Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag eines türkischen Staatsangehörigen gegen seine Ausweisung

Aktenzeichen  10 ZB 19.2452

Datum:
28.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1192
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4, Abs. 5
AufenthG § 53, § 60 Abs. 5, Abs. 7, 60a

 

Leitsatz

1. Mit dem Verweis auf die seit der Haftentlassung erbrachten Integrationsleistungen, die durch eine Ausweisung konterkariert würden, vermag ein Ausländer weder die Gefahrenprognose, dass er erneut Straftaten begehen werde, noch die Annahme der Unerlässlichkeit der Ausweisung zur Wahrung des gesellschaftlichen Grundinteresses in Zw2eifel zu ziehen. (Rn. 5) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Bei der im Rahmen der Ausweisung anzustellenden Gefahrenprognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (VGH München BeckRS 2019, 13718). (Rn. 5) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Ein Ausländer besitzt keinen Anspruch auf “Resozialisierung” im Geltungsbereich des Aufenthaltsgesetzes (BVerwG BeckRS 1970, 31273453). (Rn. 5) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Die Berufung auf die fehlende Behandelbarkeit einer Erkrankung in der Türkei ist im Rahmen der Abwägungsentscheidung nach § 53 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AufenthG nicht zu berücksichtigen. Denn ob das diesbezügliche Vorbringen ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG zu begründen vermag, ist vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Rahmen eines Asylverfahrens zu prüfen, oder aber als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG bei einer eventuellen Abschiebung des Ausländers zu berücksichtigen (VGH München BeckRS 2020, 1182). (Rn. 6) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

Au 1 K 19.965 2019-11-19 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine Klage gegen die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 3. Juni 2019, soweit jene in erster Instanz Klage erfolglos geblieben ist, weiter. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil vom 19. November 2019 die im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Befristung der Wirkungen der Ausweisung aufgehoben und im Übrigen die Klage abgewiesen.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Antragsbegründung noch die Darlegungsanforderungen aus § 124a Abs. 4 Satz 4 und 5, Abs. 5 Satz 2 VwGO erfüllt, da der Kläger keinen Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO benennt und sich auch sonst nur pauschal und allgemein mit der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung befasst, ohne sich substantiiert mit den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils auseinanderzusetzen. In angemessener Würdigung des klägerischen Vortrags (vgl. BVerfG, B.v. 24.8.2010 – 1 BvR 2309/09 – juris Rn. 12; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33 m.w.N) kommt, soweit eine „unzureichende“ Würdigung der Resozialisierung des Klägers seit seiner Haftentlassung sowie die mit der Ausreise einhergehenden drohenden gesundheitlichen Folgen gerügt werden, allenfalls die Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Betracht.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist aber jedenfalls unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Solche bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 17; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist hier in Bezug auf die gegenüber dem Kläger erfolgte Ausweisung nicht der Fall.
Der Kläger verweist im Zulassungsvorbringen auf seine Integrationsleistungen seit seiner Haftentlassung und meint, dass die diesbezüglichen Erfolge durch die Ausweisung konterkariert würden. Damit ist aber weder die von der Beklagten und dem Verwaltungsgericht angestellte Gefahrenprognose, dass der Kläger erneut Straftaten begehen werde, noch die Annahme der Unerlässlichkeit der Ausweisung zur Wahrung der gesellschaftlichen Grundinteressen ernsthaft in Zweifel gezogen. Denn bei einer auf spezialpräventive Gründe gestützten Ausweisungsentscheidung haben die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Bei dieser Gefahrenprognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 21.5.2019 – 10 B 19.55 – juris Rn. 27; U.v. 23.7.2019 – 10 B 18.2464 – juris Rn. 26). Ausgehend hiervon ist das Verwaltungsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass angesichts des bisherigen strafrechtlichen Werdegangs sowie der aktuellen Vermögens- und Erwerbssituation eine erhebliche Gefahr der Begehung von weiteren Straftaten im Vermögensbereich bestehe. Das Gericht hat dabei auch die seit der Haftentlassung festzustellende positive Entwicklung des Klägers hinreichend berücksichtigt (s. UA Rn. 22). Allerdings hat der Kläger keinen Anspruch auf „Resozialisierung“ im Geltungsbereich des Aufenthaltsgesetzes (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.1970 – I B 87.70 – BeckRS 1970, 31273453).
Schließlich ergeben sich auch aus den vom Kläger angeführten gesundheitlichen Aspekten keine ernsthaften Richtigkeitszweifel. Abgesehen davon, dass die geltend gemachte Erkrankung sowie die fehlende Behandelbarkeit in der Türkei nur behauptet werden, wären diese im Rahmen der Abwägungsentscheidung nach § 53 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AufenthG nicht zu berücksichtigen. Denn ob das diesbezügliche Vorbringen ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot (vgl. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) zu begründen vermag, ist vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in einem Asylverfahren zu klären, oder als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bei einer eventuellen Abschiebung des Klägers zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 13.1.2020 – 10 ZB 19.1599 – Rn. 14; B.v. 1.2.2019 – 10 ZB 18.2455 – juris Rn. 10; OVG Bremen, U.v. 5.7.2019 – 2 B 98.18 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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