Verwaltungsrecht

Erfolgloser Asylantrag eines Homosexuellen aus Sierra-Leone

Aktenzeichen  RN 14 K 19.30269

Datum:
15.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 17790
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 4
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Nach derzeitiger Erkenntnislage scheidet die Annahme politischer Verfolgung von Homosexuellen in Sierra-Leone wegen der strafrechtlichen Gesetzeslage regelmäßig aus. Zwar verbietet ein formal nicht außer Kraft gesetztes Gesetz aus der Kolonialzeit männliche Homosexualität; dieses wird jedoch in der Praxis nicht angewandt (vgl. EuGH BeckRS 2013, 82115). (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Das bloße Bestehen von Rechtsvorschriften, nach denen homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, kann nicht als Maßnahme betrachtet werden, die einen Asylbewerber in so erheblicher Weise beeinträchtigt, dass der Grad an Schwere erreicht wird, der erforderlich ist, um die Strafbarkeit als Verfolgung ansehen zu können. Erst die tatsächliche Verhängung einer Freiheitsstrafe stellt eine Verfolgungshandlung dar (EuGH BeckRS 2013, 82115). (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass staatliche Stellen in Sierra-Leone gegen Handlungen Privater, die sich gegen Homosexuelle richten, keinen Schutz gewähren würden (vgl. VGH München BeckRS 2018, 6898). (Rn. 22) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Angesichts der in Sierra-Leone bestehenden infrastrukturellen Mängel ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, wie etwaige Verfolger, einen Asylbewerber auffinden könnten, wenn dieser sich in größeren Städten wie Freetown niederließe. (Rn. 26) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Trotz der allgemein schlechten Wirtschaftslage kann ein junger, gesunder Asylbewerber aus Sierra-Leone, nach einer zehnjährigen Schulbildung im Falle der Rückkehr nach Sierra-Leone dort ein zumutbares Existenzminimum, notfalls durch Gelegenheitsarbeiten, erwirtschaften und so seinen Lebensunterhalt sicherstellen. (Rn. 27) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgemäß erhobene (vgl. § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG) Klage ist nicht begründet. Die Entscheidung des Bundesamts, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus nicht zuzuerkennen sowie das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu verneinen und den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung nach Sierra Leone zur Ausreise aufzufordern, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Entsprechendes gilt für die vorgenommene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Die vom Bundesamt gemäß den §§ 31 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AsylG sowie den §§ 75 Nr. 12, 11 Abs. 2 AufenthG getroffenen Entscheidungen sind im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, nicht zu beanstanden.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihm droht bei einer Rückkehr nach Sierra Leone keine Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift. Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet (Nr. 2), dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Buchst. a)) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Buchst. b)). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Einzelne in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG ausgesetzt ist. Erforderlich ist insoweit, dass der Ausländer gezielte Rechtsverletzungen zu befürchten hat, die ihn wegen ihrer Intensität dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, B.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris). Eine Verfolgung kann nach § 3c AsylG von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die soeben genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (vgl. dazu § 3d AsylG), und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.
Die Flüchtlingseigenschaft kann allerdings nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesem Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e AsylG).
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt unabhängig davon, ob bereits eine Vorverfolgung stattgefunden hat, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22; BayVGH B.v. 14.5.2018 – 11 ZB 18.30937 – BeckRS 2018, 10013, Rn. 5). Eine Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt aber durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL – Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden sind danach ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies gilt nur dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. In der Vergangenheit liegenden Umständen ist damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beizumessen (vgl. auch OVG NRW, U.v. 21.2.2017 – 14 A 2316/16.A – juris, Rn. 24).
Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet anderseits jedoch nicht, dass der Tatrichter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris, Rn. 16 und U.v. 11.11.1986 – 9 C 316.85 – juris, Rn. 11). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung des Erlebten. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (BVerwG, U.v. 1.10.1985 – 9 C 19.85 – juris, Rn. 16 und B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris, Rn. 3).
Dem Kläger drohen keine landesweiten, politischen Verfolgungsmaßnahmen wegen der Umstände, die zu seiner Ausreise aus Sierra Leone geführt haben. Er wäre auf die Möglichkeit landesinternen Schutzes nach § 3e Abs. 1 AsylG zu verweisen.
Homosexualität wird zwar in Sierra Leone von vielen Teilen der Bevölkerung abgelehnt und als Verstoß gegen traditionelle Normen und Werte betrachtet. Es gibt ein Gesetz aus der britischen Kolonialzeit, das formal nicht außer Kraft gesetzt wurde und männliche Homosexualität verbietet. Weibliche Homosexualität sei gesetzlich nicht untersagt. Laut diesem Gesetz aus dem Jahr 1861 ist bei Männern zehn Jahre Gefängnisstrafe für die Absicht einer unzüchtigen Handlung angesetzt. Das Gesetz wird jedoch in der Praxis nicht angewendet (vgl. Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zu Sierra Leone vom 3. April 2019). Von dieser gesetzlichen Lage geht auch der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 7. November 2013, C-199, 200 und 201/12, aus. Nach Section 61 des Gesetzes von 1861 über Straftaten gegen die Person (Offences against the Person Act 1861) droht einer Person bei homosexuellen Handlungen eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren bis lebenslänglich. In dieser Entscheidung stellt der Europäische Gerichtshof aber klar, dass das bloße Bestehen von Rechtsvorschriften, nach denen homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, nicht als Maßnahme betrachtet werden kann, die einen Antragsteller in so erheblicher Weise beeinträchtigt, dass der Grad an Schwere erreicht wird, der erforderlich ist, um die Strafbarkeit als Verfolgung ansehen zu können. Erst die tatsächliche Verhängung einer derartigen Freiheitsstrafe stellt eine Verfolgungshandlung dar. Da nach den Ausführungen des Auswärtigen Amtes das Gesetz aus dem Jahre 1861 in Sierra Leone nicht angewendet und demnach auch keine Freiheitsstrafe bei homosexuellen Handlungen verhängt werden, kann aus dem Bestehen der Strafvorschrift keine Verfolgung als Mitglied einer sozialen Gruppe abgeleitet werden. Nach derzeitiger Erkenntnislage scheidet daher die Anerkennung von Homosexuellen in Sierra Leone wegen der bestehenden strafrechtlichen Gesetzeslage regelmäßig aus.
Handlungen von Privatpersonen, soweit der Kläger ablehnendes und diskriminierendes Verhalten seiner Familie und der Einwohner seines Heimatdorfes vorbringt, gegenüber Homosexuellen stellen sich somit – je nach Art der Handlung – als kriminelles Unrecht oder als nicht strafbare Beschimpfung oder Belästigung dar. Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass staatliche Behörden in Sierra Leone gegen derartige Handlungen keinen Schutz gewähren würden (zu vorstehendem genau so VG Regensburg, U.v. 2.2.2017 – RN 5 K 16.30089 – juris; bestätigt durch BayVGH, B.v. 23.11.2017 – 9 ZB 17.30302 – BeckRS 2017, 134621; BayVGH, B.v. 27.3.2018 – 9 ZB 18.30439 – juris, Rn 6; VG München, U.v. 26.10.2018 – M 30 K 17.40322 – juris, Rn. 27). Nichts anderes ergibt sich insbesondere aus dem im Asylverfahren der damaligen Klägervertreterin vorgelegten Bericht der Menschenrechtsorganisation Global Rights: Partners for Justice „Discrimination on the Basis of Sexual Orientation and Gender Identity. Soweit die Klägervertreterin daraus – insbesondere aus Seite 26 – entnehmen wollte, dass gewalttätige Übergriffe im Hinblick auf die Homosexualität Betroffener aus Angst vor staatlichen Repressionen nicht zur Anzeige gebracht würden, stellt erkennbar ein Argumentationsstrang des Berichtsverfassers dar (vgl. etwa „It can be argued that the existence of this law in Sierra Leone has contributed to the marginal advocacy for LGBTI rights…“), vermag aber nicht die sonstigen gerichtlichen Erkenntnismittel dem Grunde nach zu erschüttern. Vielmehr ist dem zur Entscheidung berufenen Einzelrichter aus einer Reihe vergleichbarer Verfahren bekannt, dass sich Betroffene durchaus bei erheblich strafbarem Verhalten ihnen gegenüber an die sierra-leonische Polizei wenden.
Unabhängig davon steht zwar zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger glaubhaft homosexuell veranlagt ist. Dies ergibt sich nicht nur aus seinen umfangreichen Schilderungen hinsichtlich seiner homosexuellen Lebensführung seit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland. Den Ausführungen des Klägers kann nämlich auch im Übrigen in seiner Gesamtheit geglaubt werden, da er die wesentlichen Teile seiner Fluchtgeschichte glaubhaft vorgetragen hat, ohne hierbei gewichtige Unstimmigkeiten zu erzeugen. Das Gericht kommt aufgrund der Angaben des Klägers in der Anhörung vor dem Bundesamt und seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung somit zu der Überzeugung, dass die angegebene Fluchtgeschichte im Wesentlichen in dieser Form stattgefunden hat, insbesondere, dass er aus Angst vor Verfolgung durch die Dorfgemeinschaft geflohen ist, als sein damaliger Partner und er in der Wohnung des Partners von dieser überrascht worden sind. Dabei kann dahinstehen, ob es tatsächlich zur Tötung des Partners des Klägers gekommen ist. Der Kläger hat insoweit nur von Dritten gehört, dass dies geschehen sein soll. Der Kläger hat in allen Teilen der Befragung von sich aus detailliert, lebhaft und teilweise emotional berichtet. Konkrete Nachfragen des Gerichts konnte er nachvollziehbar beantworten sowie sich aus dem Akteninhalt ergebende Unstimmigkeiten überzeugend aufklären.
Demnach musste das Gericht mangels Entscheidungserheblichkeit auch nicht den in der mündlichen Verhandlung gestellten und durch Schriftsatz vom 15. Mai 2019 übergebenen, bedingten Beweisanträgen nachgehen. Das Gericht glaubt dem Kläger auch insoweit, dass es erhebliche Altersunterschiede in sierra-leonischen Schulen gebe, nachdem manche Schüler immer wieder über erhebliche Zeiträume hinweg Schulgebühren nicht aufbringen könnten, sodass sich deren Schullaufbahn wesentlich verzögert.
Soweit man aufgrund der Vorkommnisse im Heimatort des Klägers bereits eine Vorverfolgung annähme, besteht jedoch weiterhin der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22; BayVGH B.v. 14.5.2018 – 11 ZB 18.30937 – BeckRS 2018, 10013, Rn. 5). Eine Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt zwar durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL – Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.). Unabhängig davon sind im Fall des Klägers aber dennoch die Voraussetzungen von § 3e AsylG gegeben, sodass dieser auf die Möglichkeit zu verweisen ist, sog. internen Schutz in Anspruch zu nehmen. Danach wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft dann nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG sind bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL – Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.) zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Gemessen hieran kann der Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht beanspruchen, weil ihm aus den nachfolgenden Gründen eine innerstaatliche Fluchtalternative bzw. interner Schutz zur Verfügung steht:
Eine den genannten Anforderungen genügende Ausweichmöglichkeit würde der Kläger innerhalb der Republik Sierra Leone, deren Staatsangehörigkeit er nach eigenem Bekunden besitzt, jedenfalls in anderen Landesteilen vorfinden. Verfolgte Personen können in andere Landesteile umziehen. Sie sind dabei keinen besonderen Einschränkungen unterworfen. Angesichts der in Sierra Leone bestehenden infrastrukturellen Mängel ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, wie etwaige Verfolger, soweit diese nach über zwei Jahren nach den angeblich fluchtauslösenden Umständen überhaupt noch ein Interesse an einer Verfolgung des Klägers haben sollten, ihn auffinden können sollten, wenn der Kläger sich in anderen größeren Städten wie etwa Freetown niederließe. Gerade die Millionenstadt Freetown an der Westküste, die vom Kono Distrikt an der Ostgrenze des Landes die größte Entfernung aufweist, böte für den Kläger die Möglichkeit des Untertauchens und hinreichenden Schutzes durch die örtliche Polizei, wie diesen nach Kenntnis des Gerichts aus anderen Verfahren auch andere Betroffene in Anspruch nehmen. Zur grundsätzlichen Schutzwilligkeit des sierra-leonischen Staates wird insoweit auf das bereits oben Ausgeführte verwiesen. Dass Homosexuelle nicht gezielt in Freetown verfolgt werden, ergibt sich unter anderem bereits auch schon durch den von der Klägerseite selbst gegenüber dem Bundesamt mit Schriftsatz vom 26. Juli 2018 vorgelegten Bericht „Discrimination on the Basis of Sexual Orientation and Gender Identity“, in dem zwei in Freetown ansässige Organisationen für Homosexuelle mit Adresse genannt sind. Auch durch eine einfache Google-Suche sind diese Organisationen unschwer in der Hauptstadt zu lokalisieren. Sofern eine landesweite Verfolgung von Homosexuellen anzunehmen wäre, würden derartige Organisationen zum Schutz ihrer Mitglieder nicht ohne Weiteres öffentlich Präsenz zeigen. Darüber hinaus ist dem Gericht ebenfalls aus zahlreichen anderen Fällen bekannt, dass es ausreichend weitere Treffpunkte für Homosexuelle oder sogar eine bekannte Stricherszene in Freetown gibt. Bei systematischer Verfolgung oder einer grundsätzlichen Schutzunwilligkeit der Organe des Staates Sierra Leones wäre dies in dieser Form nicht denkbar.
Dem Kläger wäre es auch zumutbar, sich in anderen Landesteilen eine neue Existenz aufzubauen. Der Kläger verfügt nach der Überzeugung des Gerichts im Fall seiner Rückkehr nach Sierra Leone über ausreichend Erwerbspotenzial. Trotz der allgemein schlechten Wirtschaftslage kann der Kläger aufgrund seiner zehnjährigen Schulbildung ein zumutbares Existenzminimum, notfalls auch durch Gelegenheitsarbeiten, erwirtschaften. Der Kläger ist jung, gesund und ohne Unterhaltsverpflichtungen. Dass er in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt in Sierra Leone sicherzustellen, steht zur Überzeugung des Gerichts fest.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernst-hafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
a) Dass dem Kläger in Sierra Leone die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch staatliche Akteure droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 AsylG), ist nach dem oben Ausgeführten nicht ersichtlich.
b) Es droht ihm zudem kein ernsthafter Schaden durch nichtstaatliche Akteure (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1, 3c Nr. 3 AsylG).
Die durch den Kläger geltend gemachten möglichen Bedrohungen durch die örtliche Gemeinschaft oder Familie sind – wie ebenfalls oben bereits ausgeführt – keinem nichtstaatlichen Akteur im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG zuzurechnen und darüber hinaus landesweit nicht beachtlich wahrscheinlich. Es besteht die Möglichkeit des landesinternen Schutzes in den Großstädten der Republik Sierra Leone, insbesondere in der Hauptstadt Freetown.
c) Schließlich ist auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht erkennbar.
Die geforderte „individuelle“ Bedrohung muss dabei nicht notwendig auf die spezifische persönliche Situation des schutzsuchenden Ausländers zurückzuführen sein. Der betreffende subsidiäre Schutzanspruch besteht vielmehr auch dann, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson werde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 Elgafaji – juris = Slg. 2009, I-921).
Davon ist nach den vorliegenden Erkenntnissen jedoch nicht auszugehen. Der in Sierra Leone elf Jahre andauernde Bürgerkrieg wurde im Jahr 2002 beendet. Die Sicherheitslage im ganzen Land ist stabil. Armee und Polizei sind landesweit stationiert und haben nach dem vollständigen Abzug der UN-Friedenstruppen im Jahr 2005 die Verantwortung für die innere und äußere Sicherheit übernommen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 4.7.2018, S. 5; Informationszentrum Asyl und Migration des BAMF, Glossar Islamische Länder – Band 17, Sierra Leone, Mai 2010).
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen nicht.
a) Ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist nicht gegeben. Danach ist eine Abschiebung dann verboten, wenn dem Ausländer in dem Zielstaat der Abschiebung landesweit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Insoweit geht das Gericht davon aus, dass nach der Rechtsprechung des EGMR aus der Konvention, die hauptsächlich auf den Schutz der bürgerlichen und politischen Rechte abzielt, keine Rechte auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend gemacht werden können, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, begründet nach der Rechtsprechung des EGMR noch keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK. Die grundlegende Bedeutung des Art. 3 EMRK erfordert jedoch nach Auffassung des EGMR eine gewisse Flexibilität, um in „sehr ungewöhnlichen“ bzw. „ganz außergewöhnlichen“ Fällen eine Abschiebung zu unter-binden. Dies kann auch nicht mit Blick darauf angenommen werden, dass nach Auffassung des EGMR in ganz außergewöhnlichen Fällen auch die Aufenthaltsbeendigung in einen Staat mit schlechten humanitären Verhältnissen bzw. Bedingungen, die keinem Akteur i.S.d. § 3c AsylG zugeordnet werden können, eine Verletzung des Art. 3 EMRK begründen kann, (vgl. etwa BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – juris, Rn. 25).
Trotz der schwierigen Lebensbedingungen in Sierra Leone kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Rückführung der Klägerpartei in ihr Heimatland nicht angenommen werden. Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung. Das Land ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,5 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 700 US-Dollar im Jahr 2015 eines der ärmsten Länder der Welt und belegt nach dem Human Development Index von 2016 Rang 179 der 188 untersuchten Länder. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 77%) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Die Wirtschaft wird mit etwa 51,4% am Bruttoinlandsprodukt vom landwirtschaftlichen Sektor dominiert. Der Dienstleistungssektor trägt mit 26,6% und der Industriesektor mit 22,1% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, wobei bisher keine verlässlichen statistischen Daten erhoben wurden. Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler/in ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 4.7.2018, S. 17 ff.).
Die Lebensumstände in Sierra Leone sind damit zwar äußerst schwierig. Gleichwohl muss davon ausgegangen werden, dass sich ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann in Sierra Leone ein Existenzminimum – wenn auch nur durch Gelegenheitsarbeiten – erwirtschaften kann.
b) Dem Kläger steht auch kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren nach Satz 1, denen eine Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, oder die Bevölkerung als Ganzes, ausgesetzt ist, sind aber bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG).
Allerdings verlangt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG das Bestehen einer konkreten Gefahr ohne Rücksicht darauf ab, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist. Für die Annahme einer „konkreten Gefahr“ genügt ebenso wenig wie im Asylrecht die theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Die Gefahr muss vielmehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vorliegen, wobei das Element der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation statuiert. Dies wäre in etwa anzunehmen, wenn der Ausländer einer extremen Lebensgefahr oder einer extremen Gefahr der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt würde, was dann der Fall ist, wenn er im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder ihm erhebliche Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit drohen würden (BVerwG U.v. 17.10.1995 – 9 C 9.95 – juris, Rn. 14; U.v. 19.11.1996 – 1 C 6.95 – juris, Rn. 34 sowie U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris, Rn. 16). Eine derartige Gefahrensituation kann sich grundsätzlich auch aus den harten Existenzbedingungen und der Versorgungslage im Herkunftsstaat ergeben. Eine Verdichtung allgemeiner Gefahren zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung liegt jedoch im Falle des Klägers bei einer Rückkehr nach Sierra Leone nicht vor.
Dem Kläger wäre es auch zumutbar, sich in anderen Landesteilen eine neue Existenz aufzubauen. Der Kläger verfügt nach der Überzeugung des Gerichts im Fall seiner Rückkehr nach Sierra Leone über ausreichend Erwerbspotenzial. Trotz der allgemein schlechten Wirtschaftslage kann der Kläger aufgrund seiner zehnjährigen Schulbildung ein zumutbares Existenzminimum, notfalls auch durch Gelegenheitsarbeiten, erwirtschaften. Der Kläger ist jung, gesund und ohne Unterhaltsverpflichtungen. Dass er in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt in Sierra Leone sicherzustellen, steht zur Überzeugung des Gerichts fest.
4. Die in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Sie beruht auf den §§ 34 Abs. 1 AsylG, 59 AufenthG. Die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen beruht auf § 38 Abs. 1 AsylG.
5. Die in Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist gleichfalls rechtmäßig. Die Beklagte musste nach den §§ 11 Abs. 2 Sätze 1 und 4, 75 Nr. 12 AufenthG eine Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG treffen. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Ermessensfehler sind hier nicht ersichtlich. Grundsätzlich darf die Frist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten. Hier hat das Bundesamt diese maximale Frist zur Hälfte ausgeschöpft, was nicht zu beanstanden ist. Besondere Umstände, die eine kürzere Frist gebieten würden, sind vom Kläger weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.


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