Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag wegen fehlender Verletzung rechtlichen Gehörs

Aktenzeichen  15 ZB 18.32208

Datum:
5.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21862
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensverstoß iSd § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG kann entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht darin gesehen werden, dass die im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren nicht anwaltlich vertretenen Kläger laut der Sitzungsniederschrift nicht allgemein darüber aufgeklärt worden sind, dass ein Nachreichen von Unterlagen nach Abschluss der mündlichen Verhandlung grundsätzlich nicht möglich sei. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es besteht damit – auch gegenüber nicht anwaltlich vertretenen Beteiligten – keine, das Recht auf rechtliches Gehör verletzende,  allgemeine Aufklärungspflicht eines Verwaltungsgerichts, über die Bedeutung der mündlichen Verhandlung aufzuklären sowie abstrakt auf die unter besonderen Voraussetzungen bestehende Möglichkeit eines nachgereichten bzw. nachgelassenen Schriftsatzes aufzuklären. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3 Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben, wobei sie nicht verpflichtet sind, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 K 18.30899 2018-06-26 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Gründe

I.
Die Kläger, georgische Staatsangehörige, wenden sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 25. April 2018, mit dem ihre Anträge auf Asylanerkennung abgelehnt, die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurde, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Georgien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen. Mit Urteil vom 26. Juni 2018 wies das Verwaltungsgericht Bayreuth die von den Klägern gegen den Bescheid erhobene Klage mit den Anträgen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 25. April 2018 zu verpflichten, sie als asylberechtigt anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft zu bewilligen, sowie hilfsweise zu verpflichten, ihnen den subsidiären Schutz zuzuerkennen und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ab. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzinteresse weiter. Die Berufung sei aufgrund eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) in Form der Versagung des rechtlichen Gehörs zuzulassen. Wegen der Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der von den Klägern ausdrücklich gerügte Verfahrensmangel eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs liegt nicht vor bzw. ist von den Klägern im Zulassungsverfahren nicht in einer Weise dargelegt worden, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Er verpflichtet die Gerichte, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit es entscheidungserheblich ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.11.1995 – 4 C 10.95 – NVwZ 1996, 378 = juris Rn. 13 m.w.N.). Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat. Ein Verfahrensfehler im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO liegt daher grundsätzlich nur dann vor, wenn das Gericht einen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2017 – 15 ZB 17.30494 – juris Rn. 24 m.w.N.).
Ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensverstoß kann entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht darin gesehen werden, dass die im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren nicht anwaltlich vertretenen Kläger laut der Sitzungsniederschrift nicht allgemein darüber aufgeklärt worden sind, dass ein Nachreichen von Unterlagen nach Abschluss der mündlichen Verhandlung grundsätzlich nicht möglich sei. Die Kläger bringen insofern weiter vor, ihnen sei nicht bewusst gewesen, dass es zweckmäßig gewesen wäre, die Einräumung einer Schriftsatz- bzw. einer Vorlagefrist in der mündlichen Verhandlung zu beantragen; sie seien vielmehr – ihrer Mitwirkungspflicht gem. § 86 Abs. 1 Halbs. 2 VwGO nachkommend – davon ausgegangen, dass das Verwaltungsgericht den bis zu seiner Entscheidung eingebrachten Sachverhalt einschließlich hierzu vorliegender Beweise berücksichtigen werde.
Soweit das Gericht bei seiner Entscheidung auf eine rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellen will, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht, kann es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs zwar gebieten, zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung vor der Entscheidung auf diese Gesichtspunkte hinzuweisen (vgl. BVerwG, B.v. 23.1.2014 – 1 B 12.13 – juris Rn. 11 m.w.N.; OVG SA, B.v. 22.1.2018 – 3 L 63/17 – juris Rn. 3). Eine derartige Konstellation wird von den Klägern vorliegend nicht behauptet oder substantiiert dargelegt. Aus dem Recht auf rechtliches Gehör folgt aber weder ein Anspruch auf ein vertieftes Rechtsgespräch noch eine allgemeine Hinweis- oder Aufklärungspflicht des Gerichts (BVerwG, B.v. 16.2.2010 – 10 B 34.09 – juris Rn. 6; OVG Schleswig-Holstein, B.v. 29.9.2017 – 2 LA 67/16 – juris Rn. 20). Es besteht damit – auch gegenüber nicht anwaltlich vertretenen Beteiligten – keine allgemeine Aufklärungspflicht eines Verwaltungsgerichts, über die Bedeutung der mündlichen Verhandlung aufzuklären sowie abstrakt auf die unter besonderen Voraussetzungen bestehende Möglichkeit eines nachgereichten bzw. nachgelassenen Schriftsatzes aufzuklären.
Im Übrigen muss die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs schlüssig erhoben werden. Die ordnungsgemäße Begründung einer Gehörsrüge im Zulassungsverfahren erfordert daher nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG grundsätzlich substantiierte Ausführungen dazu, was bei (aus Sicht der Kläger) ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs – also ohne den (vermeintlichen bzw. behaupteten) Verfahrensfehler – konkret vorgetragen worden wäre und inwieweit der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (BVerwG, B.v. 19.3.1991 – 9 B 56.91 – NVwZ-RR 1991, 587 = juris Rn. 7; B.v. 14.6.2013 – 5 B 41.13 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 11.7.2018 – juris Rn. 15 m.w.N.; OVG NRW, B.v. 19.4.2018 – 8 A 1590/16 – juris Rn. 22 m.w.N.). Dem genügt das Zulassungsvorbringen der Kläger, das hierzu keinerlei Angaben enthält, nicht. Soweit der Antragsschriftsatz vom 13. August 2018 in der Sache das beim Verwaltungsgericht am 10. Juli 2018 eingegangene Schreiben des Klägers zu 1 im Blick haben sollte, mit dem dieser unter Vorlage von Lichtbildern, die nach seinem dortigen Vortrag sein Haus abbilden sollen, mitteilt, dass das Haus von russischen Soldaten weggenommen worden sei und dass dort jetzt ein russischer Soldat wohne, fehlt es jedenfalls an einer substantiellen Auseinandersetzung hiermit.
Letzteres gilt ebenso, soweit die Bevollmächtigte der Kläger zur weiteren Begründung eines Verfahrensmangels in Form einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V. mit Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2, § 138 VwGO vorträgt, der Kläger zu 1 „soll“ das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen haben, dass er über eine Videoaufnahme verfüge, die seine Aussage stütze und dass „nach seiner Aussage“ dieses Video vom Gericht nicht berücksichtigt worden sei. Auch der diesbezügliche Vortrag ist am Maßstab von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG zu oberflächlich und zu unsubstantiiert, um eine Berufung zuzulassen. Zwar thematisiert der Kläger zu 1 im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung ein Video, das er am Wahltag unter Zwang gedreht habe (vgl. Seite 4 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 19. Juni 2018), es geht aber aus der Zulassungsbegründung schon nicht klar hervor, ob tatsächlich dieses Video oder ggf. ein ganz anderes gemeint sein soll. Jedenfalls wird auch insofern in der Zulassungsbegründung nicht ansatzweise dargelegt, was genau auf dem angesprochenen Video zu sehen sein soll, warum dies den (welchen?) Vortrag der Kläger stütze und inwiefern es gerade deshalb zu einer für sie günstigeren Entscheidung hätte kommen können. Soweit mit der diesbezüglichen – aus sich heraus kaum verständlichen – Einwendung gerügt werden sollte, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag des Klägers zu 1, er sei zum Dreh eines Videos über die Abgabe seiner Wahlstimme gezwungen worden, in seiner Entscheidung nicht berücksichtigt habe, ergibt sich nichts anderes: Es ist schon grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 10). Im vorliegenden Fall spricht aber nichts dafür, dass das Verwaltungsgericht den diesbezüglichen Vortrag des Klägers zu 1 ignoriert und bei seiner Entscheidung nicht verwertet hat, vielmehr wird am Ende des Tatbestands des angegriffen Urteils hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung – und damit auch hinsichtlich der dort erfolgten Anhörung des Klägers zu 1 – auf die von der Einzelrichterin unterschriebene Sitzungsniederschrift verwiesen.
Es ist schließlich weder ersichtlich noch substantiiert im Zulassungsverfahren vorgebracht worden, dass das Verwaltungsgericht im Sinne einer Überraschungsentscheidung den Sachverhalt oder das Vorbringen der Kläger in einer Weise gewürdigt hätte, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem vorherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben