Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag eines türkischen Kurden im  asylrechtlichen Verwaltungsstreitverfahren

Aktenzeichen  24 ZB 21.30272

Datum:
4.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6110
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 78 Abs. 3
VwGO § 108 Abs. 1, § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Frage, ob türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die als Mitglieder der HDP von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren verfolgt wurden und ins Visier der Sicherheitskräfte geraten sind, einen Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung nach § 3 Abs. 1 AsylG besitzen, ist einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich; sie ist vielmehr vom individuellen Verfolgungsschicksal des Betroffenen abhängig. (Rn. 3) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Wird im asylrechtlichen Berufungszulassungsverfahren die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt, scheidet die Annahme einer Gehörsverletzung i.S.v. Art. 103 Abs. 1 GG , die einen Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO darstellen würde, deshalb aus, weil die Grundsätze der Beweiswürdigung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Regel nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen sind (BVerwG BeckRS 2019, 1798) und ein Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung im Asylprozess nicht besteht. (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

Au 4 K 19.31802 2021-01-19 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG liegt nicht vor.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Asylrechtsstreitigkeit, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich und obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Die Darlegung dieser Voraussetzungen erfordert wenigstens die Bezeichnung einer konkreten Frage, die sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für das Berufungsverfahren erheblich wäre. Eine verallgemeinerungsfähige Frage tatsächlicher Natur ist als grundsätzlich bedeutsam anzusehen, wenn sich nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel klärungsbedürftige Gesichtspunkte ergeben, weil diese Erkenntnismittel in ihrer Gesamtheit keine klare und eindeutige Aussage zu der Tatsachenfrage zulassen. Insoweit verlangt das Darlegungserfordernis gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass die tatsächliche Frage nicht nur aufgeworfen wird, sondern im Wege der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil und mit den wichtigsten Erkenntnismitteln, etwa aktuellen Lageberichten des Auswärtigen Amtes, herausgearbeitet wird, warum ein allgemeiner Klärungsbedarf bestehen soll (Seibert in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 211 ff.). Dabei gilt allgemein, dass die Anforderungen an die Darlegung nicht überspannt werden dürfen, sondern sich nach der Begründungstiefe der angefochtenen Entscheidung zu richten haben.
Soweit der Kläger für allgemein klärungsbedürftig hält, „ob Personen kurdischer Volkszugehörigkeit und türkischer Staatsangehörigkeit, die als Mitglieder der prokurdischen HDP von staatlichen wie nichtstaatlichen Akteuren verfolgt wurden und ins Visier der Sicherheitskräfte geraten sind, einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG haben“, handelt es sich ersichtlich um eine auf das behauptete Verfolgungsschicksal des Klägers zugeschnittene Einzelfrage, die einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich ist. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Frage nicht unabhängig von der Art und Weise der Unterstützung der HDP durch den Kläger und der Bedeutung des Klägers innerhalb dieser Partei sowie von der Art, der tatsächliche Ursache, Schwere und Ausprägung der jeweiligen angeblichen Verfolgung beantwortet werden kann. Ungeachtet dessen hat das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang festgestellt, dass eine Rückkehrgefährdung des Klägers allein wegen dessen Mitgliedschaft in der HDP nicht gegeben sei (UA Rn. 26), ihm daher keine landesweite Verfolgung drohe und dass im Übrigen Zweifel an seiner Glaubhaftigkeit bestünden (UA Rn. 27 f.).
Letztlich zielt das klägerische Vorbringen auf die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Wird aber die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt, scheidet schon deshalb eine Gehörsverletzung im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG – die einen Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO darstellen würde – aus, weil die Grundsätze der Beweiswürdigung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Regel nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen sind (BVerwG, B.v. 21.1.2019 – 6 B 120.18). Aus diesem Grund führt eine fehlerhafte Sachverhalts- oder Beweiswürdigung grundsätzlich zu einem materiell-rechtlichen Fehler, der im Asylprozess nicht zu einer Berufungszulassung führen kann, weil § 78 Abs. 3 AsylG einen dem § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entsprechenden Zulassungsgrund der „ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils“ nicht vorsieht.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für den Antrag auf Zulassung der Berufung, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den unter 1. genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO). Daher war der entsprechende Antrag des Bevollmächtigten abzulehnen.
Insoweit ist eine Kostenentscheidung entbehrlich, weil im Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe Gerichtskosten nicht anfallen und Kosten nicht erstattet werden (§ 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.


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