Verwaltungsrecht

Erfolgloser Asylantrag – keine begründete Furcht vor Verfolgung eines afghanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  RN 8 K 16.31299

Datum:
16.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 114818
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 3, § 4 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1, 2 u 3
AufenthG § 60 Abs. 1, Abs. 5 u Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zwar zulässig, insbesondere wurde sie innerhalb der Frist nach § 74 Abs. 1 Halbsatz 2, § 36 Asylgesetz (AsylG) erhoben. Die Klage ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) aber sowohl in Bezug auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (dazu unter 1.) sowie des subsidiären Schutzstatus (dazu unter 2.) als auch in Bezug auf die Feststellung von Abschiebungsverboten (dazu unter 3.) und auch im Übrigen unbegründet.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylG.
a) Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskommission – GFK) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sind. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylG insbesondere voraus, dass der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Verfolgung im Sinne der Vorschrift kann nach § 3 c AsylG vom Staat (Buchst. a), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Buchst. b), aber auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (Buchst. c). Letzteres gilt jedoch nur, sofern die staatlichen Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor der Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu bieten, unabhängig davon, ob in dem betreffenden Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (vgl. § 3 e AsylG). Die Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften hat in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie – QRL) zu erfolgen. Wie sich aus Art. 4 Abs. 1, 2 und 5 QRL ergibt, kann dabei entsprechend der überkommenen Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 22.3.1983 – 9 C 68/81 – juris Rn. 5 m.w.N.) von dem schutzsuchenden Ausländer erwartet werden, dass er sich nach Möglichkeit unter Vorlage entsprechender Urkunden bemüht, seine Identität und persönlichen Umstände sowie die geltend gemachte Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr nachzuweisen oder jedenfalls substantiiert glaubhaft zu machen.
b) Ein individuelles Verfolgungsschicksal hat der Kläger nicht substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Vorliegend hat der Kläger weder bei seiner Bundesamtsanhörung noch in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2017 vorgetragen, dass sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sind. Gesichtspunkte welche einen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG darstellen sind auch sonst nicht ersichtlich. Der Kläger hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass ihm Verfolgung drohe, weil er im Restaurant seines Bruders mitgeholfen habe. Sein Bruder sei bedroht worden, weil er in dem Restaurant kein afghanisches Essen angeboten habe. Nachdem auf das Restaurant ein Selbstmordattentat verübt worden sei, habe sein Bruder die Polizei benachrichtigt, und zwei der Attentäter seien von der Polizei verhaftet worden. Deshalb seien sein Bruder und er jetzt bei dem Täter bekannt, was dieser auch im Gefängnis berichten werde. Dieses Vorbringen kann aber selbst bei Wahrunterstellung von vorneherein nicht als ein relevantes Verfolgungsgeschehen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG bewertet werden, denn es knüpft nicht an asylbzw. flüchtlingsrelevante Merkmale an, sondern betrifft kriminelles Unrecht, das von der afghanischen Polizei auch entsprechend geahndet wurde. Das in der mündlichen Verhandlung übergebene Foto- und Videomaterial führt zu keinem anderen Ergebnis. Dem Fotos und Videosequenzen ist zwar zu entnehmen, dass am 1. Januar 2016 auf ein „… Restaurant“ in der Innenstadt Kabul ein Bombenanschlag verübt worden ist und dabei drei Menschen ums Leben gekommen, und 15 weitere verletzt worden sind. Das Restaurant sei vor allem bei Ausländern, Diplomaten und Journalisten beliebt gewesen. Die Taliban hätten sich zu diesem Anschlag bekannt. Dem Videomaterial lässt sich auch entnehmen, dass Polizei- und andere Hilfskräfte vor Ort waren. Allerdings lässt das Material keinen Schluss darauf zu, wem das Restaurant gehört. Zwar spricht in einer Sequenz eine Person augenscheinlich über das Restaurant. Da dies aber in der Landessprache erfolgt, können hieraus durch das Gericht keine Schlüsse gezogen werden. Eine Zuordnung des Restaurant zum Bruder des Klägers ist jedenfalls nicht möglich. Das Bild- und Videomaterial belegt vielmehr allein, dass es in der Innenstadt einen am 1. Januar 2016 einen Anschlag gegeben hat. Ein Bezug zum Kläger kann aber jedenfalls nicht hergestellt werden. Bei seiner Anhörung hatte der Kläger zu seinen Fluchtgründen weiter vorgetragen, dass sein anderer Bruder bei der Polizei in Farijab gewesen sei und dort Probleme gehabt habe. Weshalb er, der Kläger, deshalb einer Verfolgung im genannten Sinne ausgesetzt sein soll, hat er nicht einmal ansatzweise dargelegt.
2. Dem Kläger steht kein subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 AsylG (Todesstrafe), § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 2 AsylG (Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung), oder § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) in Bezug auf Afghanistan, wohin ihm die Abschiebung angedroht wurde, zu.
Insoweit bedarf vorliegend lediglich die Schutzregelung nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG der Erörterung. Danach steht einem Ausländer subsidiärer Schutz zu, wenn er in seinem Herkunftsland als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre. Die geforderte „individuelle“ Bedrohung muss dabei nicht notwendig auf die spezifische persönliche Situation des schutzsuchenden Ausländers zurückzuführen sein. Der betreffende subsidiäre Schutzanspruch besteht vielmehr auch dann, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07).
Davon ist nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht auszugehen. Zwar besteht nach wie vor in Afghanistan landesweit ein bewaffneter Konflikt zwischen den von den internationalen Kräften unterstützten Regierungseinheiten und den pauschal als Taliban bezeichneten Oppositionskräften. Auch hat die Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr einmal mehr insgesamt zugenommen, wobei allerdings einem Anstieg von neun Prozent bei den Verletzten ein Rückgang um vier Prozent bei den Toten gegenüber steht; insgesamt waren in Afghanistan im Jahr 2015 3.545 zivile Todesopfer und 7.457 verletzte Zivilpersonen zu beklagen (vgl. UNAMA, Afghanistan Annual Report 2015, February 2016, S. 1). Im Jahr 2016 ist die Zahl der Todesopfer im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken auf 3.498, wohingegen die Zahl der Verletzten nochmals gestiegen ist auf 7.920 (UNAMA Annual Report 2016, Februar 2017, S. 10). Daraus allein kann jedoch weder für das ganze Land noch für einzelne Gebiete auf eine Extremgefahr im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15 Buchst. c QRL geschlossen werden. Eine solche lässt sich auch nicht für die Herkunftsregion des Klägers, die Provinz Parwan oder die Stadt Kabul (beides Zentralregion), in der er sich wohl zuletzt ebenfalls aufgehalten hat, feststellen. Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht nach einer eingehenden Auswertung der Auskunftslage davon aus, dass afghanische Staatsangehörige bei einer Rückkehr in die Zentralregion im Allgemeinen keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt sind (vgl. BAyVGH, B.v. 30.7.2015 – 13a ZB 15.30031 m.w.N.). Dass nicht gleichsam jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist, folgt aber im Übrigen bereits daraus, dass die Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2015 für ganz Afghanistan (knapp 30 Millionen Einwohner) von UNAMA (vgl. UNAMA, Afghanistan Annual report 2015, S. 1.) mit 3.545 Toten und 7.475 Verletzten, sowie im Jahr 2016 mit 3.498 Todesopfern sowie 7.920 Verletzten angegeben wird (UNAMA Annual Report 2016, Februar 2017, S. 10). Die abstrakte Gefahr, angesichts der fragilen Sicherheitslage in Afghanistan Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen zu werden, reicht für die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots jedenfalls nicht aus.
3. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG ist nicht ersichtlich.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dass für ihn in Afghanistan landesweit eine individuelle erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestehen würde, hat der Kläger aber nicht hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich individuelle Gefahren ergeben, in schlüssiger Form und von sich aus bei seinen Anhörungen vor dem Bundesamt (und in der mündlichen Verhandlung) darzulegen.
Wie bereits an anderer Stelle angesprochen, hat der Kläger als Grund für seine Ausreise im Wesentlichen geltend gemacht, dass er im Restaurant seines Bruders gearbeitet habe und deshalb jetzt bedroht sei. Er sei – wie sein Bruder – bei den Tätern bekannt. Zudem sei ein weitere Bruder Polizist gewesen. Weshalb sich aus dem Geschilderten nun aber eine individuelle konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers ergibt, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Dass der Kläger sich in der Nähe des Restaurants in seinem Zimmer aufhielt, als der Anschlag auf das Restaurant verübt wurde, bedeutet nicht, dass das Attentat ihm galt. Dies trägt der Kläger auch gar nicht vor. Auch die Tatsache, dass sein Bruder dafür gesorgt hat, dass die Attentäter zur Rechenschaft gezogen werden, lässt nicht den Schluss zu, dass die Täter eine Art „Rache“ am Kläger planen. Zwar trägt der Kläger vor, dass sein Bruder auch nach dem Attentat noch Drohungen erhalten habe. Diese hätten darauf gezielt, dass der Bruder die Taliban unterstützen sollte. Zu einer Bedrohung seiner Person wurde dagegen vom Kläger nichts vorgetragen. Er leitet die für ihn bestehende Gefahr allein daraus ab, dass er in dem Restaurant gesehen worden sei. Er habe dort in den Tagen, an denen er nicht zur Ausbildung unterwegs war, seine Freizeit verbracht. Was er konkret befürchtet, trägt der Kläger aber nicht vor. Auch das in der mündlichen Verhandlung übergebene Foto- und Videomaterial führt hier zu keinem anderen Ergebnis, da es – wie oben bereits dargelegt – einen unmittelbaren Bezug zum Kläger nicht erkennen lässt.
Im Ergebnis hat der Kläger weder bei seiner Bundesamtsanhörung noch in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft dargetan, dass er sich vor seiner Ausreise aus Afghanistan in einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit befand, noch dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan zum jetzigen Zeitpunkt eine solche erhebliche und konkrete Gefahr drohen würde. Selbst wenn man aber unterstellt, dass der Kläger bei einer Rückkehr konkret befürchten müsste, dass er an seinem Wohnort oder in der Nähe seines Wohnortes in Gefahr ist, weil er die Rache der ins Gefängnis gebrachten Attentäter fürchten müsste, und weiter unterstellt, dass der Kläger vor solchen Übergriffen auch keinen hinreichenden Schutz durch die afghanischen Polizei- und Sicherheitsbehörden erlangen könnte (was im Hinblick darauf, dass die Polizei ja bereits eingegriffen hatte, eher unwahrscheinlich ist), wäre es dem Kläger für den Fall einer Rückkehr nach Afghanistan jedenfalls ohne weiteres zumutbar, in andere Gebiete Afghanistans auszuweichen und sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Dafür, dass der Name des Klägers – wie zunächst vorgetragen – landesweit „öffentlich“ bekannt sein soll, ergeben sich keine Anhaltspunkte. Der Kläger hat hierzu auf die konkrete Nachfrage nur vorgetragen, dass die Täter den Namen des Bruders und damit seiner Familie kennen würden, und auch im Gefängnis weiter erzählen würden. Dafür, dass der Kläger aufgrund des geltend gemachten kriminellen Unrechts – das in erster Linie gegen seinen Bruder gerichtet war – landesweit konkrete Verfolgungsmaßnahmen befürchten müsste, gibt es keinerlei Hinweise.
Die Not- und Gefahrenlage, der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, ist nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG grundsätzlich bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, d.h. im Wege einer generellen politischen Leitentscheidung der obersten Landesbehörden und nicht durch Einzelfallentscheidungen des Bundesamts. Fehlt es – wie hier – an einem solchen Abschiebestopp-Erlass oder einem sonstigen vergleichbar wirksamen Abschiebungshindernis, ist die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bei verfassungskonformer Auslegung ausnahmsweise dann unbeachtlich, wenn dem Ausländer auf Grund der allgemeinen Verhältnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit extreme Gefahren drohen. Diese Voraussetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung mit der Formulierung umschrieben, eine Abschiebung müsse ungeachtet der Erlasslage dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 14.11.2007 – 10 B 47/07 – juris m.w.N.). Eine extreme Gefahrenlage in diesem Sinn ist indes grundsätzlich auch dann anzunehmen, wenn dem Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage in seiner Heimat landesweit der alsbaldige sichere Hungertod drohen würde. Ob die Annahme einer extremen Gefahrenlage im Wege der verfassungskonformen Auslegung nunmehr ausscheidet, weil das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 31. Januar 2013 (Az. 10 C 15/12) davon ausgeht, dass in begründeten Ausnahmefällen schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat (auch) ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen können, kann letztlich dahinstehen, da die anzuwendenden Gefahrenmaßstäbe identisch sind.
Von einer derartigen extremen Gefahrenlage bzw. von einem begründeten Ausnahmefall im gerade dargelegten Sinne ist vorliegend jedoch nicht auszugehen. Trotz der sich aus den verwerteten Erkenntnisquellen ergebenden desolaten Sicherheits- und Versorgungslage kann gleichwohl nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jeder Rückkehrer in Afghanistan alsbald in existenzielle Gefahr gerät. Zwar weist der UNHCR darauf hin, dass die traditionell erweiterten Familien- und Gemeinschaftsstrukturen der afghanischen Gesellschaft – insbesondere in ländlichen Gebieten, in denen die Infrastruktur nicht so entwickelt ist – weiterhin den vorwiegenden Schutzmechanismus bieten und insbesondere rückkehrende Familien ohne männlichen Familienvorstand auf diese familiären Strukturen und Verbindungen zum Zweck der Sicherheit, des Zugangs zur Unterkunft und eines angemessenen Niveaus des Lebensunterhalts angewiesen seien. Alleinstehende Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter haben aber auch nach Einschätzung des UNHCR auch ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft insbesondere in städtischen Gebieten mit entwickelter Infrastruktur und unter effektiver Kontrolle der Regierung die Chance ihr Auskommen finden (vgl. zum Ganzen UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom August 2013, insb. S. 9). Zwar mag sich die Situation in Kabul sowie in anderen Provinzen der Nord- und Ostregion auch im Hinblick auf die große Zahl von Binnenflüchtlingen und Rückkehrern insbesondere aus Pakistan oder dem Iran in letzter Zeit zugespitzt haben; dem stehen aber auch Gebiete gegenüber, die vom jüngsten Anstieg der Rückkehrbewegung wenig bis kaum betroffen waren (vgl. UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016).
Der Kläger ist ein 20-jähriger, gesunder und arbeitsfähiger Mann. Er verfügt über für afghanische Verhältnisse überdurchschnittliche Schulbildung. Er hat 12 Jahre die Schule besucht, diese mit dem Abitur abgeschlossen und danach drei Semester Telekommunikation studiert. Zwar hat er das Studium abgebrochen, dafür aber eine Ausbildung absolviert. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es aus dem europäischen Ausland zurückkehrenden, alleinstehenden männlichen arbeitsfähigen afghanischen Staatsangehörigen auch ohne nennenswertes Vermögen, ohne abgeschlossene Berufsausbildung und ohne familiären Rückhalt möglich ist, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich (wieder) in die afghanische Gesellschaft zu integrieren. (vgl. BayVGH, U.v. 12.2.2015, – 13a B 14.30309; BayVGH, U.v. 4.6.2013 – 13a B 12.30063 m.w.N). Daran ändert sich auch nichts auf Grundlage der neuesten Erkenntnisquellen. In seiner Entscheidung vom 4. Januar 2017 führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof insofern aus, dass es für eine verlässliche Prognose, dass sich die Lage im Jahre 2016 entscheidend verändert hätte, keine ausreichenden Anhaltspunkte gebe. Er gehe daher weiterhin davon aus, dass in Afghanistan für alleinstehende männliche Staatsangehörige keine extreme Gefahrenlage bestehe (vgl. (BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 –, Rn. 5, juris). Die Situation des Klägers stellt sich demgegenüber wesentlich unproblematischer dar. Der Kläger verfügt über eine gute Schulbildung und eine fundierte Ausbildung, so dass es ihm vergleichsweise weniger schwer fallen sollte, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Anhaltspunkte dafür dass, der Kläger bei seiner Rückkehr nach Afghanistan einer extremen Gefahrenlage bzw. einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden würden, liegen nicht vor.
4. Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung beruhen als gesetzliche Folge der Nichtanerkennung als Asylberechtigter, der Nichtzuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des fehlenden Aufenthaltstitels auf §§ 34 Abs. 1, 38 AsylG. Schließlich ist auch die gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG gebotene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung rechtlich nicht zu beanstanden. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen in Anwendung von § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (unter Ziffer 6) gefolgt.
Nach alldem war die Klage deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO als unbegründet abzuweisen.
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG; deshalb ist auch die Festsetzung eines Streitwerts nicht veranlasst. Die Entscheidung im Kostenpunkt war gemäß § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.


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