Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag: Ausbleiben von Beteiligten wegen Verkürzung der Ladungsfrist

Aktenzeichen  20 ZB 17.30730

Datum:
1.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3080
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 102 Abs. 1 S. 2, § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Verkürzung der Ladungsfrist ohne anerkannten Grund führt für sich genommen nicht zu einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör. Hierfür müssen vielmehr besondere Umstände des Einzelfalles hinzutreten. Erforderlich ist neben einem erfolglosen Antrag auf Terminsverlegung auch die Darlegung, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung infolge der Verkürzung der Ladungsfrist nicht wahrgenommen werden konnte. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Umstand, dass der Asylbewerber für seinen Prozessbevollmächtigten nicht erreichbar war und deshalb nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte, bedeutet für sich genommen keinen Gehörsverstoß. Ein Gehörsverstoß kommt jedoch in Betracht, wenn substantiiert dargelegt wird, aus welchen Gründen trotz der Möglichkeit des Bevollmächtigten, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die persönliche Teilnahme des Asylbewerbers unerlässlich und unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstoffes weder aus materiell-rechtlichen noch aus prozessualen Gründen verzichtbar war. (Rn. 6 – 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 3 K 16.31688 2017-04-27 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 27. April 2017 (Az. B 3 K 16.31688) ist unzulässig, soweit der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht entsprechend den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt wurde. Im Übrigen ist er unbegründet, weil der dargelegte Zulassungsgrund nicht vorliegt.
1. Der Kläger macht eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend, weil das Verwaltungsgericht seinem Antrag vom 19. April 2017 auf Verlegung des Termins der mündlichen Verhandlung am 20. April 2017 nicht stattgegeben hat, sondern in Abwesenheit des Klägers sowie seines Prozessbevollmächtigten verhandelt und entschieden hat. Infolge der Verkürzung der Ladungsfrist auf sieben Tage durch das Gericht sei es dem Prozessbevollmächtigten trotz entsprechender Bemühungen nicht möglich gewesen, den Kläger zu erreichen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht eine günstigere Entscheidung getroffen hätte, wenn der Kläger seine Fluchtgründe in der mündlichen Verhandlung persönlich dargelegt hätte. Damit macht der Kläger einen Zulassungsgrund im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO geltend.
2. Der geltend gemachte Zulassungsgrund einer Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinne des § 138 Nr. 3 VwGO wurde jedoch nicht entsprechend § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt bzw. liegt in der Sache nicht vor.
a) Auf die Verkürzung der Ladungsfrist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 VwGO auf sieben Tage kann – für sich genommen – die Verfahrensrüge nicht gestützt werden. Zwar ist ein anerkannter Grund für die Verkürzung der Ladungsfrist im vorliegenden Falle nicht erkennbar (vgl. dazu Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 102 Rn. 19; Kopp/Schenke, VwGO, § 102 Rn. 11; Brüning in Beck´scher Onlinekommentar zur VwGO, § 102 Rn. 15). Die Verkürzung der Ladungsfrist ohne anerkannten Grund führt jedoch für sich genommen nicht zu einem revisibelen Verfahrensfehler im Sinne des § 138 VwGO (BVerwG, U.v. 22.6.1984 – 8 C 1.83 – NJW 1985, 340 m.w.N.; Kopp/Schenke a.a.O.; Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 457). Um einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör zu begründen, müssen vielmehr besondere Umstände des Einzelfalles hinzukommen. Denn der Grundsatz der Wahrung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG gebietet es, den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, sich zu den entscheidungserheblichen Fragen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern (BVerwG, U.v. 6.2.1987 – 4 C 2.86 – NJW 1987, 2694; U.v. 22.6.1984 – 8 C 1.83 – NJW 1985, 340 m.w.N.). Erforderlich ist daher des Weiteren neben einem – wie im vorliegenden Falle – erfolglosen Antrag auf Terminsverlegung die Darlegung, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung infolge der Verkürzung der Ladungsfrist nicht wahrgenommen werden konnte (Geiger in Eyermann a.a.O., § 102 Rn. 19; Berlit a.a.O., § 78 Rn. 458 m.w.N.; Kopp/Schenke a.a.O., § 102 Rn. 13; Brüning a.a.O., § 102 Rn. 17). Derartige Mängel des Verfahrens sind hier jedoch nicht dargelegt bzw. liegen nicht vor.
b) Die Durchführung der mündlichen Verhandlung im anberaumten Termin sowie die im zeitlichen Nachgang erfolgte Entscheidung durch das Verwaltungsgericht trotz des rechtzeitig gestellten Verlegungsgesuchs führen im vorliegenden Falle nicht zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers. Nach § 102 Abs. 2 VwGO darf das Verwaltungsgericht auch bei Ausbleiben eines ordnungsgemäß geladenen Beteiligten verhandeln und entscheiden, wenn auf diese Möglichkeit – wie im vorliegenden Falle – in der Ladung hingewiesen wurde. Dennoch kann das rechtliche Gehör dadurch verletzt sein, dass das Verwaltungsgericht die mündliche Verhandlung durchführt und entscheidet, obwohl ihm bekannt ist, dass die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung dem Asylbewerber oder seinem Bevollmächtigten nicht möglich ist, wobei nicht jeder Verstoß gegen die einfachrechtlichen Vorschriften zugleich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG indiziert (vgl. zum Ganzen Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 300 m.w.N.).
Der Umstand, dass der Kläger für seinen Prozessbevollmächtigten nicht erreichbar war und deshalb nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte, bedeutet für sich genommen keinen Gehörsverstoß. Der Kläger wurde über seinen Prozessbevollmächtigten ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen (§ 67 Abs. 6 Satz 5 VwGO); die Ladung ist diesem ausweislich des in der Gerichtsakte befindlichen Empfangsbekenntnisses (Bl. 40 der VG-Akte) am 6. April 2017 und damit 14 Tage vor dem Termin der mündlichen Verhandlung zugegangen. Einer persönlichen Ladung des Klägers bedurfte es nicht, da das Gericht nicht das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet hatte (vgl. Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 292, 293 m.w.N.). Zum anderen verletzt der Umstand, dass in Abwesenheit des Asylbewerbers verhandelt und entschieden wird, bei ordnungsgemäßer Ladung des Prozessbevollmächtigten das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht. Dies gilt auch dann, wenn der Prozessbevollmächtigte – wie im vorliegenden Falle – geltend macht, der Asylbewerber habe sich auf die Weitergabe des Termins nicht gemeldet und es sei nicht sichergestellt, dass dieser die Nachricht erhalten habe. Deshalb muss das Verwaltungsgericht auch einem allein auf diesen Umstand gestützten Verlegungsantrag nicht stattgeben. Denn bei anwaltlicher Vertretung wird das rechtliche Gehör durch den Prozessbevollmächtigten vermittelt (vgl. zum Ganzen Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 297). Der Kläger hat nicht vorgetragen – geschweige denn dargelegt –, dass seinem Prozessbevollmächtigten die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht möglich war.
Unter diesen Umständen kommt eine Gehörsverletzung nur in Betracht, wenn substantiiert dargelegt wird, aus welchen Gründen trotz der Möglichkeit des Bevollmächtigten, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die persönliche Teilnahme des Asylbewerbers unerlässlich und unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstoffes weder aus materiell-rechtlichen noch aus prozessualen Gründen verzichtbar war (Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 297). Derartiges hat der Kläger jedoch weder in seinem Antrag auf Terminsverlegung an das Verwaltungsgericht vom 19. April 2017 noch in seinem Antrag auf Zulassung der Berufung dargelegt. Die Unverzichtbarkeit der persönlichen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs drängt sich hier auch nicht auf, weil das Verwaltungsgericht sein klageabweisendes Urteil darauf gestützt hat, dass der Vortrag des Klägers schon keine relevante Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG erkennen lasse (UA S. 7). Nur hilfsweise und damit nicht selbständig tragend („ohne dass es noch entscheidungserheblich wäre, …“, UA S. 8) hat das Verwaltungsgericht auch ausgeführt, dass dem Kläger zudem interner Schutz im Sinne des § 3e AsylG offen stehe (UA S. 8 f.). Des Weiteren wurde der Kläger mit Schreiben des Verwaltungsgerichts vom 1. Dezember 2016 auf die Pflicht, die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel binnen eines Monats nach Zustellung des Bundesamtsbescheides anzugeben (§ 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG), sowie auf die Möglichkeit, verspätet vorgebrachte Erklärungen und Beweismittel zurückzuweisen (§ 87b Abs. 3 VwGO), hingewiesen. Es oblag ihm also, schon vor der mündlichen Verhandlung zu seinen persönlichen Umständen und Fluchtgründen vorzutragen, wenn er dies für erforderlich gehalten hätte.
c) Schließlich führt auch in diesem Zusammenhang der Umstand der verkürzten Ladungsfrist nicht zu einer anderen Betrachtung. Denn der Kläger hat nicht gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt, dass gerade dieser Umstand zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs geführt hat. Aufgrund des zeitlichen Ablaufs im vorliegenden Falle hatte der Prozessbevollmächtigte nämlich im Vergleich zur regulären Ladungsfrist von zwei Wochen nach § 102 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur einen Tag weniger zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung und damit auch für die Verständigung des Klägers von dem Termin zur Verfügung. Die Ladungsfrist im Sinne des § 102 VwGO stellt gemäß §§ 173 Satz 1 VwGO, 217 ZPO den Zeitraum dar, der zwischen dem Zugang der Ladung und dem Verhandlungstermin liegen muss. Deshalb werden der Tag des Zugangs der Ladung sowie der Tag der mündlichen Verhandlung nicht mitgerechnet (vgl. BGH, B.v. 5.6.2013 – XII ZB 427/11 – juris Rn. 11; Geiger in Eyermann, VwGO, § 102 Rn. 17). Zur Einhaltung der zweiwöchigen Ladungsfrist zur mündlichen Verhandlung am 20. April 2017 hätte die Ladung daher dem Prozessbevollmächtigten spätestens am 5. April 2017 zugehen müssen. Tatsächlich wurde sie ihm jedoch – unter Verkürzung der Ladungsfrist – am 6. April 2017 zugestellt. Zwischen der Zustellung und dem Verhandlungstermin lagen somit 13 Tage. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hätte deshalb darlegen müssen, dass er den Kläger innerhalb der regulären Ladungsfrist von zwei Wochen (§ 102 Abs. 1 Satz 1 VwGO), d.h. unter der Voraussetzung, dass ihm noch ein weiterer Tag zur Verfügung gestanden hätte, noch erreicht hätte. Ohne eine entsprechende Darlegung erscheint dies nicht plausibel.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
4. Da somit dem Antrag auf Zulassung der Berufung kein Erfolg beschieden ist, war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Berufungszulassungsverfahren gemäß § 166 VwGO, §§ 114 ff., 121 ZPO mangels hinreichender Erfolgsaussichten abzulehnen.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Berufungszulassung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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