Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag eines irakischen Asylbewerbers

Aktenzeichen  13a ZB 16.30531

Datum:
20.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 110396
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3, § 154 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG BeckRS 2003, 22030). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, kann allerdings nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist, da grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. (Rn. 3) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Liegen zu einer erheblichen Tatsache bereits amtliche Auskünfte oder gutachtliche Stellungnahmen vor, richtet sich die im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung über einen Antrag auf Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten nach § 98 VwGO iVm § 412 Abs. 1 ZPO. Danach kann das Gericht eine weitere Begutachtung anordnen, wenn es die vorliegenden Auskünfte oder Gutachten ohne Rechtsverstoß für ungenügend erachtet (§ 412 Abs. 1 ZPO); einer erneuten Begutachtung bedarf es jedenfalls dann nicht, wenn das Gegenteil der erneut behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist (§ 244 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 StPO). (Rn. 3) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Ungenügend sind Auskünfte und Gutachten dann, wenn sie erkennbare Mängel aufweisen, etwa unvollständig, widersprüchlich oder sonst nicht überzeugend sind, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder wenn der Gutachter erkennbar nicht sachkundig ist bzw. Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehen. (Rn. 3) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Trägt ein irakischer Asylbewerber vor, seine Heimatstadt liege im Einflussbereich der kurdischen Peschmerga und sei nie von IS-Milizen besetzt gewesen, kann das Verwaltungsgericht im Hinblick auf von ihm in das Verfahren eingeführte Erkenntnismittel, insbesondere den Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 18. Februar 2016, von der Einholung weiterer Stellungnahmen von Amnesty International oder dem UNHCR absehen. (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

AN 4 K 16.30131 2016-09-08 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 8. September 2016 ist unbegründet, weil die geltend gemachten Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO nicht vorliegen.
Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe gegen sein Recht auf rechtliches Gehör verstoßen, indem es seinen in der mündlichen Verhandlung am 7. September 2016 gestellten Beweisantrag abgelehnt hat. Der Kläger hatte nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung folgenden Beweisantrag gestellt: „Unter Hinweis auf die Herkunftsländerleitsätze des BAMF … und den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18. Februar 2016 beantrage ich, Beweis darüber zu erheben, dass in der Provinz Ninive, aus der der Kläger stammt, ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht, was wiederum auch bedeutet, dass es in der Heimatstadt des Klägers in Shekhan nicht möglich ist zu existieren oder zu überleben, wenn man dort nicht in den Schoß einer Großfamilie zurückkehren kann, durch Einholung von Auskünften nach Auswahl des Gerichts, insbesondere über Amnesty International und den UNHCR.“ Das Verwaltungsgericht hat den Antrag ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung gemäß § 86 Abs. 2 VwGO mit folgendem Beschluss abgelehnt: „Der Beweisantrag wird abgelehnt, weil die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen aus Sicht des erkennenden Gerichts für die Beurteilung der Sachlage ausreichen.“ In den Urteilsgründen führt das Verwaltungsgericht hierzu aus, dass der Beweisantrag abzulehnen gewesen sei, weil unter Zugrundelegung des vom Kläger selbst Ausgeführten die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen für die Beurteilung der Sachlage ausreichten (UA S. 9). Nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung hatte der Kläger auf Nachfrage des Gerichts ausgeführt, der Ort Shekhan liege in der Einflusssphäre der kurdischen Peschmerga und sei seines Wissens nie von IS-Milizen besetzt gewesen (Bl. 45 der Gerichtsakte). Das Gericht verweist in den Urteilsgründen auf den Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 18. Februar 2016, den Amnesty-Report Irak 2016 sowie weitere in der mündlichen Verhandlung eingeführte Erkenntnisquellen – Auszug aus der Zeitung Jungle World – Die linke Wochenzeitung Nr. 51 vom 18. Dezember 2014 und Internetausdruck der Organisation Diakonie-Katastrophenhilfe vom 22. März 2013. Es sei zu berücksichtigen, dass gemäß Ziffer 4 der „Grundsätzlichen Anmerkungen“ zu Beginn des Lageberichts des Auswärtigem Amts ohnehin die Erkenntnisse lokaler Menschenrechtsgruppen und vor Ort vertretener Regierungsorganisationen ausgewertet würden und dass regelmäßig mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und dem UNHCR Informationen ausgetauscht würden, wobei jedoch nach der Ziffer 7 gegenwärtig die Arbeits- und Bewegungsfreiheit der Deutschen Botschaft in Bagdad stark eingeschränkt sei. Der Kläger macht geltend, die im Beweisantrag aufgeworfenen Fragen würden gerade von den Erkenntnisquellen, die das Gericht einbezogen habe, nicht beantwortet, jedenfalls nehme das Gericht im Urteil hierzu nicht detailliert Stellung.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, kann allerdings nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238). Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, B.v. 18.6.1993 – 2 BvR 1815/92 – NVwZ 1994, 60 = juris Rn. 39; B.v. 30.1.1985 – 1 BvR 393/84 – BVerfGE 69, 141/144 = NJW 1986, 833; BayVerfGH, E.v. 26.4.2005 – Vf. 97-VI-04 – VerfGH 58, 108 = BayVBl 2005, 721). Liegen zu einer erheblichen Tatsache bereits amtliche Auskünfte oder gutachtliche Stellungnahmen vor, richtet sich die im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung über einen Antrag auf Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten nach § 98 VwGO in Verbindung mit § 412 Abs. 1 ZPO. Danach kann das Gericht eine weitere Begutachtung anordnen, wenn es die vorliegenden Auskünfte oder Gutachten ohne Rechtsverstoß für ungenügend erachtet (§ 412 Abs. 1 ZPO); einer erneuten Begutachtung bedarf es jedenfalls dann nicht, wenn das Gegenteil der erneut behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist (§ 244 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 StPO). Ungenügend sind Auskünfte und Gutachten insbesondere dann, wenn sie erkennbare Mängel aufweisen, etwa unvollständig, widersprüchlich oder sonst nicht überzeugend sind, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder wenn der Gutachter erkennbar nicht sachkundig ist bzw. Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehen. Das gerichtliche Ermessen kann sich auch dann zu der Pflicht neuerlicher Begutachtung verdichten, wenn durch neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beteiligten oder eigene Ermittlungstätigkeit des Gerichts die Aktualität der vorliegenden Auskünfte zweifelhaft oder wenn sonst das bisherige Beweisergebnis ernsthaft erschüttert wird. Schließlich kann die Erforderlichkeit der Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten auch darauf beruhen, dass die Fragestellung der bisherigen Gutachten sich auf Grund tatsächlicher Entwicklungen oder wegen einer Rechtsprechungsänderung als unzureichend erweist. Reichen indes die in das Verfahren bereits eingeführten Erkenntnismittel zur Beurteilung der geltend gemachten Gefahren aus, kann das Gericht einen Beweisantrag auf Einholung weiterer Auskünfte unter Berufung auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen, wenn es seine Sachkunde ggf. im Rahmen der Beweiswürdigung darstellt und belegt (BVerwG, B.v. 27.3.2013 – 10 B 34.12 – NVwZ-RR 2013, 620 = juris Rn. 4; B.v. 3.2.2010 – 2 B 73.09 – juris Rn. 9; B.v. 8.3.2006 – 1 B 84.05 – juris Rn. 7; stRspr.).
Gemessen hieran war dem Kläger das rechtliche Gehör nicht versagt. Unter Zugrundelegung des klägerischen Vortrags, seine Heimatstadt liege in der Einflusssphäre der kurdischen Peschmerga und sei seines Wissens nie von IS-Milizen besetzt gewesen, konnte das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die von ihm in das Verfahren bereits eingeführten Erkenntnismittel, insbesondere den Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 18. Februar 2016, von der Einholung weiterer Stellungnahmen von Amnesty International oder dem UNHCR absehen. Weder aus dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag noch aus dem Zulassungsantrag ergibt sich, dass die herangezogenen Erkenntnismittel im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung ungenügend wären. Dass das Verwaltungsgericht die Erkenntnismittel anders als der Kläger bewertet, vermag eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör nicht zu begründen, da aus dem Grundrecht auf rechtliches Gehör ein Anspruch darauf, dass sich das Gericht der Bewertung des Klägers anschließt, nicht hergeleitet werden kann (BayVerfGH, E.v. 2.10.2013 – Vf. 7-VI-12 – VerfGH 66, 179 = BayVBl 2014, 171).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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