Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag – Asylantrag eines in Deutschland geborenen Kindes aufgrund Gewährung internationalen Schutzes für Eltern in Litauen unzulässig

Aktenzeichen  21 ZB 18.32867

Datum:
22.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32963
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Art. 20 Abs. 3
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1 Das Asylgesetz enthält keine Regelung dazu, wie der Asylantrag eines Ausländers zu behandeln ist, der in Deutschland geboren wurde, nachdem seine Eltern hier Asyl beantragt haben, obgleich ihnen zuvor in einem Mitgliedstaat internationaler Schutz gewährt wurde. Diese ersichtlich planwidrige Regelungslücke ist im Wege der teleologischen Extension dadurch zu schließen, dass der Asylantrag in entsprechender Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO sowie die Regelungen über das Aufnahme- und das Wiederaufnahmeverfahren dieser Verordnung sind auf diesen Fall nicht anwendbar.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 K 18.31310 2018-10-11 GeB VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die am 25. Januar 2018 in Deutschland geborene Klägerin syrischer Staatsangehörigkeit und arabischer Volkszugehörigkeit wendet sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig.
Die Eltern der Klägerin und ihre vier älteren Geschwister reisten am 11. Januar 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 19. Januar 2017 Asylanträge.
Zuvor hatten sie sich im Rahmen eines von den Vereinten Nationen organisierten „Relocation-Projekts“ von Griechenland nach Litauen begeben, wo ihnen sogleich nach ihrer Ankunft im August 2016 internationaler Schutz gewährt wurde.
Mit Bescheid vom 10. Februar 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylanträge der Eltern und Geschwister der Klägerin als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen und drohte für den Fall der Nichtausreise die Abschiebung nach Litauen an.
Die hiergegen gerichtete Klage vom 15. Februar 2017 wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Gerichtsbescheid vom 27. Juli 2017 ab, nachdem bereits mit Beschluss vom 22. Februar ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt worden war.
Für die am 25. Januar 2018 geborene Klägerin stellte ihr Bevollmächtigter am 23. März 2018 Asylantrag, den das Bundesamt zuletzt mit Bescheid vom 26. Juni 2018 nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und Abs. 2 AsylG als unzulässig ablehnte, weil nach Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO für Kinder, die in einem Mitgliedsstaat geboren werden, die Frage der Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags untrennbar mit der Situation ihrer Familienangehörigen, also ihrer Eltern verbunden sei. Weiter stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen. Gleichzeitig forderte es die Klägerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Für den Fall der Nichteinhaltung dieser Ausreisefrist drohte das Bundesamt die Abschiebung nach Litauen an. In die Arabische Republik Syrien dürfe die Klägerin nicht abgeschoben werden.
Am 2. Juli 2018 erhob der Bevollmächtigte der Klägerin hiergegen Klage. Mit Schriftsatz vom 6. August 2018 beantragte er zudem, die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen.
Mit Beschluss vom 9. August 2018 lehnte das Verwaltungsgericht Würzburg diesen Antrag ab, weil die Antragsfrist nicht eingehalten worden sei.
Die hiergegen erhobene Gehörsrüge wies das Verwaltungsgericht Würzburg mit Beschluss vom 16. August 2018 ab und stellte in den Gründen fest, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch bei Bejahung einer fristgemäßen Antragserhebung abzulehnen gewesen wäre, weil es ihm in Hinblick auf die Formulierung, dass die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens enden solle, am tatsächlichen Rechtsschutzbedürfnis mangle.
Mit Gerichtsbescheid vom 11. Oktober 2018 wies das Verwaltungsgericht Würzburg die Klage ab.
Hiergegen richtet sich der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung.
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) und eines in § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) liegen nicht vor oder wurden entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht hinreichend dargelegt.
1.1 Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.
Der Bevollmächtigte der Klägerin misst den Fragen eine grundsätzliche Bedeutung bei,
„ob ein neues Zuständigkeitsverfahren nach der Dublin III-VO für das in der BRD nachgeborene Kind eingeleitet werden muss“ und
„ob Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO auf in der BRD nachgeborene Kinder anwendbar ist, wenn das Kind keinen Asylantrag in einem (anderen) Mitgliedstaat gestellt hat und die Dublin-Überstellungsfrist abgelaufen ist.“
Zur Klärung dieser Fragen bedarf es nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Sie lassen sich ohne Weiteres mit Hilfe der üblichen Methoden der Rechtsanwendung und unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung aus dem Gesetz wie folgt beantworten: Art. 20 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) sowie die Regelungen über das Aufnahme- und das Wiederaufnahmeverfahren dieser Verordnung (Art. 20 ff. Dublin III-VO) sind nicht anwendbar; der Asylantrag eines in Deutschland geborenen minderjährigen Kindes, dessen Eltern durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen (hier: Litauen) internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt wurde, ist vielmehr in entsprechender Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig.
Für die Eltern der Klägerin ist die Regelung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG einschlägig, wonach ein Asylantrag unzulässig ist, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union – hier Litauen – dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinn des § 1 Abs. 2 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Sie unterliegen nicht mehr den die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates sowie die Fristen für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs regelnden Vorschriften und Grundsätzen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (vgl. EuGH, B.v. 5.4.2017 – C-36/17 – juris), sondern dem deutsch-litauischen Rückübernahmeabkommen vom 28. Januar 2000 (BGBl II S. 588).
Demgegenüber enthält das Asylgesetz keine Regelung dazu, wie der Asylantrag der Klägerin zu behandeln ist, die in Deutschland geboren wurde, nachdem ihre Eltern hier Asyl beantragt haben, obgleich ihnen zuvor in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union – hier Litauen – internationaler Schutz gewährt wurde. Diese ersichtlich planwidrige Regelungslücke ist im Wege der teleologischen Extension dadurch zu schließen, dass der Asylantrag der Klägerin in entsprechender Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig ist.
§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG setzt auch den das Gemeinsame Europäische Asylsystem beherrschenden Grundsatz durch, wonach der Asylantrag eines Drittstaatsangehörigen (nur) von einem einzigen Mitgliedstaat zu prüfen ist (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO). Denn danach braucht sich kein weiterer Mitgliedstaat sachlich mit dem Asylbegehren eines Drittstaatangehörigen zu befassen, wenn diesem bereits durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union internationaler Schutz zugesprochen wurde. Damit sollen Drittstaatsangehörige von einem sogenannten „forum shopping“ und letztlich von einer Sekundärmigration innerhalb der Europäischen Union abgehalten werden (vgl. EuGH, U.v. 10.12.2013 – C-394/12 – juris Rn. 53). Dem liefe es zuwider, wenn mit dem Asylantrag eines minderjährigen Kindes, das in Deutschland geboren wurde, anders zu verfahren wäre, als mit dem Asylantrag der Eltern, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits internationalen Schutz erhalten haben. Für eine entsprechende Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG spricht zudem, dass die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 einerseits die hier verfahrensgegenständliche Konstellation nicht regelt (vgl. VGH BW, B.v. 14.3.2018 – juris – Rn. 9), aber andererseits auch in ihrem Anwendungsbereich dem Grundsatz der Familieneinheit folgend Kinder, die nach der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, untrennbar mit der Situation der Eltern verbunden sind und ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese Kinder nicht eingeleitet werden muss (Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO).
1.2 Der Zulassungsgrund der Divergenz wurde nicht hinreichend dargelegt.
Der Bevollmächtigte der Klägerin meint, das angefochtene Urteil weiche von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. August 2015 (11 B 15.50110) ab, in der davon ausgegangen werde, dass die Überstellungsfrist hinsichtlich eines nachgeborenen Kindes nicht abgelaufen sein dürfe.
Die Darlegung der Divergenz erfordert neben der genauen Bezeichnung des Gerichts und der zweifelsfreien Angabe seiner Divergenzentscheidung auch Ausführungen dazu, welcher tragende Rechts- oder Tatsachensatz in dem Urteil des Divergenzgerichts enthalten ist und welcher bei der Anwendung derselben Rechtsvorschrift in dem angefochtenen Urteil aufgestellte Rechts- oder Tatsachensatz dazu im Widerspruch steht. Die divergierenden Sätze müssen einander so gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2015, § 124a Rn. 73 m.w.N.)
Vorliegend fehlt es schon an der genauen Bezeichnung, welcher im angefochtenen Urteil aufgestellte Rechts- oder Tatsachensatz im Widerspruch zu der mit dem Zulassungsantrag bezeichneten Divergenzentscheidung stehen soll.
Im Übrigen besteht die behauptete Divergenz nicht, weil der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. August 2015 zum Verfahren der Rücküberstellung nach der EU-Verordnung Nr. 604/2013 und damit unter anderem in Anwendung der Art. 18 Abs. 1 Buchst. d, Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO ergangen ist. Denn geklagt hatte zwar ein in Deutschland geborenes Kind, das hier einen Asylantrag gestellt hatte. Allerdings war der Asylantrag der Eltern zuvor in Tschechischen Republik abgelehnt worden.
1.3 Der behauptete Verfahrensmangel der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat nicht gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen. Es hat sich entgegen dem Zulassungsvorbringen in dem angefochtenen Gerichtsbescheid ausdrücklich mit der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. August 2015 auseinandergesetzt (vgl. UA S. 10).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung war abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 11. Oktober 2018 rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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