Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung wegen unzureichender Darlegung eines Zulassungsgrunds

Aktenzeichen  15 ZB 19.32031

Datum:
6.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13776
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1, § 78 Abs. 3, Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Bei Geltendmachen der grundsätzlichen Bedeutung einer Tatsachen- oder Rechtsfrage muss zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und Entscheidungserheblichkeit hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (VGH München BeckRS 2019, 7315). (Rn. 7) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Das wirtschaftliche Existenzminimum staatenloser Palästinenser wird in Lagern im Libanon durch Hilfsprogramme der Sozialdienste des UNRWA gewährleistet. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Abschiebungshindernisses aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK infolge schlechter humanitärer Verhältnisse liegen in der Regel nicht vor. (Rn. 9) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

B 3 K 18.30111 2019-03-01 Ent VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Gründe

I.
Die Kläger – staatenlose Palästinenser aus dem Libanon – wenden sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1. August 2017, mit dem ihre Anträge auf Asylanerkennung abgelehnt, ihnen die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung in den Libanon oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 1. März 2019 wies das Verwaltungsgericht Bayreuth die von den Klägern erhobene Klage mit den Anträgen, die Beklagte unter (teilweiser) Aufhebung des Bescheids vom 1. August 2017 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihnen den subsidiären Schutzstatus gem. § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, ab. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren weiter
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist nicht in einer Weise dargelegt worden, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Der vom Kläger behauptete Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 15 ZB 17.31475 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 24.4.2018 – 8 ZB 18.30874 – juris Rn. 4; B.v. 6.6.2018 – 15 ZB 18.31230 – juris Rn. 20).
Diesen Anforderungen genügt die Begründung des Zulassungsantrags nicht. In der Sache bringen die Kläger unter Bezugnahme auf zwei Quellen aus den Jahren 2016 und 2017 vor, dass die Stellung von palästinensischen Flüchtlingen, die im Libanon leben, einer obergerichtlichen Klärung bedürfe. Das Verwaltungsgericht habe deren Stellung verkannt und zu positiv gesehen. Es habe deshalb zu Unrecht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK verneint. Palästinenser seien im Libanon einer Diskriminierung ausgesetzt. Ihnen werde der Zugang zu öffentlichen Gesundheits- und Bildungseinrichtungen oder der Besitz von Land untersagt und sie würden in vielen Bereichen von der Beschäftigung ausgeschlossen. Das Gesetz betrachte auch die von UNRWA registrierten palästinensischen Flüchtlinge als Ausländer, die meist schlechter behandelt würden als andere Ausländer. Die Betroffenen lebten in Siedlungen, die offiziell als Flüchtlingslager anerkannt seien, die man jedoch besser als Betonghettos bezeichnen könne und die von Kontrollpunkten sowie in einigen Fällen von Mauern und Stacheldraht umgeben seien.
a) Die Kläger wenden sich mit dieser Argumentation ausschließlich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung bzw. gegen die rechtliche Subsumtion des Erstgerichts, ohne damit jedoch eine über den Einzelfall hinausgehende Klärungsbedürftigkeit einer entscheidungserheblichen Rechts- oder Tatsachenfrage hinreichend darzulegen. Insbesondere haben die Kläger mit ihrem Zulassungsantrag schon keine aus ihrer Sicht klärungsbedürftige konkrete fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert.
b) Im Übrigen muss zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit bei Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Tatsachen- oder Rechtsfrage hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte (BayVGH, B.v. 3.4.2019 – 15 ZB 19.31245 – juris Rn. 4, 6; OVG LSA, B.v. 23.8.2018 – 3 L 293/18 – juris Rn. 3 m.w.N.; vgl. auch OVG NRW, B.v. 31.7.2018 – 19 A 1675.17.A – juris Rn. 12 m.w.N.). Soweit es den Klägern mit der Antragsbegründung in der Sache darum geht, die Umstände, unter denen palästinensische Flüchtlinge im Libanon leben müssen, dem Tatbestand des Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK zuzuordnen, wird die Antragsbegründung auch diesen Substantiierungsanforderungen nicht gerecht:
Das Verwaltungsgericht hat in seiner erstinstanzlichen Entscheidung zur Begründung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und / oder Abs. 7 AufenthG unter Rekurs auf § 77 Abs. 2 AsylG zunächst auf den angefochtenen Bescheid des Bundesamts Bezug genommen. Hierin wird ausgeführt, dass den Klägern im Libanon keine, durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohe. Insofern ergäben sich hinsichtlich der Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK keine andere Bewertung wie hinsichtlich § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Darüber hinaus könne nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine Verletzung des Art. 3 EMRK ausnahmsweise auch dann in Betracht kommen, wenn die Kläger im Falle ihrer Abschiebung tatsächlich Gefahr liefen, im Aufnahmeland auf so schlechte humanitäre Bedingungen (allgemeine Gefahren) zu treffen, dass die Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstelle. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne danach nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen im Sinn der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein. Die diesbezüglich erforderlichen hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien vorliegend nicht erfüllt. Die Kläger zu 1 und 2 seien jung und arbeitsfähig und seien bei Rückkehr auf die eigene Arbeitskraft zu verweisen. Der Kläger zu 1 habe angegeben, gelegentlich gearbeitet zu haben. Die Kläger hätten weiterhin angegeben, Verwandte in Libanon zu haben und Unterstützung von der UNRWA zu erhalten. Zudem sei es ihnen möglich gewesen, ihre Ausreise nach Deutschland zu finanzieren. Es bestünden daher keine Anhaltspunkte dafür, dass sie nicht imstande seien, sich bei Rückkehr in den Libanon eine existenzsichernde Grundlage zu schaffen. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Kläger sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Die Kläger hätten auch keine ihnen drohende individuelle Gefahr für Leib oder Leben vorgetragen, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führe. Eine solche liegt nach den Erkenntnissen des Bundesamtes auch nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat seine Rechtsansicht, dass nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und / oder Abs. 7 AufenthG nicht gegeben seien, zudem ergänzend – gestützt auf im Einzelnen benannte Quellen – wie folgt begründet: Eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK bewertet werden. Der Vortrag des Klägers decke sich zwar im Wesentlichen mit den vorliegenden Erkenntnismitteln, wonach viele tausend palästinensische Flüchtlinge, die gravierenden Einschränkungen unterlägen, unter zum Teil sehr schwierigen und beengten Verhältnissen in den zwölf über das ganze Land verteilten palästinensischen Flüchtlingslagern lebten (Armut, Arbeitslosigkeit, teilweise desaströse Wohnverhältnisse, fehlende Infrastruktur, Überbelegung). Dennoch werde das wirtschaftliche Existenzminimum in den Palästinenserlagern durch Hilfsprogramme der Sozialdienste des UNRWA gewährleistet. Die schlechten humanitären Verhältnisse der Kläger gingen nicht über das Maß dessen hinaus, was alle Bewohner in der vergleichbaren Situation hinnehmen müssten. Im Gegenteil gehörten die Kläger eher noch zu den privilegierteren palästinensischen Flüchtlingen, die über eine UNRWA-Registrierung verfügten und zudem ein – wenn auch kleines – Haus bewohnt hätten. Die Kläger zu 3 bis 5 hätten die Schule besuchen können. Die Kläger hätten einen nicht unerheblichen Geldbetrag für ihre Ausreise aufbringen können. In einem der Flüchtlingslager lebten noch diverse Verwandte der Kläger. Hinzukomme, dass die Kläger Verwandte in Deutschland hätten. Es sei davon auszugehen, dass diese die Kläger zumindest finanziell unterstützen könnten. Es gebe zudem keine Anhaltspunkte, dass es dem erwerbsfähigen Kläger zu 1 nach seiner Rückkehr in den Libanon nicht gelingen könnte, wieder eine existenzsichere Grundlage für seine Familie zu schaffen. Diesem sei es auch in der Vergangenheit möglich gewesen, den Familienunterhalt zu sichern. Den Erkenntnismitteln sei zwar zu entnehmen, dass rechtliche Hindernisse und gesellschaftliche Diskriminierungen u.a. hinsichtlich der Berufsausübung bestünden. Gleichwohl würden Palästinensern nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts einige Berufe zugänglich gemacht, zumal der Kläger zu 1 selbst angegeben habe, gelegentlich – wenngleich illegal – als Fensterbauer tätig gewesen zu sein und hierdurch einen Monatsverdienst von ca. 200 USD erzielt zu haben. Den Klägern, die keine schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Krankheiten i.S. von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hätten, drohten auch keine erheblichen konkreten Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit i.S. von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Mit all diesen entscheidungstragenden Erwägungen (vgl. auch BayVGH, B.v. 20.9.2018 – 15 ZB 18.32223 – juris Rn. 19 ff.; B.v. 8.10.2018 – 15 ZB 17.30545 – juris Rn. 47) setzt sich der Zulassungsantrag nicht substantiiert auseinander.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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