Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage gegen Widerruf der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  W 4 K 16.31038

Datum:
13.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4, § 73 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, Abs. 8 S. 3
StGB StGB § 177
GG GG Art. 20 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Ein Widerruf der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylG iVm § 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG ist auch wegen solcher Straftaten möglich, die vor der Einfügung des § 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG im März 2016 begangen wurden. (Rn. 15 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein darin liegende Rückwirkung ist mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Auch der unionsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes steht einer Erstreckung des Anwendungsbereichs der neuen Rechtslage auf zurückliegende Sachverhalte nicht entgegen. (Rn. 22 – 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2016 entschieden werden, obwohl niemand für die Beklagte erschienen ist, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte wurde form- und fristgerecht geladen.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Widerrufsbescheid des Bundesamtes für … vom 29. Juni 2016 erweist sich in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung als rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, wie es für eine erfolgreiche Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderlich wäre.
Der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft war rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung internationalen Schutzes (Flüchtlingsanerkennung, subsidiärer Schutz), weil die Voraussetzungen des Art. 16a GG bzw. des § 3 Abs. 1 AsylG sowie des § 4 Abs. 1 AsylG nicht vorliegen. Auch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben.
Hinsichtlich der Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid vom 29. Juni 2016 Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird hierzu ausgeführt:
1. Der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist rechtmäßig.
Gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist vorliegend der Fall, da sich die Umstände zum Zeitpunkt des bestandskräftigen Anerkennungsbescheids vom 29. Juni 2015 im Vergleich zum Zeitpunkt des Widerrufsbescheids vom 29. Juni 2016 wesentlich geändert haben. Ein Wegfall der „Umstände“, wie in § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylG angesprochen, kann in einer entscheidungserheblichen nachträglichen Änderung der Sachwie auch der Rechtslage begründet sein (Kluth/Heusch, Beck´scher OK, Ausländerrecht, Stand: August 2016, § 73 AsylG Rn. 12).
1.1. Wie das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat, beruht der den Kläger begünstigende Bescheid vom 29. Juni 2015 auf der im Jahr 2015 geltenden Erlasslage, welche nicht von der tatsächlichen Annahme der Gruppenverfolgung der Jesiden auf dem gesamten Staatsgebiet des Irak ausging, sondern einer allen Angehörigen religiöser Minderheiten gewährten Begünstigung. Vom Vorliegen dieser Begünstigung konnten daher Antragsteller ausgenommen werden, auf die die Ausschlussgründe des § 60 Abs. 8 AufenthG a.F. zutrafen. Da die Jugendstrafe von § 60 Abs. 8 AufenthG a.F. noch nicht erfasst war, unterfiel der Kläger dieser Ausnahmeregelung im Jahr 2015 noch nicht, so dass die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde.
Das änderte sich mit Inkrafttreten des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl. I Nr. 12 S. 394; in Kraft getreten am 17. März 2016). § 60 Abs. 8 AufenthG wurde durch die Anfügung eines Satzes 3 dahingehend ergänzt, dass „von der Anwendung des Absatzes 1 abgesehen werden [kann], wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist“.
Der Kläger unterfällt dem Anwendungsbereich des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG n.F., da er wegen sexueller Nötigung, versuchter sexueller Nötigung, versuchter Vergewaltigung und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt worden ist. Es handelt sich um eine Straftat nach § 177 StGB. Die Straftat wurde ausweislich der Begründung des Urteils des Landgerichts Aschaffenburg vom 12. Juli 2012 mit Gewalt und unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib und Leben begangen. Ein Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung kommt daher in Frage, da der Kläger aufgrund dessen eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet. Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung angesichts der Bedeutung des Flüchtlingsschutzes ebenso wie in den Fällen des § 60 Abs. 8 Satz 1 und Satz 2 AufenthG an hohe Anforderungen gebunden ist. Im vorliegenden Fall sieht die Kammer jedoch sowohl eine Sicherheitsgefährdung als auch eine Wiederholungsgefahr auch nach Ableistung der Freiheitsstrafe als gegeben an:
Der Kläger ist wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt worden, wobei die Straftaten mit Gewalt und unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib und Leben begangen wurden. Nach der Aussage eines Vertreters des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 5. April 2016 schätzten sowohl die Justizvollzugsanstalt, ein extern beauftragter Gutachter als auch die Staatsanwaltschaft den Kläger als rückfallgefährdet ein (Bl. 4 f. d.A. des Bundesamts). Die Integration des Klägers und seine familiären Bindungen sind nicht wesentlich anders zu bewerten als zum Tatzeitpunkt im Jahr 2012, so dass angesichts der Schwere der Taten und der Umstände der Begehung und angesichts einer drohenden Wiederholungsgefahr eine Gefahr für bedeutsame Rechtsgüter (Leib und Leben, sexuelle Selbstbestimmung) zu verzeichnen ist. Anders als bei einer strafrechtlichen Sozialprognose, die keine weitgehende Gewissheit einer erfolgreichen Bewährung voraussetzt, sondern auch bei einem gewissen Restrisiko getroffen werden kann, sind für eine ausländerrechtliche Einschätzung andere Kriterien maßgebend. Hier stehen nicht nur Resozialisierungsaspekte, sondern in erster Linie ordnungsbehördliche Überlegungen im Vordergrund, in deren Mittelpunkt der Schutz der Gesellschaft vor weiteren Straftaten steht. Im gerichtlichen Verfahren konnte die Kammer keinen hiervon abweichenden Eindruck gewinnen. Der Klägerbevollmächtigte legte zuletzt eine Stellungnahme der Psychotherapeutischen Fachambulanz des Caritasverbands … vom 2. Dezember 2016 (vgl. Anlage zum Schriftsatz vom 6. Dezember 2016) vor, in welcher mehrmals auf ein fortbestehendes Rückfallrisiko beim Kläger hingewiesen wird. Der Bericht geht davon aus, dass aktuell beim Kläger ein solches Risiko besteht, das nur durch weiterführende Maßnahmen der Integration und Stabilisierung reduziert werden kann. Auch der Bericht der Bewährungshilfe am Landgericht Aschaffenburg vom 13. September 2016, welchen der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2016 vorgelegt hat, knüpft die positive Prognose hinsichtlich einer langanhaltenden Straffreiheit des Klägers an die Voraussetzung einer schulischen und beruflichen Integration und einer konsequenten sinnvollen Beschäftigung des Klägers. Insofern sind in der aktuellen Situation des Klägers eine Sicherheitsgefährdung und die Gefahr einer Wiederholung konkret zu besorgen.
1.2. Vorliegend ist das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen, dass ein Widerruf im Ermessen der Behörde steht. Die Ermessensausübung erfolgt zwar nicht in der direkten Anwendung des § 73 Abs. 2a Satz 5 AsylG. Die Vorschrift zeigt jedoch, dass ein Widerruf auch dann erfolgt, wenn das Bundesamt nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen hat. Diese Entscheidung des Bundesamts nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG steht jedoch im Ermessen der Behörde (§ 40 VwVfG), das im Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist. Vorliegend hat das Bundesamt das ihm im Rahmen des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Insbesondere hat das Bundesamt eine strikte Einzelfallprüfung durchgeführt, im Rahmen derer die Interessen des Klägers und das öffentliche Interesse an einem Widerruf abgewogen wurden. Im Ergebnis ist der Widerruf auch unter besonderer Bedeutung eines Überschreitens der Schwelle zur „Gefahr für die Allgemeinheit“ verhältnismäßig. Das Bundesamt hat hierbei zugunsten des Klägers seinen langjährigen Aufenthalt und den Aufenthalt seiner Familie in der Bundesrepublik gewürdigt, andererseits zu Ungunsten des Klägers die Art der Straftaten, die Wiederholungsgefahr, die Höhe des Strafmaßes und die Ausweisungsverfügung der Stadt Aschaffenburg vom 26. August 2014 (vgl. Bl. 141 der Ausländerakte der Stadt Aschaffenburg) zugrunde gelegt. Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens sind somit gewahrt; auch wurde von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 114 Satz 1 VwGO).
1.3. Die Rechtsänderung im Rahmen des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG im März 2016 beansprucht auch für das bereits abgeschlossene Asylverfahren des Klägers Geltung. Die Rückwirkung ist mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) vereinbar. Auch der unionsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes steht einer Erstreckung des Anwendungsbereichs der neuen Rechtslage auf den vorliegenden Sachverhalt nicht entgegen.
Der neue Tatbestand des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG wurde in Anwendung von Art. 14 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie) angefügt. Art. 14 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten einem Flüchtling die ihm von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannte Rechtsstellung aberkennen, diese beenden oder ihre Verlängerung ablehnen können, wenn a) es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass er eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält; b) er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde. In der Gesetzesbegründung zum neuen § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG nimmt der Gesetzgeber auf die Regelungen der Qualifikationsrichtlinie (insbesondere Art. 14 Abs. 4) daher ausdrücklich Bezug (vgl. BT-Drs. 18/7537, S. 8 f.). Im Hinblick auf die Umsetzung dieser unionsrechtlichen Vorgabe ist davon auszugehen, dass der Kläger sich nicht auf einen Verstoß gegen den (unionsrechtlichen) Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen kann (vgl. m.w.N. Kluth/Heusch, Beck´scher OK, Ausländerrecht, Stand: August 2016, § 73 AsylG Rn. 14).
Aus den gleichen Gründen scheidet ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) aus, da sich – wie dargelegt – der deutsche Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zu Art. 1 des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern ausdrücklich auf Art. 14 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) stützt und damit die Aberkennung und Beendigung der Rechtsstellung eines Flüchtlings ausdrücklich in den Anwendungsbereich des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG einbezieht. Dies setzt jedoch denknotwendig voraus, dass in abgeschlossene Sachverhalte, d.h. Asylverfahren, nachträglich regelnd eingegriffen werden kann. Für eine mögliche Anwendung im Rahmen von Widerrufsverfahren bei bestandskräftigen Flüchtlingsanerkennungen spricht darüber hinaus die ratio legis des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl. I Nr. 12 S. 394; in Kraft getreten am 17. März 2016). Als Ziel der Regelung formuliert die Begründung des Gesetzes unter Bezugnahme auf die Ereignisse der Silvesternacht 2015/2016, die Ausweisung krimineller Ausländer zu erleichtern und Asylsuchenden, die gravierende Straftaten begehen, die rechtliche Anerkennung als Flüchtling konsequenter als bisher versagen zu können (BT-Drs. 18/7537, S. 5). Der Gesetzgeber hat daher die Rechtslage nicht nur mit Wirkung für die Zukunft neu gestaltet. Die Regelung entfaltet vielmehr auch für bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren Geltung, so dass diese „Rückwirkung“ mit der Verfassung in Einklang steht (so BVerwG, U.v. 1.3.2012 – 10 C 10/11 – NVwZ 2012, 832, 834).
1.4. Auch sind für das Gericht keine zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründe im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylG, ebenso wie sonstige Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, ersichtlich, aus denen der Kläger die Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ablehnen kann.
Der Kläger hat als aus dem Kurdischen Autonomiegebiet stammender Jeside – sowohl der Geburtsort des Klägers, Faidah, als auch der letzte Wohnort, Sina, befinden sich in der Nähe der Stadt Dohuk – keinen Anspruch auf Gewährung des Flüchtlingsschutzes nach § 3 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Gericht sieht insofern keine Anhaltspunkte für eine staatliche oder nichtstaatliche Verfolgung von Jesiden.
Die Kurdischen Autonomiegebiete um Dohuk sind von den Kämpfen in den westlichen und südlichen Nachbarprovinzen nicht unmittelbar betroffen, wenn auch die Sicherheitslage dort weiterhin angespannt ist. Der Kläger kann sich daher auch nicht auf eine politische Verfolgung durch nichtstaatliche Dritte berufen. Zwar besteht in weiten Teilen des Iraks seit Mitte 2014 eine Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure in Gestalt des IS. Jedoch sind nach den Erkenntnissen des Gerichts und des Auswärtigen Amtes (vgl. den Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 18.2.2016, vgl. auch Gutachten Europäisches Zentrum für kurdische Studien vom 7.9.2015) die kurdischen Autonomiegebiete davon nicht betroffen. Vielmehr leben dort in großer Anzahl Flüchtlinge, die vor den Umtrieben des IS geflohen sind. Dies hat zur Folge, dass der Kläger in den Autonomiegebieten Zuflucht finden kann. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ist prognostisch auch in Zukunft mit einer politischen Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure dort nicht zu rechnen. Auch sind in der Region Kurdistan-Irak religiöse Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 18.2.2016, S. 9).
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (Todesstrafe), § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) oder § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15 c der RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) in Bezug auf den Irak zu. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht auch insoweit auf die zutreffende Begründung im Bescheid des Bundesamtes (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AsylG liegen ersichtlich nicht vor.
Von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG kann in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak nicht gesprochen werden. Zwar findet im Irak derzeit ein militärischer, bewaffneter Konflikt statt, der einen großen Teil des Landes erfasst und bei dem das irakische Militär nur langsam die Oberhand zu gewinnen scheint. Dieser innerstaatliche Konflikt stellt aber keine landesweite Konfliktsituation dar, da in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak keine tatsächliche Gefahr besteht. Der Kläger muss daher dort nicht damit rechnen, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, so dass von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil oder diesen Landesteilen aufhält. In den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak besteht derzeit keine Verfolgungsgefahr für den Kläger; weder eine staatliche noch eine Verfolgungsgefahr durch nichtstaatliche Akteure. Eine Rückkehr in den Nordirak, die Provinz Dohuk, erscheint unter diesen Gesichtspunkten möglich.
Ferner ist ein Ausländer nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 AsylG von der Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat (1.) oder eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt (4.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend verwirklicht, wie oben unter Ziffer 1. bereits dargelegt wurde.
3. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. Satz 2 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben.
3.1. Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht ersichtlich. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In Fällen, in denen gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris).
3.2. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine solche Abschiebestoppanordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger (hier: Straftäter aus den Autonomiegebieten; vgl. Rundschreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 10. August 2012, IA2-2081.13-15, in der Fassung vom 3. März 2014) angehört, nicht.
Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass die allgemeine Gefahr im Irak in der Herkunftsregion des Klägers sich nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet hat, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind nicht erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 13A ZB 13.30119 u.a. – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.4.2012 – A 11 S 3079/11 – juris). Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer reinen quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssten jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. So besteht eine extreme Gefahrenlage dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen und sicheren Hungertod nach erfolgter Abschiebung ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226). Dass dem Kläger für den Fall einer Rückkehr in die Provinz Dohuk in der Region Kurdistan-Irak eine derart extreme Gefährdungslage drohen würde, ist, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, auch mit Blick auf die dortige Sicherheitslage, nicht feststellbar.
Der Kläger, ein junger Mann, ist mittlerweile volljährig. Er kann auf die Unterstützung seiner Familie verwiesen werden, auch wenn diese sich mittlerweile nicht mehr vor Ort aufhält. Für die beim Kläger angeblich vorliegenden gesundheitlichen Einschränkungen wurden im Verfahren keinerlei ärztliche Nachweise vorgelegt. Die Erwähnung des Verdachts des Vorliegens einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer Autismus-Störung finden sich erstmals im Bericht der Psychotherapeutischen Fachambulanz des Caritasverbands … … … … … vom 2. Dezember 2016. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um fachärztliche Stellungnahmen. Auch ist der Kläger bisher diesbezüglich nicht behandelt worden. Auch im strafrechtlichen Verfahren 2012 wurde ein Facharzt hinzugezogen, der in dieser Hinsicht keine Diagnose getroffen hat.
Es ist daher nach Ansicht der Kammer auch nicht der Nachweis einer Erkrankung erbracht, welche sich auf Grund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert und als individuelle Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einzustufen ist. Das wäre nur dann der Fall, wenn sich eine vorhandene Erkrankung des Ausländers auf Grund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Eine posttraumatische Belastungsstörung liegt hier nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit vor. Sie wurde vorliegend schon nicht ausreichend diagnostiziert (vgl. zu den strengen Anforderungen im Bereich der PTBS BayVGH, U.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris Rn. 22). Gleiches gilt auch für den Verdacht hinsichtlich einer Autismus-Störung. Die Kammer konnte zudem in der mündlichen Verhandlung aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Kläger zu der Überzeugung gelangen, dass dieser jedenfalls nicht hilflos der Situation ausgeliefert ist, sondern diese reflektiert wahrnehmen kann.
Die Klage ist daher vollumfänglich abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben.


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