Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag eines Staatsangehörigen aus Sierra-Leone auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  9 ZB 17.30403

Datum:
9.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 133340
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78
AufenthG § 60 Abs. 7
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Ist ein verwaltungsgerichtliches Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass in Bezug auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt (wie BayVGH BeckRS 2014, 48637). (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (BVerwG BeckRS 2013, 51976). Das rechtliche Gehör wird insbesondere dann versagt, wenn ein Beweisantrag willkürlich als uenerheblich qualifiziert wird, d.h. seine Ablehnung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. (Rn. 7) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Beruhen die von einem Betroffenen zum Beleg des Vorliegens einer PTBS vorgelegten Befundberichte und Bescheinigungen hinsichtlich der zugrunde liegenden Auslösekriterien auf einem unglaubhaften Vortrag und damit auf unzureichenden tatsächlichen Grundlagen, rechtfertigt dies, einen auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zum Vorliegen einer PTBS gerichteten Beweisantrag abzulehnen. (Rn. 7 – 8) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Ein psychotherapeutischer Befundbericht, wonach durch den Abbruch einer Therapie im Falle einer Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen sei, dass der Betroffene stark depressiv werde und sich seine Symptomatik verschlechtere, lässt keinen Schluss auf ein zielstaatsbezogenes, sondern allenfalls auf ein vom Bundesamt nicht zu berücksichtigendes inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis zu (wie BayVGH BeckRS 2017, 111545). (Rn. 9) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

M 21 K 15.31612 2017-01-10 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger ist seinen Angaben zufolge Staatsangehöriger Sierra Leones. Mit Urteil vom 10. Januar 2017 wies das Verwaltungsgericht seine auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG beschränkte Asylklage ab. Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung des Klägers. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass „die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen oder für weitere diesbezügliche Sachverhaltsermittlungen entsprechend dem gestellten Beweisantrag aus mehreren, voneinander unabhängigen Gründen“ nicht vorliegen (UA S. 7 f.). Die Abweisung der Klage wurde vom Verwaltungsgericht sodann auf drei eigenständig tragende Ablehnungsgründe gestützt, weil (1) die vorgelegten Bescheinigungen nicht den Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung entsprechen, (2) die gestellten Diagnosen in wesentlichen Teilen hinsichtlich der traumaauslösenden Ereignisse wegen fehlender Glaubhaftmachung der Ereignisse auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen beruhen und (3) unter Zugrundelegung des Maßstabs des § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG sich selbst dann kein Abschiebungsverbot ergeben würde, wenn man dem Vorbringen des Klägers zu den traumaauslösenden Ereignissen in den Grundzügen Glauben schenken und von den gestellten Diagnosen in den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ausgehen würde (UA S. 8).
Ist ein Urteil – wie hier – auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass in Bezug auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2014 – 9 ZB 13.30386 – juris Rn. 3; Marx in AsylG, 9. Aufl. 2017, § 78 Rn. 232). Dies ist hier nicht der Fall.
Mit den erhobenen Grundsatzrügen, „ob die Vorgaben zu den qualitativen Anforderungen an eine ärztliche Bescheinigung in der Neuregelung des § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Anwendung finden“ sowie der Frage, „ob in Sierra Leone eine zur Vermeidung lebensbedrohlicher oder schwerwiegender Krankheitsfolgen erforderliche Fortsetzung der medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva möglich ist“, greift das Zulassungsvorbringen nur die Begründungen (1) und (3) des Verwaltungsgerichts an. Die Begründung (2) des Verwaltungsgerichts wird nur mit der Verfahrensrüge angegriffen, die hier aber nicht zum Erfolg führt, so dass es auf die geltend gemachten Grundsatzrügen nicht ankommt.
Die geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) wegen verfahrensfehlerhafter Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung bedingt gestellten Beweisantrags liegt nicht vor.
Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerwG, B.v. 21.5.2013 – 8 B 85.12 – juris Rn. 12). Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch aber nur, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2016 – 9 ZB 16.30468 – juris Rn. 4 m.w.N.). Gemessen daran liegt in der Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 9. Januar 2017 hilfsweise gestellten Beweisantrags, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen „zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit einer somatoformen Schmerzstörung leidet, weiterhin psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung bedarf und sich sein gesundheitlicher Zustand bei einer Abschiebung nach Sierra Leone wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde“, keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Soweit es das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) betrifft, hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Schlussfolgerungen auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen beruhen und die zu Grunde gelegten Aussagen des Klägers in weiten Teilen – insbesondere im Hinblick auf die behauptete Bedrohung des Klägers wegen seiner Vergangenheit als Kindersoldat – unglaubhaft sind und der Kläger insgesamt unglaubwürdig ist (UA S. 12 f.). Danach beruhten die vom Kläger vorgelegten Befundberichte und Bescheinigungen hinsichtlich der darin zugrunde gelegten Auslösekriterien auf einem unglaubhaften Vortrag des Klägers und damit auf unzureichenden tatsächlichen Grundlagen. Diese Bewertung durch das Verwaltungsgericht ist nicht zu beanstanden (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2016 – 9 ZB 16.30468 – juris Rn. 10 ff.; B.v. 23.5.2017 – 9 ZB 13.30236 – juris Rn. 10 ff. m.w.N.). Eine weitergehende Aufklärung musste sich dem Verwaltungsgericht auch nicht aufgrund der vorgelegten Befundberichte und Unterlagen aufdrängen, weil die äußere, objektive Ereignisseite nicht nur in den Befundberichten, sondern gerade auch im Hinblick auf die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gemachten Angaben insgesamt unsubstantiiert und nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts durch eine Vielzahl von Ungereimtheiten und Widersprüchen gekennzeichnet ist (UA S. 14).
Entgegen dem Zulassungsvorbringen kommt eine Verfahrensrüge hinsichtlich der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung nicht in Betracht, weil sich der Beweisantrag ausschließlich auf eine posttraumatische Belastungsstörung bezieht, nicht dagegen (auch) auf eine Behandlung wegen Depression. Dem Verwaltungsgericht musste sich insoweit auch keine weitere Sachverhaltsaufklärung aufdrängen, weil entsprechend den vorgelegten Bescheinigungen weder eine akute Suizidalität noch psychotische Symptome mit akuter Fremd- oder Eigengefährdung vorliegen (UA S. 16). Es stützt sich dabei auf die ärztliche Kurzinformation der D* … Klinik vom 20. Mai 2016 (Bl. 22 der Verwaltungsgerichtsakte), wonach sich der Kläger von lebensmüden Gedanken distanziert und die depressive Symptomatik rückläufig war. Auch der psychotherapeutische Befundbericht vom 30. Dezember 2016 (Bl. 70 der Verwaltungsgerichtsakte) führt aus, dass es aktuell keinen Hinweis mehr auf eine akute Suizidgefährdung des Klägers gibt. Die Bewertung des Verwaltungsgerichts findet somit ihre rechtliche Grundlage in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 9 ZB 13.30236 – juris Rn. 36). Davon abgesehen ergibt sich aus dem psychotherapeutischen Befundbericht vom 30. Dezember 2016, wonach „durch den Abbruch der Therapie im Falle einer Abschiebung“ mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass der Kläger „stark depressiv wird und sich seine Symptomatik verschlechtert“ kein zielstaatsbezogenes, sondern ein – vom Bundesamt nicht zu berücksichtigendes – inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 9 ZB 13.30236 – juris Rn. 33). Das Vorbringen wendet sich damit im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Sachverhalts- und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht; damit wird jedoch kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2015 – 9 ZB 15.30097 – juris Rn. 7).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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