Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf einstweilige Anordnung zur Aussetzung der Abschiebung

Aktenzeichen  10 CE 16.2047

Datum:
21.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 25 Abs. 5, § 60a Abs. 2
EMRK EMRK Art. 8 Abs. 1
VwGO VwGO § 123 Abs. 1, § 146 Abs. 4 S. 6

 

Leitsatz

Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK vermitteln einem nichtsorgeberechtigten Elternteil nur dann einen unmittelbaren Anspruch eines auf Duldung zur Ausübung eines bestehenden Umgangsrechts, wenn im konkreten Einzelfall eine tatsächliche Verbundenheit zwischen dem Elternteil und seinem Kind besteht, die eine hinreichende Konstanz der Beziehung erwarten lässt und auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (so auch VGH München BeckRS 2015, 52028). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

10 E 16.1851 2016-09-19 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde, mit der der Antragsteller, ein tunesischer Staatsangehöriger, seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO auf Unterlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen durch die Ausländerbehörde der Beklagten weiter verfolgt, ist zwar zulässig, aber unbegründet. Die zur Begründung der Beschwerde dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO seine Prüfung zu beschränken hat, rechtfertigen nicht die Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 19. September 2016 das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs wegen des geltend gemachten rechtlichen Abschiebungshindernisses nach § 60a Abs. 2 AufenthG im Hinblick auf das dem Antragsteller zustehende Umgangsrecht mit seinem zwölfjährigen deutschen Sohn, der bei der sorgeberechtigten Mutter lebt, verneint. Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens im Sinn von Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK liege nicht vor, weil der Antragsteller eine tatsächlich gelebte Vater-Kind-Beziehung nicht ausreichend glaubhaft gemacht habe. Vor allem habe er versäumt darzulegen, wie sich aktuell nach der Haftentlassung das Verhältnis zu seinem Sohn darstelle. Die genannten Bestimmungen stünden im Übrigen einer Abschiebung nicht per se entgegen, sondern erforderten vielmehr eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, in deren Rahmen insbesondere auch die wiederholte, zum Teil erhebliche Straffälligkeit des Antragstellers zu berücksichtigen gewesen sei, die zu einer bestandskräftigen Ausweisung im Jahre 2008 und einer zunächst auf drei Jahre erteilten „Bewährungsduldung“ geführt habe; zuletzt sei der erneut ab 1. Februar 2014 inhaftierte Antragsteller durch Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 12. März 2015 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden.
Mit seiner Beschwerde trägt der Antragsteller vor, eine Aufenthaltsbeendigung stelle einen gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK konventionswidrigen Eingriff in sein Privatleben dar, denn in der Gesamtschau ergebe sich sehr wohl ein Bild der familiären Verbundenheit zwischen ihm und seinem Sohn. Zur Glaubhaftmachung legt er unter anderem eine eidesstattliche Versicherung vom 29. Oktober 2016 sowie ein Schreiben vom 18. Oktober 2016 an seinen Bevollmächtigten, weiter ein Schreiben seines Ex-Schwiegervaters, annähernd 30 Seiten protokollierte, elektronisch geführte Gespräche (Chats) mit seinem Sohn sowie vier Kopien handschriftlicher Schreiben, die von seinem Sohn verfasst worden sein sollen, vor. Außerdem legt er den Entwurf eines Arbeitsvertragsangebots vor, weiter die Bestätigung einer stationären Drogenhilfeeinrichtung, wonach er am 20. Mai 2016 aufgenommen worden sei und aus der er am 18. November 2016 entlassen werde. Der Antragsgegnerin müssten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder Duldung gemäß § 60a AufenthG aufenthaltsbeendende Maßnahmen untersagt werden.
Dieses Vorbringen vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob es dem Antragsteller damit gelungen ist, die tatsächlichen Voraussetzungen für das mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verfolgte Ziel, Abschiebungsschutz gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG wegen Vorliegens eines rechtlichen Abschiebungshindernisses aus Art. 8 Abs. 1 EMRK zu erhalten, in der gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO gebotenen Art und Weise glaubhaft zu machen. Zunächst vermögen weder Art. 6 Abs. 1 GG noch Art. 8 Abs. 1 EMRK einen unmittelbaren Anspruch eines Elternteils auf Duldung zur Ausübung eines bestehenden Umgangsrechts zu begründen. Die hier geltend gemachten rechtlichen Schutzwirkungen zugunsten eines Elternteils entfalten diese Bestimmungen nur dann, wenn im konkreten Einzelfall eine tatsächliche Verbundenheit zwischen dem Elternteil und seinem Kind besteht, die eine hinreichende Konstanz der Beziehung erwarten lässt und auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (BVerfG, B.v 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 14; st. Rspr. des Senats, vgl. z. B. BayVGH, B.v 11.8.2015 – 10 C 15.1446 – juris Rn. 8). Ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, kann auch vor dem Hintergrund der vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen nicht ohne weiteres beurteilt werden. Zwar wird auch das ernsthafte und nachweisliche Bemühen um die erstmalige regelmäßige Ausübung des Umgangsrechts mit einem Kind grundsätzlich vom Recht auf Privatleben i. S.v. Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasst (vgl. EGMR, U.v. 21.12.2010 – Rs. 20578/07 – juris Rn. 55 – 62; BayVGH, U.v. 26.9.2016 – 10 B 13.1318 – juris). Im vorliegenden Fall ist allerdings die Annahme nicht von der Hand zu weisen, der Antragsteller verfolge seine Absicht, erstmals ein nachhaltiges persönliches Verhältnis zu seinem Sohn aufzubauen, zumindest vorrangig nur deshalb, weil nun erstmals seit Erlass der Ausweisungsverfügung vom 25. Juni 2008 die Durchsetzung der seit über acht Jahren bestehenden vollziehbaren Ausreisepflicht ernsthaft droht. Jedenfalls bestand während der Zeiten der Inhaftierung (zuletzt vom 1.2.2014 bis 19.5.2016) keine über gelegentliche briefliche Kontakte zwischen Vater und Sohn hinausgehende Beziehung; seither ist es dem in einer Drogenhilfeeinrichtung untergebrachten Antragsteller jedoch offenbar möglich, an jedem zweiten Wochenende in der Wohnung seines Ex-Schwiegervaters Umgang mit seinem Sohn zu haben.
Letztlich kann die Frage nach der Schutzwürdigkeit der konkreten Form der Ausübung des Umgangsrechts dahinstehen. Selbst wenn man nämlich annehmen wollte, dass eine Abschiebung des Antragstellers einen Eingriff in sein durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Privatleben bedeuten würde, ließe Art. 8 Abs. 2 EMRK nach Auffassung des Senats hier einen solchen Eingriff zu, weil er „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die… öffentliche Sicherheit“.
Bereits das Verwaltungsgericht ist in seinem Beschluss (vgl. S. 12) – ohne dass die Beschwerde dies thematisiert – zutreffend davon ausgegangen, dass sich auch durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte gewichtige familiäre Belange bei der einzelfallbezogenen Würdigung und Abwägung der für die Abschiebung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers nicht stets durchsetzen (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, B.v. 14.4.2015 – 10 ZB 14.2534 – juris Rn. 9 m. w. N.). Das Verwaltungsgericht hat die verfassungsrechtlichen (vgl. z. B. BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 14) Maßgaben für die Berücksichtigung der familiären Bindung des Antragstellers an seinen Sohn mit deutscher Staatsangehörigkeit erkannt und den mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in die durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Rechte von Vater und Sohn bewertet. Auch der Senat ist der Auffassung, dass die bei der Abwägung einzustellenden Interessen von Vater und Kind am weiteren Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet erheblich weniger Gewicht besitzen als die gegen einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet sprechenden Gründe. Vom Antragsteller geht nach wie vor die konkrete Gefahr der Begehung schwerer Gewaltdelikte, auch unter Drogeneinfluss, sowie die Gefahr erneuter Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz aus. Diese Bewertung gründet sich zum einen auf die Art, Schwere und Anzahl der begangenen Straftaten. Zum Anderen und insbesondere ist sie vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Antragsteller es trotz bestandskräftiger Ausweisung aus dem Jahr 2008 und einer (ab Haftentlassung am 9.3.2009) begonnenen dreijährigen ausländerrechtlichen „Bewährungszeit“ nicht geschafft hat, dauerhaft ein straffreies Leben zu führen. Besonderes Gewicht kommt dabei der Verurteilung durch das Landgericht Ingolstadt vom 12. März 2015 wegen gefährlicher Körperverletzung zu; dieser Verurteilung lagen zwei vom Antragsteller geführte Messerstiche gegen das Opfer, mit dem es aus nichtigem Anlass zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen war, zugrunde. Auch hierbei stand der Antragsteller offenbar unter gewissem Drogeneinfluss. Diese gegen die körperliche Unversehrtheit und damit eines der höchsten Rechtsgüter gerichtete Straftat spricht vor dem Hintergrund, dass er sich nicht durch seine prekäre ausländerrechtliche Situation von der Straftat hat abhalten lassen, dafür, dem Schutz von Leben und Gesundheit als Grundinteresse der Gesellschaft den Vorrang vor den Interessen des Antragstellers am Umgang mit seinem Kind einzuräumen. Für diese Gewichtung spricht des Weiteren die Notwendigkeit der Bekämpfung der Drogenkriminalität. Dem Umstand, dass sich der Antragsteller erstmals in eine stationäre Drogentherapie begeben hat, kommt in diesem Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung zu, weil ein dauerhafter Erfolg der Therapie noch nicht abgesehen werden kann.
Die Aufrechterhaltung des gegenseitigen Kontakts zwischen Vater und Sohn auf brieflichem und telefonischem Weg sowie insbesondere über Internet sollte von Tunesien aus grundsätzlich möglich sein, auch wenn die Infrastruktur für die Telekommunikation, wie der Antragsteller vorträgt, teilweise sehr schlecht ist; der Senat geht davon aus, dass beiden auch in Zukunft diejenigen Medien zur Verfügung stehen, mit deren Hilfe sie offenbar schon heute kommunizieren, wie der vorgelegte Chatverlauf zeigt. Im Ergebnis spricht auch nichts dafür, dass das Wohl des Kindes bei einem Aufenthalt des Antragstellers in Tunesien gefährdet wäre und daher bei der erforderlichen Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung so gewichtig sein könnte, dass letztere als unverhältnismäßig anzusehen wäre.
Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend auch für das Vorbringen, dem Antragsteller werde durch eine Abschiebung der Kontakt zu seiner im Bundesgebiet lebenden Mutter, zu der er ein sehr gutes Verhältnis habe, abgeschnitten und damit
in sein Privatleben eingegriffen. Die weiter vorgebrachte Absicht, seine kranke Mutter pflegen zu wollen, ist schon nicht in der notwendigen Art und Weise glaubhaft gemacht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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