Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  9 ZB 20.32096

Datum:
24.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36199
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzliche Entscheidung stellen keinen im Asylverfahrensrecht vorgesehenen Zulassungsgrund dar. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Divergenzrüge kann nicht auf eine fehlerhafte Anwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Einzelfall gestützt werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 30 K 17.43920 2020-09-09 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger ist nach seinen Angaben Staatsangehöriger Sierra Leones und begehrt die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Mit Urteil vom 9. September 2020 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Soweit sich der Kläger auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruft, liegt bereits kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund vor (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2020 – 9 ZB 20.30794 – juris Rn. 3). Im Übrigen liegt weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), noch eine Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) oder ein Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) vor.
1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2020 – 9 ZB 20.31477 – juris Rn. 3 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
a) Die im Zulassungsvorbringen angeführte Frage, „bis zu welchem Punkt ein ärztliches Attest im Sinne des § 60a Abs. 2c AufenthG in die Details gehen muss, um im Asylverfahren durch das Gericht im Sinne eine Krankheit gewertet werden muss“, ist weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), der Schweregrad der Erkrankung, der lateinische Name oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten sein sollen. Dies entspricht dem Wortlaut des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG. Darüber hinaus müssen zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein (§ 60a Abs. 2c Satz 4 AufenthG). Ob diese Anforderungen durch die vom Kläger vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen eingehalten sind, ist nicht verallgemeinernd, sondern nur nach jeweiliger Würdigung der Verhältnisse im Einzelfall zu beurteilen. Das Verwaltungsgericht hat insoweit in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass hier die vorgelegten Atteste weder einzeln noch in der Gesamtschau diesen Anforderungen entsprächen. Hieran ändert auch die im Zulassungsverfahren vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 8. Oktober 2020 nichts. Denn unabhängig davon, ob diese den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Sätze 3 und 4 AufenthG entspricht, werden dadurch vielmehr im Gewand einer Grundsatzrüge ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geltend gemacht, die jedoch keinen im Asylverfahrensrecht vorgesehenen Zulassungsgrund darstellen (vgl. BayVGH, B.v. 17.9.2020 – 9 ZB 20.31773 – juris Rn. 6).
b) Das Vorbringen, dem Kläger sei die Sicherung seiner Existenz ohne Medikamente und ohne laufende ärztliche Kontrolle nicht möglich, zeigt keine grundsätzliche Bedeutung auf. Das Verwaltungsgericht hat unter Würdigung der schwierigen wirtschaftlichen Situation in Sierra Leone darauf abgestellt, dass der Kläger aufgrund seiner jahrelangen Berufserfahrung und besonderer Expertise über Wissen verfügt, das es ihm ermöglicht, innerhalb seines Berufsfeldes auch mit weitaus weniger kraftaufwendigen Arbeiten betraut zu werden. Abgesehen davon, dass sich das Zulassungsvorbringen nicht mit den vom Verwaltungsgericht eingeführten und zitierten Erkenntnismitteln auseinandersetzt und nicht anhand überprüfbarer Hinweise auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte Tatsachen- und Erkenntnisquellen darlegt, inwieweit die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist und warum sie im Berufungsverfahren zu einer vom angefochtenen Urteil abweichenden Entscheidung führen könnte, lässt sich das Vorbringen bereits nicht verallgemeinernd, sondern nur nach jeweiliger Würdigung der Verhältnisse im Einzelfall beurteilen (vgl. BayVGH, B.v. 16.6.2020 – 9 ZB 20.31226 – juris Rn. 6). Eine über den Einzelfall hinausgehende Klärungsbedürftigkeit legt das Zulassungsvorbringen nicht dar.
c) Die im Zulassungsantrag weiter aufgeworfene Frage, ob der Kläger bei Bekanntwerden der Asylantragstellung mit politischer Verfolgung rechnen muss, genügt den Darlegungsanforderungen nicht. Dem Zulassungsvorbringen lassen sich insoweit keine Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit entnehmen (vgl. BayVGH, B.v. 16.06.2020 – 9 ZB 20.31226 – juris Rn. 7).
2. Die Berufung ist nicht wegen Divergenz nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zuzulassen.
Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 1.8.2019 – 9 ZB 19.32755 – juris Rn. 4). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Abgesehen davon, dass sich diesem schon kein Rechtssatz oder verallgemeinerungsfähiger Tatsachensatz entnehmen lässt, den das Verwaltungsgericht abweichend von einem der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten übergeordneten Gerichte aufgestellt haben soll, kann die Divergenzrüge auch nicht auf eine fehlerhafte Anwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Einzelfall gestützt werden (vgl. BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 16).
3. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Das Zulassungsvorbringen sieht einen Verstoß gegen das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör darin, dass das Verwaltungsgericht es unterlassen habe, ein Sachverständigengutachten zur Frage der Rückkehrgefährdung des Klägers wegen seiner Leberabszesse einzuholen sowie zum Medikamentenzugang in seinem Heimatland. Hieraus ergibt sich ein solcher Verstoß aber nicht.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist allerdings nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 8).
Art. 103 Abs. 1 GG statuiert keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16). Ein (behaupteter) Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist kein in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel und vermag somit die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2019 – 9 ZB 19.31904 – juris Rn. 3). Ein beachtlicher Verfahrensfehler kann ausnahmsweise zwar dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 24.6.2019 – 15 ZB 19.32283 – juris Rn. 17 m.w.N.; B.v. 8.5.2018 – 20 ZB 18.30551 – juris Rn. 2 m.w.N.). Demgemäß kommt eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG in Betracht, soweit das Gericht eine Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 1.10.2019 – 9 ZB 19.33217 – juris Rn. 8). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt das Zulassungsvorbringen aber nicht auf. Vielmehr hat der anwaltlich vertretene Kläger bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt. Die Rüge eines Verfahrensmangels ist aber kein Mittel, Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten im vorangegangenen Instanzenzug zu kompensieren (BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6). Auf Grundlage seiner Rechtsauffassung zu § 60a Abs. 2c AufenthG musste sich dem Verwaltungsgericht auch keine weitere Sachverhaltsaufklärung aufdrängen (vgl. BayVGH, B.v. 10.9.2020 – 9 ZB 20.31605 – juris Rn. 12).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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