Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf vorbeugenden Rechtsschutz gegen polizeiliche Maßnahmen

Aktenzeichen  10 CE 22.68

Datum:
12.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1104
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Vorbeugender Rechtsschutz gegen erwartete oder befürchtete staatliche Maßnahmen ist grundsätzlich unzulässig und nur ausnahmsweise möglich und erfordert insbesondere, dass der Antragsteller über ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis verfügt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es obliegt dem Antragsteller bzw. seinem Bevollmächtigten, Akteneinsicht zu nehmen; wird dies unterlassen, so liegt darin kein Gehörsverstoß staatlicher Stellen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 23 E 22.104 2022-01-12 VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, dem Antragsgegner im Wege vorbeugender einstweiliger Anordnung aufzugeben, polizeiliche Maßnahmen bezüglich eines für Mittwoch, 12. Januar 2022, von 18.00 bis 18.30 Uhr auf dem Marienplatz in München geplanten sogenannten Rosenkranzgebetes zu unterlassen.
Aus den vorgelegten Behördenakten sowie nach telefonischer Auskunft eines Vertreters des Polizeipräsidiums München ergibt sich, dass die Polizei am 5. Januar 2022 als Versammlungsbehörde im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetz (BayVersG) Maßnahmen – auch – gegenüber den sich zu dem Rosenkranzgebet an der Mariensäule am Marienplatz in München versammelten Personen getroffen hat. Dies sei deshalb erforderlich gewesen, nachdem sich eine beträchtliche Zahl (ca. 100 Personen) von Teilnehmern einer – nicht angezeigten – Versammlung unter die Teilnehmer des Rosenkrangebetes gemischt hätten. Die wenigen Betenden (in der Regel ca. 10 Personen) hätten seitens der Einsatzkräfte inmitten der Vielzahl der Versammlungsteilnehmer nicht gesondert behandelt werden können bzw. seien optisch nicht unterscheidbar gewesen. Im Vorfeld des regelmäßig am Mittwochabend an der Mariensäule des Marienplatzes stattfinden Rosenkranzgebets war gegenüber weiteren Teilnehmern von Seiten der (städtischen) Versammlungsbehörde im Falle einer sehr dynamischen Situation auf dem Marienplatz das „Eiserne Kreuz“ am Sendlinger Tor Platz als alternative Örtlichkeit empfohlen worden.
Am 11. Januar 2022 hat der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage beim Verwaltungsgericht (Az. M 23 K 22.103) mit dem Antrag erhoben, festzustellen, dass die am 5. Januar 2022 gegenüber den am Fuße der Mariensäule bzw. am Fischbrunnen befindlichen Teilnehmer des Rosenkranzgebets auf dem Marienplatz jeweils mündlich ausgesprochen Verfügungen der Polizei, das Gebet zu unterlassen und sich zu entfernen, rechtswidrig gewesen seien. Gleichzeitig hat der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erheben lassen mit dem Antrag, dem Antragsgegner zu untersagen, am Mittwoch, den 12. Januar 2022, das auf dem Münchner Marienplatz zwischen 18:00 Uhr und 18:30 Uhr stattfindende Rosenkranzgebet durch Verfügungen seiner Polizeibehörden zu unterbinden.
Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 11. Januar 2022 beantragt, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung bestätigt er hinsichtlich eines zuvor von Seiten der Verwaltungsgerichts ergangenen richterlichen Hinweises, dass „hinsichtlich der streitgegenständlichen Zusammenkunft, das heißt für die am 12. Januar 2022 zu religiösen Zwecken geplante halbstündige Zusammenkunft zum gemeinsamen Gebet, nicht mit dem Erlass polizeilicher Maßnahmen nach dem PAG zu rechnen ist, solange keine weiteren Umstände hinzutreten, namentlich das Auftreten versammlungsrechtlicher Elemente oder anderweitige sich abzeichnender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.“
Mit weiterem Schriftsatz des Antragstellers vom 11. Januar 2022 hat der Antragsteller sein Vorbringen ergänzt.
Mit Beschluss vom 11. Januar 2022 um 16.01 Uhr hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers abgelehnt. Zur Begründung führt es an, dass es im vorliegenden Fall an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehle.
Allein aus den Maßnahmen des Antragsgegners vom 5. Januar 2022, die Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung im Rahmen des ebenso anhängig gemachten Hauptsacheverfahren sind, könne nicht darauf geschlossen werden, dass die dort getroffenen polizeilichen, und nach Auskunft des Antragsgegners auf das BayVersG gestützten Maßnahmen, sich jedenfalls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der Weise wiederholen werden. Denn wie sich aus den Erklärungen des Antragsgegners ergebe, sei hinsichtlich der zu religiösen Zwecken geplanten – und von Antragsseite so vorgetragen und beanspruchten – halbstündigen Zusammenkunft zum gemeinsamen Gebet am 12. Januar 2022, von 18.00 bis 18.30 Uhr an der Mariensäule am Marienplatz in München nicht mit dem Erlass polizeilicher Maßnahmen nach dem PAG zu rechnen, solange keine weiteren Umstände hinzutreten würden, namentlich das Auftreten versammlungsrechtlicher Elemente oder anderweitiger sich abzeichnender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Damit aber entfalle das Rechtsschutzbedürfnis für vorbeugenden Rechtsschutz, denn mit dem vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung könne von Vornherein schon keine (weitergehende) Verbesserung der Rechtsposition des Antragstellers erreicht werden. Denn dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers werde insoweit schon dadurch Rechnung getragen, dass insoweit die Zusammenkunft von Seiten des Antragsgegners – wie auch im Übrigen von der (städtischen) Versammlungsbehörde – unter den oben skizzierten Umständen als religiöse Zusammenkunft (Art. 4 Abs. 1 GG) und nicht als Versammlung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 BayVersG qualifiziert werde, die dann ihrerseits und gegebenenfalls vom Anwendungsbereich der Allgemeinverfügung der Landeshauptstadt München vom 7. Januar 2022 zu Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen (öffentlich bekannt gemacht unter https://stadt.muenchen.de/infos/amts-blatt.html) erfasst würde. Für eine darüberhinausgehende Verpflichtung des Antragsgegners, den Antragsteller als Teilnehmer des Rosenkranzgebets vor jedweden weiteren polizeilichen Maßnahmen zu „verschonen“, sei im Hinblick darauf, dass der Polizei die Aufgaben der Strafverfolgung (Repression) und Gefahrenabwehr (Prävention) obliegen, schon kein Rechtsschutzbedürfnis für den vorliegenden Antrag im vorläufigen Rechtsschutz gegeben.
Der Antragsgegner hat hiergegen ebenfalls am 12. Januar 2022 um 16.09 Uhr Beschwerde eingelegt mit dem Antrag der Sache nach,
unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts dem Antragsgegner im Wege vorbeugender einstweiliger Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO aufzugeben, polizeiliche Maßnahmen bezüglich eines für Mittwoch, 12. Januar 2022, von 18.00 bis 18.30 Uhr auf dem Marienplatz in München geplanten sogenannten Rosenkranzgebetes zu unterlassen.
Zur Begründung führt er an, dass aus der Einlassung des Antragsgegners deutlich werde, dass auch heute Maßnahmen gegen das Rosenkratzgebet zu erwarten seien. Dadurch dass sich Teilnehmer nicht angezeigter Versammlungen unter die Betenden mischten, schlage diese nicht eine Corona-Protestveranstaltung um. Vielmehr werde das Gebet gestört, was eine Straftat nach § 167 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstelle. Allerdings sei die Polizei verpflichtet, gegen die Verursacher der Störung vorzugehen, nicht gegen die Betenden. Dass der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht den Zusammenhang nicht erkennen würden, zeige, dass mit einer Verletzung der Religionsfreiheit der Betenden sehr wahrscheinlich zu rechnen sei, zumal sich in der Münchner Innenstadt auch am heutige Tag wieder eine sehr dynamische Situation ergeben würde.
Außerdem verletze der Beschluss des Verwaltungsgerichts den Antragsteller in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 101 Abs. 1 GG (gemeint wohl: Art. 103 Abs. 1 GG – Anm. d. Senats), weil dieser davon spreche, dass ein Vorgehen nur gegen wenige Betende, in der Regel zehn Personen, geboten gewesen sei, nachdem sich eine beträchtliche Zahl circa 100 Personen, unter diese gemischt hätten. Abgesehen davon, dass zu dem Rosenkranzgebet mehr Personen erscheinen würden und es auch mehr Personen gewesen seien, sei erstmals in dem Beschluss von der imposanten Zahl von 100 Personen die Rede gewesen. Weder in dem Schreiben des Verwaltungsgerichts noch in dem Telefax der Münchner Polizei werde die Zahl erwähnt, so dass das Verwaltungsgericht dem Beschluss Tatsachen zugrunde gelegt habe, zu denen sich der Antragsteller nicht habe äußern können. Da die Zahl die tatsächlichen Verhältnisse am Ort des Geschehens auf den Kopf stelle, hätte der Antragsteller sich dazu äußern dürfen müssen. Denn wäre es so gewesen, dann wären die Störer bei einem Zahlenverhältnis von 100:10 dominant gewesen, und es hätte sich eine verbotene Versammlung gebildet.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
a) Auf Antrag kann das Gericht nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Voraussetzung für einen in der Sache erfolgreichen Eilantrag ist, dass der Antragsteller den Anordnungsanspruch, das von ihm geltend gemachte Recht, sowie den Anordnungsgrund, die besondere Dringlichkeit, darlegt und die Tatsachen dafür im Sinne von § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO und § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft macht.
b) Die von dem Antragsteller in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
aa) Der Antragsteller wehrt sich damit gegen künftige (polizeiliche) Anordnungen und damit Verwaltungsakte (Art. 35 Satz 1 BayVwVfG) des Antragsgegners, die dieser noch nicht erlassen hat und die den Antragsteller dementsprechend aktuell nicht beschweren. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ist wegen des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung und des der Exekutive zugewiesenen Handlungsfeldes grundsätzlich nicht vorbeugend konzipiert, sondern reaktiv ausgestaltet. Die den Verwaltungsgerichten übertragene Kontrollfunktion gegen staatliche Maßnahmen setzt grundsätzlich erst nachgelagert ein. Die Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes erfordert daher regelmäßig den Erlass einer Maßnahme, der dann Gegenstand gerichtlicher Überprüfung ist. Vorbeugender Rechtsschutz gegen erwartete oder befürchtete staatliche Maßnahmen ist grundsätzlich unzulässig und nur ausnahmsweise möglich (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2014 – 6 C 7.13 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 28.11.2019 – 10 CE 19.2234 – juris Rn. 5 m.w.N.). Voraussetzung hierfür ist auf Zulässigkeitsebene insbesondere, dass der Antragsteller über ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis verfügt. Ein qualifiziertes Rechtschutzbedürfnis ist zu bejahen, wenn ohne die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes die Gefahr bestünde, dass vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen würden oder wenn ein nicht mehr wiedergutzumachender Schaden entstünde (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2019 – 10 CE 19.2234 − juris Rn. 5 m.w.N.).
bb) Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht das Vorliegen des qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses verneint hat.
Der Senat verweist hierbei zunächst nach § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO entsprechend auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts. Darüber hinaus gilt Folgendes: Der Antragsgegner hat zusagt, dass er gegen das Rosenkranzgebet als solches nicht einzuschreiten beabsichtigt, und hat sich lediglich vorbehalten, gegebenenfalls polizeiliche Maßnahmen zu ergreifen, sollte für die Einsatzkräfte das Gebet aufgrund der Ununterscheidbarkeit der religiösen Zwecke von den Kommunikationszwecken der anwesenden Personen vor Ort nicht mehr als solches erkennbar sein und den Charakter einer nicht angezeigten Versammlung annehmen. Dem setzt der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren nichts an Substanz entgegen. Davon, dass es unter diesen Umständen möglich sein soll, die Betenden auszusparen, geht er selbst nicht aus.
Auch aus der geltend gemachten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann der Antragsteller den Erlass einer für ihn günstigen einstweiligen Anordnung nicht herleiten. Erstens ergeben sich die Tatsachen, zu denen er sich seiner Auffassung nach nicht äußern durfte, aus der Behördenakte (vgl. Behördenakte, Bl. 1: „in der Regel 10 Personen“ u. Bl. 4: „bei dem Rosenkranzgebet wurde der Zulauf größer … ca. 100 Pers. vor Ort“). Es obliegt dem durch einen Staatsrechtslehrer vertretenen Antragsteller, Akteneinsicht zu nehmen. Dass er dies nicht getan hat, begründet keinen Gehörsverstoß staatlicher Stellen. Zweitens gilt die geltend gemachte Verletzung auch im Beschwerdeverfahren als geheilt.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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