Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung mangels Darlegung eines Verfahrensmangels

Aktenzeichen  20 ZB 17.30841

Datum:
13.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 119356
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, 3, Abs. 4 S. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Einer von dem Auswärtigen Amt ausgesprochenen Reisewarnung kommt eine Indizwirkung für das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG, bei der in verfassungskonformer Auslegung der Regelungen ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht anzunehmen ist, nicht zu. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 2 K 16.31172 2017-04-27 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Er ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Weise dargelegt sind.
1. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). „Darlegen“ bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis. Etwas „darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90/91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683).
Diesen Anforderungen werden die Ausführungen der Kläger im Zulassungsantrag nicht gerecht. Es fehlt bereits an der Formulierung konkreter Tatsachen- oder Rechtsfragen. Die von den Klägern formulierten Fragen und die dazu gegebenen Erläuterungen sind so allgemein und abstrakt gehalten, dass nicht erkennbar ist, weshalb sie in einem Berufungsverfahren der Kläger entscheidungserheblich und damit klärungsfähig wären bzw. dass sie in der bisherigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt und deshalb klärungsbedürftig sind.
a) Soweit die Kläger geklärt haben möchten,
welche Anforderungen an die Glaubwürdigkeit der Flüchtlinge zu stellen sind,
ist nicht dargelegt worden, inwiefern diese Frage in ihrer Allgemeinheit klärungsbedürftig sein soll. Denn die (abstrakten) Kriterien der Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vortrags eines Asylbewerbers ergeben sich aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris; U.v. 30.10.1990 – 9 C 72.89 – juris; B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris) sowie des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 19.7.1990 – 2 BvR 2005/89 – juris). Danach fehlt es in der Regel an der erforderlichen Glaubhaftmachung der vorgetragenen Verfolgungsgründe, wenn das Vorbringen erhebliche, nicht überzeugend aufgelöste Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn der Asylantragsteller sein Vorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er als maßgeblich einschätzt, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt. Einer weiteren Konkretisierung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus sind diese Kriterien nicht zugänglich, weil die Beurteilung der Glaubhaftigkeit maßgeblich von der Einschätzung des erkennenden Gerichts und auch dem – in der Regel durch die informatorische Anhörung des Asylantragstellers in der mündlichen Verhandlung vermittelten – Eindruck von Überzeugungskraft des Vortrags und Glaubwürdigkeit der Person des Asylbewerbers abhängt. Das Verwaltungsgericht hat unter sinngemäßer Anwendung der in der o.g. Rechtsprechung aufgestellten Kriterien begründet, weshalb es dem Sachvortrag der Kläger keinen Glauben schenkt (UA S. 5/6). Die Kritik der Kläger hieran zielt letztlich auf die Geltendmachung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Glaubhaftigkeitsbeurteilung der Vorinstanz ab. Dieser Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist für den Asylprozess durch die abschließende Sonderregelung des § 78 Abs. 3 AsylG jedoch ausgeschlossen.
b) Hinsichtlich der weiteren von den Klägern formulierten Frage,
wie die allgemeine Situation im Irak einzuschätzen ist,
fehlt es an einer Darlegung, weshalb es darauf mit Blick auf die Entscheidungsgründe des verwaltungsgerichtlichen Urteils ankommen soll. Zur Beurteilung, ob den Klägern ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG droht, hat das Verwaltungsgericht zu Recht auf die Herkunftsregion der Kläger, die Region Bagdad, abgestellt (vgl. BVerwG. U.v. 4.7.2009 – 10 C 9.08 – juris Rn. 17 unter Verweis auf EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C-465/07 – juris) und ist insoweit zu der Einschätzung gelangt, dass dort nach Auswertung der beigezogenen Erkenntnisquellen ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt (i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) nicht vorliege; einzelne terroristische Anschläge und Gewaltakte, zu denen es im gesamten Irak gekommen sei und weiter kommen könne, genügten hierfür nicht. Angesichts dieser Ausführungen hätten die Kläger darlegen müssen, weshalb es noch auf die Einschätzung der allgemeinen Lage im Irak ankommen soll und welche Bedeutung dieser Einschätzung gegebenenfalls für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der weiteren, in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgestellten Kriterien für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit zukommen soll. Dass die Kläger der konkreten Beurteilung durch das Verwaltungsgericht nicht folgen, vermag keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zu begründen (vgl. oben a)).
c) Schließlich fehlt es hinsichtlich der formulierten Frage,
inwieweit die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes auf Menschen anzuwenden sind,
an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit (Klärungsfähigkeit). Der Vortrag der Kläger zielt bei sehr wohlwollender Auslegung darauf ab, dass das Verwaltungsgericht insoweit an Asylantragsteller andere Maßstäbe anlege als an andere Personen, und damit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoße. Die Kläger gehen jedoch nicht darauf ein, inwiefern sich aus den genannten Hinweisen Erkenntnisse für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale des begehrten Schutzstatus, namentlich der Gefahr eines ernsthaften Schadens i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG oder zielstaatsbezogener Gefahren i.S.d. § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1AufenthG gewinnen ließen. Im Übrigen ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass einer von dem Auswärtigen Amt ausgesprochenen Reisewarnung für ein bestimmtes Land eine Indizwirkung für das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG, bei der in verfassungskonformer Auslegung der Regelungen ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht anzunehmen ist, nicht zukommt. Denn es ist auszuschließen, dass die für die Reisewarnung maßgebenden rechtlichen Maßstäbe zur Bewertung der Verfolgungs- bzw. Sicherheitslage mit jenen identisch sind, anhand derer das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG zu beurteilen ist (BVerwG, B.v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris).
2. Der weiter geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) wurde ebenfalls nicht substantiiert dargelegt. Die Kläger führen insoweit lediglich aus, dass sich angesichts der terroristischen Anschläge und Gewaltakte, der Kriege und des Mangels an sauberem Wasser im Irak aufgrund des Ermittlungsgrundsatzes eine weitere Aufklärung geradezu aufgedrängt hätte und das Verwaltungsgericht den Klägern deshalb das rechtliche Gehör versagt habe. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen. Eine Versagung des rechtlichen Gehörs i.S.d. § 138 Nr. 3 VwGO kann auch in der Verletzung von Verfahrensvorschriften liegen, die der Wahrung des rechtlichen Gehörs dienen. Hierzu gehören allerdings regelmäßig nicht Verstöße gegen die Sachaufklärungspflicht des Gerichts nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder gegen das Gebot der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dazu zählt grundsätzlich auch die Frage, ob das Gericht auf hinreichend breiter Tatsachengrundlage entschieden hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann bei solchen Mängeln im Einzelfall allenfalls bei gravierenden Verstößen verletzt sein (BVerfG, B.v. 8.4.2004 – 2 BvR 743/03 – NJW-RR 2004, 1150), oder wenn es sich um gewichtige Verstöße gegen Beweiswürdigungsgrundsätze handelt, beispielsweise weil die Beteiligten mit der vom Gericht vorgenommenen Würdigung ohne ausdrücklichen Hinweis nicht rechnen mussten (vgl. BVerfG, B.v. 12.6.2003 – 1 BvR 2285/02 – NJW 2003, 2524) oder weil die Würdigung willkürlich erscheint oder gegen die Denkgesetze verstößt (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710.94 – NVwZ-RR 1996, 359). Derartige gravierende Mängel sind hier nicht dargelegt. Im Ergebnis halten die Kläger die Einschätzung des Verwaltungsgerichts zur Sicherheits- bzw. Versorgungslage in ihrer Herkunftsregion für falsch. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung sind jedoch, wie ausgeführt (vgl. oben a)), kein Grund für die Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 AsylG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.
Mit dieser Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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