Verwaltungsrecht

Erfolgloser auf den Verfahrensfehler einer Gehörsrüge gestützter Berufungszulassungsantrag eines Algeriers

Aktenzeichen  15 ZB 18.32711

Datum:
29.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28747
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Ein Verfahrensfehler in Form der Versagung rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gewährleistet nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll ausschließlich sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 8 K 18.31094 2018-09-10 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
Der Kläger – ein algerischer Staatsangehöriger – wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 11. Juli 2017, mit dem sein Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt, die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurde, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Algerien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 10. September 2018 wies das Verwaltungsgericht München die vom Kläger erhobene Klage mit den Anträgen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Juli 2017 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, ihm die Flüchtlingseigenschaft und (hilfsweise) den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie (weiter hilfsweise) festzustellen, dass bei ihm Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG vorliegen, ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung macht der Kläger unter Berufung auf § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit § 138 Nr. 3 VwGO geltend, ihm sei das rechtliche Gehör versagt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensfehlers gem. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG wegen Versagung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor bzw. ist nicht in einer Weise dargelegt worden, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Ein Verfahrensfehler in Form der Versagung rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat (vgl. BVerwG, U.v. 20.11.1995 – 4 C 10.95 – NVwZ 1996, 378 = juris Rn. 13 m.w.N.) oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2017 – 15 ZB 17.30494 – juris Rn. 24 m.w.N.; B.v. 5.9.2018 – 15 ZB 18.32208 – juris Rn. 4; B.v. 8.10.2018 – 15 ZB 17.30545 – noch unveröffentlicht.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht einschlägig bzw. nicht mit der Antragsbegründung substantiiert vorgetragen worden.
a) Soweit der Zulassungsantrag eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör darin sieht, dass dem Kläger mangels ordnungsgemäßer Ladung zur mündlichen Verhandlung keine Möglichkeit eingeräumt worden sei, das aus seiner Sicht für seine Rechtsverfolgung oder -verteidigung Gebotene vorzutragen, trifft dieser Vortrag – unabhängig von der Frage, ob der Kläger persönlich Kenntnis von dem Termin hatte bzw. ob er erst im Nachhinein von seinem vormaligen Bevollmächtigten über den Ausgang des erstinstanzlichen Verfahrens unterrichtet wurde – tatsächlich nicht zu. Denn der erstinstanzlich durch einen Rechtsanwalt vertretene Kläger wurde vom Verwaltungsgericht rechtzeitig zu der mündlichen Verhandlung am 10. September 2018 geladen, weil eine Ladung unter dem Datum des 7. Juni 2018 an seinen – vormaligen – Prozessbevollmächtigten verschickt wurde und Letzterem ausweislich der Zustellungsurkunde, die sich in der dem Senat vorliegenden Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts befindet, am 8. Juni 2018 zugestellt wurde. Die Ladung musste nach § 173 VwGO, § 172 ZPO an den Prozessbevollmächtigten des Klägers ergehen und nicht an den Kläger persönlich. Wenn der Bevollmächtigte den Kläger nicht über den gerichtlich angesetzten Verhandlungstermin informiert, so führt dies nicht zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Gericht (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2017 – 20 ZB 17.30637 – juris Rn. 4; vgl. auch HambOVG, B.v. 11.11.2014 – 4 Bf 270/13.Z – juris Rn. 14).
b) Auch die Rüge, das Verwaltungsgericht sei in den Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Vortrags des Klägers nicht eingegangen, vermag eine Berufungszulassung wegen Versagung des rechtlichen Gehörs nicht zu rechtfertigen.
Der Kläger lässt insofern vorbringen, er habe bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 6. Juli 2017 vorgetragen, dass die Familienangehörigen seiner ehemaligen Freundin ihn mit einem Messer bedroht und zusammengeschlagen hätten. Sie hätten den Wagen seines Vaters zerstört. Des Weiteren habe diese Familie ihn auch in der Türkei und in Österreich aufgespürt. Die Angehörigen seiner Ex-Freundin seien Terroristen und Salafisten gewesen, die ihn hätten umbringen wollen, weil er eine Beziehung zu ihrer Schwester gehabt habe. Darüber hinaus habe er vorgetragen, dass er bei der Polizei gewesen sei und diese ihm den Schutz verweigert habe. Insbesondere hätte – so der Kläger weiter – vor allem sein Vortrag zur Nachverfolgung im Rahmen der inländischen Fluchtalternative Berücksichtigung finden müssen. Der Umstand, dass er im Ausland von der Familie der ehemaligen Freundin aufgespürt worden sei, sei ein starkes Indiz dafür, dass er auch bei seiner Rückkehr wieder entdeckt werde.
Entgegen dem Vorbringen des Klägers ist im erstinstanzlichen Urteil sehr wohl der von ihm als nichtberücksichtigt gerügte Vortrag der Bedrohung und Verfolgung seitens der Familie seiner ehemaligen Freundin berücksichtigt und im Rahmen der Entscheidung in Erwägung gezogen worden. Zum einen nimmt das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts generell gem. § 77 Abs. 2 AsylG auf den streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid vom 11. Juli 2017 Bezug, der sich ausführlich mit dem betreffenden Sachvortrag des Klägers auseinandersetzt. Dieser Bescheid, den sich das Verwaltungsgericht vollumfänglich zu Eigen macht, ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Vortrag des Klägers als unglaubhaft zu bewerten ist. Zum andern geht das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil vom 10. September 2018 an zwei Stellen ausdrücklich – ergänzend – auf den klägerischen Verfolgungsvortrag ein. So wird auf Seiten 7 (unten) / 8 (oben) ausgeführt, dass mit den vorgebrachten Übergriffen und Drohungen der Familie seiner Freundin relevante Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Behörden i.S. von §§ 3 ff. AsylG nicht vorgebracht worden seien. Zudem verarbeitet das Verwaltungsgericht den diesbezüglichen Vortrag auch ausdrücklich auf Seite 10 seines Urteils im Zusammenhang mit der von ihm angenommenen „inländischen Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative“.
In der Sache wendet sich der Kläger lediglich allgemein gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung. Das genügt jedoch nicht, um damit den Zulassungsgrund eines Verfahrensfehlers im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit § 138 Nr. 3 VwGO hinreichend substantiiert darzulegen. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gewährleistet nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll ausschließlich sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben (BayVGH, B.v. 4.10.2018 – 15 ZB 18.32354 – juris Rn. 4; B.v. 8.10.2018 – 15 ZB 17.30545 – noch unveröffentlicht; OVG Saarl., B.v. 16.5.2015 – 2 A 197/14 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Im Übrigen ist Art. 103 Abs. 1 GG erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht der o.g. Berücksichtigungspflicht nicht nachgekommen ist. Die Gerichte brauchen sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich und im Detail auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall b e s o n d e r e U m s t ä n d e deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 8.10.2018 – 15 ZB 18.31366 – juris Rn. 3 m.w.N.). Solche besonderen Umstände sind vorliegend weder erkennbar noch vorgetragen. Das gilt insbesondere, soweit der Kläger meint, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei – insbesondere soweit es die „Nachverfolgung“ außerhalb seines Heimatlandes in der Türkei und in Österreich betreffe – nicht intensiv genug auf seinen Vortrag gegenüber dem Bundesamt im Rahmen der Anhörung gem. § 25 AsylG eingegangen, zumal nicht ersichtlich ist, wie eine einzige Familie den Kläger an einem anderen Ort in dem großflächigen Staat – etwa in der Hauptstadt Algier oder sonstiger Großstädten mit jeweils mehreren hunderttausend Einwohnern – ausfindig machen könnte.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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