Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag

Aktenzeichen  21 ZB 18.1184

Datum:
1.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21899
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5, § 124a
MPhG § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ist das Urteil des Verwaltungsgerichts auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so sind Zulassungsgründe wegen eines jeden die Entscheidung tragenden Grundes darzulegen. Die Berufung darf nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich eines jeden der selbständig tragenden Gründe ein Zulassungsgrund besteht. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Aufklärungsrüge bedarf es auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts der Darlegung von Tatsachen, die ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten, weshalb sich eine unterbliebene Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen und womit insbesondere in der mündlichen Verhandlung auf eine Aufklärungsmaßnahme hingewirkt worden sei. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der im Jahre 1973 in der ehem. Sowjetunion geborene Kläger begehrt unter Anerkennung seiner in der Russischen Föderation erworbenen Berufsqualifikation „Feldscher“ die Erteilung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“.
Mit Abschlussdiplom vom 2. März 1994, ausgestellt von der Medizinischen Fachschule … (Staatliche Bildungseinrichtung der Russischen Föderation) wurde dem Kläger die Qualifikation als „Feldscher in der Fachrichtung Humanmedizin“ zuerkannt. Weiter legte er Fortbildungsnachweise der staatlichen Bildungseinrichtung „Weiterbildungszentrum für Mitarbeiter des Gesundheitswesens …“ aus den Jahren 2004, 2010 und 2011 vor.
Einen Antrag des Klägers auf Erteilung der Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ lehnte das Regierungspräsidium K* … bestandskräftig mit Bescheid vom 24. Juli 2014 wegen der fehlenden fachlichen Gleichwertigkeit des ausländischen Bildungsabschlusses im Vergleich zu der in Deutschland vorgesehenen Physiotherapeutenausbildung ab.
Seit 2009 war der Kläger nach eigenen Angaben Inhaber der „Praxis für Physiotherapie … …“ in Baden-Württemberg. Mit Bescheid vom 13. November 2015 wurde ihm die Ausübung der Tätigkeit als Physiotherapeut untersagt.
Von Juli 2007 bis Juli 2010 besuchte der Kläger die Akademie für Gesundheitsfachberufe … …, um eine Vollzeitausbildung zum staatlich anerkannten Physiotherapeuten zu durchlaufen, bestand jedoch die staatliche Prüfung nicht. Der Kläger bestand auch die im Januar 2015 abgelegte Wiederholungsprüfung der staatlichen Abschlussprüfung zum Physiotherapeuten nicht.
Am 11. Dezember 2015 richtete der Kläger an die Regierung von … einen Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Physiotherapeut unter Anerkennung seiner in der Russischen Föderation abgeschlossenen Ausbildung zum Feldscher und versicherte, dass bei keiner anderen Erlaubnisbehörde ein entsprechendes Verfahren bereits abgeschlossen war.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2016 lehnte der Beklagte den Antrag wegen fehlender fachlicher Gleichwertigkeit des ausländischen Bildungsnachweises ab.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19. April 2018 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte sei zur Entscheidung örtlich unzuständig gewesen und sei damit nicht passivlegitimiert. Weiter stehe der Erlaubniserteilung die Bestandskraft des vom Regierungspräsidium K* … erlassenen Bescheids vom 24. Juli 2014 entgegen. Unabhängig davon habe der Kläger auch inhaltlich keinen Anspruch auf Erteilung einer Berufserlaubnis als Physiotherapeut gem. § 1 Nr. 2 MPhG.
Der Kläger hat gegen das ihm am 26. April 2018 zugestellte Urteil am 22. Mai 2018 die Zulassung der Berufung beantragt.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Das vom Kläger innerhalb der Begründungsfrist Dargelegte, auf dessen Prüfung der Senat nach § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO im Grundsatz beschränkt ist, rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung.
Ist das Urteil des Verwaltungsgerichts auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so sind Zulassungsgründe wegen eines jeden die Entscheidung tragenden Grundes darzulegen. Die Berufung darf nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich eines jeden der selbständig tragenden Gründe ein Zulassungsgrund besteht (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 61; Kopp/ Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 124 Rn. 5).
1.1 Soweit das Verwaltungsgericht sein klageabweisendes Urteil – neben der fehlenden Passivlegitimation des Beklagten wegen örtlicher Unzuständigkeit und entgegenstehender Bestandskraft – selbständig tragend darauf gestützt hat, dass selbst für den Fall, dass eine neue inhaltliche Prüfung des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs veranlasst ist, dem Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kein Anspruch auf Erteilung der Berufserlaubnis als Physiotherapeut (§ 1 Nr. 2 MPhG) zusteht, genügt die vom Klägerbevollmächtigten erhobene Rüge im Hinblick auf die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und eines Verfahrensmangels in Form des Verstoßes gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 124 Abs. 2 Nr. 5, § 86 Abs. 1 VwGO) ersichtlich nicht den Anforderungen des Darlegungsgebots (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1.2 Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen der inhaltlichen Prüfung des klägerischen Begehrens Folgendes ausgeführt (UA S. 9): Der Kläger habe weder die staatliche Prüfung in Deutschland bestanden (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 MPhG), noch erfülle die in Russland abgeschlossene Ausbildung als „Feldscher“ die Voraussetzungen für die Anerkennung als Physiotherapeut (§ 2 Abs. 2 MPhG). Unter ausdrücklicher Bezugnahme (§ 117 Abs. 5 VwGO) auf die Gründe des streitgegenständlichen Bescheids hat sich das Verwaltungsgericht folgende Bescheidsgründe zu eigen gemacht: Der Erlaubnis bedarf, wer die Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ führen will (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 MPhG). Die Erlaubnis ist zu erteilen, wenn der Antragsteller u.a. die vorgeschriebene Ausbildung abgeleistet und die staatliche Prüfung bestanden hat (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 MPhG). Die Ausbildung zum Physiotherapeuten in der Bundesrepublik dauert drei Jahre und beinhaltet 2.900 Stunden theoretischen und praktischen Unterricht und 1.600 Stunden praktische Ausbildung (vgl. § 1 PhysTh-APrV). Eine außerhalb des Geltungsbereichs des Masseur- und Physiotherapeutengesetzes erworbene abgeschlossene Ausbildung erfüllt die Anerkennungsvoraussetzungen, wenn die Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes gegeben ist (§ 2 Abs. 2 MPhG). Ein Vergleich der in Russland absolvierten Ausbildung als „Feldscher“ mit der deutschen Ausbildung als Physiotherapeut zeigt Folgendes: Wie schon in der Sowjetunion ist im heutigen Russland der Feldscher auch im zivilen Bereich als medizinische Hilfskraft tätig. Die Qualifikation berechtigt in Russland zur Ausübung des Krankenpflegeberufs sowie zur Assistenz des Arztes bei Untersuchungen und Behandlungen. Die Ausbildung als Feldscher in der Fachrichtung Humanmedizin an der Medizinischen Fachschule … hat 4 Jahre (insgesamt 3.937 Stunden) gedauert. Neben dem Unterricht in allgemeinbildenden Fächern, der auf ca. 1,5 Jahre anzusetzen ist, ist die Fachausbildung im Umfang von ca. 2,5 Jahren vermittelt worden. Aus der Anlage des Diploms vom 2. März 1994 ist zu ersehen, dass der Kläger in den Fächern, die in den Bereich der Physiotherapie fallen, wie z.B. Anatomie und Physiologie, Massage, Krankengymnastik, Physiotherapie insgesamt 379 Stunden unterrichtet wurde. Mit Zeugnissen aus den Jahren 2004, 2011 und 2015 hat der Kläger Fortbildungslehrgänge an der staatlichen regionalen Bildungseinrichtung „Weiterbildungszentrum für Mitarbeiter des Gesundheitswesens von …“ nachgewiesen mit insgesamt 880 Stunden in den Fächern Physiotherapie, Medizinische Massage, Heilgymnastik (2004, 480 Stunden), Manuelle Lymphdrainage und physiologische Ödem-Therapie (210, 190 Stunden) und Manuelle Therapie (2011, 210 Stunden). Die Überprüfung und Bewertung der vorgelegten Unterlagen hat ergeben, dass sich die Ausbildung des Klägers auf Fächer bezogen hat, die sich inhaltlich wesentlich von der dreijährigen deutschen Ausbildung zum Physiotherapeuten unterscheiden. Die Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes der in Russland erworbenen abgeschlossenen Ausbildung als „Feldscher“ mit einem in Deutschland ausgebildeten Physiotherapeuten ist mit den vorgelegten Unterlagen nicht nachgewiesen.
1.3 Das Zulassungsvorbringen wendet ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ein, weil das Verwaltungsgericht keine inhaltliche Prüfung des klägerischen Begehrens vorgenommen habe. Das Verwaltungsgericht habe am Ende des Urteils kurz ausgeführt, dass es keine Zweifel daran habe, dass die vom Kläger absolvierte Ausbildung nicht gleichwertig mit der Ausbildung des Physiotherapeuten sei. Hätte das Verwaltungsgericht sich mit der Frage der Gleichwertigkeit der Ausbildung selbst auseinandergesetzt und nicht lediglich auf die Begründung des Bescheids verwiesen, dann wäre es zu dem Ergebnis gelangt, dass die Qualifikation des Klägers gleichwertig mit der eines Physiotherapeuten sei (§ 2 Abs. 2 MPhG).
1.4 Dieses Vorbringen der Klägerseite genügt den an die Darlegung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel zu stellenden Anforderungen nicht (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Gem. § 117 Abs. 5 VwGO konnte das Verwaltungsgericht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt. Das Verwaltungsgericht ist in zulässiger Weise dementsprechend verfahren. Es hat unter Bezugnahme auf die Bescheidsgründe und die Vorschrift des § 117 Abs. 5 VwGO ausgeführt, dass keine Zweifel am Bestehen wesentlicher Unterschiede zwischen der in Russland absolvierten Ausbildung des Klägers und der deutschen Physiotherapeutenausbildung bestünden.
Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel ist erforderlich, dass sich der Kläger mit dem angefochtenen Urteil substanziell auseinandersetzt. Dem genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Es setzt sich mit dem angefochtenen Urteil insoweit nicht ansatzweise auseinander.
1.5 Auch die im Zulassungsvorbringen erhobene Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) entspricht nicht den Darlegungsanforderungen an den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels i.S. des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO. Insoweit erschöpft sich der Vortrag des Klägerbevollmächtigten darin, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes zur Frage der Gleichwertigkeit eigene Ermittlungen hätte anstellen müssen. Das Verwaltungsgericht hätte nicht lediglich pauschal auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids verweisen dürfen.
Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten, weshalb sich eine unterbliebene Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen und womit insbesondere in der mündlichen Verhandlung auf eine Aufklärungsmaßnahme hingewirkt worden sei (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 75).
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG in Anlehnung an 14.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. v. 18. Juli 2013 (abgedr. in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 19. April 2018 rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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