Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  9 ZB 20.31687

Datum:
15.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24833
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, § 60a Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Für die aufgeworfene Frage, ob es für einen Mann, der bereits längere Zeit aus Uganda ausgereist ist und über kein unterstützungsbereites oder unterstützungsfähiges soziales Netzwerk verfügt, möglich ist, in Zeiten der Coronapandemie in Uganda einen Lebensunterhalt aufzubauen und zu erhalten, ist nicht ausreichend dargelegt, warum die Beantwortung grundsätzlich klärungsbedürftig sein kann. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit einer Rüge der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht begründet werden. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 17.41796 2020-07-13 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.7.2020 – 9 ZB 20.31403 – juris Rn. 3). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Für die aufgeworfene Frage, ob es für einen Mann, der bereits längere Zeit aus Uganda ausgereist ist und über kein unterstützungsbereites oder unterstützungsfähiges soziales Netzwerk verfügt, möglich ist, in Zeiten der Corona Pandemie in Uganda einen Lebensunterhalt aufzubauen und zu erhalten, ist jedenfalls nicht ausreichend dargelegt, warum die Beantwortung grundsätzlich klärungsbedürftig sein kann. Abgesehen davon, dass der Kläger, der durch Covid 19 bedingte Gefahren in Uganda im erstinstanzlichen Verfahren, insbesondere auch in der mündlichen Verhandlung vom 13. Juli 2020, nicht thematisiert hat, mit seinem Zulassungsantrag keine Tatsachen- und Erkenntnisquellen (z.B. Gutachten, Auskünfte, Presseberichte, andere Gerichtsentscheidungen) benannte, aus denen sich ergeben würde, dass die gestellte Frage im Berufungsverfahren zu einer vom angefochtenen Urteil abweichenden Entscheidung führen könnte (vgl. BayVGH, B.v 29.7.2020 – 9 ZB 20.31477 – juris Rn. 4), hat er drohende, durch Covid 19 bedingte Widrigkeiten in Uganda, die zum Vorliegen von Abschiebungsverboten führen könnten, auch ansonsten nicht nachvollziehbar dargelegt. Der Kläger verweist darauf, dass im März 2020 der erste Infektionsfall bekanntgeworden sei, die Zahlen stetig ansteigen würden – so seien am 18. August 2020 über 100 neue Infektionen gezählt worden; dies könne bei einer Bevölkerung von 42 Millionen, 35% davon unter der Armutsgrenze, sowie einer Prägung des Landes durch Migration, Auswirkungen des Klimawandels, Missernten, Epidemien und die massenhafte Aufnahme von Geflüchteten aus Nachbarländern schwerwiegende Folgen haben. Uganda habe schnell einen Lockdown verhängt, „der für viele einen schmalen Grad zwischen Armut und Hunger“ bedeutet habe; die Verteilung von Getreide und Bohnen erreiche viele Notleidende jedoch nicht. Zahlreiche Menschen in Uganda lebten unter unzureichenden hygienischen Bedingungen auf beengtem Raum. Mit alldem ist nicht dargetan, dass der Kläger entgegen den Feststellungen im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, auf die das Verwaltungsgericht Bezug genommen hat (§ 77 Abs. 2 AsylG), „in einem Lockdown“ keine Möglichkeit hätte, seinen Lebensunterhalt sicherzustellen und deshalb wegen außergewöhnlich prekärer Lebensbedingungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu besorgen und ein nationales Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen wäre (vgl. VGH BW, U.v. 26.6.2019 – A 11 S 2108/18 – juris Rn. 22 ff. m.w.N.). In Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat der Kläger somit auch nicht dargetan, dass sich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG trotz des Fehlens einer politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG wegen einer vorliegenden Extremgefahr, wegen der er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde, für ihn nicht auswirkt (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14/10 – juris Rn. 20, 23; OVG NW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris Rn. 38, 48; VGH BW, U.v. 26.6.2019 – A 11 S 2108/18 – juris Rn. 131 ff. m.w.N.). Anhand des Zulassungsvorbringens ist außerdem nicht zu ersehen, dass die aufgeworfene Frage überhaupt verallgemeinernd, zumindest im Hinblick auf Umstände bzw. Merkmale, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden (vgl. BayVGH BW, U.v. 26.6.2019 – A 11 S 2108/18 – juris Rn. 30) und nicht nur nach Würdigung der konkreten Verhältnisse im Einzelfall des Klägers beurteilt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2020 – 9 ZB 20.31477 – juris Rn. 4).
2. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO).
a) Ein solcher Verstoß kann nicht angenommen werden, weil das Verwaltungsgericht Angaben zu Jahreszahlen als widersprüchlich angesehen, sich hierbei aber verrechnet habe.
Mit einer Rüge der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht begründet werden (BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 9.10.2018 – 9 ZB 16.30738 – juris Rn. 6). Auch soweit der Kläger Rechtsanwendungsfehler im Zusammenhang mit der Würdigung seines Vortrags behauptet, ist dies grundsätzlich nicht geeignet, einen Gehörsverstoß zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 6.5.2010 – 1 BvR 96/10 – juris Rn. 28; BVerwG, B.v. 9.6.2011 – 3 C 14.11 – juris Rn. 7). Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann allenfalls im Einzelfall bei gravierenden Verstößen verletzt sein, wenn die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, B.v. 8.4.2004 – 2 BvR 743/03 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 8.10.2019 – 9 ZB 19.31544 – juris Rn. 3), oder wenn es sich um gewichtige Verstöße gegen Beweiswürdigungsgrundsätze handelt, weil etwa die Würdigung willkürlich erscheint oder gegen gesetzliche Beweisregeln, allgemeine Erfahrungssätze, unumstrittene Geschichtstatsachen oder gar die Denkgesetze verstößt (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710.94 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 7.7.2020 – 9 ZB 20.31328 – juris Rn. 7). Derart gravierende Mängel zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf.
Das Verwaltungsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, warum es den Vortrag des Klägers, homosexuell zu sein und deshalb in Uganda Verfolgung zu befürchten, als unglaubhaft bewertet hat. Es hat angeführt, dass nach dem Vortrag des Klägers das „innere Ringen“ zwischen den erwarteten gesellschaftlichen Konventionen und der Erkenntnis bzw. dem Nachgeben der eigenen sexuellen Veranlagung nicht nachvollzogen werden könne, den Vortrag auch im Übrigen als vage und oberflächlich eingestuft und diverse Widersprüche zwischen den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt aufgezeigt. In diesem Zusammenhang hat es auch auf die fehlende Plausibilität der zeitlichen Abfolge von Schilderungen des Klägers hingewiesen. Wenn der Kläger 1995 geboren sein wolle, müsse eine angebliche Episode mit einem älteren Mann, der verhaftet worden sein soll, 2008/2009 gewesen sein. Ein Jahr später (2010) habe sich angeblich eine Affäre mit einem LKW-Fahrer zugetragen. Die Ausreise sei aber nach den Angaben des Klägers beim Bundesamt 2012 erfolgt. Diese Argumentation ist durch den Hinweis des Klägers darauf, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, durch den älteren Mann als 16- bis 17-jähriger Jugendlicher missbraucht worden zu sein, was mit dem Ausreisedatum 2012 in Einklang stehe, nicht erschüttert, nachdem dem Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 13. Juli 2020 entnommen werden kann, dass der Kläger mit 12/13 Jahren einen etwa gleichaltrigen Partner gehabt, er diese Beziehung aber wegen einer Beziehung zu einem älteren Mann, die entdeckt worden und worauf der Mann ins Gefängnis gekommen sei, beendet habe. Er selbst sei von der Polizei verwarnt und nicht festgenommen worden, weil er noch zu jung gewesen sei. Er wolle sich „da nicht mehr als Kind bezeichnen, sondern als Jugendlicher, wie ein 16 bis 17-Jähriger“. Eine plausible zeitliche Abfolge der Geschehnisse, die nicht in einer Weise, wie sie das Verwaltungsgericht vorgenommen hat, interpretierbar ist, ergibt sich daraus nicht. Insoweit kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Kläger schon gegenüber dem Bundesamt von einem ersten sexuellen Vorfall mit einem Mann in seiner Kindheit berichtete.
b) Der Kläger hat auch sonst keine gravierenden Verstöße im oben genannten Sinne gegen Grundsätze der Beweiswürdigung dargelegt. Es ist die Sache des Tatrichters, sich selbst die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags zu verschaffen (vgl. BVerwG, B.v. 22.2.2005 – 1 B 10.05 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 12.3.2019 – 9 ZB 17.30411 – juris Rn. 6 m.w.N.). Indem der Kläger noch auf sein Analphabetentum verweist, weshalb er Angaben zu seinem Alter nicht zuverlässig machen könne, und anführt, dass das Thema Homosexualität schambehaftet sei, weshalb sich der Kläger nicht frei zu seinen sexuellen Interaktionen habe äußern können, sowie das Gericht hinsichtlich des inneren Ringens zwischen den gesellschaftlichen Konventionen und dem Nachgeben des eigenen sexuellen Verlangens einen überhöhten Maßstab angelegt habe, kritisiert der Kläger wiederum nur die Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind nach § 78 Abs. 3 AsylG jedoch kein Grund für die Zulassung der Berufung (BayVGH, B.v. 29.6.2018 – 9 ZB 18.31509 – juris Rn. 9).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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