungen bis hin zur Folter besteht. Es ist davon auszugehen, dass mittels der Einreisekontrollen mit den Rückkehrern in das Land einsickernde Terroristen und Regimegegner „herausgefiltert“ werden sollen (OVG Saarl., U.v. 2.2.2017 – 2 A 515/16 – juris Rn. 22, 30). Dafür, dass die syrischen Sicherheitsbehörden jeden Rückkehrer, der Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im Ausland aufgehalten hat, ohne weitere Anhaltspunkte der Opposition zurechnen, gibt es keine zureichenden tatsächlichen Erkenntnisse. Im Gegenteil erscheint dies lebensfremd, da angesichts von fast fünf Millionen Flüchtlingen auch dem syrischen Staat bekannt ist, dass der Großteil der Ausgereisten das Land nicht als Ausdruck politischer Gegnerschaft zum Regime, sondern aus Angst vor dem Bürgerkrieg verlassen hat (OVG RhPf, U.v. 16.12.2017 – 1 A 10922/16 – juris Rn. 57). Die syrischen Sicherheitskräfte werden nach Überzeugung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Folter begründen (U.v. 12.12.2016 – 21 B 16.30364 – juris Rn. 72). Umstände, die hiernach eine besondere Gefährdung des Klägers bei der Wiedereinreise rechtfertigen könnten, sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.
1.2 Eine besondere Gefährdung des Klägers bei der Einreise im Sinne eines solchen signifikant gefahrerhöhenden Merkmals ergibt auch nicht daraus, dass der Kläger im wehrdienstfähigen Alter ausgereist ist. Denn der Kläger hat sich laut eigenem Vortrag von seiner Wehrdienstpflicht „freigekauft“, so dass er sich dadurch und nicht durch seinen Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzogen hat (vgl. grundlegend zum Wehrdienstentzug BayVGH, U.v. 12.12.2016 – 21 B 16.30372 juris Rn. 23 ff.; BayVGH, U.v. 14.2.2017 – 21 B 16.31001 – juris Rn. 20 ff.; a.A. OVG Saarl, U.v. 2.2.2017 – 2 A 515/16 – juris Rn. 31 ff.).
Das System der Wehrpflicht in Syrien beruht nach den vorliegenden Erkenntnissen auf folgenden Grundsätzen: In Syrien besteht eine allgemeine Wehrpflicht ab 18 bis zum Alter von 42 Jahren. Männliche Personen zwischen 18 und 42 Jahren, die ihren Wehrdienst abgeleistet haben, können im Kriegsfall oder im Falle einer Erklärung eines Ausnahmezustands wieder einberufen werden. Die syrische Regierung hat bereits im März 2012 beschlossen, dass die Ausreise für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren untersagt bzw. nur nach einer zuvor erteilten Genehmigung gestattet ist, auch wenn diese bereits den Wehrdienst abgeleistet haben. Die erheblichen Verluste auf Seiten des syrischen Militärs führten dazu, dass das syrische Regime im Verlaufe des Krieges die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten insbesondere seit 2014 erheblich intensiviert hat. Prinzipiell rekrutiert das syrische Regime dabei alle Männer unabhängig vom ethnischen oder religiösen Hintergrund. Seither kommt es zu Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bis dahin dem Militärdienst entzogen haben. Dabei sind auch Fälle von Folter dokumentiert (vgl. insgesamt hierzu: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee v. 30.7.2014; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.3.2015; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei der Rekrutierung v. 18.1.2018; BayVGH, U.v. 12.12.2016 – a.a.O. Rn. 61 ff.).
Aus den Erkenntnisquellen geht weiter übereinstimmend hervor, dass jeder über eine offizielle Grenzstelle – insbesondere den Flughafen Damaskus – zurückkehrende Syrer den obligatorischen Einreisekontrollen der syrischen Sicherheitskräfte unterzogen wird. Dabei ist davon auszugehen, dass die Sicherheitskräfte anhand von Datenbanken bzw. Kontrolllisten darüber informiert sind, ob die betreffende Person Wehrpflichtiger oder Reservist ist.
Gerade dies trifft beim Kläger nicht zu: Durch sein „Freikaufen“ beim Rekrutierungsbüro – welches der Kläger im Rahmen der Anhörung glaubhaft geschildert hat – ist davon auszugehen, dass er weder auf der Liste der sog. „Wehrdienstentzieher“ steht (vgl. dazu Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei der Rekrutierung v. 18.1.2018 S. 1), noch – mangels abgeleistetem Wehrdienst – als Reservist in einer Datenbank hinterlegt ist. Insoweit ist davon auszugehen, dass der syrische Staat seine gesetzlichen Regelungen zum Wehrdienst nach wie vor im Allgemeinen (vgl. dazu BayVGH, U. v. 22.6.2018 – 21 B 18.30852 – juris Rn. 43 ff.) und folglich auch die Angaben in den korrespondierenden Datenbanken beachtet.
1.3 Sonstige Gründe, die die Annahme einer asylrelevanten Verfolgung rechtfertigen würden, sind weder vorgetragen, noch ersichtlich. Auch Anhaltspunkte für § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 AsylG sind nicht erkennbar.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gemäߧ 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO.


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