Verwaltungsrecht

Erfolgloser Asylantrag eines Staatsangehörigen aus Sierra Leone – oppositionelle Betätigung

Aktenzeichen  9 ZB 21.30965

Datum:
14.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20880
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1, § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 3a, § 3d Abs. 1, Abs. 2, § 3e, § 78 Abs. 3 Nr. 3
AuenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

1. Nur wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war. (Rn. 6) (red. LS Andreas Decker)
2. Ein (behaupteter) Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 S. 1 VwGO) ist kein in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG iVm § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel. (Rn. 9) (red. LS Andreas Decker)

Verfahrensgang

RN 14 K 19.31490 2021-05-25 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der einzig geltend gemachte Zulassungsgrund des Vorliegens eines Verfahrensmangels in Form eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG), weil das Verwaltungsgericht wesentliche Argumente des Klagevortrags übergangen habe, liegt nicht vor.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2021 – 9 ZB 21.30577 – juris Rn. 3 m.w.N.).
1. Der Kläger trägt vor, er habe in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass Sierra Leone unter dem jetzigen Präsidenten von der SLPP-Partei regiert werde, es keine Arbeit und Armut gebe, das Land von den Stämmen regiert werde, es ein geteiltes Land sei, er in der Oppositionspartei nicht still sein könne, weshalb ihm Verhaftung und Folter drohe, er auch weiterhin politisch aktiv sei und schon die nächsten Wahlen plane sowie die ganze Zeit Probleme habe. All dies habe das Verwaltungsgericht weder im Tatbestand noch in den Urteilsgründen berücksichtigt und der Kläger werde nur allgemein auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen.
Das Verwaltungsgericht hat zu der vom Kläger geschilderten Mitgliedschaft in der Partei APC und seinen Funktionen innerhalb der Partei als Assistent des Chairman bzw. während der Präsidentschaftswahlkampagne 2018 sowie zu den vom Kläger in diesem Zusammenhang dargestellten Fluchtgründen im Tatbestand ausgeführt. Es ist in seinen Entscheidungsgründen davon ausgegangen, dass die geschilderten Anfeindungen von Mitgliedern der SLPP-Partei während des Wahlkampfes keine Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG darstellten und es sich bei den körperlichen Übergriffen von SLPP-Anhängern, denen er am Tag der Bekanntgabe des Wahlergebnisses ausgesetzt gewesen sei, um einmalige Ausschreitungen gehandelt habe, die nicht nur den Kläger, sondern noch weitere APC-Mitglieder betroffen hätten und bei denen dem Kläger Schutz im Sinne von § 3d Abs. 1 und 2 AsylG durch die einschreitende Polizei zur Verfügung gestanden habe. Dass der Kläger auch auf die Inanspruchnahme internen Schutzes gemäß § 3e AsylG zu verweisen sei, hat das Verwaltungsgericht nur noch ergänzend angeführt, wobei es berücksichtigte, dass der aus dem Südosten von Sierra Leone stammende Kläger angegeben habe, weiterhin für seine Partei APC tätig sein zu wollen. Die APC gelte tendenziell als Partei der Temne im Norden.
Nachdem sich der Kläger mit alldem im Rahmen seines Zulassungsvorbringens nicht auseinandersetzt, ist von ihm für den behaupteten Gehörsverstoß schon die Entscheidungserheblichkeit nicht ausreichend dargelegt worden. Das Verwaltungsgericht hat zudem die Ausführungen der Beteiligten zwar zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist aber nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens vorgebracht worden sind. Nur wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, B.v. 30.6.2015 – 2 BvR 433/15 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 22.5.2019 – 9 ZB 19.31904 – juris Rn. 4). Mit seinem Zulassungsvorbringen, dem eine solche Erheblichkeit des von ihm angeführten Tatsachenvortrags nicht entnommen werden kann, wendet sich der Kläger letztlich nur im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, was aber keinen im Asylverfahrensrecht vorgesehenen Zulassungsgrund darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2021 – 9 ZB 21.30263 – juris Rn. 4).
2. Der Kläger rügt außerdem, dem Urteil des Verwaltungsgerichts sei nicht zu entnehmen, dass er von der Metzgerei, wo er im Mai 2021 zu arbeiten begonnen habe, wegen Problemen mit seinem Auge gekündigt worden sei, und dass er außerdem erwähnt habe, dass er eine Behandlung auch wegen des anderen Auges benötige. Auch wenn prinzipiell Atteste vorgelegt werden müssten, müsse tatsächlichem oder vermeintlichem Widerspruch im Sachvortrag durch Befragung in der mündlichen Verhandlung nachgegangen werden.
Das Verwaltungsgericht hat ausweislich seines Urteils berücksichtigt, dass der Kläger auf einem Auge erblindet ist, deshalb dessen Arbeitsfähigkeit aber nicht als eingeschränkt angesehen. Im Hinblick auf angegebene Schmerzen im Bein und das erblindete Auge hat es im Zusammenhang mit der Prüfung zu § 60 Abs. 7 AufenthG darauf abgestellt, dass ärztliche Atteste nicht vorgelegt wurden.
Soweit der Kläger, der nicht nachvollziehbar ausführt, auf welchen Widerspruch im Sachvortrag des Klägers, dem das Verwaltungsgericht nicht nachgegangen sei, er sich bezieht (vgl. BVerfG, B.v. 22.7.1996 – 2 BvR 1416/94 – juris), zum Ausdruck bringen will, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag dies einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16). Ein (behaupteter) Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist kein in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel und kann somit die Zulassung der Berufung nicht rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2019 – 9 ZB 19.31904 – juris Rn. 3). Ein beachtlicher Verfahrensfehler kann ausnahmsweise zwar dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 24.6.2019 – 15 ZB 19.32283 – juris Rn. 17 m.w.N.; B.v. 8.5.2018 – 20 ZB 18.30551 – juris Rn. 2 m.w.N.). Demgemäß kommt eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG in Betracht, soweit das Gericht eine Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 1.10.2019 – 9 ZB 19.33217 – juris Rn. 8).
Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf. Vielmehr hat der anwaltlich vertretene Kläger bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt. Die Rüge eines Verfahrensmangels ist aber kein Mittel, Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten im vorangegangenen Instanzenzug zu kompensieren (BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6). Im Zulassungsantrag wird auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zur weiteren Aufklärung hätte sehen müssen; dieser materiell-rechtliche Standpunkt ist auch dann maßgeblich, wenn er rechtlichen Bedenken begegnen sollte (vgl. BayVGH, B.v 26.3.2019 – 9 ZB 19.30143 – juris Rn. 11).
Darüber hinaus genügt der Vortrag des Klägers auch sonst nicht den Anforderungen, die an die Darlegung eines Gehörsverstoßes zu stellen sind. Ein Gehörsverstoß muss mit den ihn begründenden Tatsachen und in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan werden. Demzufolge muss vom Zulassungsantragsteller auch in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz dargelegt werden, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte, mithin weshalb der geltend gemachte Gehörsverstoß entscheidungserheblich ist (vgl. BayVGH. B.v. 11.5.2021 – 9 ZB 21.50030, 9 AS 21.50031 – juris Rn. 8) Abgesehen davon, dass die Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er brauche nur Behandlung wegen seines anderen Auges, auf eine aktuelle Behandlungsbedürftigkeit schon nicht ohne weiteres schließen lässt, weil sie auf die Frage der Klägervertreterin nach der Operationsbedürftigkeit des erblindeten Auges erfolgte und im Zusammenhang mit seiner anschließenden Erläuterung steht, dass das rechte Auge schon kaputt sei und eine Operation nicht mehr helfen würde, genügt der Hinweis auf die Kündigung durch die Metzgerei wegen seiner Augenprobleme und die pauschale Behauptung der Behandlungsbedürftigkeit seines noch sehfähigen Auges für die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit nicht.
Die Kostenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrages wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG i.V.m. § 84 Abs. 3 Halbs. 1 VwGO).


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