Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag einer Asylbewerberin aus Sierra Leone

Aktenzeichen  9 ZB 19.30620

Datum:
9.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7355
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wird mit dem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe im Asylprozess die gebotene Einzelfallbetrachtung für alleinerziehende Mütter bei einer Rückkehr nach Sierra Leone nur unzureichend vorgenommen, nicht dargelegt.  (Rn. 3) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Eine die Zulassung der Berufung tragende Divergenz liegt auch dann vor, wenn sich das Verwaltungsgericht zwar in seinen Obersätzen der höhergerichtlichen Rechtsprechung angeschlossen, im entschiedenen Einzelfall aber gleichwohl einen anderen rechtlichen Standpunkt eingenommen und von diesem ausgehend abweichende Rechtssätze zugrunde gelegt hat. (Rn. 7) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Allein das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen eines Divergenzgerichts genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (BVerwG BeckRS 2017, 110078). (Rn. 7) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

M 30 K 17.39935 2018-11-09 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der von der Klägerin geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (BayVGH, B.v. 27.2.2019 – 9 ZB 19.30489 – juris Rn. 2 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Mit dem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe die im Fall der Klägerin gebotene Einzelfallbetrachtung für alleinerziehende Mütter bei einer Rückkehr nach Sierra Leone nur unzureichend vorgenommen, ist schon keine zu beantwortende Frage formuliert. Zudem fehlt es an der Darlegung der grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit. Das Verwaltungsgericht hat auf die schwierigen Lebensbedingungen in Sierra Leone abgestellt und ist auf dieser Grundlage davon ausgegangen, dass die Klägerin als junge, gesunde und erwerbsfähige Frau in der Lage sein wird, am Standort einer Fluchtalternative in einer der größeren Städte Sierra Leones sich und ihrem Kind ein neues Leben aufzubauen. Es hat dabei berücksichtigt, dass die Klägerin nach ihren Angaben zwar nicht auf eine Schul- oder Berufsausbildung zurückblicken könne, sie allerdings noch Familienangehörige in Sierra Leone habe und insbesondere davon auszugehen sei, dass ihr der Kindsvater Unterstützung leisten werde. Indem die Klägerin ausführt, dass sie entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts durch die gebrechliche Mutter, die zwei jüngeren Schwestern sowie den getrennt lebenden Ehemann keine Unterstützung in Sierra Leone erhalten könne und allein nicht in der Lage sei, die Existenz ihrer Familie zu sichern, legt sie keine über den Einzelfall der Klägerin hinausgehende Bedeutung dar. Dies gilt auch unter Berücksichtigung ihrer Hinweise auf Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte München und Augsburg, nach der in Fällen alleinerziehender Mütter ohne Schul- und Berufsausbildung sowie ausreichenden familiären Rückhalt das Vorliegen von Abschiebungsverboten angenommen worden sei. Mit ihrem Zulassungsvorbringen wendet sie sich im Gewand der Grundsatzrüge gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das Gericht im Einzelfall und bringt Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zum Ausdruck, macht jedoch keinen in § 78 Abs. 3 AsylG genannten Zulassungsgrund geltend. § 78 Abs. 3 AsylG kennt – im Gegensatz zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO – den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit einer Entscheidung nicht (vgl. BayVGH, B.v. 26.9.2018 – 9 ZB 18.50047 – juris Rn. 6 m.w.N.).
2. Die Berufung ist nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG wegen Divergenz zuzulassen.
Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenüber gestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2018 – 9 ZB 18.31509 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht, weil schon kein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts herausgearbeitet wird, der von einem Rechtssatz des genannten Divergenzgerichts abweichen soll. Dem Zulassungsvorbringen lässt sich auch nicht entnehmen, inwieweit sich das Verwaltungsgericht zwar in seinen Obersätzen der höhergerichtlichen Rechtsprechung angeschlossen hat, im entschiedenen Einzelfall aber trotzdem einen anderen rechtlichen Standpunkt eingenommen und von dort aus abweichende Rechtssätze zugrunde gelegt hat (vgl. Eyermann/Kraft, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 132 Rn. 37 m.w.N.). Die Klägerin behauptet lediglich, das Urteil des Verwaltungsgerichts weiche im Hinblick auf die zu erwartenden schlechten humanitären Bedingungen im Heimatland von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK ab. Sie kritisiert somit, dass das Verwaltungsgericht die in diesem Urteil aufgestellten Rechtssätze nicht oder nicht richtig angewandt hat. Allein das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen eines Divergenzgerichts genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.2017 – 1 B 22/17 – juris Rn. 19).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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