Verwaltungsrecht

Erfolgloser Abänderungsantrag: Keine abweichende Einschätzung der Bleibeperspektive nach Veröffentlichung der Lagebeurteilung zur Sicherheitslage für Afghanistan

Aktenzeichen  W 1 E 17.33122

Datum:
21.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 7, § 123
AsylG AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

Auch unter Zugrundelegung der jüngsten Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes vom 28. Juli 2017 droht in der Provinz Nangarhar, aber auch in Kabul als Ort eines möglichen internen Schutzes aktuell keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. (Rn. 4 – 5) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 7 VwGO analog kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 123 VwGO jederzeit ändern oder aufheben (vgl. Eyermann, VwGO, 13. Auflage, § 123 Rn. 77). Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
Der Antragsteller lässt gegen den am 24. Juli 2017 ergangenen Beschluss vortragen, dass aufgrund des Zwischenberichts der Bundesregierung über die Neubewertung der Sicherheitslage in Afghanistan vom 9. August 2017 der von der Antragsgegnerin als tragend angesehene Gesichtspunkt einer geringen Bleibeperspektive entfallen sei.
1. Es ist nach im vorliegenden Eilverfahren gebotener, aber auch ausreichender summarischer Prüfung nichts dafür ersichtlich, dass sich aus dem Bericht des Auswärtigen Amtes zur Lagebeurteilung für Afghanistan vom 5. Juli 2017 eine vom oben genannten Beschluss abweichende Einschätzung der Bleibeperspektive ergäbe. Dies folgt bereits daraus, dass sich die genannte Lagebeurteilung– aufgrund eingeschränkter eigener Arbeitsfähigkeit nach der Zerstörung der deutschen Botschaft in Kabul – maßgeblich auf Berichte anderer internationaler Organisationen sowie Nichtregierungsorganisationen zur Sicherheitslage in Afghanistan stützt (vgl. Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes vom 28. Juli 2017, Seite 1 Ziffer 3.), welche der Würdigung im Beschluss des Gerichts vom 24. Juli 2017 bereits zugrunde lagen. Es handelt sich bei den Ausführungen des Auswärtigen Amtes zu großen Teilen lediglich um die Wiederholung bereits bekannter Erkenntnisse aus anderen Berichten.
Darüber hinaus geht das Gericht davon aus, dass dem Antragsteller auch unter Zugrundelegung der jüngsten Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes in seiner Herkunftsregion, der Provinz Nangarhar, aber auch in Kabul als Ort eines möglichen internen Schutzes aktuell keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG droht. In der Ostregion, zu der die Provinz Nangarhar gehört, wurden im Jahre 2016 1.595 Zivilpersonen getötet oder verletzt (vgl. Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes vom 28.7.2017, Seite 9 Ziffer 32) und in der Zentralregion, zu der die Hauptstadt Kabul gehört, 2.348 Zivilpersonen (UNAMA, Annual Report Afghanistan 2016, Februar 2017, Seite 11). Im ersten Halbjahr 2017 wurden in der Ostregion sodann 702 Zivilpersonen getötet und verletzt und in der Zentralregion 1.254 Zivilpersonen (vgl. UNAMA Midyear Report, Juli 2017, S. 11). Trotz dieser Erhöhung der Opferzahlen (hinsichtlich der Zentralregion) im laufenden Kalenderjahr (unter Verdoppelung der Halbjahreszahlen) läge die Anschlagswahrscheinlichkeit sowohl für die Ostregion als auch für die Zentralregion bei deutlich unter 1: 800 und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris). Damit ist derzeit nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind darüber hinaus nicht erkennbar. Die Erkenntnis des Auswärtigen Amtes, dass die Bedrohungssituation des einzelnen nur unter Berücksichtigung regionaler und lokaler Gegebenheiten und unter Einbeziehung sämtlicher individueller Aspekte des Einzelfalls einzuschätzen sei (vgl. Lagebeurteilung, Seite 11 Ziffer 40), stellt ebenfalls in keiner Hinsicht eine neue Erkenntnis dar, sondern eine – auch bislang beachtete – Selbstverständlichkeit.
2. Soweit der Antragstellerbevollmächtigte hinsichtlich der ins Feld geführten Veränderung der Bleibeperspektive auf die im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes in der Bundespressekonferenz vom 9. August 2017 thematisierte Bekräftigung der Bundesregierung abzielen sollte (was der Antragsbegründung zumindest im Wortlaut nicht zu entnehmen ist), derzeit nur drei Personengruppen (Straffällige, sog. Gefährder sowie Personen, die sich nachhaltig und schuldhaft ihrer Identitätsfeststellung entziehen) zwangsweise nach Afghanistan zurückzuführen, so handelt es sich dabei schon gar nicht um einen veränderten Umstand gegenüber dem Beschluss des Gerichts vom 24. Juli 2017. Denn die Bundesregierung hatte bereits am 1. Juni 2017 bekanntgegeben, dass der Bund eine Neubewertung der Sicherheitslage in Afghanistan durchführen werde und bis dahin Abschiebungen nur in Einzelfällen durchgeführt werden sollten. Hiervon seien nur Straftäter, sog. Gefährder sowie abgelehnter Asylbewerber betroffen, die bei der Aufklärung über ihre Identität nicht mit den deutschen Behörden zusammenarbeiten https://www.bundesregierung.de/Content/DE/ Artikel/2017/06/2017-06-01-mpk-mit-bundeskanzlerin.html). Eine wie auch immer geartete Veränderung dieser bereits seit dem 1. Juni 2017 geltenden Praxis ist nicht ersichtlich.
Darüber hinaus fehlt es der zitierten Regelung – nach derzeitigem Stand – zumindest an einer hinreichenden Dauerhaftigkeit, welche erforderlich wäre, um die Bleibeperspektive abweichend von der (negativen) asylrechtlichen Entscheidung beurteilen zu können. Im Hinblick auf eine solche hinreichende Dauerhaftigkeit ist nach summarischer Einschätzung des Gerichts auch die Dauer des sich im Erfolgsfalle ergebenden Duldungsanspruchs – nämlich zumindest für den Zeitraum der Ausbildung sowie eine darüberhinausgehende zweijährige Berufstätigkeit (sog. 3 + 2 Regelung, § 60a Abs. 2 Satz 5, 18a Abs. 1a AufenthG) – in den Blick zu nehmen. Bei der skizzierten gemeinsamen Entscheidung des Bundes und der Bundesländer handelt es sich jedoch lediglich um eine vorläufige Regelung, welche vorerst nur bis zu einer Neubewertung der Sicherheitslage gelten soll, welche turnusmäßig voraussichtlich im Oktober 2017 erfolgen soll (http://www.auswaertiges-amt.de/DE/_ElementeStart/Sprecher_node.html); die o.g. Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes vom 28. Juli 2017 stellt einstweilen nur einen Zwischenbericht dar. Der Bund und (zumindest einzelne) Länder (darunter auch der Freistaat Bayern) gehen auch in Ansehung des nunmehr vorliegenden Zwischenberichts weiter davon aus, dass Abschiebungen nach Afghanistan grundsätzlich weiterhin möglich sind, wie die Entscheidung zur Abschiebung hinsichtlich der drei genannten Personengruppen eindeutig zeigt. Es wurde demgegenüber gerade kein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erlassen. Die Entscheidung, Abschiebungen für ganz bestimmte Personengruppen weiterhin durchführen zu können und zu wollen, zeugt nach Einschätzung des Gerichts vielmehr von einer politischen Motivation, welche bekanntlich nicht selten auch kurzfristigen Veränderungen unterliegt, wie etwa die abweichende Praxis der noch im ersten Halbjahr 2017 durchgeführten Sammelabschiebungen (ohne Begrenzung auf bestimmte Personengruppen) zeigt. Zusätzlich scheint die genannte Entscheidung auch der Tatsache geschuldet zu sein, dass die deutsche Botschaft in Kabul aufgrund ihrer weitgehenden Zerstörung am 31. Mai 2017 massiv und anhaltend in ihrer Funktionsfähigkeit eingeschränkt ist, so dass Abschiebungen von dort derzeit nicht unterstützt werden können. Schließlich ist eine Bleibeperspektive aufgrund eines individuellen asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Anspruchs nicht mit der aktuell vorliegenden und hinsichtlich ihrer Dauerhaftigkeit sehr fragilen politischen Entscheidung zu vergleichen, sodass die negative asylrechtliche Bleibeperspektive – zumindest bei aktueller Sachlage – nicht überwunden werden kann.
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen.


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