Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag gegen Dublin-Bescheid (Belgien)

Aktenzeichen  M 30 S 21.50049

Datum:
10.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31836
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

In Belgien bestehen hinsichtlich des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen keine systemischen Mängel. (Rn. 15 – 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Abschiebungsanordnung nach Belgien im Rahmen eines asylrechtlichen Dublin-Verfahrens.
Der seinen Angaben zufolge am … … … in …, Uganda geborene Antragsteller ugandischer Staatsangehörigkeit reiste am 1. November 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt am 4. November schriftlich Kenntnis erlangte. Am 16. Dezember 2020 stellte der Antragsteller einen förmlichen Asylantrag.
Bei seiner Befragung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab der Antragsteller an, ein Visum für Belgien gehabt zu haben und in den Niederlanden sowie Belgien Asylanträge gestellt zu haben. Aus den Niederlanden sei er nach Belgien umverteilt worden. Der Asylantrag in Belgien sei abgelehnt worden, ein Gericht habe die negative Entscheidung auf seine Klage hin bestätigt. Nach Belgien wolle er nicht zurückkehren, da seine Daten in sein Heimatland weitergeleitet worden seien. Seine Schwester und seine Mutter hätten deshalb Probleme bekommen. In Belgien fühle er sich daher nicht sicher. Auch sei das Verfahren in Belgien nicht korrekt abgelaufen. In Belgien habe er in einem Asylbewerberheim gelebt und wöchentlich 7,50 € Sozialleistungen erhalten. Zudem hätte er vier Mahlzeiten täglich bekommen. Im Camp werde er ausgegrenzt, seitdem ein Mann ihn nach Sex gefragt habe und er nun für einen Homosexuellen gehalten werde.
Aufgrund eines Eurodac-Treffers … vom … Mai 2017 in Brüssel und eines Visums … vom …1.2017 ersuchte das Bundesamt am 22. Dezember 2020 Belgien um Wiederaufnahme des Antragstellers gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO, dem die belgischen Behörden mit Schreiben vom gleichen Tage bezugnehmend auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO zustimmten.
Daraufhin lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 12. Januar 2021 – Gesch.Z.: … den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1), verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Belgien an (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf achtzehn Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Asylgesetz (AsylG) unzulässig sei, da Belgien aufgrund des bereits dort gestellten und abgelehnten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) i.V.m. Art. 3 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Die humanitären Bedingungen in Belgien führten nicht zu der Annahme, dass bei der Abschiebung der Antragstellerin eine Verletzung des Art. 3 EMRK oder des Art. 4 EU-Grundrechtecharta (Gr-Charta) vorläge. Insbesondere bestünden in Belgien keine systemischen Mängel hinsichtlich des Asylverfahrens. Hierzu wird umfangreich ausgeführt, worauf gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird. Dublin-Rückkehrer hätten in Belgien vollen Zugang zum Asylsystem. Ihre Verfahren würden inhaltlich behandelt und sie hätten das Recht, einen Folgeantrag zu stellen. Dublin-Rückkehrer seien in keiner Weise anderen Antragstellers in Belgien gegenüber benachteiligt. Soweit bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber mit ihrer Abschiebung zu rechnen hätten, sei dies kein Mangel des Asylverfahrens und nicht menschenrechtswidrig. Es sei nicht ansatzweise erkennbar, dass Asylantragstellern in Belgien unmittelbar eine verfahrenswidrige Abschiebung in das Herkunftsland drohe. Abschiebungsverbote für den Antragsteller lägen ebenso wenig vor. Auch vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und humanitären Auswirkungen der Corona-Pandemie in Belgien sei nicht festzustellen, dass die hohen Anforderungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich der Person des Antragstellers vorlägen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen wird wiederum Bezug genommen. Abschiebungsverbote i.S.v.§ 60 Abs. 7 AufenthG in Bezug auf eine individuell-konkrete erhebliche Gefahr für den Fall der Abschiebung nach Belgien seien nicht ersichtlich. Eine mangelnde Schutzbereitschaft oder Schutzfähigkeit der belgischen Behörden sei nicht erkennbar und der Antragsteller in Bezug auf eine etwaige Diskriminierung im Camp im Bedarfsfall an die örtlichen Sicherheitsbehörden zu verweisen. Auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Bescheidsbegründung Bezug genommen.
Am 20. Januar 2021 hat der Antragsteller per Telefax Klage beim Verwaltungsgericht München gegen den ihm am 18. Januar 2021 seinen Angaben zufolge ausgehändigten Bescheid vom 12. Januar 2021 erhoben (M 30 K 21.50048). Zur Begründung wird ausgeführt, die belgischen Behörden hätten seinem Herkunftsland Uganda mitgeteilt, dass er einen Asylantrag gestellt habe. Dies sei passiert, bevor sein Asylantrag abgelehnt worden sei. Durch das Bekanntwerden seiner Asylantragstellung habe er Schande über seine Familie und diese in große Gefahr gebracht. Da seine Landsleute ihn in Belgien suchen würden, könne er dorthin auf keinen Fall zurück.
Gleichzeitig wird im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes vom 12.01.2021 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat sich bislang im Verfahren nicht geäußert und keine Anträge gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten M 30 K 21.50048 und M 30 S 21.50049 sowie die – in elektronischer Form – beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 12. Januar 2021 mit der nach § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheides ist unbegründet, da die in der Hauptsache erhobene Klage M 30 K 21.50048 voraussichtlich keinen Erfolg hat.
Entfaltet ein Rechtsbehelf von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes abzuwägen hat. Insoweit sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs geht die Interessensabwägung vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus, da für die erhobene Klage gegen den Bescheid vom 12. Januar 2021 keine Erfolgsaussichten erkennbar sind und sich die Abschiebungsanordnung des Antragstellers nach Belgien gemäß § 34a AsylG im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen sicheren Drittstaat oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
1. Vorliegend ist aufgrund der Angaben des Antragstellers i.V.m. den Erkenntnissen über den in Belgien bereits gestellten und abgelehnten Asylantrag der gestellte Asylantrag des Antragstellers i.S.v. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig und vielmehr Belgien gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO der hierfür zuständige Mitgliedstaat. Insoweit haben die belgischen Behörden dem fristgerecht gestellten Wiederaufnahmeersuchen auch ausdrücklich am 22. Dezember 2020 zugestimmt.
2. Die Zuständigkeit liegt auch nicht etwa deshalb bei der Bundesrepublik Deutschland, weil eine Überstellung an Belgien i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Belgien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 Gr-Charta ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Zwar ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Die nationalen Behörden und Gerichte sind aber nur bei Vorliegen von Anhaltspunkten, die auf ein ernsthaftes Risiko von Verstößen gegen Art. 4 Gr-Charta hindeuten, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen. Diese müssen zudem eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die nur vorliegt, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden des Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass einem Asylbewerber gerade aufgrund seiner besonderen Schutzbedürftigkeit und unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen eine Situation extremer materieller Not drohen würde, die es ihm nicht erlauben würde, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigen oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzen würde (EuGH, U. v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 92, 95).
Dies ist vorliegend in Bezug auf eine Überstellung des Antragstellers nach Belgien nicht der Fall. Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass das Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen in Belgien den anzulegenden Maßstäben systemisch gerecht wird. Diesbezüglich wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung im angefochtenen Bescheid verwiesen und von einer wiederholenden Darstellung abgesehen. Das Gericht schließt sich insoweit der – systemische Mängel in Belgien verneinenden – verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an (vgl. u.a. VG Lüneburg, B.v. 1.3.2019 – 8 B 8/19 – juris Rn. 13 f.; VG Düsseldorf, B.v. 22.1.2019 – 29 L 3642/18.A – juris Rn. 44 ff. m.w.N.; VG München, B.v. 28.4.2017 – M 1 S 17.51013 – juris Rn. 16). Dem aktuellen ADIA Country Report für Belgien (https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2020/07/report-download_ aida_be_2019update.pdf) lassen sich insoweit – ebenso wie den Ausführungen des Antragstellers – keine Anhaltspunkte für systemische Mängel entnehmen, insbesondere besteht für Dublin-Rückkehrer die Möglichkeit einer Folgeantragstellung verbunden mit dem Erhalt von materiellen Sozialleistungen.
3. Auch andere Gründe, dass die Abschiebung nicht durchgeführt werden könnte, liegen derzeit nach Aktenlage nicht vor.
Insbesondere bestehen keine Zweifel an der Ablehnung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Zutreffend verweist das Bundesamt den Antragsteller hinsichtlich der von ihm benannten Diskriminierung in der Unterkunft auf die belgischen Behörden. Gleiches gilt insoweit, als sich der Antragsteller in Belgien durch Landsleute gefährdet sieht, weil in Uganda bekannt geworden ist, dass er einen Asylantrag gestellt habe. Dass die belgischen Behörden nicht schutzwillig oder schutzfähig wären, ist nicht ersichtlich.
Ein (zielstaatsbezogenes) Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen ergibt sich für den Antragsteller auch nicht aus der Corona-Pandemie. Unabhängig von der Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wonach es bei allgemeinen Gefahren einer – vorliegend nicht bestehenden – Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG bedürfte, wäre der Antragsteller nicht über das allgemeine Risiko hinaus in besonderer Weise gefährdet, insbesondere nicht derart, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2015 – 9 ZB 14.30457 – juris Rn. 11; OVG NRW, B.v. 17.12.2014 – 11 A 2468/14.A – juris Rn. 14). Ergänzend wird auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen und von einer wiederholenden Darstellung abgesehen.
4. Ebenso wenig ist zum maßgeblichen Zeitpunkt die Ablehnung eines Selbsteintritts gemäß Art. 17 Dublin III-VO zu beanstanden.
Im Übrigen wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Bescheidsbegründung Bezug genommen.
Da die Klage in der Hauptsache hinsichtlich der streitgegenständlichen Nummer 3 des Bescheids vom 12. Januar 2021 voraussichtlich erfolglos bleiben wird, überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheides des Bundesamtes.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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