Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung: Kein Anspruch des Nachbarn auf Untersagung der Nutzung eines Parkplatzes wegen Lärmimmissionen

Aktenzeichen  9 ZB 19.984

Datum:
13.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 914
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
BayBO Art. 76

 

Leitsatz

Macht ein Dritter gegenüber der Bauaufsichtsbehörde geltend, durch eine Anlage in seinen Rechten verletzt zu sein, so hat er entsprechend den allgemeinen Grundsätzen einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sowie über Art und Weise des Einschreitens. Eine Ermessensreduktion auf Null zugunsten eines bauaufsichtlichen Einschreitens ist einzelfallabhängig regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 K 17.1500 2019-03-12 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. …22 Gemarkung W* … und begehren als Nachbarn die Untersagung der Nutzung eines Parkplatzes durch den Beigeladenen.
Der Beigeladene betreibt auf dem Grundstück FlNr. …13 Gemarkung W* … einen Edeka-Aktiv Markt. Auf dem Grundstück FlNr. …21 derselben Gemarkung befindet sich unmittelbar östlich benachbart zum Grundstück der Kläger ein zugehöriger Parkplatz für Kunden und Personal, den das Landratsamt Kitzingen dem Beigeladenen mit Bescheid vom 8. November 2012 in Gestalt einer Änderungsgenehmigung vom 22. Juni 2017 genehmigt hat.
Am 28. Dezember 2017 erhoben die Kläger Untätigkeitsklage auf Erlass einer Anordnung durch das Landratsamt betreffend die Untersagung der Nutzung des Parkplatzes. Das Verwaltungsgericht hat diese Klage mit Urteil vom 12. März 2019 mit der Begründung abgewiesen, sie sei jedenfalls unbegründet, weil den Klägern mangels Ermessensreduzierung auf Null kein Anspruch auf Erlass einer Nutzungsuntersagung zustehe. Aufgrund der von den Klägern vorgetragenen Einwendungen, u.a. zu den Wirkungen einer Lärmschutzwand, könne nicht von einer unzumutbaren, auf andere Weise nicht zu beseitigenden Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit oder von sonst unzumutbaren Belästigungen ausgegangen werden. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren weiter.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von den Klägern allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.
Die Kläger vertreten die Auffassung, das Verwaltungsgericht habe unzutreffend angenommen, durch die Stellungnahme der … … Ltd. vom 6. August 2018 seien die fachgerechte Drehung der Lärmschutzwand SA92 hochabsorbierend an der Westseite des Parkplatzes nach Weisung des Verfassers des Lärmschutzgutachtens der Fa. … … … … … GmbH & Co.KG vom 21. Dezember 2011 und die Einhaltung der betreffenden Anforderungen der Änderungsgenehmigung bestätigt. Die benannte Stellungnahme stelle jedoch keinen Nachweis in Form eines Abnahmeberichts gegenüber dem Landratsamt durch einen Sachverständigen i.S.d. Nebenbestimmung Nr. 2.5 des Änderungsbescheids vom 22. Juni 2017 dar. Die … … Ltd. sei nur die Lieferfirma der installierten Lärmschutzwand. Abgesehen davon, dass die vom Gericht in Bezug genommene Stellungnahme den Klägern, ebenso wie eine „Weisung“ hinsichtlich der Drehung der sieben unteren Teile der Lärmschutzwand, auch nicht bekannt sei, würden zudem die oberen sieben Elemente der Lärmschutzwand mit ihrer schallabsorbierenden Funktion nach wie vor zum Parkplatzgelände weisen und keine schallabsorbierende Wirkung zugunsten der Kläger entfalten. Dies werde mit der E-Mail des Leiters des Sachgebiets Bauen und Planungsrecht des Landratsamts vom 27. August 2018 dokumentiert, wonach infolge der erfolgten Drehung der senkrechten Elemente der Lärmschutzwand nicht davon auszugehen sei, dass sich damit die Wirkung in Bezug auf den Parkplatzlärm verändere. Darüber hinaus gebe es zwischen den gedrehten sieben Unterteilen und den nicht gedrehten sieben Oberteilen der Lärmschutzwand nicht die im Lärmschutzgutachten geforderten Fugeneinlagen mit „dauerhaft dämmenden Eigenschaften“. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergeben sich hieraus nicht.
Die Kläger lassen bei ihrem Vortrag unberücksichtigt, dass das Verwaltungsgericht die Abweisung ihrer Klage damit begründete, dass sie keinen Anspruch auf die Anordnung der Nutzungsuntersagung haben. Es hat dabei zutreffend zugrunde gelegt, dass nicht jede – behauptete – Verletzung drittschützender Normen ohne Weiteres zu einem Anspruch des Nachbarn auf Einschreiten der Aufsichtsbehörde führt. Macht ein Dritter – wie hier die Kläger – gegenüber der Bauaufsichtsbehörde geltend, durch eine Anlage i.S.d. Art. 76 BayBO in seinen Rechten verletzt zu sein, so hat er entsprechend den allgemeinen Grundsätzen einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sowie über Art und Weise des Einschreitens. Eine Ermessensreduktion auf Null zugunsten eines bauaufsichtlichen Einschreitens ist einzelfallabhängig regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind (vgl. BayVGH, B.v. 23.6.2021 – 9 ZB 20.1900 – juris Rn. 10 m.w.N.).
Für das Vorliegen eines Anspruchs der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten ist somit entscheidungserheblich, ob sie solche Beeinträchtigungen des geschilderten Grades geltend machen können. Es genügt dafür nicht, in Zweifel zu ziehen, dass die Lärmschutzwand entsprechend der Nebenbestimmung Nr. 2.5 im Bescheid vom 22. Juli 2017, wie im Lärmschutzgutachten vom 21. Dezember 2011 gefordert, mit einer schallabsorbierenden Wirkung zu ihrem Grundstück hin versehen und hierfür ein Sachverständigennachweis geführt wurde. Es ist zudem ohne Belang, dass die betreffende Nebenbestimmung auf einer mit dem Ziel einer gütlichen Einigung abgegebenen Erklärung von Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2017 zum Klageverfahren gegen die ursprüngliche Baugenehmigung vom 8. November 2012 (Az. W 5 K 16.93) beruht, woraufhin dieses Verfahren nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten eingestellt wurde. Die Kläger zeigen weder mit der von ihnen angeführten E-Mail eines Sachgebietsleiters des Landratsamts noch mit ihrem Vorbringen nach Ablauf der Zulassungsbegründungsfrist, sie könnten lärmbedingt weder Garten noch Terrasse nutzen sowie ihre Wohnräume nur zeitlich eingeschränkt lüften, substantiiert auf, dass sich infolge der von ihnen gerügten Konstruktion der Lärmschutzwand erhebliche Schallüberschreitungen auf ihrem Grundstück ergeben könnten. Sie tragen entgegen der auf der Einnahme des Augenscheins und den Stellungnahmen der Fa. … … … … … GmbH & Co.KG vom 30. April 2018 und 10. März 2015 fußenden Annahme des Verwaltungsgerichts, der nach der Baugenehmigung vom 8. November 2012 in Gestalt der Änderungsgenehmigung vom 22. Juni 2017 zu beachtende Immissionsrichtwert von 49 dB(A) tags werde bezüglich des in einem allgemeinen Wohngebiet liegenden Grundstücks der Kläger eingehalten, insbesondere nichts hinreichend Konkretes vor, was eine Gesundheitsgefahr aufgrund der derzeitigen Nutzung des Parkplatzes begründen könnte. So thematisieren sie auch nicht die Rechtsprechung, wonach der aus grundrechtlicher Sicht kritische Wert einer Lärmbetroffenheit jedenfalls in Wohngebieten grundsätzlich erst bei einer Gesamtbelastung (summierte Lärmbelastung/Dauerschallpegel) oberhalb von 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts anzusetzen ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2019 – 15 ZB 17.2529 – juris Rn. 40).
Nichts Anderes gilt, soweit die Kläger außerdem die gerichtliche Einschätzung beanstanden, „Lücken und Löcher“ in der Lärmschutzwand seien derart geringfügig, dass nicht erkennbar sei, wie sie zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Kläger führen könnten. Mit dem nicht weiter erläuterten Einwand, es gebe nicht nur die vom Gericht angeführten Astlöcher, sondern in jedem Wandelement zwei, also insgesamt 28 Bohrlöcher mit einem Durchmesser von mehr als 2 cm, die lärmdurchlässig seien, vermögen sie die Beurteilung durch das Verwaltungsgericht nicht in Frage zu stellen.
Darüber hinaus legen die Kläger, die sich zur Frage eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über bauaufsichtliches Einschreiten nicht verhalten, auch nicht dar, wieso das Landratsamt, gesetzt den Fall, sie könnten ein bauaufsichtliches Einschreiten beanspruchen, trotz des diesem grundsätzlich zustehenden Auswahlermessens hinsichtlich geeigneter bauaufsichtlicher Maßnahmen auf die von den Klägern begehrte Nutzungsuntersagung beschränkt sein sollte (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2019 – 15 ZB 17.2529 – juris Rn. 38, 42).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Da der Beigeladene im Zulassungsverfahren einen Antrag gestellt sowie begründet und damit einen rechtlich der Sache förderlichen Beitrag geleistet hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben