Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag eines international Schutzberechtigten gegen asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach Griechenland

Aktenzeichen  AN 17 S 20.50370

Datum:
23.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 34369
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2
EMRK Art. 3
VwGO § 80 Abs. 7

 

Leitsatz

Eine allgemein bestehende schwierige Lage für anerkannt Schutzberechtigte in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union steht einer Rückführung dorthin nur dann entgegen, wenn die Schwelle einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung erreicht ist; dies ist im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie für in Griechenland Anerkannte nicht der Fall. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich mit einem zweiten Eilantrag gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach Griechenland.
Der 1990 geborene Antragsteller ist palästinensischer Volkszugehöriger ungeklärter Staatsangehörigkeit, der bis Herbst 2016 im Gazastreifen gelebt hat. Er wurde am 3. Oktober 2018 in Griechenland als Flüchtling anerkannt. In Deutschland stellte er am 21. September 2020 einen weiteren Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 8. Oktober 2020 unter Ablehnung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, Anordnung einer Abschiebungsandrohung mit Fristsetzung von einer Woche – in erster Linie – nach Griechenland und eines Einreise- und Aufenthaltsverbots als unzulässig gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt wurde.
Hiergegen erhob der Antragsteller Klage (AN 17 K 20.50343), über die noch nicht entschieden wurde und stellten einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (AN 17 S 20.50342), der mit Beschluss der Einzelrichterin vom 30. Oktober 2020 abgelehnt worden ist. Die Verfahren wurde mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 26. Oktober 2020 mit der in Griechenland herrschenden Lage für anerkannt Schutzbedürftige begründet.
Mit Schriftsatz vom 16. November 2020 stellte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Ansbach über seinen Bevollmächtigten einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO und beantragte,
unter Abänderung des Beschlusses vom 30. Oktober 2020 die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 8. Oktober 2020 anzuordnen.
Der Antrag wurde begründete mit der inzwischen höheren Betroffenheit von Griechenland mit dem Covid-19-Virus. Die Inzidenz betrage inzwischen in bestimmten Gebieten in Griechenland über 50. Griechenland habe vorerst bis 30. November 2020 einen landesweiten Lockdown verhängt. Das Auswärtige Amt habe eine Reisewarnung ausgesprochen. Der Antragsteller verfüge auch nicht über die für die Einreise nach Griechenland notwendigen Bescheinigungen (negativer Coroanatest, Online-Einreiseformular).
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 18. November 2020, den Antrag abzuweisen und verwies darauf, dass inlandsbezogene Abschiebungshindernisse ausschließlich von der zuständigen Ausländerbehörde beim Vollzug zu berücksichtigen seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO auf Abänderung des Beschlusses vom 30. Oktober 2020 dahingehend, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 8. Oktober 2020 angeordnet wird, ist abzulehnen, weil er jedenfalls unbegründet ist. Die aktuelle Infektions- bzw. Pandemielage in Griechenland stellt keinen Umstand dar, der die Aussetzung der Abschiebung dorthin erfordert (1). Die geltend gemachten sonstigen Umstände, die die Rückführung derzeit – gegebenenfalls – vorübergehend oder auf Dauer verhindern, spielen im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes gegen die Bundesrepublik Deutschland keine Rolle (2).
1. Die Pandemielage in Griechenland macht die asylrechtliche Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids vom 8. Oktober 2020, die alleiniger Gegenstand des Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO ist, vorliegend nicht rechtswidrig; ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung (§ 36 Abs. 4 AsylG) bestehen in dieser Hinsicht nicht. Die Gefahren aus der derzeitige Pandemielage führen weder zur Rechtwidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheids vom 8. Oktober 2020 noch zu einem nationalen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Wie bereits im Beschluss vom 30. Oktober 2020 ausgeführt, stellt eine allgemein bestehende, schwierige Lage für anerkannt Schutzberechtigte in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union einer Rückführung dorthin nur ausnahmsweise entgegen, nämlich nur dann, wenn die Schwelle einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh erreicht ist (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 „Jawo“ – NVwZ 2019, 712 ff., C-297/17 „Ibrahim“ u.a. – juris, U.v. 19.11.2019 – C-540/17 und C-541/17 – „Hamed“ und „Omar“ – NVwZ 2020, 137 ff., BVerwG, U.v. 20.5.2020, 20.5.2020 – 1 C 34/19 – juris). Dies ist im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie für in Griechenland Anerkannte nicht erkennbar. Aufgrund der in Griechenland bestehenden Inländergleichbehandlung kann davon ausgegangen werden, dass anerkannt Schutzberechtigte im Falle einer Infektion genauso in den Genuss einer medizinischen Behandlung kommen würden wie griechische Staatsbürger (vgl. zur medizinischen Versorgung und dem Gesundheitssystem in Griechenland etwa Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9). Etwas Anderes wurde auch von der Antragstellerseite nicht dargetan. Die Infektionsgefahr ist in Griechenland im Vergleich zum Risiko in der Bundesrepublik Deutschland auch keineswegs erhöht. Nach den Zahlen der Johns Hopkins Universität (vgl. https://coronavirus.jhu.edu/region/greece), abgerufen am 23. November 2020, 10.30 Uhr, sind in Griechenland derzeit 91.619 Infektionsfälle bekannt, wovon 1.630 Todesfälle und 23.074 Genese registriert sind. Für Deutschland sind zum gleichen Zeitpunkt 933.701 Infektionen, 14.159 Tote und 611.627 Genese erfasst (vgl. https://coronavirus.jhu.edu/region/germany). Die Zahlen zeigen damit auch im Verhältnis zur Bevölkerungszahl (Griechenland ca. 10,7 Mio., Deutschland 83,1 Mio.) keine größere, sondern sogar eine geringe Verbreitung auf. Staatliche Beschränkungen zur Bekämpfung der Coronapandemie wie ein landesweiter Lockdown (derzeit bis 30.11.2020) treffen anerkannt Schutzberechtigte genauso wie Einheimische. Die Maßnahmen unterscheiden sich auch nicht maßgeblich von denen in der Bundesrepublik. Sie erreichen keinesfalls die Schwelle der Unmenschlichkeit. Die Unzulässigkeitsentscheidung im Bescheid vom 8.Oktober 2020 ist damit bei summarischer Prüfung im Eilverfahren nach wie vor als rechtmäßig anzusehen.
Aus der Infektionslage folgt aus den gleichen Gründen auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit ist die gleiche rechtliche Beurteilung anzustellen, so dass auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden kann.
Für den Antragsteller liegt auch ein Abschiebungsverbot nach Art. 60 Abs. 7 AufenthG nicht vor. Ein solches besteht bei Gefahren, denen die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich ebenfalls nicht; solche Gefahren können nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG grundsätzlich nur über eine hier nicht vorliegende politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1  AufenthG berücksichtigt werden, nicht aber über ein individuelles Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat dann abgesehen werden soll, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG setzt darüber hinaus voraus, dass der Ausländer bei einer Rückkehr mit hoher – und nicht nur beachtlicher – Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage hinsichtlich der genannten Rechtsgüter ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – NVwZ 2019, 61 Rn. 13), er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ wäre. Nur dann würden es die Grundrechte der Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG bei fehlender politischer Leitentscheidung auch gebieten, Abschiebungsschutz über § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 60). Eine derartige Gesundheitsgefahr besteht für den gesunden Antragsteller nicht. Er ist in Griechenland weder extrem von einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus bedroht, noch kann für ihn die Prognose gestellt werden, dass er im Falle einer Infektion erhebliche Gesundheitsfolgen davon tragen oder versterben würde.
2. Dass der Antragsteller derzeit nicht über eine Bescheinigung eines negativen Coronatests (PCR-Test) und nicht über ein „Passenger Locator Form“, PLF) verfügt, was Griechenland nach den Informationen des Auswärtigen Amtes auf seiner Internetseite für eine Einreise derzeit verlangt (siehe www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/griechenland-node/griechenlandsicherheit/211534), steht der Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG nicht entgegen. Diese Voraussetzungen sind erst beim Vollzug der Abschiebungsandrohung durch die zuständige Ausländerbehörde relevant, sind aber nicht vom Bundesamt im Rahmen seiner Asylentscheidung zu prüfen. Aus § 60a Abs. 2 AufenthG im Zusammenspiel mit §§ 24 Abs. 2, 31 Abs. 3, 42 AsylG ergibt sich, dass sich die Zuständigkeit des Bundesamtes nur auf zielstaatsbezogene, nicht aber inlandsbezogene Abschiebungsverbotes bezieht (vgl. auch BVerwG, U.v. 21.9.1999 – 9 C 12.99 – BVerwGE 109, 305 ff., BVerwG, B.v. 10.10.2012 – 10 B 39/12 – juris), zu denen auch die Frage der Reisefähigkeit und der tatsächlichen Durchführbarkeit einer Abschiebung aufgrund von administrativen Hindernissen gehört. Die für Verfahren nach §§ 29 Abs. 1 Nr. 1a, 34a AsylG i.V.m. der Verordnung (EU) des Europäischen Parlaments und des Rates Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) geltende abweichende Rechtslage, gilt für die hier vorliegende Konstellation eines in einem Drittstaat Anerkannten nicht. Die unterschiedliche Behandlung beruht darauf, dass § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG als Voraussetzung der Abschiebungsanordnung festlegt, dass die Durchführung der Abschiebung feststehen muss (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14). Dies ist für die Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG nicht der Fall.
In den Fällen, in denen das Bundesamt eine Abschiebungsandrohung nach § 34 oder § 35 AsylG verfügt, hat nach § 60a Abs. 2 AufenthG die zuständige Ausländerbehörde über derartige Abschiebungshindernisse bzw. Duldungsgründe zu entscheiden. Ein entsprechender Eilantrag wäre gegen den Träger der Ausländerbehörde und somit gegen einen Landesträger und keinesfalls gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten, so dass auch eine Auslegung oder Umdeutung des Antrags in einen solchen nach § 123 Abs. 1 VwGO hier nicht in Betracht kommt.
3. Die Kostenentscheidung des damit erfolglosen Antrags beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.
4. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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