Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag eines nigerianischen Staatsangehörigen wegen befürchteter Diskriminierung in der Ukraine

Aktenzeichen  11 ZB 20.30210

Datum:
22.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9504
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3, Abs. 4
VwGO § 138 Nr. 3
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Tatsachenfragen sind grundsätzlich nicht berufungsgerichtlich klärungsbedürftig, wenn das Verwaltungsgericht die verfügbaren Informationen herangezogen, aufbereitet und sachgerecht bewertet hat, ohne dass gegen diese Bewertung beachtliche Zweifel erkennbar sind und wenn keine gewichtigen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Verwaltungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse im Ergebnis unzutreffend beurteilt hat. (Rn. 3) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Das Verlangen nach einer bloßen Neubewertung unveränderter Tatsachen- oder Erkenntnisquellen rechtfertigt die Berufungszulassung grundsätzlich nicht.  (Rn. 3) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

B 5 K 17.31269 2019-11-28 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 78 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) bzw. nicht gegeben sind.
Die Kläger halten für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob sie in Anbetracht des weithin grassierenden Rassismus in der Ukraine ethnische Diskriminierung im Sinne der § 3a Abs. 1, § 3c Nr. 3 AsylG, Art. 3 EMRK bzw. § 4 AsylG „bzw. und“ § 60 Abs. 5 AufenthG landesweit zu gewärtigen haben. Der Kläger zu 1 sei nigerianischer Staatsangehöriger und von schwarzer Hautfarbe. Das Gericht habe seine Schilderungen betreffend erlittener Diskriminierung geglaubt. Die Bewertung des Gerichts, dass der ukrainische Staat willens oder in der Lage sei, Betroffene gegen Übergriffe Privater zu schützen, halte einer Überprüfung nicht stand. Hierzu werde ein im März 2016 hochgeladener Bericht des Arbeitskreises Internationalismus zum Thema „Rassismus in der Ukraine“ vom März 2016 übersandt, in dem ein Nigerianer schildere, dass der ukrainische Staat nicht in der Lage sei, massiven Übergriffen wirksam entgegenzutreten. Die offiziellen Verlautbarungen insbesondere des Auswärtigen Amts, zuletzt im Lagebericht vom 22. Februar 2019, seien naturgemäß politisch koloriert. Der beigefügte Bericht sei aussagekräftig, glaubhaft und vor allem sachnäher.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachenoder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ, a.a.O. § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 124a Rn. 102 ff.; Funke-Kaiser in GK-AsylG, Stand November 2019, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist oder aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2018 – 1 B 5.18 – juris Rn. 2; B.v. 24.4.2017 – 1 B 22/17 – NVwZ 2017, 1204 = juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 7.7.2016 – 20 ZB 16.30003 – NVwZ 2017, 335 = juris Rn. 9). Weiter sind Tatsachenfragen grundsätzlich nicht berufungsgerichtlich klärungsbedürftig, wenn das Verwaltungsgericht die verfügbaren Informationen herangezogen, aufbereitet und sachgerecht bewertet hat, ohne dass gegen diese Bewertung beachtliche Zweifel erkennbar sind und wenn keine gewichtigen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Verwaltungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse im Ergebnis unzutreffend beurteilt hat (Funke-Kaiser, a.a.O. § 78 Rn. 139 f.). Es genügt nicht, die gerichtlichen Feststellungen zu den Gegebenheiten im Herkunftsland des Asylsuchenden bloß in Zweifel zu ziehen oder schlicht gegenteilige Behauptungen aufzustellen. Vielmehr muss durch Benennung bestimmter Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür dargelegt werden, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Behauptungen in der Antragsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (OVG NW, B.v. 14.3.2018 – 13 A 341/18.A – juris Rn. 5 f. m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.2.2018 – 20 ZB 17.30393 – juris Rn. 11; B.v. 19.4.2018 – 11 ZB 18.30588 – juris Rn. 4; NdsOVG, B.v. 8.2.2018 – 2 LA 1784/17 – juris Rn. 4; Funke-Kaiser, a.a.O. § 78 Rn. 609 ff.). Das Verlangen nach bloßer Neubewertung unveränderter Tatsachen- oder Erkenntnisquellen rechtfertigt die Berufungszulassung grundsätzlich nicht (Funke-Kaiser, a.a.O. § 78 Rn. 609).
Diesen Anforderungen genügt der Zulassungsantrag nicht. Die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der auf den Fall der Kläger zugeschnittenen Frage wird nicht aufgezeigt. Vielmehr zielt sie auf eine Überprüfung der Rechtsanwendung in ihrem Einzelfall ab. Sofern die Fragestellung fallübergreifend dahin ausgelegt wird, dass geklärt werden soll, ob in der Ukraine landesweit eine asylerhebliche ethnische Diskriminierung von dunkelhäutigen Personen durch nichtstaatliche Akteure stattfindet, ist sie nicht entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass der ukrainische Staat willens und in der Lage ist, gegen derartige Diskriminierungen Schutz gemäß § 3d Abs. 2 AsylG zu bieten (§ 3d Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Sofern die Kläger nach der Begründung ihres Zulassungsantrags wohl eigentlich dies klären lassen möchten, werden die Feststellungen und die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die auf jüngeren Erkenntnissen des Auswärtigen Amts und des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl aus dem Jahr 2019 beruhen, durch den vorgelegten Bericht eines Betroffenen, in dem Erlebnisse und Erfahrungen aus den Jahren zwischen 2004 und 2014 geschildert werden, nicht hinreichend in Zweifel gezogen. Das Gericht stellt in seinem Urteil wesentlich auf eine grundlegende und erfolgreiche Polizeireform in den Jahren 2015/2016 ab und damit auf eine grundlegende Änderung polizeilichen Handelns. Hiermit setzt sich der Zulassungsantrag nicht auseinander und es werden diesbezüglich auch keine den durch das Gericht herangezogenen Erkenntnismitteln widersprechenden Informationen angeführt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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