Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage gegen Unzulässigkeitsentscheidung

Aktenzeichen  AN 18 K 18.50284

Datum:
22.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3971
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35, § 36 Abs. 1, § 37 Abs. 1, § 38 Abs. 1
RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2 lit. a
GRC Art. 4
EMRK Art. 3
AufenthG § 11 Abs. 1 S. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Statthafte Klageart gegen eine Unzulässigkeitsentscheidung ist die Anfechtungsklage. Hilfsweise kann im Wege der Verpflichtungsklage die Feststellung des Vorliegens von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten beantragt werden (Anschluss an BVerwG BeckRS 2016, 111567). (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Übergang der Verantwortung gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EATRR nach Ablauf von zwei Jahren des tatsächlichen und dauernden Aufenthalts im Zweitstaat (Art. 1 Buchst. d EATRR) mit Zustimmung von dessen Behörden setzt zumindest voraus, dass eine stillschweigende Billigung des Zweitstaates für den dauerhaften Aufenthalt des Flüchtlings vorliegt (Anschluss an OVG Bautzen BeckRS 2016, 45050). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung, weil nunmehr ein Aufenthaltsrecht besteht, stellt ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis dar, welches nicht Gegenstand des Asylstreitverfahrens ist (Anschluss an OVG Lüneburg BeckRS 2018, 18004). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die rechtswidrige Praxis einer zugunsten des Ausländers verlängerten und bei Klageerhebung erst 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens ablaufenden Ausreisefrist verletzt Kläger aber nicht in ihren Rechten (Anschluss an BVerwG BeckRS 2019, 11001 Rn. 21). (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Einzelrichter konnte die Verwaltungsstreitsache gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz des Umstands, dass weder der Kläger noch ein Vertreter der Beklagten zum Termin erschienen sind, verhandeln und entscheiden, da die Beteiligten unter Hinweis auf diese Möglichkeit ordnungsgemäß sowie fristgerecht geladen worden waren.
Das Gericht legt die ihrem Wortlaut nach jeweils unbedingt gestellten Klageanträge gemäß § 88 VwGO in sachdienlicher Weise dahingehend aus, dass im Hauptantrag die Aufhebung des Bescheids vom 23. Februar 2018 und daneben hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Litauen begehrt wird. Das so verstandene zulässige Klagebegehren bleibt in der Sache ohne Erfolg.
I.
Die Klage ist zulässig.
Insbesondere handelt es sich bei der im Hauptantrag erhobenen Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO um die statthafte Klageart. Bei der im Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2018 getroffenen Unzulässigkeitsentscheidung handelt es sich um einen den Kläger belastenden Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG. Dieser verschlechtert die Rechtsstellung des Klägers, weil damit ohne inhaltliche Prüfung festgestellt wird, dass das Asylvorbringen nicht zur Schutzgewährung führt. Daher sind jedenfalls seit der Zusammenfassung der verschiedenen Unzulässigkeitsgründe in § 29 Abs. 1 AsylG Bescheide, die einen Asylantrag ohne Prüfung der materiell-rechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen, also ohne weitere Sachprüfung, als unzulässig ablehnen, mit der Anfechtungsklage anzugreifen (BVerwG, U.v. 1.6.2017 – 1 C 9.17 – juris Rn. 15).
Daneben besteht für den Kläger zusätzlich die Möglichkeit, die Beklagte im Wege einer hilfsweise erhobenen Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO zur Feststellung des Vorliegens von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu verpflichten. Die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen von § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, zu der das Bundesamt gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG bei Entscheidungen über unzulässige Asylanträge verpflichtet ist, betrifft einen eigenständigen Streitgegenstand. Dieser kann hilfsweise mit der Verpflichtungsklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – BVerwGE 157, 18 Rn. 20).
Die am 14. März 2018 bei Gericht eingegangene Klage ist darüber hinaus fristgerecht erhoben. Die in der Rechtsbehelfsbelehrung:angegebene Frist von zwei Wochen nach § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG ist gewahrt. Es kann somit offenbleiben, ob diese unrichtig ist, weil richtigerweise die Wochenfrist nach § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG einschlägig gewesen wäre und damit gegebenenfalls die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO zur Anwendung gelangen würde.
II.
In der Sache jedoch erweist sich die Klage sowohl im Hauptantrag als auch im Hilfsantrag als unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. Februar 2018, der sich mit Ausnahme der in Ziffer 3 gesetzten dreißigtägigen Ausreisefrist als rechtmäßig erweist, verletzt den Kläger insgesamt nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird an dieser Stelle gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Gründe des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen. Ergänzend ist – auch im Hinblick auf die sich zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AslyG) ergebende aktuelle Auskunftslage für Litauen – wie folgt auszuführen:
1. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1 des Bescheids).
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG – also die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus – zuerkannt hat. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG dient der Umsetzung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU, der es den Mitgliedstaaten ermöglicht, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zu betrachten, wenn ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat. Entsprechend der Umsetzung im deutschen Recht unterfallen dem Begriff des internationalen Schutzes nach Art. 2 Buchst. i RL 2013/32/EU sowohl die Flüchtlingseigenschaft als auch der subsidiäre Schutzstatus.
Unter diesen Voraussetzungen war auch der vom Kläger am 17. Januar 2018 gestellte Asylantrag als unzulässig abzulehnen. Eine seitens der Beklagten durchgeführte EURODAC-Auswertung hatte ergeben, dass dem Kläger bereits am 12. Juli 2017 internationaler Schutz in Litauen gewährt worden war. Auch der Kläger selbst hat die Gewährung internationalen Schutzes in Litauen – wenngleich mit der Einschränkung, dass ihm die genaue Art des Schutzstatus nicht bekannt sei – im Rahmen der persönlichen Anhörung durch das Bundesamt bestätigt. Nach eigenen Angaben will der Kläger dort eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren erhalten haben.
a) Einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG steht insbesondere nicht entgegen, dass der Kläger – wie in der Klagebegründung geltend gemacht – in Litauen lediglich den subsidiären Schutzstatus erhalten haben will.
Dies gilt zunächst deshalb, weil weder die Angaben des Klägers gegenüber dem Bundesamt noch der übrige Akteninhalt belastbare Anhaltspunkte für diese Behauptung enthalten. Vielmehr hat der Kläger dort angegeben, er habe in Litauen eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren erhalten, wobei ihm die Art des gewährten Schutzstatus nicht bekannt sei. Dabei spricht gerade die fünfjährige Aufenthaltsgestattung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. So erhalten anerkannte Flüchtlinge in Litauen regelmäßig eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst fünf Jahre, wohingegen deren Gültigkeit bei subsidiär Schutzberechtigten auf zwei Jahre beschränkt ist (vgl. Republik Österreich – BFA, Länderinformationsblatt Litauen, Gesamtaktualisierung 2.11.2018, S. 10).
Doch selbst bei Wahrunterstellung dieser klägerischen Behauptung bliebe es bei der Anwendbarkeit des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, der in einem solchen Fall auch nicht durch die Regelungen der Dublin III-VO verdrängt würde. Wie bereits dargelegt, knüpfen sowohl die nationale Bestimmung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als auch die zugrundeliegende europarechtliche Regelung des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU an die Gewährung internationalen Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat an; dem Begriff des internationalen Schutzes unterfallen dabei sowohl nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als auch gemäß Art. 2 Buchst. i RL 2013/32/EU die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus. Zwar mag die gegenteilige Argumentation der Klagebegründung mit Blick auf die frühere Rechtslage nach der RL 2005/85/EG zutreffend erscheinen. Denn anders als nach der inzwischen gültigen Rechtslage konnte ein Mitgliedstaat einen Asylantrag gemäß Art. 25 Abs. 2 Buchst. a RL 2005/85/EG nur dann als unzulässig betrachten, wenn ein anderer Mitgliedstaat dem betreffenden Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hatte. Zum Verhältnis der beiden Richtlinien bzw. deren Umsetzungen in nationales Recht enthält Art. 52 Abs. 1 RL 2013/32/EU eine Übergangsvorschrift. Danach wenden die Mitgliedstaaten die in Umsetzung dieser Richtlinie nach Art. 51 Abs. 1 RL 2013/32/EU erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach dem 20. Juli 2015 oder früher an; für vor diesem Datum gestellte Asylanträge gelten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Maßgabe der RL 2005/85/EG (vgl. dazu BVerwG, B.v. 23.10.2015 – 1 B 41.15 – juris Rn. 11). In der hier zu entscheidenden Fallkonstellation aber gelangen demnach ausschließlich Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU und dessen nationale Umsetzung in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zur Anwendung. So hat der Kläger erst am 17. Januar 2018 einen Asylantrag bei der Beklagten gestellt. Die Antragstellung ist damit sowohl nach dem gemäß Art. 51 Abs. 1 RL 2013/32/EU maßgeblichen Stichtag, dem 20. Juli 2015, als auch nach der Einführung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG durch Gesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl. I 1939; in Kraft getreten am 6.8.2016) erfolgt.
b) Der von der Beklagten nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG getroffenen Unzulässigkeitsentscheidung stehen auch die Bestimmungen des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge (EATRR) vom 16. Oktober 1980 nicht entgegen. Abgesehen davon, dass es hier bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EATRR für einen Übergang der Verantwortung für die Ausstellung von Reiseausweisen auf die Beklagte mangelt, ergäbe sich hieraus allenfalls ein – im vorliegenden Asylverfahren nicht zu prüfendes – inlandsbezogenes Abschiebungshindernis.
Entgegen der Ansicht der Klägerseite fehlt es in Bezug auf den hiesigen Kläger bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Übergang der Verantwortung für die Ausstellung von Reiseausweisen auf die Beklagte. Gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EATRR gilt diese Verantwortung nach Ablauf von zwei Jahren des tatsächlichen und dauernden Aufenthalts im Zweitstaat (Art. 1 Buchst. d EATRR) mit Zustimmung von dessen Behörden oder zu einem früheren Zeitpunkt als übergegangen, wenn der Zweitstaat dem Flüchtling gestattet hat, entweder dauernd oder länger als für die Gültigkeitsdauer des Reiseausweises in seinem Hoheitsgebiet zu bleiben. Eine solche Zustimmung setzt zumindest voraus, dass eine stillschweigende Billigung des Zweitstaates für den dauerhaften Aufenthalt des Flüchtlings vorliegt (SächsOVG, B.v. 12.4.2016 – 3 B 7/16 – juris Rn. 14; NdsOVG, B.v. 2.8.2018 – 8 ME 42/18 – juris Rn. 36; OVG RhPf, B.v. 25.9.2018 – 7 B 11097/18 u. 7 D 11099/18 – juris Rn. 5). Daran fehlt es hier. Nach seiner Einreise am 5. Oktober 2017 wurde dem Kläger am 10. Oktober 2017 ein Ankunftsnachweis ausgestellt, der ihm nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG kraft Gesetzes den Aufenthalt im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet. Ein unmittelbar kraft Gesetzes eintretendes, vorübergehendes und rein verfahrensakzessorisches Aufenthaltsrecht während des noch laufenden Asylverfahrens, in welchem gerade noch keine abschließende Entscheidung über ein mögliches langfristiges bzw. auf längere Zeitdauer angelegtes Aufenthaltsrecht getroffen wurde, kann indessen keine stillschweigende Billigung für einen dauernden Aufenthalt darstellen (OVG RhPf, B.v. 25.9.2018 – 7 B 11097/18 u. 7 D 11099/18 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 3.12.2019 – 10 ZB 19.34074 – juris Rn. 8).
Losgelöst von den vorstehenden Ausführungen zählt eine etwaige rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung des Klägers aufgrund des geltend gemachten Übergangs der Verantwortung für die Ausstellung von Reiseausweisen nach Art. 2 EATRR auf die Beklagte nicht zum Prüfungsumfang des vorliegenden Asylverfahrens. Gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Das Bundesamt hat also zu prüfen, ob in Bezug auf den Staat, der dem Ausländer internationalen Schutz gewährt hat (Erststaat im Sinne des Art. 1 Buchst. c EATRR), zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote vorliegen. Ob aber der Verantwortungsübergang auf die Bundesrepublik Deutschland als Zweitstaat im Sinne des Art. 1 Buchst. d EATRR zur Folge hat, dass die Abschiebung rechtlich unmöglich ist, weil sich der Ausländer nunmehr hier aufhalten darf, ist eine davon zu unterscheidende Frage; insoweit handelt es sich um ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis (NdsOVG, B.v. 2.8.2018 – 8 ME 42/18 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 3.12.2019 – 10 ZB 19.34073 – juris Rn. 6). Derartige inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Asylstreitverfahrens.
c) Auch unter Berücksichtigung der Lebensbedingungen, die in Litauen für Begünstigte internationalen Schutzes herrschen, kommt eine Aufhebung der von der Beklagten getroffenen Unzulässigkeitsentscheidung nicht in Betracht.
Trotz Vorliegens der geschriebenen Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG kann eine Unzulässigkeitsentscheidung aus Gründen vorrangigen Unionsrechts ausnahmsweise ausgeschlossen sein. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist dies der Fall, wenn eine Person, die internationalen Schutz genießt, in dem Mitgliedstaat, der ihr diesen Schutz gewährt hat, der ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die sie dort erwarten würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRC zu erfahren. In einem solchen Fall kann sich der Mitgliedstaat, in dem durch dieselbe Person ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, nicht auf Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU berufen, um diesen als unzulässig abzulehnen (EuGH, B.v. 13.11.2019 – C-540/17 u. C-541/17 – juris Rn. 35). Damit ist geklärt, dass Verstöße gegen Art. 4 GRC im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewährung zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung führen (BVerwG, U.v. 17.6.2020 – 1 C 35.19 – juris Rn. 23).
Demgegenüber verbietet es Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU den Mitgliedstaaten nicht, einen Asylantrag als unzulässig abzulehnen, weil dem Ausländer in einem anderen Mitgliedstaat bereits internationaler Schutz gewährt worden ist, wenn er aufgrund der Lebensumstände, die ihn dort als international Schutzberechtigten erwarten würden, keiner ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC zu erfahren (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 u. C-438/17 – juris Rn. 101; B.v. 13.11.2019 – C-540/17 u. C-541/17 – juris Rn. 34). Im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gilt dabei die Vermutung, dass die Behandlung von Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der GRC, der Genfer Konvention und der EMRK steht; dies gilt insbesondere bei der Anwendung des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU, in welchem im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingerichteten gemeinsamen Asylverfahrens der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Ausdruck kommt (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 u. C-438/17 – juris Rn. 85). Angesichts der fundamentalen Bedeutung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens kann der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse in dem schutzgewährenden Mitgliedstaat nicht den Bestimmungen des Kapitels VII der RL 2011/95/EU gerecht werden, die Ausübung der nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU vorgesehenen Ablehnungsbefugnis nicht einschränken, solange die Schwelle der Erheblichkeit des Art. 4 GRC nicht erreicht ist. Anders verhält es sich jedoch, wenn das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis eines Mitgliedstaats auf schwerwiegende Funktionsstörungen stößt, die diese Schwelle überschreiten und den Schutzsuchenden tatsächlich der ernsthaften Gefahr aussetzen, dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (EuGH, B.v. 13.11.2019 – C-540/17 u. C-541/17 – juris Rn. 36). Derartige Funktionsstörungen fallen indes nur dann unter Art. 4 GRC, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GRC die gleiche Bedeutung und Tragweite besitzt, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass sich eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person unabhängig von ihrem Willen und ihren Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen – wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden – und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle wird daher selbst durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person noch nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer sie sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, die mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 u. C-438/17 – juris Rn. 89 bis 91; B.v. 13.11.2019 – C-540/17 u. C-541/17 – juris Rn. 39).
Ausgehend von diesen Maßstäben droht dem Kläger bei einer Abschiebung nach Litauen keine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung, die die Erheblichkeitsschwelle des Art. 4 GRC erreichen würde.
In Auswertung der dem Gericht vorliegenden und zum Gegenstand dieses Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich die Lebenssituation für international Schutzberechtigte in Litauen wie folgt dar: Im Anschluss an die Schutzgewährung erfolgt zunächst eine erste Integrationsphase im Unterbringungszentrum Rukla. Dort erhalten die Schutzberechtigten neben Unterbringung auch medizinische und soziale Versorgung sowie ein intensives Sprach- und Jobtraining. Es wird dort außerdem eine finanzielle Unterstützung in Form eines monatlichen Handgelds von 71,40 EUR gewährt. Die Integrationsunterstützung in Rukla wird im Regelfall für drei Monate gewährt, kann aber unter besonderen Umständen – insbesondere bei Vulnerabilität – auf bis zu sechs Monate verlängert werden (zum Ganzen: Republik Österreich – BFA, Länderinformationsblatt Litauen, Gesamtaktualisierung 2.11.2018, S. 10). Anschließend erfolgt der Umzug in eine Gemeinde. Hierfür erhalten Erwachsene eine Einmalzahlung in Höhe von 204 EUR, Kinder in Höhe von 102 EUR und unbegleitete Minderjährige bei Erreichen des 18. Lebensjahres in Höhe von 1.122 EUR. In den Gemeinden findet für die Dauer von zwölf Monaten die zweite Integrationsstufe statt, die vor allem durch Nichtregierungsorganisationen wie das Litauische Rote Kreuz betreut wird. Während dieses Zeitraums erhalten die Schutzberechtigten außerdem monatliche Geldzahlungen, die sich während der ersten sechs Monate bei erwachsenen Einzelpersonen auf 204 EUR, bei zweiköpfigen Familien auf 306 EUR und bei dreiköpfigen Familien auf 408 EUR belaufen; ab dem siebten Monat werden diese Beträge jeweils halbiert. Die Sozialhilfe für Schutzberechtigte ist eigens geregelt, wird aber auf der Grundlage der allgemeinen Sozialhilfe berechnet, die monatlich 102 EUR beträgt. Es existieren Berichte über Schwierigkeiten bei der Suche nach Wohnung und Arbeit (zum Ganzen: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Sozialleistungen für Asylsuchende und Flüchtlinge in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten, 8.7.2016, S. 11; Republik Österreich – BFA, Länderinformationsblatt Litauen, Gesamtaktualisierung 2.11.2018, S. 10). Beschäftigungsmöglichkeiten für Schutzberechtigte bestehen vor allem auf dem Bau, im Gastgewerbe, im verarbeitenden Gewerbe sowie in der Hauswirtschaft. Für höher qualifizierte Stellen sind in der Regel litauische, englische oder russische Sprachkenntnisse erforderlich. Größere Beschäftigungshindernisse stellen vor allem nicht vorhandene Sprachkenntnisse, mangelnde Unterstützung bei der Arbeitssuche sowie fehlende Ausbildung bzw. berufliche Qualifikation dar (zum Ganzen: US Department of State, Lithuania Human Rights Report, 2019, S. 8).
Im Hinblick auf die vorstehend dargestellte Auskunftslage vermag das Gericht eine ernsthafte Gefahr für den Kläger, bei einer Abschiebung nach Litauen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden, nicht zu erkennen. Es kann dahinstehen, ob insoweit von einer alleinigen Rückkehr des Klägers oder einer solchen im Verbund mit der Ehefrau und den inzwischen vier gemeinsamen minderjährigen Kindern auszugehen ist. Zwar hat das Gericht mit Blick auf den Aufenthalt des Klägers in Irland und die dort im September 2020 erfolgte Asylantragstellung sowie die im Verfahren AN 18 K 18.50283 erfolgte Einlassung der Ehefrau, wonach diese inzwischen alleine mit den gemeinsamen Kindern zusammenlebe, erhebliche Zweifel daran, ob im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung überhaupt noch von einem Fortbestand der familiären Lebensgemeinschaft ausgegangen werden kann. Selbst bei einer unterstellten gemeinsamen Rückkehr des Klägers und seiner Familie nach Litauen bestehen nach der gerichtlichen Überzeugungsbildung aber keinerlei belastbare Anhaltspunkte, dass diesem dort eine die Erheblichkeitsschwelle des Art. 4 GRC überschreitende menschenunwürdige Behandlung widerfahren würde. Nach Abschluss der ersten Integrationsphase in Rukla kann der Kläger für den anschließenden Umzug in eine Gemeinde zunächst eine Einmalzahlung in Höhe von 204 EUR bei alleiniger Rückkehr bzw. in Höhe von 816 EUR (2 × 204 EUR + 4 × 102 EUR) bei einer Rückkehr im Familienverbund erhalten. Hinzu kommen während des ersten halben Jahres nach dem Umzug – je nachdem, ob eine Rückkehr alleine oder in der Gemeinschaft der Kernfamilie erfolgt – monatlich 204 EUR bzw. 714 EUR (204 EUR + 5 × 102 EUR) zur Deckung der elementaren Grundbedürfnisse. In den darauffolgenden sechs Monaten stünden dem Kläger bzw. der Familie jeweils 102 EUR bzw. 357 EUR zur Verfügung. Es erscheint damit zwar eine angespannte finanzielle Lage des Klägers und seiner Familie ebenso wie ein Leben in ärmlichen und entbehrungsreichen Verhältnissen durchaus nicht ausgeschlossen. Dass sich der Kläger und seine Familie deshalb aber einer besonders schwerwiegenden und prekären Lebenssituation ausgesetzt sähen, die es ihnen nicht mehr erlaubte, ihre elementarsten Grundbedürfnisse nach Ernährung, Hygiene und Unterkunft zu erfüllen oder sie gar in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzen würde, kann das Gericht nicht erkennen. Nichts anderes folgt auch aus dem pauschal gehaltenen Einwand des Klägers, er habe für sich und seine Familie monatlich lediglich 500 EUR erhalten und hiervon Miete, Strom, Wasser und Transport bezahlen sollen, was nicht möglich gewesen sei. Der Kläger hat bereits nicht dargelegt, auf welche Summe sich die diesbezüglichen monatlichen Ausgaben der Familie belaufen haben und inwiefern die zur Verfügung gestellten 500 EUR hierfür nicht ausreichend gewesen seien. Erst recht kann seinen Angaben nicht entnommen werden, dass die Familie deshalb in Litauen unmittelbar durch eine drohende Obdachlosigkeit, Hunger oder vergleichbare menschenunwürdige Zustände gefährdet gewesen sei. Soweit sich der Kläger des Weiteren darauf beruft, in Litauen keine Arbeit gefunden zu haben, erscheint dies mit Blick auf die vorstehend dargestellte Auskunftslage zwar nicht ausgeschlossen. Der Kläger muss sich in einem solchen Fall aber auf die – zumindest vorübergehende – Inanspruchnahme von Sozialhilfe verweisen lassen, die für international Schutzberechtigte monatlich 102 EUR pro Person beträgt und auf Grundlage der allgemeinen Sozialhilfe für litauische Staatsbürger berechnet wird. Zwar mag dem Kläger auch dieser Betrag zu niedrig erscheinen. Allerdings rechtfertigt in einem solchen Fall der unterschiedslosen Behandlung von eigenen Staatsangehörigen und Schutzberechtigten selbst eine fehlende oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten in deutlich eingeschränktem Umfang bestehende Existenzsicherung grundsätzlich noch nicht die Annahme einer Art. 4 GRC widersprechenden Behandlung (vgl. dazu EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 u. C-438/17 – juris Rn. 93). Im Übrigen sind an dieser Stelle die in Litauen im Vergleich zu Deutschland niedrigeren Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen.
2. Als ebenfalls rechtmäßig erweist sich die von der Beklagten in Ziffer 2 des Bescheids getroffene Feststellung, wonach in Bezug auf Litauen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.
a) Es fehlt an den Voraussetzungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
Wie bereits dargelegt, droht dem Kläger bei einer Abschiebung nach Litauen – und zwar unabhängig davon, ob man insoweit auf eine alleinige Rückkehr oder eine solche im Familienverbund abstellt – keine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC. Gleichermaßen muss damit das an eine Verletzung des Art. 3 EMRK anknüpfende zielstaatsbezogene Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG ausscheiden. So bestimmt Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GRC, dass die darin enthaltenen Rechte, soweit sie den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, über die gleiche Bedeutung und Tragweite verfügen, die ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Daraus ergibt sich, dass Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK einen identischen Regelungsgehalt aufweisen (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 u. C-438/17 – juris Rn. 89, B.v. 13.11.2019 – C-540/17 u. C-541/17 – juris Rn. 39).
b) Daneben kommt auch ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht, wobei vor allem existenzielle Gefahren durch Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung sowie insbesondere Krankheit erfasst werden, die dem Ausländer aufgrund seiner persönlichen Situation drohen.
Wie sich aus § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ergibt, besteht eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlimmern würden. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist damit in Krankheitsfällen, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13.11 – juris Rn. 3; BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 13a B 16.30007 – juris Rn. 15).
Dass der Kläger bei einer Abschiebung nach Litauen alsbald einer in diesem Sinne erheblichen konkreten Gesundheitsgefahr ausgesetzt wäre, weil sich sein Gesundheitszustand dort aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in schwerwiegender oder gar lebensbedrohlicher Weise verschlimmern würde, steht nach der gerichtlichen Überzeugungsbildung nicht zu befürchten. Zwar ist dem Kläger mit Blick auf den Kurzarztbrief der …vom 22. Dezember 2017 und das Schreiben der Dres. … vom 7. November 2019 die glaubhafte Darlegung einer Lungenerkrankung in Form einer linksseitigen Tuberkulose gelungen. Allerdings wird der Kläger eine insoweit gegebenenfalls erforderliche ärztliche Behandlung in gleicher Weise in Litauen erhalten können. Dies gilt auch für die in dem Kurzarztbrief vom 22. Dezember 2017 verordneten Medikamente (Isozid comp 300 mg und Eremfat 600 mg), sofern deren Einnahme zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt noch erforderlich sein sollte. So gehen namentlich die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Medical Country of Origin Information) davon aus, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der Europäischen Union generell in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen (vgl. Republik Österreich – BFA, Länderinformationsblatt Litauen, Gesamtaktualisierung 2.11.2018, S. 9). Diese Einschätzung wird auch durch die Aussage des Klägers, er habe alle Ärzte in seiner litauischen Asylunterkunft auf seine Krankheit hingewiesen und sei dennoch nicht behandelt worden, nicht substantiiert in Frage gestellt. Dies gilt bereits deshalb, weil der Kläger eigenen Angaben gemäß nach etwa einem Monat in ein Krankenhaus gebracht worden sei und er damit – entgegen seiner vorherigen Behauptung – die gewünschte ärztliche Untersuchung letztlich doch erhalten hat. Ohnehin ist es nach § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG gerade nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Abschiebungszielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Es können dem Kläger somit ggf. längere Wartezeiten für einen Arzttermin grundsätzlich zugemutet werden, zumal solche auch in Deutschland nicht ausgeschlossen sind.
Unbehelflich ist an dieser Stelle schließlich der Hinweis des Klägers auf die psychischen Beeinträchtigungen seines jüngsten Sohnes. Selbst wenn deshalb in Bezug auf den Sohn von einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auszugehen sein sollte, könnte dieser Umstand ein solches in Bezug auf den Kläger gerade nicht begründen. Soweit die Klagebegründung anmerkt, es dürfe nur eine gemeinsame Abschiebung der Familie erfolgen, stellt dieser Umstand – sofern eine familiäre Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern überhaupt noch bestehen sollte – allenfalls ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis dar. Ein solches aber ist – wie bereits dargelegt – nicht Verfahrensgegenstand des vorliegenden Asylprozesses.
3. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist auch die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids enthaltene Abschiebungsandrohung einschließlich der damit verbundenen Zielstaatsbestimmung zu Recht ergangen. Als rechtswidrig erweist sich hingegen die Setzung einer dreißigtägigen Ausreisefrist; diesbezüglich fehlt es aber an einer Verletzung subjektiver Rechte des Klägers, weshalb eine Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids selbst unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht kommt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Abschiebungsandrohung hat ihre Rechtsgrundlage in § 35 AsylG. Demgemäß wäre dem Kläger nach § 36 Abs. 1 AsylG eine Ausreisefrist von einer Woche zu setzen gewesen. Mit dem Asylgesetz nicht in Einklang steht daher die bisherige Praxis des Bundesamts, bei Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG die Abschiebungsandrohung unter Rückgriff auf § 38 Abs. 1 AsylG mit einer dreißigtägigen Ausreisefrist zu verbinden; diese rechtswidrige Praxis einer zugunsten des Ausländers verlängerten und bei Klageerhebung erst 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens ablaufenden Ausreisefrist verletzt den Kläger aber nicht in seinen Rechten (BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 51.18 – juris Rn. 21).
Eine Verletzung subjektiver Rechte des Klägers kann auch nicht etwa deshalb angenommen werden, weil infolge des rechtswidrigen Rückgriffs auf § 38 Abs. 1 AsylG die Regelung des § 37 Abs. 1 AsylG nicht mehr zur Anwendung gelangen kann. Danach werden die Entscheidung des Bundesamts über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und die damit verbundene Abschiebungsandrohung unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht einem entsprechenden Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stattgibt. Die mit dem Wegfall der Rechtsfolgen des § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG verbundenen mittelbaren Nachteile sind indessen völlig ungewiss, nämlich vom für den Kläger positiven Ausgang eines solchen gerichtlichen Eilverfahrens abhängig, falls dieser im Fall der Frist nach § 36 Abs. 1 AsylG einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt hätte (NdsOVG, B.v. 21.12.2018 – 10 LB 201/18 – juris Rn. 44). Dies gilt umso mehr, als der Kläger einen solchen Antrag gar nicht gestellt hat und dieser entsprechend der Entscheidung in dem vorliegenden Urteil jedenfalls als unbegründet abzulehnen gewesen wäre. Die Wirkung des § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG, wonach das Bundesamt das Asylverfahren auf eine stattgebende Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts hin fortzuführen hat, ist dem Kläger somit nicht entgangen. Ohnehin hätte der Kläger alleine aus dieser Verfahrensvorschrift keinen dauerhaften Rechtsvorteil ziehen können. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 25.4.2019 – 1 C 51.18 – juris Rn. 12) ist das Bundesamt bei einer Fortführung des Verfahrens nach § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG nicht unabhängig davon zu einer Sachentscheidung über den Asylantrag verpflichtet, ob weiterhin Unzulässigkeitsgründe vorliegen, sondern muss den Asylantrag bei Vorliegen der Voraussetzungen erneut nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig ablehnen. Damit wäre auch in der vorliegenden Fallkonstellation – selbst bei hypothetischer Stattgabe eines entsprechenden Eilantrags durch das erkennende Gericht – eine erneute Unzulässigkeitsentscheidung der Beklagten weiterhin möglich.
4. In rechtlicher Hinsicht ebenfalls nicht zu beanstanden ist schließlich das in Ziffer 4 des Bescheids auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Zwar geht die Rechtsprechung davon aus, dass ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach den Vorschriften der RL 2008/115/EG jedenfalls, soweit es an eine Abschiebung anknüpft, nicht aufgrund einer gesetzgeberischen Entscheidung – wie sie in der zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses gültigen Regelung des § 11 Abs. 1 AufenthG a.F. enthalten war – eintreten kann, sondern es hierfür vielmehr einer behördlichen Entscheidung bedarf (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 – juris Rn. 71). Auf diese unionsrechtlichen Vorgaben hat inzwischen auch der Gesetzgeber mit einer Neufassung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG durch Gesetz vom 15. August 2019 (BGBl. I 1294) reagiert und darin festgelegt, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot einer gesonderten Anordnung bedarf, zu der nach § 75 Nr. 12 AufenthG im Zusammenhang mit einer Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge berufen ist.
Die damit geforderte Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreiseverbots von bestimmter Dauer wird in unionsrechtskonformer Auslegung aber regelmäßig in einer behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG gesehen werden können (BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 – juris Rn. 72). Eine solche hat die Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid getroffen und in Ausübung des ihr nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eingeräumten Ermessens eine Befristung auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung vorgesehen.
Spezifische Ermessensfehler, auf deren Überprüfung das Gericht an dieser Stelle gemäß § 114 Satz 1 VwGO beschränkt ist, sind insoweit nicht zu ersehen. Insbesondere ist die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass mit Blick auf Anwesenheit der Ehefrau und der drei minderjährigen Söhne des Klägers in Deutschland eine Fristverkürzung nicht in Betracht zu ziehen war. Grundsätzlich müssen bei der Bestimmung der Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots die familiären Belange eines Ausländers, also seine Beziehungen zu (weiterhin) im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen, berücksichtigt werden (vgl. BeckOK-MigR/Katzer, 5. Ed. 1.7.2020, AufenthG, § 11 Rn. 25). Die Bedeutung derartiger familiärer Beziehungen wird dabei umso stärker sein, je mehr der Ausländer, um diese tatsächlich ausleben zu können, auf einen Aufenthalt im Bundesgebiet angewiesen ist. Letzteres wird namentlich dann der Fall sein, wenn der Angehörige des Ausländers über ein gefestigtes Aufenthaltsrecht in Deutschland verfügt. Fehlt es dem Angehörigen demgegenüber an einem derartigen Bleiberecht, ist auch der betreffende Ausländer zur Fortführung der familiären Beziehung regelmäßig nicht auf einen Aufenthalt in Deutschland angewiesen. So ist auch der vorliegende Fall gelagert. Ungeachtet der Frage, ob im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung überhaupt noch von einer tatsächlich gelebten Familiengemeinschaft zwischen dem Kläger sowie seiner Ehefrau und den gemeinsamen Söhnen ausgegangen werden kann, fehlt es letzteren jedenfalls an einem hinreichend gefestigten oder dauerhaften Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik. Da das Asylverfahren der Ehefrau und der Söhne bislang noch nicht unanfechtbar abgeschlossen wurde, ist diesen nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG ein lediglich vorübergehender Aufenthalt zum Zweck der (abschließenden) Durchführung ihres Asylverfahrens gestattet. Ähnliches gilt mit Blick auf die im Dezember 2017 nachgeborene Tochter des Klägers und seiner Ehefrau; mangels gegenteiligen Sachvortrags oder sonstiger erkennbarer Umstände muss davon ausgegangen werden, dass auch diese nicht über dauerhaftes oder sonst gefestigtes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik verfügt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.


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