Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  6 ZB 21.50037

Datum:
8.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16424
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Der ausführlichen Würdigung der Sach- und Rechtslage des VG anhand der Auswertung neuester Erkenntnismittel setzt die Zulassungsbegründung keine konkreten Anhaltspunkte dafür entgegen, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 4 K 19.50363 2021-04-30 GeB VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin Ö. wird abgelehnt.
II. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 30. April 2021 – B 4 K 19.50363 – wird abgelehnt.
III. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin Ö. ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung des Klägers aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
2. Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt.
Um die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache darzulegen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, zudem ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, ferner erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und schließlich darlegen, weshalb ihr eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 22.6.2017 – 6 ZB 17.30679 – juris Rn. 3; B.v. 16.2.2017 – 6 ZB 16.1586 – juris Rn. 25 m.w.N.). Daran fehlt es.
Der Kläger wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf, „ob eine Abschiebung von Familien mit Kleinkindern gegen Art. 3 EMRK/Art. 4 GR-Charta verstößt, wenn eine konkret-individuelle Zusicherung der italienischen Behörden, dass im Falle einer Rückführung der Familie nach Italien ohne Zeitverzug eine kind- und familiengerechte Unterbringung erfolgen wird, nicht vorliegt“.
Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil festgestellt, Italien habe auf die Rechtsprechung des EGMR vom 4. November 2014 (29217/12) reagiert und die Betreuungsplätze für Familien ausgebaut. Es sei seitens Italien gesichert, dass das Bundesamt vor der Überstellung einer Familie im Fall mangelnder Verfügbarkeit von adäquater Unterbringung rechtzeitig informiert werde. Italien habe mit Schreiben vom 8. Januar 2019 eine allgemeine Zusicherung der adäquaten Unterbringung für alle Personen erteilt, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien überstellt würden. Diese schließe Familien mit Kindern unter drei Jahren ein. Bekräftigt werde dies durch das Schreiben des italienischen Innenministeriums vom 8. Februar 2021, wonach im Rahmen des neuen Systems auch aus Mitgliedstaaten zurücküberstellte Familien mit minderjährigen Kindern aufgenommen würden, um die Familieneinheit zu gewährleisten. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2019 (2 BvR 1380/19 – juris) stehe der Rückführung nicht mehr entgegen. Die Sorge, dass eine Familie nach ihrer Dublin-Rückkehr ungewollt auf der Straße landen könnte, sei nach dem ausführlichen Bericht des Bundesamts zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2. April 2020 mittlerweile unbegründet und eine angemessene Unterbringung, Verpflegung und Versorgung in Aufnahmeeinrichtungen gewährleistet.
Auf der Basis der genannten aktuellen Erkenntnislage hat das Verwaltungsgericht die Überzeugung gewonnen, dass Familien bzw. alleinstehende Personen mit minderjährigen Kindern auch ohne individuelle Garantieerklärung unmittelbar eine Unterkunft erhielten, die ihren besonderen Bedürfnissen entspreche. Dies ergebe sich insbesondere aus dem ausführlichen „Bericht des Bundesamtes zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020“. Aufgrund umfangreicher Vor-Ort-Recherchen des Bundesamts, rechtlicher wie tatsächlicher Natur, werde aufgezeigt, dass die Sorge, eine Familie könne nach ihrer Dublin-Rückkehr ungewollt auf der Straße landen, unbegründet und eine angemessene Unterbringung von Dublin-Rückkehrern in Aufnahmeeinrichtungen gewährleistet sei.
Dieser ausführlichen Würdigung der Sach- und Rechtslage anhand der Auswertung neuester Erkenntnismittel setzt die Zulassungsbegründung keine konkreten Anhaltspunkte dafür entgegen, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit wäre es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 6 ZB 18.30037 – Rn. 5; OVG NW, B.v. 23.2.2017 – 4 A 685/14.A – juris Rn. 5). Der bloße Hinweis auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg, das die Sachlage angeblich anders beurteilt, reicht dafür nicht.
In der Zulassungsschrift wird lediglich pauschal behauptet, es gebe keine belastbaren Erkenntnisse darüber, ob derzeit – insbesondere auch im Hinblick auf die durch die Corona-Pandemie bedingten Distanzierungs- und Quarantänemaßnahmen – ausreichende Kapazitäten in den Unterkünften zur Verfügung stünden, weshalb davon auszugehen sei, dass eine Abschiebung von Familien mit Kleinkindern ohne Vorliegen einer individuellen Zusicherung der italienischen Behörden gegen Art. 3 EMRK/Art. 4 GR-Charta verstoße. Dies genügt den Darlegungserfordernissen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht.
3. Soweit der Kläger in seinem Zulassungsschriftsatz hilfsweise erwähnt, es sei davon auszugehen, dass dem Antragsteller und seiner Familie nach einer Rückkehr nach Italien zumindest im Falle einer Gewährung internationalen Schutzes Obdachlosigkeit und extreme materielle Not drohe und sie daher jedenfalls dann einer unmenschlichen oder erniedrigen Behandlung ausgesetzt seien, macht er weder ausdrücklich noch sinngemäß einen der in § 78 Abs. 3 AsylG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe geltend.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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